Wer aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit an einem Virus erkrankt – hier einer Infektion mit Ringelröteln – und infolge dieser Erkrankung ein Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) ausbildet, ist hierfür durch die für ihn zuständige gesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft) zu entschädigen. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg entschieden (Urteil vom 27. November 2025, Aktenzeichen: L 3 U 206/19).
Die im Jahr 1969 geborene Klägerin war als Erzieherin in einer Grundschule im östlichen Berliner Umland tätig. Dort erkrankten im Januar 2012 sechs Kinder an Ringelröteln. Kurz darauf musste sich die Erzieherin unter anderem wegen Schwellungen und Schmerzen an ihren Gelenken in stationäre ärztliche Behandlung begeben. Labordiagnostisch konnte ein Parvovirus B19 gesichert werden, der als Auslöser der sogenannten Ringelröteln gilt. Im Jahr 2014 erkannte die Berufsgenossenschaft die von der Erzieherin durchgemachte Infektion im Grundsatz als Berufskrankheit Nr. 3101 an. Zugleich lehnte sie es allerdings ab, eine starke körperliche und geistige Erschöpfung, unter der die Klägerin nach der Infektion litt, auf die Ringelröteln zurückzuführen und zu entschädigen.
Die Erzieherin klagte erfolgreich vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder). Dieses stellte nicht nur das CFS als Folge der Berufskrankheit fest, sondern verurteilte die Berufsgenossenschaft unter anderem auch zur Zahlung einer Rente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zeitlich gestaffelt 60 bzw. 80 Prozent.
Hiergegen legte wiederum die Berufsgenossenschaft Berufung vor dem LSG ein.
Der 3. Senat des LSG hat mit seinem Urteil vom 27. November 2025 die Feststellung des CFS als Folge der Virusinfektion bestätigt, die Höhe der der Klägerin zu zahlenden Rente aber auf 40 Prozent herabgesetzt. Mehrere im Verlauf des Verfahrens eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten hätten den nicht bloß zeitlichen Zusammenhang zwischen der Infektion mit Ringelröteln und der Entwicklung eines CFS bei der Klägerin überzeugend dargelegt. Im Hinblick auf die Bemessung der Höhe der MdE bestünden beim CFS indes keine qualifizierten unfallmedizinischen Erfahrungssätze. Berücksichtigung finden könne hier die „Begutachtungsempfehlung Post COVID“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, nach der eine stärker ausgeprägte Fatigue-Symptomatik generell mit einer MdE von 30 Prozent zu bewerten sei. Treten weitere Symptome hinzu, könne dieser Wert erhöht werden. In Anbetracht der bei der Klägerin virusbedingt bestehenden chronischen Muskel- und Gelenkschmerzen sei es hier gerechtfertigt, der Rente eine MdE von insgesamt 40 Prozent zugrunde zu legen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Die Klägerin und die Beklagte können beim Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.
Zum rechtlichen Hintergrund:
§ 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) lautet: „Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden.“
Nach Nr. 3101 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung sind Berufskrankheiten (auch) „Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“. Hiernach ist grundsätzlich auch die Anerkennung einer COVID-19-Erkrankung als Berufskrankheit möglich.
§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII lautet: „Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente.“
Die Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Berufskrankheit und einer bestimmten Erkrankung sowie die Bemessung der einer Rente zugrunde zu legenden Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit erfolgen grundsätzlich einzelfallbezogen.
