In Berlin sind Delegationen aus der Ukraine und den USA zu Gesprächen über Wege zu einem Waffenstillstand zusammengekommen. In einer Pressekonferenz sprach Bundeskanzler Merz von der größten diplomatischen Dynamik seit Beginn des russischen Angriffskrieges.
Bundeskanzler Friedrich Merz hat in Berlin Unterhändler aus den USA und der Ukraine zu vertraulichen Gesprächen im Bundeskanzleramt empfangen. „Wir haben jetzt die Chance auf einen echten Friedensprozess für die Ukraine,“ sagte der Kanzler bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Fragen von Sicherheitsgarantien, Territorien und wirksamen Mechanismen zur Überwachung eines Waffenstillstands stünden auch auf dem Programm eines für den Abend anberaumten Treffens europäischer Staats- und Regierungschefs, von Vertretern aus EU und NATO sowie US-Unterhändlern in Berlin. „Ich hoffe, dass wir heute Abend noch weitere Fortschritte erzielen und die Reihen zwischen Ukraine, Vereinigten Staaten von Amerika und Europa weiter schließen“, betonte Merz.
Das Wichtigste in Kürze:
- Sicherheitsgarantien: Es brauche einen Waffenstillstand, der die Souveränität des ukrainischen Staates erhalte, die europäische Perspektive der Ukraine wahre und ihren Wiederaufbau befördere. Dieser Waffenstillstand müsse durch „substanzielle rechtliche und materielle Sicherheitsgarantien der USA und der Europäer“ abgesichert sein, so der Kanzler. Darüber bestehe Einigkeit zwischen Ukrainern, Europäern und den USA.
- Territorialfragen: Eine Schlüsselfrage bleibe, welche territoriale Regelung es geben könne, sagte Merz. „Die Antwort darauf können nur das ukrainische Volk und der ukrainische Präsident geben, der sein Territorium hier verteidigt.“ Klar sei, dass Deutschland der Ukraine auch weiterhin als engster Partner helfen werde. Der Bundeshaushalt für 2026 sehe große Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte vor, betonte der Kanzler.
- Druck auf Russland: Moskau müsse dazu gebracht werden, „das Zeitspiel zu beenden“ und sich für einen Waffenstillstand öffnen. Um den Druck auf Russland weiter zu erhöhen, arbeite die Europäische Union an einem 20. Sanktionspaket und an neuen Maßnahmen gegen die russische Schattenflotte sowie an der Nutzbarmachung der in Europa festgesetzten russischen Vermögen, unterstrich der Bundeskanzler.
Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)
Bundeskanzler Friedrich Merz:
Meine Damen und Herren, herzlich willkommen zu unserem Pressestatement! Ich heiße erneut den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, besonders herzlich im Bundeskanzleramt willkommen. Herzlichen Dank für dein Kommen, herzlichen Dank für die guten Beratungen.
Wir haben in den vergangenen Tagen eine große diplomatische Dynamik, vielleicht die größte seit dem Beginn des Krieges am 24. Februar 2022, erlebt. Wir haben jetzt die Chance auf einen echten Friedensprozess für die Ukraine. Diese Pflanze ist noch klein, aber die Chance ist real.
In den vergangenen Tagen und Wochen haben wir rund um die Uhr dafür gearbeitet, den Weg zu einem Waffenstillstand in der Ukraine zu ebnen. Wir alle wissen um den Preis des Krieges. Jetzt ist es an der Zeit, über den Preis des Friedens miteinander zu reden. Dazu gehören Fragen der Sicherheitsgarantien, der Territorien und eines wirksamen Mechanismus, der einen Waffenstillstand überwacht.
Gestern und heute sind hier in Berlin intensive vertrauliche Verhandlungen zwischen Ukrainern, Amerikanern und Europäern geführt worden. Steve Witkoff und Jared Kushner, die beiden Unterhändler von Präsident Trump, haben dabei eine Schlüsselrolle gespielt. Ich will es sehr deutlich sagen: Ohne deren unermüdlichen Einsatz und ohne das Engagement von Präsident Trump hätten wir nicht die positive Dynamik, die wir gerade hier in diesen Stunden erleben.
