Bärbel Bohley wäre heute 75 geworden.

Zur Erinnerung an Bärbel Bohley.

Sie wollte Gerechtigkeit, hat aber „nur“ den Rechtsstaat bekommen. Aber immerhin wurde ihre letzte Ruhestätte, wenn auch spät, ein Ehrengrab der Stadt Berlin. Davon kann sie sich zwar nichts (mehr) kaufen, aber immerhin.

Bärbel Bohley (geborene Brosius; * 24. Mai 1945 in Berlin; † 11. September 2010 in Strasburg (Uckermark)) war eine deutsche Bürgerrechtlerin und Malerin. Bekannt wurde sie als Mitbegründerin des Neuen Forums in der DDR.

Bärbel Bohley wurde als Tochter von Fritz und Anneliese Brosius geboren.[1] Nach dem Abitur 1963 absolvierte sie eine Ausbildung als Industriekauffrau und arbeitete anschließend als Lehrausbilderin. Ab 1969 studierte sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, wo sie 1974 einen Diplomabschluss als Malerin erhielt. 1970 heiratete sie den Maler Dietrich Bohley und gebar im selben Jahr einen Sohn. Ab 1974 betätigte sich Bärbel Bohley als freischaffende Künstlerin; ihre Vorbilder waren nach eigenen Angaben Francisco de Goya und Käthe Kollwitz.

Zunehmend setzte sie sich für Bürger- und Menschenrechte in der DDR ein und war deshalb Restriktionen und Verhaftungen ausgesetzt. Nach der Wende und friedlichen Revolution in der DDR engagierte sich Bärbel Bohley weiterhin politisch, kämpfte insbesondere um die Aufarbeitung des DDR-Unrechts im Allgemeinen, aber auch juristisch in ihrem persönlichen Fall. Ab 1996 arbeitete sie im ehemaligen Jugoslawien an Möglichkeiten der Flüchtlingsrückkehr und dem Wiederaufbau. In Bosnien leitete sie ein Wiederaufbauprogramm und ermöglichte Waisen und Kindern aus Flüchtlingsfamilien gemeinsame Sommerferien in Kroatien.[2] Sie lebte lange in der Nähe von Split (Kroatien) und war bis zu ihrem Tod mit dem aus Bosnien-Herzegowina stammenden Lehrer Dragan Lukić verheiratet. Nach zwölf Jahren kehrte sie 2008 in ihre alte Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg zurück, um ihre Lungenkrebserkrankung behandeln lassen zu können, von der sie im Mai 2008 erfuhr.[3]

In den ihr verbleibenden zwei Lebensjahren hielt sie Vorträge, mit denen sie bilanzierend auf die Kraft der Friedlichen Revolution und bestehende Demokratiedefizite hinwies, wie zum Beispiel anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Neuen Forums.[4]

Bärbel Bohley, die seit ihrer Studienzeit starke Kettenraucherin war,[5] erlag einem Bronchialkarzinom.[6]

Sie wurde am 25. September 2010 mit einer öffentlichen Gedenkveranstaltung der Robert-Havemann-Gesellschaft in der Akademie der Künste (Berlin) gewürdigt, an der etwa 400 Besucher teilnahmen. Lilo Fuchs, Witwe des Dissidenten und Schriftstellers Jürgen Fuchs, erinnerte dabei daran, dass einige DDR-Oppositionelle – wie Rudolf Bahro, Gerulf Pannach, Rudolf Tschäpe und ihr eigener Mann – früh an Krebs starben, und verwies auf den mehrfach geäußerten Verdacht, das SED-Regime könne Bärbel Bohley radioaktiv geschädigt haben, wie Stasi-Akten nahelegen.[7] Bei einem Trauergottesdienst in der Gethsemanekirche (Berlin) nahmen rund 1000 Menschen am Sarg von Bärbel Bohley Abschied.[8] Ihr Grab befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte.[9] Es ist 2016 als Ehrengrab der Stadt Berlin gewidmet. Ihr politischer Nachlass wird im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft aufbewahrt.[10]

Im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen findet sich der Bärbel-Bohley-Ring.

Quelle: Wikipedia

Fotoquellen: TP Presseagentur Berlin

Ein Verräter kann einen nicht korrekt verteidigen“.

TP-Interview mit Bärbel Bohley aus dem Jahre 1996.

