„Besser als kein Deal“.

Franziska Brantner (Grüne) im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“.

Die europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Franziska Brantner, begrüßt die auf dem EU-Gipfel in Brüssel beschlossene Verschiebung des Brexits um einige Wochen. „Es ist unter diesen widrigen Umständen sicherlich gut, dass die übrigen 27 Mitgliedstaaten Klarheit geschaffen haben“, sagte Branter im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 25. März). Eine Verschiebung sei besser als ein harter Brexit. Wenn die Briten einen Aufschub über den 22. Mai hinaus haben wollten,  „müssen sie aber endlich sagen, wohin die Reise geht und sich auch an den Europawahlen beteiligen“.

Für den Fall, dass die Briten nicht an den Europawahlen teilnehmen, der Brexit sich aber über den Wahltermin hinaus weiter verzögert, warnte Brantner davor, die Rechtmäßigkeit des Europäischen Parlaments in Frage zu stellen. „Wenn wir annehmen, dass das EP keine legitimen Entscheidungen treffen kann, sobald ein Mitgliedsland nicht an der Wahl teilnimmt, geben wir EU-Gegnern wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ein starkes Vetoinstrument in die Hand.“ Er könne dann einfach keine Europawahlen mehr in seinem Land abhalten.

Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das am kommenden Montag in „Das Parlament“ erscheinende Interview vorab im vollen Wortlaut:

Frau Brantner, der Brexit ist verschoben. Nicht in fünf Tagen, sondern spätestens am 22. Mai, sollen die Briten die Europäische Union verlassen. Ist das ein guter Kompromiss?

Es ist unter diesen widrigen Umständen sicherlich gut, dass die übrigen 27 Mitgliedstaaten Klarheit geschaffen haben. Eine Verschiebung ist auf jeden Fall besser als ein harter Brexit. Der wäre für die Bürger und Unternehmen in ganz Europa ein schlechtes Szenario.

Welche Optionen haben die Briten jetzt?

Ich sehe drei Möglichkeiten. Großbritannien kann den Vertrag annehmen mit kurzer Frist oder den Austritt zurücknehmen und in der EU bleiben. Letzteres würde ich persönlich natürlich begrüßen. Die Briten könnten auch einen Aufschub über den Mai hinaus erhalten – dann müssen sie aber endlich sagen, wohin die Reise geht und sich auch an den Europawahlen beteiligen.

Nehmen wir ein viertes Szenario an: Die Briten entscheiden sich gegen die Teilnahme an den Wahlen, der Brexit verzögert sich dennoch weiter. Welche Auswirkungen hätte das auf die Rechtmäßigkeit des neuen Europäischen Parlaments?

Dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen: Während der juristische Dienst des Europäischen Rates meint, ohne Beteiligung der Briten wären die Entscheidungen des neuen Parlaments illegitim, kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages nicht zu diesem Schluss. Ich teile die Auffassung des Bundestages. Wenn wir annehmen, dass das EP keine legitimen Entscheidungen treffen kann, sobald ein Mitgliedsland nicht an der Wahl teilnimmt, geben wir EU-Gegnern wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ein starkes Vetoinstrument in die Hand. Er könnte dann einfach keine Europawahlen mehr in seinem Land abhalten. Das ist eine gefährliche Auslegung, die uns später noch auf die Füße fallen könnte.

Voraussetzung für den Aufschub ist, dass das britische Unterhaus den Brexit-Vertrag in dieser Woche annimmt. Was passiert, wenn die Abgeordneten zum dritten Mal Nein sagen? Viele halten das für sehr wahrscheinlich.

Dann müsste das Unterhaus fraktionsübergreifend arbeiten und neue Wege finden. Wenn es das auch nicht schafft, halte ich ein Referendum für sinnvoll. Die Brexit-Abstimmung hatte allgemein die Frage nach Bleiben oder Gehen gestellt. Fairerweise sollten die Briten auch entscheiden können, ob sie mit den Modalitäten des Austritts einverstanden sind.

Warum sollten die Abgeordneten dem Deal diesmal zustimmen? An dem Vertrag hat sich doch substanziell nichts geändert.

Das britische Unterhaus ist blockiert durch interne Machtkämpfe. Und Premierministerin Theresa May stellt immer noch ihre Partei über ihr Land. Der Blick fürs Wesentliche scheint verloren gegangen zu sein, außerdem wurden den Brexit-Befürwortern viele Luftschlösser versprochen. Wenn die Klarstellungen des Europäischen Rates geholfen haben sollten, das zu ändern, wäre viel gewonnen. Manchmal sickert die Realität nur langsam ein.