Ich werde heute Abend noch einige europäische Staats- und Regierungschefs im Bundeskanzleramt begrüßen, um über diese Fragen vertieft zu sprechen. Neben Wolodymyr Selenskyj und mir werden der französische Präsident und der britische Premierminister teilnehmen, aber auch Donald Tusk und Giorgia Meloni werden hier sein, ebenso Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident António Costa, NATO-Generalsekretär Mark Rutte sowie weitere Staats- und Regierungschefs, die dazukommen. Steve Witkoff und Jared Kushner werden die USA vertreten.
Diese Verhandlungen sind, meine Damen und Herren, das Bohren dicker Bretter. Russland spielt auf Zeit, indem es Maximalforderungen erhebt. Zugleich setzt es seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit unverminderter Härte fort. Davon lassen wir uns aber nicht beirren.
Wir verfolgen fünf Ziele, über die wir uns zwischen Ukrainern, Europäern und Amerikanern einig sind:
Erstens. Nach vier Jahren des Krieges wollen wir einen Waffenstillstand, der die Souveränität des ukrainischen Staates erhält.
Zweitens. Dieser Waffenstillstand muss durch substanzielle rechtliche und materielle Sicherheitsgarantien der USA und der Europäer abgesichert sein. Was die USA hier in Berlin an rechtlichen und an materiellen Garantien auf den Tisch gelegt haben, ist wirklich beachtlich. Das ist ein ganz wichtiger Fortschritt, den ich sehr begrüße.
Drittens. Den Waffenstillstand erarbeiten wir zusammen, Ukrainer, Europäer und Amerikaner. Das war gestern und ist heute unser gemeinsames Verständnis. Auch das ist ein gemeinsamer Erfolg.
Viertens. Der Waffenstillstand darf die Einheit und Stärke von NATO und Europäischer Union nicht beeinträchtigen. Es muss uns in Europa noch stärker zusammenbringen. Auch hier sind wir uns einig.
Und schließlich fünftens. Der Waffenstillstand muss die europäische Perspektive der Ukraine wahren und ihren Wiederaufbau ermöglichen und fördern. Das sehen Ukrainer, Europäer und Amerikaner gleichermaßen so.
Eine Schlüsselfrage bleibt, welche territoriale Regelung es geben kann. Die Antwort darauf können nur das ukrainische Volk und der ukrainische Präsident geben, der sein Territorium hier verteidigt. Ich will es noch einmal sehr deutlich sagen: Es ist das ukrainische Volk, das sein Territorium in nun bald vier Jahren unter großen Opfern verteidigt hat. Auch hier sind wir einer Meinung, ohne Wenn und Aber: Die Ukraine entscheidet über solche territorialen Zugeständnisse.
Wir haben schließlich gestern und heute wichtige Fortschritte dabei gemacht, diese gemeinsame Verhandlungsposition zu vereinbaren. Wir haben einander in sehr vertraulichen Runden ausführlich erläutert, wo wir stehen, und wir haben dabei einander gut zugehört. Ich hoffe, dass wir heute Abend noch weitere Fortschritte erzielen und die Reihen zwischen Ukraine, Vereinigten Staaten von Amerika und Europa weiter schließen.
Zugleich wollen wir Moskau dazu bewegen, das Zeitspiel zu beenden und sich auf den Weg zu einem Waffenstillstand zu begeben. Deswegen werden wir Europäer den Druck auf Russland weiter erhöhen.
Vor allem treiben wir entschieden die Arbeit voran, um den Wert der in Europa festgesetzten russischen Vermögen auch für die Bewaffnung der Ukraine zu nutzen. Das wäre ein sehr handfestes, ein sehr großes Stück zusätzlicher Sicherheit. Ein erster Schritt in diese Richtung ist geschafft. Diese Werte sind nun auf neuer Rechtsgrundlage dauerhaft festgesetzt. Beim Europäischen Rat am Donnerstag wollen wir uns nun politisch auf den Vorschlag einigen, den die Kommission auch auf meine Initiative hin bereits unterbreitet hat. Den berechtigten Anliegen von Belgien – auch das sei mir erlaubt zu sagen – und anderen werden wir dabei selbstverständlich Rechnung tragen.
