Simulation von Sicherheit – Die Fußfessel als Gängelband.

Ein TP-Gastbeitrag von Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO.

Ehemalige Gefangene, die eine elektronische Fußfessel aufgrund einer Gerichtsauflage tragen müssen, fühlen sich sprichwörtlich am Gängelband. Sie fühlen sich stigmatisiert. Und jede Stigmatisierung ist eine Diskriminierung, die letztlich menschenrechtswidrig ist. Das gerät allzu oft aus dem Blick.
Mit der Maßnahme soll verhindert werden, dass sich Menschen mit einer Fußfessel Stadträumen zu stark nähern. Tun sie es doch, schlägt’s Alarm. In der Regel handelt es sich um Sexualstraftäter, die ihre Haftstrafe abgesessen haben.
Die Fußfessel, die modernisierte Variante der schweren, schwarzen Eisenkugel, die – wie im Comicstrip – Sträflinge hinter sich herziehen mussten. Archaisches kehrt zurück.

Fußfessel für Dschihadisten?
Letzter Auslöser für die „Fußfessel-Debatte“ war der Anschlag auf Besucher_innen des Weihnachtsmarktes am Breitscheidplatz in Berlin. Mutmaßlich ein Attentat, das die Handschrift des „dschihadistischen Salafismus“, so der sperrige Fach-Term, trägt.
Im Visier: „Gefährder“, präziser „islamistische Gefährder“. Über dieses einschlägige Feindbild lässt sich Gesetzesverschärfung um Gesetzesverschärfung durchsetzen. Erst wird ein Diskurs platziert, dann treten parlamentarische Entscheider auf den Plan, abschließend kommt die Gesetzesnovelle. Hektische Betriebsamkeit ersetzt souveräne Politik.
Wir stehen vor einem juristischen Problem: Kann ich jemanden bestrafen, der keine nachgewiesene Straftat begangen hat, aber seitens der Ermittlungsbehörden als gefährlich gilt? Ganz klar: Nein! Reicht eine Verdachtslage aus, um die Fußfessel anzulegen? Ganz klar: Nein!
Die Spirale dreht sich aber munter weiter, greift auf ein anderes Klientel über: Fußballanhänger, die nach Eigenaussage oder Fremdzuschreibung Hooligans sind. Neben dem Typus „Gewalttäter Sport“ könnten schon bald Teilnehmer_innen von Demonstrationen als Aspirant_innen von Fußfesseln gelten. Wie weit soll sich die Spirale drehen?
Pro-Fußfessel-Meinungen überwiegen in Politik und Gesellschaft deutlich. Besonnene Stimmen haben es in Zeiten von „Terror-Hysterie“ und subjektiven Angstzuständen generell schwer, gehört zu werden. Das ist bei der Forderung nach Fußfesseln nicht anders.
Ein Mehr an Sicherheit wird versprochen, ein Weniger an Freiheit tritt ein. Soviel ist sicher. Und außerdem: Ob damit wirklich ein Mehr an Sicherheit geschaffen wird – und für wen – bleibt offen. Es steht zu vermuten, dass der Freiheitsabbau bleibt, mehr nicht. Ich bin illusionslos: Der Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit scheint entschieden. Gegen die Freiheit.

Gegner_innen der Fußfessel als „Terrorhelfer_innen“?
Gegner_innen der Anwendung von Fußfesseln werden in manchen Kommentarspalten von Print- oder Online-Medien zumindest indirekt als „Helfershelfer“ von Terrorverdächtigen denunziert. Völlig abwegig, aber diese Meinungsmacher machen Stimmung. Erfolgreich.
Die erhitzte Debatte um die elektronische Fußfessel hat etwas Symptomatisches. Der Kampf gegen ein Symptom von Schwerstkriminalität bleibt am Symptom hängen. Und die Symptombekämpfung findet über den Abbau von Grund- und Menschenrechten statt. Die verbliebenen Wortführer_innen des politischen Liberalismus sind stimmlich kaum zu vernehmen oder schweigen gleich ganz. Die Übriggebliebenen, die dem weiteren Ausbau der „Sicherheitsarchitektur“ Paroli bieten wollen, sind in der Defensive. Allerorts.
Die Gefahr besteht, dass die Fußfessel von einer im Fadenkreuz stehenden Personengruppe zur nächsten weitergereicht wird. Die Genannten sind ganz zurecht oder ganz zu Unrecht keine gesellschaftlichen Sympathieträger. Aber auch jenen Menschen ist zuzubilligen, Rechte in Anspruch nehmen zu können und gegebenenfalls gegen Verstöße zu klagen. Und überhaupt: Welche Auswahlkriterien greifen, um „Gefährdern“ die Fußfessel zu verpassen? Über welchen Zeitraum muss die Fußfessel angelegt bleiben? Welche Rechtsmittel können von den Betroffenen dagegen eingelegt werden? Viele Anschlussfragen. Vor allem viele offene Antworten.
Es ist nicht schön, eine absolute Minderheitenposition zu vertreten. Es scheint auch keine Aussicht zu geben, dass die Fußfessel in der Asservatenkammer der Fahndungsbehörden verschwindet. Soviel Realitätssinn ist wohl oder übel aufzubringen.