Knackpunkt in den Verhandlungen ist und bleibt die Notfalllösung (Backstop) für die nordirische Grenze. Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese knifflige Frage zu klären?

Oberste Prioritäten sind der Frieden auf der irischen Insel und der Schutz des EU-Binnenmarktes. Auch wenn es keine physische Grenze zwischen Irland und Nordirland geben darf, wie es der Friedensvertrag zwischen beiden festlegt, muss sichergestellt sein, dass in Zukunft nicht Waffen, BSE oder giftiges Spielzeug aus China über Nordirland in die EU kommen. Wir brauchen also entweder Kontrollen an dieser neuen EU-Außengrenze oder das Vereinigte Königreich muss die Standards des EU-Binnenmarktes beibehalten.

Dann aber müssten die Briten in der Zollunion bleiben und die Binnenmarktregeln anwenden. Genau dagegen hat eine knappe Mehrheit des Volkes beim Referendum gestimmt.

Ja, Großbritannien hätte nahezu die gleichen Rechte und Pflichten wie bisher, aber weniger Mitspracherechte. Das ist das Gegenteil dessen, was die Brexit-Befürworter wollen. Eine dritte Option wäre eine Grenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreiches. Der Frieden auf der Insel hängt aufs engste mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union zusammen.

Den Brexit vor Augen vertiefen Deutschland und Frankreich gerade ihre Beziehungen, um die europäische Integration voranzubringen. Teil dessen ist das neue Deutsch-Französische Parlamentsabkommen. Was soll deren Kernstück, die Parlamentarische Versammlung aus Vertretern von Bundestag und Nationalversammlung, bewirken?

Deutsche und Franzosen sind in den vergangenen Jahren immer wieder an den gleichen Themen gescheitert: Euro, Klima, Sozialer Zusammenhalt, Verteidigung. Mit dem neuen Gremium wollen wir einen Ort des Austausches und des Zuhörens etablieren. Es soll Vorurteile auf beiden Seiten abbauen und gemeinsame Initiativen anstoßen. Dabei ist uns besonders wichtig, dass nicht nur die Mitglieder der jeweiligen Europaausschüsse, die ohnehin in engem Kontakt stehen, in dem Gremium vertreten sind, sondern auch Vertreter aus allen anderen Fachausschüssen wie Haushalt, Umwelt und Verkehr.

Auf Regierungsebene ist die Kakophonie zwischen Berlin und Paris unüberhörbar. So lehnen CDU und CSU in ihrem Programm zur Europawahl zentrale Vorschläge von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zur Reform der EU ab. Wie stabil ist das Fundament, auf dem beide Staaten weiter an der EU bauen wollen?

Die deutsche Regierung blockiert seit einem Jahr fast alle Vorschläge Macrons. Wenn er einen europäischen Investitionshaushalt vorschlägt, wird die Idee von der Bundesregierung sofort mit dem Label „Transferunion“ versehen in die Tonne getreten. Diese Konflikte auf Regierungsebene blockieren ganz Europa. Wir Parlamentarier möchten konstruktiver über diese wichtigen Themen reden.

Nun sind die Ideen von Macron – etwa die Schaffung eines EU-Finanzministeriums, einheitliche Steuern und Mindestlöhne – sehr weitreichend. Ist es angesichts von Brexit und wachsendem Nationalismus in der EU der richtige Zeitpunkt, in Richtung der „Vereinigten Staaten von Europa“ zu steuern?

Macrons Ideen sind ambitioniert, aber wir müssen Europa wirklich voranbringen. Wir haben nach wie vor eine unvollständige Währungsunion, daher bleibt das Risiko erneuter Krisen groß. Gerade um solche Krisen künftig besser abzufedern, braucht es einen Haushalt für den Euro, der stabilisiert und investiert. Nötig sind Investitionen in europäische öffentliche Güter, zum Beispiel in gemeinsame Schienennetze oder grüne Infrastruktur. Wir müssen gemeinsame Aufgaben auch gemeinsam stemmen.

Und wo soll das Geld dafür herkommen?