Deutschland wird der Ukraine auch weiterhin als engster Partner helfen. Der Bundeshaushalt für das nächste Jahr sieht erneut große Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte vor. Beim Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum, bei dem wir gerade zusammen waren, haben wir heute einen Zehn-Punkte-Plan zur Zusammenarbeit der deutschen und der ukrainischen Verteidigungsindustrien vorgestellt, zum Nutzen beider Seiten. Wir werden heute auch darüber sprechen, wie eine gute Balance zwischen europäischen Hilfen und Aufträgen an europäische Unternehmen gelingt.
In diesem Sinne, lieber Wolodymyr, wohl zum ersten Mal seit dem 24. Februar 2022 wird in diesen Tagen die Möglichkeit eines Waffenstillstands vorstellbar. Den Weg zum Frieden wollen wir gemeinsam gehen, mit euch Ukrainern, mit unseren europäischen Nachbarn und mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich denke, auf diesem Weg sind wir einen großen Schritt vorangekommen, und wir werden heute noch einen weiteren Schritt vorangehen.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolodymyr Selenskyj:
Lieber Herr Bundeskanzler, liebe Anwesende, meine Damen und Herren Journalisten! Ich möchte Deutschland für die Möglichkeit danken, unsere Arbeit für den Frieden zu aktivieren. Es sind tatsächlich sehr wichtige Tage, in denen wir etwas bewegen können. Ich hoffe sehr, dass wir dabei helfen können, diesen Frieden weiter nahe zu bringen.
Deutschland und der Bundeskanzler unterstützen uns sehr stark, unseren Staat, unsere Menschen, und wollen uns die Möglichkeit geben, zu einem normalen europäischen Leben zu kommen. Dafür kämpfen wir; dafür lohnt es sich zu kämpfen. Es ist leider so, dass die Ukrainer jetzt, im 21. Jahrhundert, ihre Rechte mit der Waffe in der Hand verteidigen müssen, ihr Recht darauf, frei zu leben, frei in Europa zu leben, auf die europäische Art zu leben.
Wir kämpfen insbesondere auch im Rahmen von Verhandlungen. Das ist ein gerechtfertigtes Interesse der Ukraine. Die Ukraine wird gehört, und unsere Partner sind bereit, uns dabei zu unterstützen und Sicherheitsgarantien zu erarbeiten. Ich habe auch während der Verhandlungen unterstrichen, dass solche Sicherheitsgarantien funktionieren müssen, in erster Linie im Interesse des ukrainischen Volkes.
Ich danke Deutschland. Ich danke der Bundesregierung. Sie haben uns sehr geholfen. Es haben hier die Treffen mit dem US-amerikanischen Team stattgefunden. Wir haben gestern über fünf Stunden miteinander verhandelt. Heute gab es bereits einige Verhandlungsrunden. Sie werden weiter fortgesetzt. Wir hatten eine sehr sachliche Verhandlung heute. Der Dialog mit der amerikanischen Seite, mit unseren amerikanischen Kollegen wird fortgesetzt. Fast rund um die Uhr arbeiten wir daran, ein Ergebnis zu erreichen, das das Volk der Ukraine achtet.
Natürlich sind nicht alle Fragen einfach. Es gibt sehr schwierige dabei, insbesondere was territoriale Fragen betrifft. Hier ist es sehr wichtig, dass wir alle daran arbeiten, dass solche Fragen absolut fair geregelt werden. In dem Dialog zu den Territorien gibt es bisher noch unterschiedliche Positionen; das sage ich ganz ehrlich. Aber es ist wichtig, denke ich, dass ich die Möglichkeit hatte, persönlich diese Position hier darzulegen.
