Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Deutschland.

Sahra Wagenknecht/Die Linke: Karlsruhe hat Recht: Auftrittsverbot für Erdogan möglich.

Beschluss vom 08. März 2017
2 BvR 483/17

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine vornehmlich gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim am 18. Februar 2017 in Oberhausen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar haben Staatsoberhäupter und Mitglieder ausländischer Regierungen weder von Verfassungs wegen noch nach einer allgemeinen Regel des Völkerrechts einen Anspruch auf Einreise in das Bundesgebiet und können sich in ihrer amtlichen Eigenschaft auch nicht auf Grundrechte berufen. Die Verfassungsbeschwerde sei jedoch bereits unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert dargelegt hat, dass er selbst betroffen ist.

Sachverhalt:

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, dass die Bundesregierung es dem türkischen Ministerpräsidenten Yildirim ermöglicht habe, am 18. Februar 2017 in Oberhausen für eine Verfassungsänderung in der Republik Türkei zu werben, sowie gegen weitere im Zusammenhang mit dieser Verfassungsreform stehende öffentliche Auftritte von Regierungsmitgliedern der Republik Türkei in Deutschland. Damit verfolgt er das Ziel, dass Mitglieder der türkischen Regierung sich in ihrer amtlichen Eigenschaft in Deutschland nicht politisch betätigen können.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

  1. Zwar haben Staatsoberhäupter und Mitglieder ausländischer Regierungen weder von Verfassungs wegen noch nach einer allgemeinen Regel des Völkerrechts einen Anspruch auf Einreise in das Bundesgebiet und die Ausübung amtlicher Funktionen in Deutschland. Hierzu bedarf es der Zustimmung der Bundesregierung, in deren Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten eine solche Entscheidung fällt. Soweit ausländische Staatsoberhäupter oder Mitglieder ausländischer Regierungen in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität in Deutschland auftreten, können sie sich nicht auf Grundrechte berufen. Denn bei einer Versagung der Zustimmung würde es sich nicht um eine Entscheidung eines deutschen Hoheitsträgers gegenüber einem ausländischen Bürger handeln, sondern um eine Entscheidung im Bereich der Außenpolitik, bei der sich die deutsche und die türkische Regierung auf der Grundlage des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten begegnen.
  2. Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass er durch die nicht näher bezeichneten Maßnahmen bzw. Unterlassungen der Bundesregierung selbst betroffen ist. Vor diesem Hintergrund hat er keinen subjektiven Anspruch darauf, dass die Bundesregierung ihr Ermessen in auswärtigen Angelegenheiten in einer bestimmten Richtung ausübt.

 

Karlsruhe hat Recht: Auftrittsverbot für Erdogan möglich

„Die Bundesregierung muss jetzt endlich Farbe bekennen und darf die Bürgermeister von Städten und Gemeinden nicht länger mit dem Problem allein lassen. Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel haben es in der Hand, Erdogans Propagandatour für Diktatur und Todesstrafe zumindest auf deutschem Territorium zu stoppen, so wie es die Regierungen Österreichs und der Niederlande für ihre Länder entschieden haben“, erklärt die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts (AZ: 2 BvR 483/17).

Wagenknecht weiter:

„Im Urteil wurde ausdrücklich festgeschrieben, dass Erdogan und seine Minister sich bei ihren geplanten Auftritten ‚nicht auf die Grundrechte berufen können‘ und es sich bei einer möglichen Auftrittsversagung durch die Bundesregierung allein ‚um eine Entscheidung im Bereich der Außenpolitik handelt‘.

Das Bundesverfassungsgericht hat in dankenswerter Klarheit dargelegt, dass es in der Kompetenz der Bundesregierung liegt, die Auftritte Erdogans und seiner Entourage abzusagen. Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel müssen jetzt handeln, die Zeit des Wegduckens ist vorbei. Weder haben türkische Regierungsmitglieder einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Wahlauftritte in Deutschland, noch können sie sich auf die Grundrechte berufen. Mordaufrufe gegen Andersdenkende, faschistische Grußformeln wie der Wolfsgruß und Werbefeldzüge für eine Diktatur dürfen in Deutschland keinen Platz haben.“

Venedig-Kommission kritisiert Verfassungsänderung in der Türkei

 

In einer aktuellen Bewertung kritisierte auch die Venedig-Kommission die geplante Verfassungsänderung in der Türkei und die massive Einschränkung der politischen Freiheiten. Die Vollversammlung der Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie und Recht) befasst sich heute mit der Lage in der Türkei. Dazu erklärten heute Frank Schwabe, menschenrechtspolitischer Sprecher und Ute Finckh-Krämer, zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion:

„Die SPD-Bundestagsfraktion findet es bemerkenswert, welch deutliche Worte, die Venedig-Kommission zur politischen Entwicklung in der Türkei gefunden hat. Sie bestätigt damit unsere Einschätzung der schwierigen Lage in der Türkei. Es geht sowohl um das Einfordern demokratischer und menschenrechtlicher Standards als auch um die Fortsetzung eines kritischen Dialogs mit der Türkei. Das Land muss zum Weg der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie zurückfinden. Dafür bieten wir unsere Zusammenarbeit an.

Die Venedig-Kommission wurde 1990 vom Ministerkomitee des Europarats als unabhängige Institution ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist die Bewertung und Begleitung von Übergangsprozessen in Mitgliedsstaaten des Europarates und die juristische Unterstützung in Verfassungsfragen.

Wir hoffen, dass die türkische Regierung die Empfehlungen der Venedig-Kommission ernst nimmt. Justizminister Bozdag wird heute beim Europarat in Straßburg dazu Position beziehen.“

 

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