Oliver Rast ist Sprecher der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)

5 Antworten

  1. Egal welchen Beitrag man über die Fußfessel liest, sie haben alle eine Gemeinsamkeit: den Ruf nach den Menschenrechten. Mag ja auch sein, wenn man das ausblendet, was ursächlich der Anlass für die Anordnung einer Fußfessel war: Die Tat eines Verbrechens! Welcher dieser rechtskräftig verurteilten Verbrecher hatte denn die Menschenrechte seines/seiner Opfer im Blick. Beispiel: Der siebenfache Frauenmörder Thomas Rung, z. Z. in der JVA Celle, findet die Fußfessel als menschenrechtswidrige Zumutung. Da stellt sich die Frage, ob die GG/BO gut beraten ist, sich bei dieser Diskussion voranzustellen.

    • Sehr geehrter Herr Salzburger,

      ich kann Ihre Argumente gut verstehen und nachvollziehen, bin aber der Überzeugung, dass ein gewisser Th. R. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Knast so schnell nicht verlassen und in den „Genuss“ einer Fußfessel kommen wird. Oder sehen Sie das anders?

      Mit freundlichen Grüßen
      Siegfried Breining

      • Am 01.03.2017 hat Thomas Rung 22 Jahre abgesessen und träumt mit heute 56 Jahren davon, demnächst dann doch noch – wenn auch mit einer menschenrechtsverletzenden Fussfessel – Freigänger zu werden. Die gemeinsame Überwachungsstelle der 16 Bundesländer für elektronische Fußfesseln wäre technisch für den Fall gerüstet, dass sie in Zukunft u. a. auch die sogenannten Gefährder mit Fußfesseln überwachen muss. Das von einer israelischen Sicherheitsfirma entwickelte System sei auf eine Kapazität von etwa 500 Fußfesseln ausgelegt, sagte Hans-Dieter Amthor, der Leiter der „Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder“ (GÜL) . Die GÜL hat ihren Sitz im hessischen Bad Vilbel nahe Frankfurt am Main.
        Nach den Plänen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sollen in Zukunft auch Gefährder mit den elektronischen Geräten überwacht werden können. Der Vorschlag ist Teil eines Maßnahmenpakets der Großen Koalition nach dem Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz, auf das sich de Maizière und Maas Anfang der Woche geeinigt hatten. Die entsprechenden Gesetzesentwürfe sollen schon bald in den Bundestag eingebracht werden. Derzeit überwachen in Bad Vilbel 16 Justizbedienstete rund um die Uhr 88 Träger von Fußfesseln, die nach ihrer Haftentlassung von Gerichten noch immer als gefährlich eingestuft wurden. Laut GÜL-Leiter Amthor müsse das Personal dann möglicherweise auf 275 Personen aufgestockt werden, wenn die Gefährder sehr oft Alarm auslösten. Die hessische Justizministerin, Eva Kühne-Hörmann (CDU), drängt schon länger auf einen erweiterten Einsatz der Fußfessel. Mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung könne beispielsweise sichergestellt werden, dass „die nun geforderte Residenzpflicht für Asylsuchende“ durchgesetzt wird, „die falsche Angaben über ihre Identität gemacht haben“, sagte die Ministerin.
        Da haben dann Verbrecher wie Thomas Rung oder Thomas Holst (Heidemörder) gute Aussichten zu einer Fussfessel zu kommen, wenn die Asylsuchenden erst einmal abgeschoben sind und die 275 beschäftigt werden müssen.

  2. Als – teilweise in den Medien bezeichneter „Fußfessel-Anwalt“ (u. a. auch, weil ich seit Jahren mehrere Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe für Mandanten zur Entscheidung liegen habe – sogar angenommene VBen!) – rate ich schlichtweg:

    Zeichnet sich nach Haftverbüßung im Rahmen der zu erwartenden Führungsaufsicht bei den unzähligen gerichtlichen Weisungen gemäß § 68b StGB für die Post-Haftära eine solche der elektronische Fußfessel / elektronische Aufenthaltsüberwachung an, sollte das zukünftige Leben des Betroffenen sodann in Kürze in Freiheit überdacht werden: sofort binnen weniger Stunden / Tage nach Gefängnisaustritt und mithin in Freiheit = DEUTSCHLAND VERLASSEN! Mehrfach (!) klappte das bereits bei meinen Mandanten, wobei die Justiz von Nord bis Süd dies entsprechend im entsprechenden Führungsaufsichtsbeschluss niedergeschrieben hat.

    RA & Fachanwalt für Strafrecht Helfried Roubicek, http://www.strafverteidiger-ostsee.de

    • Dem kann man nur beipflichten. Setzt aber logisch konsequent voraus, dass der Probant auch ein Auskommen im Ausland hat. Und welcher dieser in der Regel Minderbegabten hat denn nach zehn, fünfzehn, zwanzig und mehr Jahren eine solche Basis im Ausland?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*