Aber alle sind bereit, produktiv zu arbeiten, um Lösungen zu finden, mit Respekt und Achtung vor der Ukraine. Die Ukraine ist bereit, weiter konstruktiv und fair daran zu arbeiten, um ein finales Ergebnis zu erreichen. Wir koordinieren uns mit dem Bundeskanzler – danke, Friedrich, dafür – und auch mit unseren anderen europäischen Partnern und Staatsführern.
Der heutige bilaterale Plan sah heute auch das Deutsch-Ukrainische Wirtschaftsforum vor. Bei dem Wirtschaftsforum wurden gemeinsamen Projekte Deutschlands und der Ukraine besprochen. Sie helfen uns in der Ukraine, und sie helfen natürlich auch deutschen Unternehmen. Wir können hier unsere Technologien, unsere Kenntnisse einbringen. Es ist wichtig, dass die europäische Wirtschaft und das Potenzial der europäischen Wirtschaft gestärkt werden.
Die Konsultationen zwischen unseren Staaten sollten darauf angelegt sein, dass wir auch in der Energiewirtschaft vorankommen, beide Staaten gemeinsam. Es wird ein neues gemeinsames Büro unseres Export-Hubs geben, um die Wirtschaftskraft Deutschlands mit den neuen Erkenntnissen der Ukraine zusammenzubringen, insbesondere im Bereich der Produktion von Drohnen.
Jeden Tag müssen wir unsere Städte, unsere Positionen im bewaffneten Kampf verteidigen. Was den Wiederaufbau der Ukraine betrifft, ist es sehr wichtig, dass wir in erster Linie die Luftabwehr stärken. Deshalb sind wir auch dankbar dafür, dass das Unterstützungsprogramm von deutscher Seite im nächsten Jahr fortgesetzt wird. Wir schätzen das sehr.
Es ist für uns wichtig, dass Deutschland eine rationale Position bezüglich des Einfrierens russischer Vermögenswerte in Europa einnimmt. Dass das jetzt auf langfristiger Grundlage möglich sein wird, unterstützen wir natürlich. Wir haben jetzt die Möglichkeit, damit die Ukraine zu unterstützen, nicht nur bei russischen Angriffen, sondern gerade auch langfristig. Denn dieser Krieg Russlands muss beendet werden.
Am meisten muss derjenige unter den Folgen des Krieges leiden, der ihn angezettelt hat. Deshalb ist es richtig, dass beispielsweise vorgeschlagen wird, Kredite aus diesen Vermögenswerten abzusichern, um sie gegen Reparationszahlungen Russlands aufzurechnen.
Ruhm der Ukraine!
Frage: Herr Witkoff hat darauf hingewiesen, dass es möglich war, erhebliche Erfolge zu erzielen. Können Sie Details nennen, an denen man das festmachen kann? Welche Fragen betrifft das? Gehören dazu auch territoriale Fragen?
Eine Frage an Herrn Merz: Italien hat sich mit Belgien zusammengetan und hat ebenso wie Malta und Bulgarien Vorbehalte gegen den Einsatz russischer Vermögenswerte für die ukrainische Verteidigung geäußert. Wie hoch sind Ihrer Meinung nach die Chancen, dass am Donnerstag eine Lösung in Brüssel erreicht wird?
Präsident Selenskyj: Ich danke Ihnen für die Frage. Vor allem ist es so, dass das ein erstes Treffen war, die ersten Tage in einer solchen Zusammensetzung mit Herrn Witkoff und Herrn Kushner, also mit einem amerikanischen Team. Solche Treffen wurden vorher von unserem Team durchgeführt, auch gemeinsam mit europäischen Vertretern der nationalen Sicherheitsberater. Dieses Team war vorher in Russland. Ich wollte immer, dass dieses Team auch in die Ukraine kommt; ich war aber auch bereit, hierher zu kommen, wenn das aus verschiedenen Gründen nicht möglich sein sollte.