TP: Frau Bohley, Sie haben mal den Satz gesagt „Wir wollten Gerechtigkeit und haben den Rechtsstaat bekommen“. Was meinten Sie genau damit?

Bohley: Um das zu erklären, müßte ich Ihnen eigentlich einen dicken Roman erzählen. Aber in Bezug auf den Prozeß gegen Wolfgang Schnur* kann man doch sagen: Den Rechtsstaat haben wir bekommen, und er sitzt am richtigen Platz. Aber ob dabei natürlich hinterher Gerechtigkeit rauskommt, das weiß ich auch nicht.

TP: Die Anwälte Schnurs führen ins Feld, für die Tat könne er in der Bundesrepublik nicht verantwortlich gemacht werden, da die Tat in der ehemaligen DDR begangen worden sei. Sind Sie der Meinung, daß die westdeutsche Justiz hier überhaupt befugt ist, diesen Prozeß zu führen?

Bohley: Ja, das bin ich allerdings. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, als bestimmten Leuten vor Augen zu führen, daß sie unrecht gehandelt haben. Und daß Schnur Mandanten verraten hat, wird ihm nur klargemacht werden, wenn es ein Urteil gibt, dann wird er wahrscheinlich doch anfangen nachzudenken. Im Übrigen reicht es mir, dass er nicht mehr als Anwalt arbeiten darf.

TP: Aber das Urteil würde durch ein Gericht gefällt, das in diesem Fall keine Urteile fällen darf – glaubt man den Argumenten der Anwälte.

Bohley: Wissen Sie, mir liegt Gerechtigkeit mehr am Herzen als der Rechtsstaat. Aber Gerechtigkeit ist gar nicht herzustellen, ohne daß zumindest der Versuch unternommen wird, das auch juristisch aufzuarbeiten. Und eines ist doch klar: daß Schnur mit anderen zusammen Verrat begangen hat – und zwar im Komplott. Wie wollen Sie denn da rankommen, wie wollen Sie das denn aufarbeiten? Die Leute sind doch völlig zu im Kopf und geben nichts zu.

TP: Also sprächen Sie zur Not auch einer Selbstjustiz das Wort?

Bohley: Dann würde wahrscheinlich heute ich auf der Anklagebank sitzen, und Herr Schnur würde zu Recht von allen bedauert werden. Wir haben uns ja nun sehr zurückgehalten, Selbstjustiz zu üben. Das finde ich auch ganz richtig. Wir wollten gewaltfrei sein, und das sind wir auch geblieben.

TP: Es wird immer verlangt, daß Funktionsträger der ehemaligen DDR vor einem internationalen Gerichtshof angeklagt werden sollen. Wäre das für Sie eine Alternative?

Bohley: Für die Mickey Mouse Herrn Schnur auch noch einen Internationalen Gerichtshof einzuberufen, wäre ja wohl noch absurder. Da sollen erst mal die Verbrecher aus Jugoslawien und Tschetschenien oder sonst woher hin. Für jemanden wie Herrn Schnur ist dieser Gerichtssaal schon zu groß.

TP: Wolfgang Schnur war in der DDR auch Ihr Rechtsanwalt. Welche Erfahrungen haben Sie mit ihm gemacht? Hat er sie wenigstens dort korrekt verteidigt?

Bohley: Ein Verräter kann einen nicht korrekt verteidigen. Ein Verräter kann einen nur im Interesse derjenigen verteidigen, für die er verrät. Und er hat nicht für mich verraten, ich habe von ihm Offenheit gewollt. Nie habe ich mit ihm konspirative Gespräche gewollt. Die haben Herr Wiegand und Herr Stolpe mit ihm geführt. Nicht ich! Ich wollte nicht in die Bundesrepublik 1988. Und daß ich dort gelandet bin, habe ich zum großen Teil Herrn Schnur zu verdanken.

Interview: Dietmar Jochum, 1996

*Wolfgang Schnur war ein deutscher Jurist. Er war in der Deutschen Demokratischen Republik als Rechtsanwalt, u. a. im Umfeld der evangelischen Kirche, tätig. Von 1965 bis 1989 war er Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. In der Wendezeit 1989 war Schnur als Politiker aktiv. Wikipedia

Geboren: 8. Juni 1944, Stettin, Polen

Gestorben: 16. Januar 2016, Ottakring

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