Jobcenter unterliegt beim Bundessozialgericht.

Die Beteiligten stritten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit von August bis November 2017, insbesondere die Berücksichtigung eines der Klägerin von ihrer Mutter zugewandten Geldbetrags als Einkommen.

Die alleinstehende Klägerin bewohnte im streitigen Zeitraum ein in ihrem Eigentum stehendes Einfamilienhaus. Am Dach des Hauses zeigten sich erhebliche Defekte der aus Wellasbestplatten bestehenden Eindeckung, mit der Folge von Wassereinbrüchen an mehreren Stellen. Für die Dachsanierung durch vollständige Neueindeckung in schlichter Ausführung stellte der beauftragte Handwerker 7125,98 Euro in Rechnung, zahlbar bis 26. Mai unter Abzug von 142,52 Euro Skonto und ohne Abzug bis 31. Mai 2017. Diese Rechnung beglich die Klägerin am 25. Mai 2017 in bar, nachdem sie von ihrer Mutter 7130 Euro – ebenfalls in bar – als Geschenk zur “Verwendung für den Dachdecker“ erhalten hatte.

Nach Prüfung der ihm vorliegenden Unterlagen gelangte das beklagte Jobcenter zu dem Ergebnis, die Klägerin verfüge über keine Vermögenswerte, die die Finanzierung der Arbeiten ermöglicht hätten und verneinte deren Hilfebedürftigkeit. Alsdann hob der Beklagte im Juli 2017 die vorherige Leistungsbewilligung ab August 2017 auf. Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies er unter Bezugnahme auf den Eintritt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X zurück. Für den Zeitraum von September bis November 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen als Darlehen.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Entscheidung des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aufhebung sei rechtswidrig. Die Zuwendung sei nicht als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung des von der Mutter – ohne rechtliche oder sittliche Verpflichtung – zum Begleichen der Dachdeckerrechnung zugewendeten Geldbetrags als Einkommen sei grob unbillig im Sinne von § 11a Absatz 5 Nummer 1 SGB II. Auch habe die Zuwendung die Lage der Klägerin nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt seien.

Mit seiner vom Bundessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte, das beklagte Jobcenter,  unter anderem die Verletzung des § 11a Absatz 5 SGB II.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Gotha, S 46 AS 3844/17, 26.09.2019
Thüringer Landessozialgericht, L 4 AS 1212/19, 24.08.2022

Das beklagte Jobcenter ist mit seiner Revision erfolglos geblieben.

Das Bundessozialgericht entschied nun am 17. Juli 2024:

Der Beklagte hat sich mit § 48 SGB X bei der Aufhebung des Bescheides vom 23. Juni 2017 über die Bewilligung von Leistungen ab August 2017 einer unzutreffenden Rechtsgrundlage bedient. Es mangelt an der bei § 48 SGB X vorausgesetzten wesentlichen Änderung der Verhältnisse gegenüber denen, die der Bewilligungsentscheidung zugrunde lagen. Der Zufluss des Geldbetrags der Mutter der Klägerin erfolgte im Mai 2017. Der Beklagte hat unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts die Leistungsbewilligung durch den benannten Bescheid für den Zeitraum vom 1. Dezember 2016 bis 30. November 2017 neu festgestellt. Die Bewilligung durch diesen Bescheid war daher – wegen möglicher anfänglicher Rechtswidrigkeit – nach § 45 SGB X zu beurteilen.

Der Aufhebungsbescheid ist jedoch auch materiell rechtswidrig. Die Zahlung der Mutter der Klägerin in Höhe von 7130 Euro ist zwar eine Einnahme in Geld im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 1 SGB II alte Fassung. Sie ist jedoch dem Grunde und der Höhe nach nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit der Beklagte die Kosten der Dachreparatur hätte übernehmen müssen. In diesem Umfang handelt es sich um eine bei der Leistungsberechnung nicht zu berücksichtigende Zuwendung im Sinne des § 11a Absatz 5 Nummer 2 SGB II. Eine solche liegt vor, wenn sie von einem anderen erbracht wird, ohne dass hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht besteht, soweit sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.

Entgegen der Auffassung des Beklagten hatte die Mutter der Klägerin keine rechtliche, aber auch keine sittliche Verpflichtung, der Tochter die Dachreparatur zu finanzieren. Eine sittliche Verpflichtung ist allenfalls anzunehmen, wenn innerhalb der Beziehung des Zuwendenden zum Zuwendungsempfänger selbst besondere Umstände gegeben sind, die die Zuwendung oder Unterstützung als zwingend geboten erscheinen lassen. Diese ist jedoch nicht zwingend geboten, wenn das Kind auf die Unterstützungsleistung der Eltern nicht angewiesen ist, weil es Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat.

Auch hat die Zahlung der Mutter die Lage der leistungsberechtigten Klägerin nicht so günstig beeinflusst, dass daneben keine Leistungen nach dem SGB II gerechtfertigt wären. Die Vorschrift stellt insoweit maßgeblich auf die Höhe der Zuwendung im Verhältnis zur Lebensunterhaltssicherung durch das Arbeitslosengeld II ab. Es ist daher zu prüfen, ob sich Zuwendung und Arbeitslosengeld II gegenseitig – im Sinne einer Überkompensation der bestehenden Notlage – so verstärken, dass nach der Lebenssituation zumindest ein Teil des Arbeitslosengelds II nicht mehr benötigt wird, Leistungen nach dem SGB II also neben der Zuwendung zumindest zum Teil “nicht gerechtfertigt sind“. Anders liegt der Fall, wenn der Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme als Einkommen – hypothetisch – ein durch Leistungen nach dem SGB II zu deckender Bedarf in gleicher Höhe gegenüber gestanden hätte.

Vorliegend haben die Kosten der Dachreparatur im Grundsatz einen durch den Beklagten zu deckenden Bedarf der Klägerin nach § 22 Absatz 2 SGB II ausgelöst. Danach werden als Bedarf für die Unterkunft (auch) unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des Landessozialgerichts ist – sowohl im Hinblick auf den Grund als auch die Höhe – von unabweisbaren Instandhaltungsaufwendungen auszugehen. Die einmalige Zahlung der Mutter diente im Wesentlichen der Begleichung der Rechnung des Dachdeckers und insoweit der Deckung eines einmaligen Bedarfs im Sinne des § 22 Absatz 2 SGB II, wie die festgestellte Zweckbindung und -verwendung belegen. Der Zuwendung der Mutter stand mithin in (fast) gleicher Höhe ein Leistungsanspruch gegen den Beklagten gegenüber. Damit scheidet insoweit eine Überkompensation des bei der Klägerin bestehenden Bedarfs aus; vielmehr dient die Zuwendung der Bedarfsdeckung im Sinne einer Kompensation.

Für die im Rahmen von § 11a Absatz 5 Nummer 2 SGB II vorzunehmende Gerechtfertigkeitsprüfung ist es ohne Bedeutung, ob der Beklagte nach § 22 Absatz 2 Satz 1 SGB II den Bedarf zuschussweise oder gegebenenfalls nur durch darlehensweise Leistungen gemäß § 22 Absatz 2 Satz 2 SGB II hätte decken müssen.

Soweit sich ein Differenzbetrag in Höhe von 146,54 Euro zwischen der Forderung des Dachdeckers und dem geschenkten Betrag ergibt, handelt es sich um eine einmalige Einnahme, die aufgrund von § 11 Absatz 3 Satz 3 SGB II alte Fassung (allein) im Folgemonat des Zuflusses, also im nicht verfahrensgegenständlichen Monat Juni 2017, zu berücksichtigen gewesen wäre.

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