Wir hatten die Möglichkeit, ein mehrstündiges Treffen durchzuführen. Es gab tatsächlich einen Fortschritt in vielen Fragen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie die Aggressorseite die Ergebnisse, die wir erzielt haben, wahrnehmen wird. Wichtig ist aber, dass wir gehört wurden. Ich habe die Details des Krieges dort angesprochen, die haben unsere amerikanischen Kollegen gehört. Ich denke, wenn wir ein solches Treffen eher gehabt hätten, dann hätten wir schon eher Fortschritte erzielen können. Ich bin ihnen aber dankbar, dass sie hier waren und dass wir etwas erreichen konnten.
Einige Fragen, die meiner Ansicht nach destruktiv sind und uns nicht helfen, würde ich in einer neuen Fassung der Dokumente lieber nicht sehen. Für mich ist das wichtig, weil es eine Frage der Würde der Ukraine ist. Die Frage der Territorien ist natürlich eine sehr schmerzhafte Angelegenheit. Russland möchte, was es möchte. Das ist ein sehr langer Dialog. Wir verstehen sehr gern, was sie wollen. Man kann daran glauben oder auch nicht; wir wissen aber genau, was sie wollen. Meiner Ansicht nach ist die Position der Ukraine diesbezüglich sehr klar, ohne irgendwelche Kommas und Punkte, und es war für mich wichtig, dass wir diese Position der amerikanischen Seite sehr eindeutig vorbringen konnten. Wir müssen darüber auch sehr offen sprechen. Ich bin insofern sehr froh darüber, dass wir einander gehört haben. Ich denke, dass die amerikanische Seite als Vermittler, als Mediator verschiedene Schritte vorschlagen wird, um zu irgendeinem Konsens zu kommen. In diesen Fragen hoffe ich, dass die USA ihre Rolle als Vermittler, als Mediator fortsetzen werden. Das wäre sicherlich perspektivreich für uns.
Was den Wiederaufbau der Ukraine betrifft und was die Frage betrifft, welche finanziellen Mittel die Ukraine braucht und wer wofür bezahlen muss, möchte ich sagen: Welche Kompromisse auch immer geschlossen werden, es müssen wahrhaftige Kompromisse sein. Wir müssen hier einen Dialog führen, und wir werden alles dafür tun, dass wir sehr klare Antworten zum Thema Sicherheitsgarantien und bezüglich der Frage, wer zahlen muss, finden. Wir müssen verstehen, was die Finanzierungsquellen sein können, woher dieses Geld kommen kann und muss. Was die eingefrorenen russischen Vermögenswerte betrifft, so denke ich, dass das eine mögliche Quelle ist. Es wird Rahmenverträge zu Sicherheitsgarantien geben. Wir haben in vielen Bereichen bereits Fortschritte gemacht, und dafür bin ich sehr dankbar.
Bundeskanzler Merz: Ich möchte kurz etwas zu der aktuellen Diskussion um die eingefrorenen russischen Vermögenswerte sagen.
Wir haben zunächst einmal eine erste Entscheidung getroffen, und diese Entscheidung aus der letzten Woche lautet: Das russische Vermögen wird auf Dauer in Europa eingefroren, auf Dauer immobilisiert. Damit hat die russische Notenbank und auch der russische Staat auf diese Vermögenswerte auf absehbare Zeit keinen Zugriff.
Die Frage, welche Mittel wir daraus für die weitere Unterstützung der Ukraine generieren, werden wir in dieser Woche – so hoffe ich jedenfalls – politisch abschließend klären. Wir haben dazu eine Rechtsgrundlage im EU-Vertrag, den Artikel 122, der eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit erlaubt. Es ist auch nur diese Entscheidung auf der Grundlage von Artikel 122 des EU‑Vertrags möglich. Andere Entscheidungen, wie sie auch ins Spiel gebracht worden sind, sind auf der Rechtsgrundlage dieses Artikels nicht möglich. Alle anderen Entscheidungen, die im Raum stehen, etwa die Nutzung von freien Mitteln aus der Coronazeit oder die Auflegung von europäischen Bonds, erfordern Einstimmigkeit, und diese Einstimmigkeit ist nach den bekannten Einsprüchen einer Reihe von Mitgliedstaaten nicht erzielbar. Damit bleibt uns nur dieses Instrument, das wir mit qualifizierter Mehrheit entscheiden können, sowohl was die Festsetzung betrifft als auch was die Nutzung betrifft, und darüber wollen wir in der Europäischen Union in den nächsten Tagen weiter sprechen.
