Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, hat heute Morgen in seiner Abschiedsrede im Europäischen Parlament in Straßburg über die wichtigsten Ergebnisse seines Mandats gesprochen. „Ich scheide aus dem Amt – nicht betrübt, auch nicht übermäßig glücklich – mit dem Gefühl mich redlich bemüht zu haben. Und wenn alle sich redlich bemühen würden, wäre einiges besser. Ich bin stolz darauf lange Zeit – vor allem in den letzten fünf Jahren – ein kleiner Teil eines größeren Ganzen gewesen zu sein, das wichtiger ist als wir alle.“ Er schloss seine Rede mit den Worten: „Kümmern Sie sich um Europa. Kämpfen Sie mit aller Macht gegen den dummen und hartnäckigen Nationalismus. Es lebe Europa!“
Präsident Juncker dankte dem Europäischen Parlament und dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, für die Zusammenarbeit seit seiner Wahl vor fünf Jahren. „Ich möchte meinen Kommissaren danken. Denn ohne sie hätte ich nichts tun können. Das sind Männer und Frauen, die – einzeln und gemeinsam – sich sehr verdient gemacht haben um Europa“, sagte Juncker. Er habe sie eingeladen, Brüssel oft zu verlassen und den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern und ihren gewählten Repräsentanten zu führen. In den letzten fünf Jahren habe die Juncker-Kommission 1.815 Bürgerdialoge organisiert. Die Kommissare haben die nationalen und regionalen Parlamente 911 Mal besucht.
Juncker sprach über Wachstum und Wirtschaft, das soziale Europa, die Situation in Griechenland, Afrika und die Solidarität mit Geflüchteten und schließlich den Platz Europas in der Welt.
„Der größte europäische Erfolg, die größte Leistung bleibt die Tatsache, dass wir den Frieden in Europa erhalten konnten. Das klingt alles so selbstverständlich – ist es aber nicht. Es gibt heute 60 Kriege weltweit. Kein einziger Konflikt kriegerischer Natur findet auf dem Territorium der Europäischen Union statt – Territorium, das der Schauplatz der blutigsten kriegerischen Auseinandersetzungen in den vergangenen Jahrhunderten, sogar noch im letzten Jahrhundert, war. Frieden ist nicht selbstverständlich. Und wir sollten stolz darauf sein“, sagte Juncker.
„Nun ist mir bewusst, dass man junge Menschen nicht mit dem Thema begeistern kann, dass Europa den Frieden erhält – denken wir. Aber man muss auch, wenn man mit jungen Leuten redet, über dieses ewige europäische kontinentale Dilemma zwischen Krieg und Frieden reden. Man braucht nur in die direkte Nachbarschaft der Europäischen Union zu blicken, um zu sehen, wie gefährlich die internationale Lage ist und damit auch, wie fragil die Lage der Europäischen Union ist.
Jungen Menschen muss man von Krieg und Frieden erzählen. In 20 Jahren wird es keine Europäer mehr geben, deren Großväter oder Urgroßväter den Krieg gekannt haben. Also muss man darüber reden, sonst gerät in Vergessenheit, was Krieg bedeutet. Und deshalb rede ich auch mit jungen Menschen immer wieder über das Thema Krieg und Frieden.
Aber es reicht nicht als Erklärung. Jungen Menschen muss man Europa auch perspektivisch, von der Zukunft her erklären.
Was ist denn die Zukunft Europas? Wir sind der kleinste Kontinent. Die meisten Europäer wissen das überhaupt nicht. Wir sind sehr klein, als europäischer Kontinent. Politik, das ist der Stoff, mit dem Demographie und Geographie zusammengebracht werden müssen. Es gibt keine Politik, die Geographie und Demographie nicht ins Auge fasst.
Wir sterben aus. Wir werden nicht verschwinden, aber wir werden immer weniger. Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren 20 Prozent der Weltbevölkerung Europäer. Am Ende dieses Jahrhunderts wird es nur 4 Prozent Europäer auf 10 Milliarden Menschen geben.
Wir werden wirtschaftlich an Kraft einbüßen. In einigen Jahren wird kein einziger europäischer Mitgliedstaat noch Mitglied der G7-Gruppe sein.
Wer angesichts dieser nicht umkehrbaren Entwicklungen noch denkt, jetzt wäre der Moment gekommen, um weniger Europa auf die Tagesordnung zu setzen, um uns wieder in nationale Einzelteile zurückzuverlegen, der irrt sich fundamental“, sagte Juncker.
Europa bedeute Frieden. Europa bedeute aber auch Stärke, angesichts des sinkenden Einflusses, den die einzelnen Mitgliedstaaten wir in der Welt haben. „Deshalb müssen wir auch in Fragen der Außenpolitik zu belastbareren Regelungen und Entscheidungsfindungswegen finden. Ich plädiere noch einmal dafür, dass wir auch in Fragen der Außenpolitik mit qualifizierter Mehrheit im Rat entscheiden. Nicht in allen Fragen, aber dort, wo es darauf ankommt, dass Europa Farbe bekennt.“