BND-Präsident Kahl: „Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“.

1. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/CRS) Der 1. Afghanistan-Untersuchungsausschuss hat am Donnerstagabend den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, angehört. Kahl verteidigte die in die Kritik geratene Berichterstattung seines Dienstes in den Wochen vor dem Fall Kabuls.

Bruno Kahl bezeichnete die Kritik am BND als „eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“. Er könne sich nicht dagegen wehren, weil das Bundeskanzleramt (BKAmt) ihn angewiesen habe, sich „nicht an dem Schwarze-Peter-Spiel zu beteiligen.“

Der BND habe jahrzehntelange in Afghanistan dazu beigetragen, Menschenleben zu retten. Auch die Wiederherstellung des Emirats 2.0. durch die Taliban hätten seine Mitarbeiter frühzeitig, richtig und präzise beschrieben. Kahl räumte lediglich ein, dass der BND „in den letzten Zentimetern“ die Geschwindigkeit der Entwicklungen nicht vorausgesehen habe.

Dabei hätten die Mitarbeiter die Beschleunigung der Ereignisse in ihre Berichte aufgenommen. Die entscheidende Frage sei gewesen, was das für Kabul bedeute, sagte Kahl und fügte hinzu: „Hier ging der BND wie alle anderen Nachrichtendienste davon aus, dass die afghanischen Sicherheitskräfte länger durchhalten würden. Das war eine Fehleinschätzung.“

Um den Fall vorhersagen zu können, habe der BND fünf Kipppunkte definiert und diese vor dem Fall Kabuls auch schriftlich in seinem Lagebericht festgehalten. Demnach waren diese Kipppunkte die nahezu vollständige Isolation Kabuls, die Einnahme von Provinzzentren im Großraum Kabul, Absetzbewegungen der afghanischen Führung, der Abzug der US-Truppen aus der „Grünen Zone“ und der Botschaft sowie die Evakuierung weiterer westlicher Botschaften.

Mehrere dieser Kipppunkte seien nur Stunden nach der entscheidenden Krisenstabsitzung am 13. August 2021, also nur zwei Tage vor dem Fall Kabuls in die Hände der Taliban, eingetreten, an dem diese präsentiert worden waren. Zu diesem Zeitpunkt habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass ein Kipppunkt noch vor dem 15. August 2021 eintreten würde.

„Ich habe aber von einer Fehleinschätzung gesprochen“, erklärte Kahl. Denn im Nachhinein habe man „jeden Stein umgedreht“, um herauszufinden, welche Hinweise sie gehabt haben Es habe aber keinen Hinweis gegeben, der die Fehleinschätzung der Geschwindigkeit hätte korrigieren können. Im Gegenteil, selbst die Taliban seien überrascht gewesen, Kabul „“auf einem Silbertablett geschenkt bekommen„ zu haben.

Dass die Amerikaner ihre Botschaft über Nacht geräumt und die “Green Zone„ unbewacht gelassen hätten, darauf hätte es kein Hinweis geben können, ließ der BND-Präsident die Abgeordneten wissen. Denn sonst, so Kahl, wäre der Abzug der US-Truppen gefährdet gewesen und ein “Run auf den Flughafen„ hätte eingesetzt. Das hätte zu noch größerem Chaos geführt.

Bruno Kahl ergänzte, dass mit dem Abzug der Bundeswehr auch die “Sensoren„ teilweise verloren gegangen seien, wenngleich die Aufklärung in Kabul intakt geblieben sei. Allerdings sei der Informationsfluss in der letzten Woche dünner geworden. Erst nach dem 15. August habe er von dem Phänomen erfahren, dass es unmittelbar vor der Evakuierung der Botschaften eine Informationsdelle gebe, wobei dann eine Intensivierung der Kommunikation der Diplomaten einsetze.

Zu den Vorwürfen, der damalige deutsche Gesandte Jan van Thiel habe vor dem Fall Kabuls gewarnt, sagte Kahl, ihm sei nicht bekannt, dass van Thiel eine Quelle haben nennen können, die ihn zu seiner Lageeinschätzung gebracht habe. Die Einschätzungen anderer flössen in die Analysen des BND ein. “Aber„, so Kahl, “der BND würde seine Arbeit nicht machen, wenn er mit gespaltener Zunge auftreten würde„.

Bruno Kahl versicherte dem Ausschuss, dass seine Behörde die Aufklärung weiter unterstützen werde, da der BND ein großes Interesse an der Aufklärung habe.

Anschließend begann der Ausschuss mit der Befragung von Petra Sigmund, Leiterin des Referats Asien und Pazifik im Auswärtigen Amt (AA).

Sigmund sagte zum Lagebericht des BND, der am 13. August im Krisenstab vorgestellt worden war, das seien alte Informationen gewesen. Sie habe die Lage aufgrund der Berichte etwas ganz anderes gesehen, die Berichte von van Thiel gelesen und mit den Partnern telefoniert: “Alles, was wir gehört haben, hat eine andere Sprache gesprochen.„

Man habe die Warnungen des deutschen Gesandten sehr ernst genommen. Die Krisenstabssitzung sei einberufen worden, weil “wir in eine ganz andere Phase übergegangen sind. Die BND-Informationen schienen nicht richtig zu sein und spielten danach keine Rolle mehr„.

Aus ihrer Sicht sei am Samstagmorgen (14. August 2021) klar gewesen, dass der damalige Außenminister Heiko Maas die Schließung der Botschaft beschließen müsse, was er auch getan habe. Sie räumte ein, dass es innerhalb des AA “Divergenzen der Einschätzung„ gegeben habe. Letztlich hätten aber die Stimmen vor Ort mehr Gewicht gehabt.

Der Ausschuss beendete seine Arbeit um Mitternacht und beschloss, die Befragung von Petra Sigmund nach der Sommerpause fortzusetzen.

Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan untersucht die Ereignisse zwischen der Unterzeichnung des Doha-Abkommens im Februar 2020, mit dem die USA und die Taliban den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan regelten, und dem Fall Kabuls am 15. August 2021 und der anschließenden chaotischen Evakuierungsoperation.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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