Ich verstehe die Bedenken – ich teile sie nicht. Ich verstehe sie und ich nehme sie ernst, aber ich hoffe, dass wir die Staaten – insbesondere den Staat Belgien, der ja am meisten betroffen ist – davon überzeugen können, dass wir hier gemeinsam einen Schritt in diese Richtung tun können. Dies dient vor allem dem Ziel, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie sich notfalls weiter verteidigen kann. Das Ganze ist aber auch ein sehr klares Signal an Russland, dass dieser Krieg nun wirklich bald beendet werden muss.
Frage: Herr Präsident Selenskyj, stimmt es, dass die USA fordern, dass die Ukraine auch die Gebiete im Donbass abgeben soll, die noch nicht von Russland besetzt worden sind?
Eine Frage an Herrn Bundeskanzler und Herrn Präsidenten gemeinsam: Ist es bei der Frage der Sicherheitsgarantien denkbar, dass Truppen aus NATO- oder EU-Ländern meinetwegen eine Frontlinie als Sicherheitsgarantie absichern – „boots on the ground“?
Und die Frage, die sehr viele Menschen interessiert: Gibt es bis Weihnachten einen Waffenstillstand in der Ukraine?
Präsident Selenskyj: Es gab da wahrscheinlich einige Schwierigkeiten mit der Übersetzung, aber ich versuche, auf die Frage zu antworten.
Vor allem möchte ich, dass wir uns gegenüber der amerikanischen Delegation respektvoll verhalten. Ich bin nicht der Meinung, dass die USA etwas verlangt haben. Ich sehe sie als strategischen Partner an. Deshalb würde ich das so formulieren, dass die Frage der Territorien Forderungen der russischen Seite sind. Deshalb konnte ich auch von der amerikanischen Seite nichts verlangen, sondern ich habe den Russen durch die Kollegen aus den USA unseren Standpunkt übermittelt. Wie ich gesagt habe, wir hören die andere Seite, wir hören die russischen Ziele, und wir unternehmen Anstrengungen, um unsere Position darzustellen. Ich bin froh darüber, dass wir gehört werden. In dieser Frage, in dieser sehr sensitiven Frage der Territorien, haben wir während des Dialogs eine mehr oder weniger gleiche Sichtweise gehabt.
Was die zweite Frage zur Frontlinie betrifft: Sie wollten wissen, ob es da eine Anwesenheit von Truppen geben wird. Habe ich das richtig verstanden?
Wir sprechen von Sicherheitsgarantien, und mein Signal bezüglich der Sicherheitsgarantien besteht darin, dass wir sehr klar sehen müssen, welche Sicherheitsgarantien es gibt, bevor wir irgendetwas auf dem Schlachtfeld unternehmen. Wir gehen nicht davon aus, dass es um eine NATO-Mitgliedschaft geht. Das wurde bis jetzt nicht festgelegt. Es wäre ja auch unklar gewesen, wie sich eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO gestalten sollte. Wir haben aber jetzt von amerikanischer Seite gehört, dass man bereit ist, Sicherheitsgarantien zu geben, die Artikel 5 der NATO-Charta entsprechen. Das sieht gar nicht so schlecht aus, aber das ist erst einmal ein erster Schritt.
