Tarifvertragliche Mehrarbeitszuschläge – Diskriminierung wegen Teilzeitbeschäftigung.

Eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der Mehrarbeitszuschläge unabhängig von der individuellen Arbeitszeit ab der 41. Wochenstunde zu zahlen sind, verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter (§ 4 Abs. 1 TzBfG). Die Benachteiligung kann für die Vergangenheit nur dadurch beseitigt werden, dass die Grenze für die Gewährung von Mehrarbeitszuschlägen bei Teilzeitbeschäftigten im Verhältnis ihrer individuellen Wochenarbeitszeit zur Wochenarbeitszeit Vollzeitbeschäftigter abgesenkt wird. Teilzeitbeschäftigten steht unter dieser Voraussetzung ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge zu, ohne dass den Tarifvertragsparteien zuvor die Möglichkeit zur Korrektur ihrer diskriminierenden Regelung einzuräumen ist.

Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen in den Unternehmen des bayerischen Groß- und Außenhandels vom 23. Juni 1997 (MTV). Dieser sieht für Vollzeitbeschäftigte eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden vor. Nach § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV ist bis „einschließlich der 40. Wochenstunde kein Mehrarbeitszuschlag zu zahlen, danach sind 25 % zusätzlich zu vergüten.“ Der Kläger ist bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30,8 Stunden beschäftigt.

Der Kläger hat geltend gemacht, § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV benachteilige ihn wegen seiner Teilzeitarbeit unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Unter Beachtung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes aus § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG könne er einen Mehrarbeitszuschlag beanspruchen, sobald er seine vertragliche Wochenarbeitszeit von 30,8 Stunden um 1,2 Stunden überschreite. Die Vorinstanzen haben seine Klage auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Senat hat entschieden, dass § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV Teilzeitbeschäftigte iSv. § 4 Abs. 1 TzBfG benachteiligt und insoweit gemäß § 134 BGB nichtig ist, als er für diese keine – der vertraglichen Arbeitszeit entsprechende – anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Mehrarbeitszuschlags vorsieht. Ein sachlicher Grund für die Benachteiligung ist nicht gegeben. Bei dessen Prüfung haben die Gerichte für Arbeitssachen aufgrund des Unionsrechtsbezugs von § 4 Abs. 1 TzBfG nicht lediglich eine Willkürkontrolle vorzunehmen, sondern die vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgegebenen Anforderungen zu beachten. Danach lässt sich die Zuschlagsregelung nicht damit rechtfertigen, dass eine wöchentliche Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden zu einer besonderen Belastung führt und daher im Interesse des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer vermieden werden soll. Diese Betrachtung trägt den Belastungen, mit denen die Mehrarbeit auch bei Teilzeitarbeitnehmern typischerweise verbunden ist, nicht hinreichend Rechnung.

Teilzeitbeschäftigten steht deshalb nach § 612 Abs. 2 BGB iVm. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG der tarifvertragliche Mehrarbeitszuschlag zu, wenn sie ihre individuelle wöchentliche Arbeitszeit proportional zur Zuschlagsgrenze für Vollzeitbeschäftigte in § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV überschreiten. Das konnte der Senat entscheiden, ohne den Tarifvertragsparteien zuvor Gelegenheit zur Beseitigung der Diskriminierung zu gewähren. Im Anwendungsbereich unionsrechtlich überformter Diskriminierungsverbote ist den Tarifvertragsparteien keine primäre Korrekturmöglichkeit einzuräumen.

Da das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen zu der vom Kläger geleisteten Mehrarbeit getroffen hat, hat der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. November 2025 – 5 AZR 118/23 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 11. August 2022 – 5 Sa 316/21 –

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