Eine Möglichkeit wäre die konsequente Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerraub durch die Harmonisierung von Unternehmenssteuern. Es reicht nicht mehr, den Status Quo in der EU zu erhalten und uns weiter durchzuwurschteln.

Das Interview führte Johanna Metz.

https://ec.europa.eu/germany/news/20190322-rat-brexit_de

Man kann Europa auch durch Nichtstun kaputt machen.

Anlässlich der Ergebnisse des Europäischen Rates erklärte Franziska Brantner, Sprecherin für Europapolitik von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, heute ebenfalls:

„Der Europäische Gipfel wurde wieder einmal überschattet durch das Brexit-Chaos von Frau May – dabei standen Themen wie die Klimakrise oder der Umgang mit China auf der Tagesordnung. Für Klimaschutz und fairen Wettbewerb im globalen Handel mit China hätte sich die Bundesregierung stärker engagieren müssen.

Die Entscheidung der EU, den Briten zwei unterschiedliche Fristen anzubieten, ist richtig und führt zu mehr Klarheit. Die Briten haben neben diesen beiden Optionen weiterhin die Möglichkeit Artikel 50 zurückzunehmen. Wenn die Blockade im Unterhaus weiter anhält, wäre es wichtig, die Entscheidung ob und wie der Brexit vollzogen werden soll, in die Hände der Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens zu legen. Aus Sicht der EU ist es nun wichtig sicherzustellen, dass die Legitimität des Europaparlaments keinen Schaden nimmt. Deswegen müssen die Briten an der Europawahl teilnehmen, wenn sie nach dem 22. Mai noch Teil der EU sein sollten. Trotzdem darf die Funktionsfähigkeit des Europaparlaments an sich nicht daran fest gemacht werden, ob die Briten gewählt haben oder nicht. Die Stellungnahme des wissenschaftlichen Diensts des Bundestages zeigt auf, dass einzelne Mitgliedsländer sonst ein erhebliches Erpressungs- und Zerstörungspotenzial hätten.

Mit Blick auf die Klimakrise war der Europäische Rat eine herbe Enttäuschung – nicht zuletzt aufgrund des Agierens der Bundesregierung. Wieder einmal stand sie auf der Seite derjenigen, die Bremsen und Blockieren – anstatt an der Seite von Frankreich für konsequenteres Handeln zum Beispiel beim Klimaschutz zu kämpfen. Dass die deutsche Regierung beim zukünftigen Haushalt nicht wie von Frankreich vorgeschlagen 40 Prozent der Mittel auf den Klimaschutz ausrichten will, sondern nur 25 Prozent, ist angesichts der Klimakrise eine besonders bittere Entscheidung.

Frau Merkel scheint selbst nach all den Jahren als Regierungschefin nicht in der Lage zu sein, in Europa mehr zu leisten, als Krisen zu managen. Doch Europa braucht mehr – mehr Ideen als einen Flugzeugträger, mehr Engagement bei Reformen und mehr Handlungsfähigkeit bei den Herausforderungen unserer Zeit. Frau Merkel und Herr Scholz müssen endlich aufhören, durch Nichtstun Europa kaputt zu machen.“

London muss jetzt die Blockade überwinden.

EU kommt Großbritannien mit Fristverlängerung entgegen.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben Großbritannien eine längere Frist für den Austritt aus der Europäischen Union eingeräumt. Dazu erklärt die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Katja Leikert:

Katja Leikert: „Die Europäer sind London erneut so weit entgegengekommen, wie es irgend möglich war: Der Europäische Rat hat auf britischen Wunsch die Austrittsfrist verlängert. Bis kurz vor der Europawahl hat das Vereinigte Königreich nun Zeit für die Umsetzung des Austrittsabkommens, sofern das britische Parlament ihm zustimmt.

Stimmt das Parlament jedoch nicht zu, dann müssen die Briten bis zum 12. April entscheiden, ob sie zunächst in der Europäischen Union bleiben wollen. Dann würden sie auch an den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai teilnehmen. Auf diese Weise kann kein Zweifel an fairen und gültigen Wahlen zum Europäischen Parlament entstehen.

Für uns gilt weiterhin: Wir wollen keinen ungeregelten Brexit und tun alles, um ihn zu vermeiden. Doch die Briten müssen jetzt endlich ihren Teil dazu beitragen, dass das gelingt: Regierung und Parlament in London müssen ihre Blockade überwinden und die Verantwortung für ihr Land übernehmen.“

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