Die Frage des Monitorings während eines Waffenstillstandes ist meiner Ansicht nach die Grundlage für Sicherheitsgarantien. Denn es geht darum, wer ein solches Monitoring durchführen wird und welche Sanktionsschritte es geben wird, wenn diese Monitoringmission gestört wird. Diese Fragen müssen geklärt werden. Wir haben uns dahingehend verständigt, dass diese Fragen geklärt werden müssen: Wer steht während einer Waffenruhe an der Kontaktlinie? Sind das Menschen, Soldaten, was für Soldaten? Gibt es ein technologisches Monitoring? Das ist etwas, das die Militärs besprechen müssen. Sie sind in diesem Bereich die Profis und können etwas für die Verhandlungen vorschlagen.
Bundeskanzler Merz: Herr Kollege, zu den Sicherheitsgarantien habe ich ja eben in meinem zweiten Punkt, über den Einvernehmen erzielt worden ist, etwas gesagt, nämlich dass ein Waffenstillstand durch substanzielle rechtliche und materielle Sicherheitsgarantien der USA und der Europäer abgesichert werden soll. Das ist eine wirklich weitreichende, substanzielle Vereinbarung, die wir bisher nicht hatten, nämlich dass sowohl die Europäer als auch die Amerikaner gemeinsam bereit sind ‑ Präsident Selenskyj hat auf Artikel 5 des NATO-Vertrages Bezug genommen ‑, ähnliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu geben. Das ist aus meiner Sicht ein wirklich großer Fortschritt, und die amerikanische Seite hat sich hier, wie gesagt, politisch und in der Perspektive rechtlich gebunden, dies zu tun.
Ich will an dieser Stelle sagen: Wir werden die Fehler von Minsk genau an dieser Stelle nicht wiederholen. Es muss jetzt vielmehr eine Absicherung eines Waffenstillstandes durch entsprechende Sicherheitsgarantien an die Ukraine geben. Was das dann konkret im Einzelnen bedeutet, wird man sicherlich unter denen, die diese Sicherheitsgarantien dann individuell geben, noch zu besprechen haben. Ich habe aber gesagt: die USA und die Europäer. Damit ist klar, dass es umfassende Sicherheitsgarantien für die Ukraine sein werden, die wir dann auch gemeinsam verabreden und im Detail festlegen. Es hat im Augenblick keinen Sinn, darüber zu spekulieren, was das konkret für jedes einzelne beteiligte Land bedeutet. Aber wenn es so weit kommt und wir einen Waffenstillstand haben, wird die Ukraine damit auf Dauer verteidigungsfähig, und zwar nicht nur aus eigener Kraft, sondern auch durch Unterstützung der mit der Ukraine verbündeten Staaten, und das ist eine gute Nachricht.
Zusatzfrage: Und ein Waffenstillstand bis Weihnachten?
Bundeskanzler Merz: Das hängt jetzt ausschließlich an der russischen Seite. Wir haben hier heute und gestern gemeinsame europäische, ukrainische und amerikanische Vorschläge erarbeitet. Diese Vorschläge werden jetzt der russischen Seite unterbreitet. Es liegt jetzt nur noch an Russland, ob es gelingt, bis Weihnachten einen Waffenstillstand zu erzielen.
Ich will auch die Gelegenheit nutzen, hier noch einmal wirklich nachdrücklich an die russische Regierung, an den russischen Präsidenten zu appellieren, das ukrainische Volk wenigstens über Weihnachten von weiteren Bombenangriffen und Raketenangriffen unbehelligt zu lassen, die sich in den letzten Wochen und Monaten ja fast ausnahmslos gegen die zivile Infrastruktur, gegen Kindergärten, Krankenhäuser, Energieversorgungseinrichtungen richten. Das ist Terror gegen die Zivilbevölkerung, und vielleicht hat die russische Staatsführung einen Rest an menschlichem Anstand und lässt die Bevölkerung wenigstens über Weihnachten mit diesem Terror für ein paar Tage in Ruhe. Vielleicht könnte das dann auch der Anfang für vernünftige, konstruktive Gespräche darüber sein, wie wir zu einem dauerhaften Frieden in der Ukraine kommen.
Vielen Dank!
Präsident Selenskyj: Solche Reste gibt es nicht. Aber alles ist möglich.
