Die tourismuspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Anja Karliczek, im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“.
Die tourismuspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Anja Karliczek, fordert eine bessere digitale Vernetzung der Tourismusbranche. „Es ist alles sehr kleinteilig organisiert, zum Beispiel im Bereich Verkehr. Das kann man mit Hilfe digitaler Angebote auf eine neue Ebene heben“, sagte die Christdemokratin im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 25. Juli 2022). So könne man beispielsweise Besucherströme besser lenken oder Angebot und Nachfrage schneller zusammenbringen, so Karliczek weiter. Digitale Lösungen könnten auch dazu beitragen, immer größer werdende Lücken, zum Beispiel in der gastronomischen Versorgung, zu schließen. Es sei ein Problem, „dass uns das Angebot in weiten Teilen wegbricht“, sagte Karliczek.
Die Tourismusexpertin forderte zudem einen „Flug-Gipfel, bei dem langfristige Lösungen“ für die Abwicklungsprozesse an den deutschen Flughäfen erarbeitet werden sollten. Um das Chaos und die Personalengpässe zu beheben sei „zu viel Zeit vertrödelt“ worden. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen müssten nun Kräfte der Bundespolizei an den Sicherheitscheck-Ins eingesetzt werden, die an anderen Stellen aktuell nicht benötigt würden, sagte Karliczek. Sie kritisiert, dass sich die Bundespolizei nicht früher besser aufgestellt habe. Es sein nun „ein bisschen wohlfeil“, allein den Airlines die Schuld an den momentanen Personalengpässen zuzuschieben.
Die TP Presseagentur dokumentiert das am 25.07.2022 in der Wochenzeitung „Das Parlament“ erscheinende Interview vorab im vollen Wortlaut:
Das
Parlament: Frau
Karliczek, zunächst einmal die Frage: Wohin führt Sie ihr nächster Urlaub?
Anja Karliczek: In die Berge. Und wir fahren mit dem Auto, sicher
ist sicher…
Das
Parlament: Bleibt
einem gerade ja auch fast nichts anderes übrig.
Anja Karliczek:Ja, es herrscht gerade ein ganz schönes
Durcheinander… Natürlich geht ein Teil auf die Corona-Pandemie zurück. Aber
auch darauf, dass es sehr schwer ist, genügend Leute zum Arbeiten zu finden.
Der Mangel an Arbeitskräften hat sich ja gerade nochmal massiv verstärkt. Bis
vor Corona galt eine Arbeit im Tourismus als ein Beruf mit Jobgarantie. Das war
eine boomende Branche. Egal wo man hinschaute, es wuchs alles, es wurde immer
besser. Jetzt merken wir, dass es auch Risiken gibt, die auch für diese Branche
nicht sofort zu bewältigen sind.
Das
Parlament: Ihre
Familie führt ein Hotel in Brochterbeck. Können Sie aus erster Hand berichten,
wie es in der Branche gerade aussieht?
Anja Karliczek:Da kommt jetzt nach der Pandemie, mit dem
Ukraine-Krieg und der Inflation wirklich eins zum anderen. In den Bereichen, in
denen es schon vor der Pandemie viel touristischen Verkehr gab, ist es wieder
gut angelaufen. Die Menschen wollen raus, sich erholen nach den anstrengenden
Monaten. Da ist der Mitarbeitermangel das größte Problem – auch, weil immer
noch viele Mitarbeiter durch eine Corona-Infektion ausfallen. Ein weiteres
Problem ist, dass die Menschen wegen der steigenden Preise sich schon einmal
mehr überlegen, was sie sich leisten wollen und können und was nicht.
Das
Parlament: Unter
diesen Umständen wird Urlaub schnell zum Luxus. Wird Reisen immer mehr zum
Hobby für Menschen mit Geld?
Anja Karliczek:Wir müssen die gesamte Palette des Angebots
betrachten. Zum Beispiel bieten Familienferienstätten viele attraktive und
preiswerte Möglichkeiten. Aber natürlich muss die Angebotsmenge auch zur
Nachfrage passen, wie zum Beispiel auf den Campingplätzen. Bis jetzt waren wir
immer auf dem aufsteigenden Ast, es wurde alles immer qualitativ besser und am
Ende ein bisschen teurer. Jetzt ist die Situation eine ganz andere, das Angebot
muss zur Nachfrage passen. Viel größer ist glaube ich das Problem, dass uns das
Angebot in weiten Teilen wegbricht.
Das
Parlament: Wo muss die
Politik da eingreifen?
Anja Karliczek:Wir brauchen eine bessere Vernetzung und
Organisation. Es ist alles sehr kleinteilig organisiert, zum Beispiel im
Bereich Verkehr. Das kann man mit Hilfe digitaler Angebote auf eine neue Ebene heben.
So kann man beispielsweise Besucherströme besser lenken oder Angebot und
Nachfrage schneller zusammenbringen. Wichtig ist, dass die Regionen ein
durchgängiges Angebot anbieten, zum Beispiel bei der Versorgung oder den
Wanderrouten. Bei diesen niedrigschwelligen Angeboten, die aber im Alltag und
in den Ferien besonders spürbar sind, ist in den vergangenen Jahren zu viel
weggebrochen. Um das zu beheben, muss man sich besser vernetzen. Dies hilft,
dass Wanderer oder Radtouristen schneller das für sie passende Angebot finden.
Und die Digitalisierung hilft, dass die Anbieter besser erfahren, zu welchen
Zeiten sie ihre Dienstleistungen anbieten.
Das
Parlament: Nehmen wir
an, die Angebote wären prinzipiell da – es fehlt ja aber an allen Ecken und
Enden an Menschen, die die Arbeit machen. Wie kann man wieder mehr
Arbeitskräfte für die Branche gewinnen?
Anja Karliczek:Wir brauchen mehr Flexibilität im Bereich
der Arbeitszeit. Man darf ja nach geltendem Recht maximal zehn Stunden pro Tag
arbeiten. Manche Mitarbeiter – nicht nur in der Gastronomie – würden lieber an
vier Tagen ein oder zwei Stunden mehr arbeiten und damit eine Vollzeitstelle an
vier Tagen abdecken. Es geht hier auch nicht darum, endlos zu arbeiten, sondern
die Möglichkeit zu schaffen, dass jemand seine Ruhezeiten so planen kann, wie
er das braucht. Es geht nicht um Verdichtung von Arbeit, sondern um mehr
Flexibilität. Das zweite ist, dass wir klar machen müssen, dass es im Tourismus
hochattraktive Arbeitsfelder mit vielfältigen persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten
gibt. Ich wünschte mir, dass dies mehr in den Mittelpunkt der Debatte rückt –
genau wie diese Berufe einfach mehr Wertschätzung verdienen.
Das
Parlament: Wo es auch
besonders fehlt, ist der Nachwuchs: Fast die Hälfte der Azubis in der Gastronomie
bricht die Ausbildung ab.
Anja Karliczek:Das hat vielfältige Gründe. Viele beginnen
eine gastronomische Ausbildung, weil sie nichts anderes gefunden haben. Dann
merken sie, dass das vielleicht nicht sofort der Traumjob ist. Wenn sie dann
noch etwas anderes finden, von dem sie eher glauben, dass es den Wünschen
entspricht, dann hören sie auf. Das müssen wir versuchen zu vermeiden. Ich habe
ja bereits von der manchmal fehlenden Wertschätzung für diese Berufe
gesprochen. Wenn wir diese wieder den jungen Menschen entgegenbringen, dann
werden wir auch mehr Bewerber finden.
Das
Parlament: Ein Thema,
das bei den ganzen Krisen momentan in den Hintergrund tritt, auch im Tourismus,
ist der Klimaschutz und die Nachhaltigkeit. Wo kann die Branche ansetzen?
Anja Karliczek:Zum einen ist Naturtourismus ein
Riesenfaktor geworden. Ich wohne zum Beispiel an einem Wanderweg. Ich sehe dort
überwiegend junge Leute, weniger ältere Menschen. Da hat sich unheimlich was
entwickelt. Auch in einem anderen Bereich ist das Thema Nachhaltigkeit
angekommen. Aufgrund der gestiegenen Energiepreise sind Unternehmen wie Hotels,
Restaurants oder auch der Flugverkehr quasi gezwungen, den Verbrauch zu senken,
da sie die Kosten nicht eins zu eins auf den Besucher und den Gast umlegen können.
Ich bin da aber gar nicht negativ, da viele Unternehmer schon früher begonnen
haben, ihre Betriebe umwelt- und klimafreundlich umzurüsten. Das Thema
Nachhaltigkeit ist angekommen und es ist ein Wettbewerbsfaktor.
Das
Parlament: Für wie
sinnvoll halten Sie Siegel, um Reisenden, die nach nachhaltigen Angeboten
suchen, noch stärker Orientierung zu bieten?
Anja Karliczek:Man sollte an der Zertifizierung ansetzen,
die es heute schon gibt. Also bewährte Label um den Punkt Nachhaltigkeit
erweitern. Denn genau das ist das Problem: Dass wir immer etwas Neues schaffen,
statt an das anzuknüpfen, was bereits da ist.
Das
Parlament: Apropos
Übersichtlichkeit: Die fehlt momentan an den deutschen Flughäfen. Was ist da
falsch gelaufen?
Anja Karliczek:Natürlich tragen auch die Airlines eine
Verantwortung. Sie haben die Situation massiv unterschätzt. Aber gerade in den
Sicherheitsbereichen ist die öffentliche Hand zuständig. An der Stelle muss man
sich schon mal an die eigene Nase fassen: Über die Airlines schimpfen ist zu
wenig. Die Bundespolizei hätte sich auch besser aufstellen müssen. Es ist ein
bisschen wohlfeil, da anderen die Schuld zuzuschieben. Reisebüros und
Gewerkschaften haben schon im letzten Jahr vor den Personalengpässen gewarnt.
Niemand hat darauf reagiert. Die zweite Warnung gab es ja zu Ostern. Spätestens
dann hätte die Bundesregierung an Lösungen arbeiten müssen, langfristigen wie
kurzfristigen. Da ist viel zu viel Zeit vertrödelt worden. Irgendwann hätte man
da mal wachwerden und an Lösungen arbeiten müssen. Ich glaube nicht, dass die
2.000 Arbeitskräfte aus der Türkei, die nun zu uns an die Flughäfen kommen, vor
Ende August anfangen können. Wir brauchen einen Flug-Gipfel, bei dem
langfristige Lösungen erarbeitet werden. Außerdem brauchen wir den kurzfristigen
Einsatz von Kräften der Bundespolizei, die an anderen Stellen aktuell nicht
benötigt werden. Zudem muss die Zusammenarbeit der beteiligten Stellen mit den
Jobcentern verbessert werden.
Das Gespräch führte Elena Müller.
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin