Das BGH-Urteil vom 26. Juli 1994 gegen den Grenzsoldaten K.-H. W. (5 StR 167/94) 5 StR 167/94

BGH-Urteil Grenzsoldat K.-H. W

Das BGH-Urteil vom 26. Juli 1994 gegen den Grenzsoldaten K.-H. W. (5 StR 167/94)

5 StR 167/94

BGH
26.07.1994
5 StR 167/94
BGHSt 40, 241
NJW 1994, 2708
NStZ 1994, 533
BGHR StGB § 25 II Mittäter 24

StGB § 2 III
StGB § 15
StGB § 25 II
StGB § 212
WStG § 5 I
GG Art 103 II
EMRK Art 3
EMRK Art 13 Nr. 2
EMRK Art 29 Nr. 2
IPbürgR
IPbürgR Art 6
IPbürgR Art 12 II
IPbürgR Art 12 III
DDR-StGB § 1 III 2
DDR-StGB § 22 II Nr. 2
DDR-StGB § 212
DDR-StGB § 213 II
DDR-StGB § 258 I
DDR-Verf Art 91
GrenzG § 26 II
GrenzG § 27 II
Amelung, Knut, NStZ 1995, 29
Gropp, Walter NJ 1996, 393
dazu BVerfG 2 BvR 1852/94 und EGMR 37201/97

Stichworte: Mauerschütze 8 (vor IPbürgR 1976) Mauerschütze Tötungsvorsatz Mittäter Mauerschütze Schießbefehl IPbürgR vor Inkrafttreten 1976 Radbruchsche Formel Menschenrecht Völkerrecht Schießbefehl Grundlage VoPo-Gesetz Mittäter Tatbeitrag Mauerschütze Republikflucht Verbrechen IPbürgR DDR Menschenrechtserklärung Vertragsrecht Bindungswirkung

BGH, Urt. vom 26.07.1994 – 5 StR 167/94

Leitsatz

Zur Beurteilung vorsätzlicher Tötungshandlungen von Grenzsoldaten der DDR in Berlin vor Inkrafttreten des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (im Anschluß an BGHSt 39, 1 und 39, 168).

am 26. Juli 1994 für Recht erkannt:

Die Revision des Angeklagten W. gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Juni 1993 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

– Von Rechts wegen

Gründe

Die Jugendkammer hat den im Jahre 1952 geborenen Beschwerdeführer – ebenso wie den Mitangeklagten K., der kein Rechtsmittel eingelegt hat – wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten W. ist unbegründet.

I.

Der Angeklagte gehörte im Jahre 1972 den Grenztruppen der DDR an, und zwar einer Bootskompanie des Grenzregimentes 35. Die Kompanie hatte in Berlin einen Grenzabschnitt in der Nähe der Schillingbrücke zu sichern. Dort wurde die Wasserfläche der Spree dem Ostteil Berlins zugerechnet, während das jenseitige Ufer zum Bezirk Kreuzberg (damals: Berlin-West) gehört. Der Beschwerdeführer, der sich auf Drängen seines Vaters widerstrebend zu einem Wehrdienst von drei Jahren verpflichtet hatte, war in der Nacht vom 14. zum 15. Februar 1972 Postenführer einer aus ihm und dem Soldaten K. gebildeten Grenzstreife. Der 29 Jahre alte Manfred E. aus Ostberlin war gegen 22.30 Uhr unbemerkt in die Spree gelangt, die er in Richtung auf das Kreuzberger Ufer durchschwimmen wollte, um im Westen zu bleiben. Als die Angeklagten ihn entdeckten, schwamm er in der Mitte des Flusses. Auf den Zuruf der beiden Grenzsoldaten reagierte er nicht. Diese schossen nunmehr aus einer Entfernung von ungefähr 40 m nahezu gleichzeitig auf ihn, ohne sich vorher ausdrücklich verständigt zu haben. Ihre Maschinenpistolen vom Typ „MPi Kalaschnikow“ (Kaliber 30 = 7,62 mm) waren auf Dauerfeuer eingestellt. Der Beschwerdeführer gab drei, K. zwei Feuerstöße von jeweils zwei Schüssen ab. Beide Soldaten schossen aus der Hüfte. Ihnen kann nicht widerlegt werden, daß „die ersten abgegebenen Schüsse“ Warnschüsse waren. Die weiteren Schüsse wurden „sofort“ danach abgegeben. Beiden war „bewußt, daß sie den Flüchtling tödlich verletzen konnten; das nahmen sie billigend in Kauf“. Nach den Feuerstößen war der Schwimmer nicht mehr zu sehen. Er war durch ein Geschoß am Kopf getroffen worden und deswegen ertrunken. Von welchem der beiden Soldaten das tödliche Geschoß herrührte, ist ungeklärt.

Die Soldaten „handelten mit dem gemeinsamen Ziel, den bei der Vergatterung erhaltenen Befehl auszuführen und den vermuteten Grenzdurchbruch zu verhindern“. Die vor Antritt des Grenzdienstes jeweils erteilte Vergatterung lautete in Übereinstimmung mit Nummer 89 der D\t-30/10 des Ministeriums für Nationale Verteidigung (1967): „Der Zug … sichert die Staatsgrenze … mit der Aufgabe, Grenzdurchbrüche nicht zuzulassen, Grenzverletzer vorläufig festzunehmen oder zu vernichten und den Schutz der Staatsgrenze unter allen Bedingungen zu gewährleisten“.

Taucher fanden E’s Leiche erst am nächsten Tag gegen 15.00 Uhr bei der Schillingbrücke. Um zu verhindern, daß der Vorgang von Berlin (West) aus beobachtet wurde, brachten sie die Leiche unter Wasser zu einem Boot, das unter der Schillingbrücke wartete. Bei der Obduktion wurde eine Blutalkoholkonzentration von 1, 9 Promille festgestellt. Die Witwe des Getöteten erstattete eine Woche später Vermißtenanzeige. Nach vier Wochen wurde ihr von der Polizei mitgeteilt, die Leiche ihres Mannes sei „in der Nähe der Museumsinsel“ geborgen, nach den Fingerabdrücken identifiziert und bereits eingeäschert worden; es habe sich um einen Selbstmord gehandelt.

Der Beschwerdeführer und K. wurden noch in der Nacht zum 15. Februar 1972 als Posten abgelöst und am nächsten Tag mit einem Leistungsabzeichen sowie mit einer Prämie von 150 Mark ausgezeichnet.

2. Der Beschwerdeführer hat sich, ebenso wie K., in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht nicht zur Sache geäußert. Das Landgericht hat den Kriminalbeamten gehört, der den Beschwerdeführer im September 1991 vernommen hatte. Nach der Aussage des Kriminalbeamten hat K. seinerzeit erklärt, er und sein Postenführer hatten „gezielt“ auf den Schwimmer geschossen, während der Beschwerdeführer gesagt hat, man habe „aus der Hüfte zielend in Richtung des Schwimmers geschossen“ (UA S. 20). Später hat der Beschwerdeführer bei der Polizei erklärt, er habe „nicht gewußt, ob es sich überhaupt um eine Person handelte“. Das Landgericht stützt sich bei der Beweiswürdigung auf die Aussage des Kriminalbeamten, ferner auf den als „zuverlässig und wahrheitsgemäß“ erachteten Bericht des Regimentskommandeurs vom 15. Februar 1972, in dem es hieß, die Grenzstreife habe „auf eine Entfernung von ca. 40 m gezieltes Feuer“ eröffnet. Dieser Bericht könne, so meint das Landgericht, nur auf den Angaben beruhen, die die Angeklagten am 15. Februar 1972 bei ihrer Befragung durch Vorgesetzte gemacht habe (UA S. 21).

3. Das Landgericht ist bei einem Vergleich der in Betracht kommenden strafrechtlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu dem Ergebnis gelangt, daß das Recht der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den Strafrahmen des § 213 StGB milder und deswegen gemäß Art. 315 Abs. 1 EGStGB, § 2 Abs. 3 StGB anzuwenden sei.

II.

Die Strafverfolgung ist aus den im Senatsurteil vom 19. April 1994 (5 StR 204/93, MDR 1994, 704, zum Abdruck in BGHSt bestimmt) genannten Gründen nicht verjährt (vgl. auch BGH NStZ 1994, 330 sowie das Verjährungsgesetz vom 26. März 1993, BGBl. I S. 392).

III.

Die Verfahrensrügen des Angeklagten W. sind, soweit sie zulässig erhoben worden sind, aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 11. Mai 1994 bezeichneten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Verurteilung des Beschwerdeführers hält im Ergebnis auch der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand.

1. Die Annahme des Tatrichters, daß der Tod des Flüchtlings dem Angeklagten als ein mit bedingtem Vorsatz gemeinschaftlich begangener Totschlag zuzurechnen sei, ist frei von Rechtsfehlern.

a) Der Beschwerdeführer hat, mit der auf Dauerfeuer gestellten Maschinenpistole schießend, nach den Warnschüssen in Richtung einer in 40 m Entfernung schwimmenden Person Feuerstöße von jeweils zwei Schuß abgegeben; die Lichtverhältnisse und die geringe Schußpraxis des Angeklagten, vor allem aber der Umstand, daß aus der Hüfte geschossen wurde, setzten allerdings die Trefferwahrscheinlichkeit herab (UA S. 28). Nach den Urteilsausführungen haben sich die Angeklagten zu keinem Zeitpunkt darauf berufen, sie hätten absichtlich daneben geschossen oder erwartet, daß sie den Schwimmer nicht treffen würden (UA S. 29); vielmehr haben die Angeklagten bei ihrer polizeilichen Vernehmung im Jahre 1991 erklärt, sie hätten sich an die Befehlslage gebunden gefühlt und gemeint, sie müßten den Grenzdurchbruch auch unter Einsatz der Schußwaffe verhindern (UA S. 29). Wenn der Tatrichter hiernach aus den äußeren Umständen und dem Aussageverhalten des Beschwerdeführers den Beschluß gezogen hat, der Tod des Schwimmers sei zwar nicht beabsichtigt, aber billigend in Kauf genommen worden, so ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit sich die Urteilsgründe auf den Bericht des früheren Regimentskommandeurs berufen, lassen sie entgegen dem Revisionsvorbringen nicht besorgen, daß der Tatrichter die allgemeine Zuverlässigkeit von Berichten militärischer Dienststellen der DDR überschätzt habe. Die Erwägung des Tatrichters, der Bericht des Regimentskommandeurs, in dem von gezieltem Feuer die Rede ist, könne nur auf Angaben der Angeklagten beruhen, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsgrundsätze. Allerdings mußte der Tatrichter in Betracht ziehen, daß die Soldaten angesichts der Befehlslage kaum eine andere Wahl gehabt haben, als ihren Vorgesetzten zu erklären, sie hätten „gezielt“ geschossen; deswegen kann aus Angaben dieser Art nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, daß tatsächlich „gezielt“ geschossen worden ist. Daß der Tatrichter dies übersehen hat, ist indessen nicht anzunehmen. Ersichtlich hat der Umstand, daß die Angeklagten in dem jetzigen Verfahren nicht behauptet haben, sie hätten absichtlich daneben geschossen, bei der Bewertung der im Jahre 1972 gemachten Angaben der Angeklagten eine maßgebende Rolle gespielt. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Zwar steht nicht fest, ob das Geschoß, das den Schwimmer getroffen hat, aus der Maschinenpistole des Beschwerdeführers oder der Waffe des Mitangeklagten abgefeuert worden ist. Das hinderte den Tatrichter aber nicht, beide Soldaten als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) des bedingt vorsätzlichen Totschlages anzusehen. Es kommt nicht darauf an, ob die beiden Soldaten vor den Schüssen miteinander gesprochen haben und wie sie sich gegenseitig einschätzten. Vielmehr genügt für die Annahme der Mittäterschaft, daß die Soldaten, wie der Tatrichter festgestellt hat, beide in der Vorstellung handelten, sie müßten den Grenzdurchbruch auch unter Einsatz der Schußwaffe verhindern, und daß keiner von ihnen bewußt daneben geschossen hat. Aus der Übereinstimmung der inneren Tatseite und aus der Gleichartigkeit der Handlungen beider Soldaten durfte der Tatrichter folgern, daß sich die Tatbeiträge arbeitsteilig ergänzen sollten. Damit waren die Voraussetzungen der Mittäterschaft gegeben; der Soldat, dessen Geschosse nicht getroffen haben, muß sich die Wirkung der von dem anderen Soldaten abgegebenen Schüsse zurechnen lassen. Nicht anders wäre die Frage der Mittäterschaft nach dem Recht der DDR (§ 22 Abs. 2 StGB-DDR) zu beurteilen gewesen. Dadurch, daß der Schwimmer von zwei Schützen beschossen wurde, erhöhte sich seine Gefährdung. Insoweit hat auch der Schütze, dessen Geschosse nicht trafen, einen Beitrag zur Tötung des Schwimmers geleistet und insofern im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 2 StGB-DDR an der Ausführung der vorsätzlichen Tat mitgewirkt (vgl. BGHSt 39, 1, 31).

2. Im Ergebnis hält auch die Annahme des Tatrichters, dem tatbestandsmäßigen Handeln des Angeklagten habe kein Rechtfertigungsgrund zur Seite gestanden, der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand.

a) Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Tatrichters, daß zur Tatzeit (1972) „im Strafrechtssystem der DDR“ keine Ansatzpunkte für die Prüfung eines Rechtfertigungsgrundes vorhanden gewesen seien (UA S. 31 f.).

Der Tatrichter geht davon aus, daß das Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der deutschen Volkspolizei vom 11. Juni 1968 (GBl. DDR I S. 232, fortan als „Volkspolizeigesetz“ zitiert) für den Schußwaffengebrauch der Grenztruppen galt; er beruft sich auf § 20 Abs. 3 dieses Gesetzes, wonach „die Angehörigen der Nationalen Volksarmee“ berechtigt waren, „in Erfüllung militärischer Wach-, Ordnungs- und Sicherungsaufgaben entsprechend den vom Minister für Nationale Verteidigung getroffenen Festlegungen die in diesem Gesetz geregelten Befugnisse wahrzunehmen“. Der Senat läßt offen, ob das Gesetz auch den Schußwaffengebrauch durch Grenztruppen an der Grenze regeln sollte oder ob in der DDR Anordnungen des Ministers für Nationale Verteidigung – wie etwa die Vorschrift „DV-30/10, Organisation und Führung der Grenzsicherung in der Grenzkompanie“ (1967; zu einer älteren Fassung vgl. BGHSt 39, 353, 366 f) und die später erlassene Anordnung DV 018/0/008 (1974) – bis zum Inkrafttreten des Grenzgesetzes vom 25. März 1982 (GBl. DDR I S. 197) als alleinige Grundlage des Schußwaffengebrauchs durch Grenztruppen verstanden worden sind. Die inzwischen allgemeinkundigen tatsächlichen Verhältnisse, die an der innerdeutsche Grenze herrschten, der Inhalt der Vergatterung und der Umstand, daß gezieltes Dauerfeuer auf unbewaffnete Flüchtlinge nicht zu Ermittlungen der DDR-Behörden gegen die Schützen, sondern zu ihrer Belobigung und Belohnung geführt hat, ergeben jedenfalls, daß die staatlichen Stellen der DDR den Schußwaffengebrauch, so wie er im vorliegenden Fall stattgefunden hat, als zulässig kennzeichnen wollten. Auch der Wortlaut der in Betracht kommenden Vorschriften ließ das Verhalten des Angeklagten nicht als Überschreitung eines Rechtfertigungsgrundes erscheinen: Nach dem Volkspolizeigesetz (§ 17 Abs. 2 Buchst. a) durfte, ebenso wie nach dem späteren Grenzgesetz (§ 27 Abs. 2), geschossen werden, um die unmittelbare Ausführung oder die Fortsetzung einer Tat zu verhindern, die sich nach den Umständen als ein Verbrechen gegen die staatliche Ordnung darstellte. Als ein Verbrechen, das sich gegen die staatliche Ordnung (§§ 212 ff StGB-DDR) richtete, kam mit Rücksicht auf die Strafdrohung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 StGB-DDR) der schwere Fall des unerlaubten Grenzübertritts in Betracht (§ 213 Abs. 2 StGB-DDR in der vor dem 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 28. Juni 1979 – GBl. DDR I S. 139 – geltenden Fassung); schwere Fälle des unerlaubten Grenzübertritts konnten auch außerhalb der in § 213 Abs. 2 StGB-DDR a.F. genannten Beispielsfälle gefunden werden (Strafrecht der DDR, Kommentar, 5. Aufl. 1987, § 213 Anm. 7). Von den erwähnten Anordnungen des Verteidigungsministers stimmt die DV 018/0/008 (Abschn. 210 II a) mit der genannten Bestimmung des Volkspolizeigesetzes überein; der Wortlaut der „DV-30/10“ deckte den Schußwaffengebrauch in einem Fall wie dem vorliegenden gleichfalls ab (Nr. 203 d – 2. Alternative; Nr. 204 – 3. Alternative; vgl. UA S. 7).

Der Senat geht hiernach davon aus, daß die in Betracht kommenden Vorschriften in der Staatspraxis der DDR zur Tatzeit in dem Sinne ausgelegt worden sind, daß das Handeln des Angeklagten gerechtfertigt sein sollte.

b) Der Senat hat indessen in seinen Entscheidungen BGHSt 39, 1, 15 ff; 39, 168, 183 ff ausgeführt: Ein der Staatspraxis entsprechender Rechtfertigungsgrund, der die (bedingt oder unbedingt) vorsätzliche Tötung von Personen deckte, die nichts weiter wollten, als unbewaffnet und ohne Gefährdung allgemein anerkannter Rechtsgüter die innerdeutsche Grenze zu überschreiten, muß bei der Rechtsanwendung unbeachtet bleiben. Denn ein solcher Rechtfertigungsgrund, der der Durchsetzung des Verbots, die Grenze unerlaubt zu überschreiten, Vorrang vor dem Lebensrecht von Menschen gibt, ist wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte unwirksam (vgl. auch das Senatsurteil vom heutigen Tage – 5 StR 98/94 -, Abschn. B I 1 a). Der Verstoß wiegt hier so schwer, daß er die allen Völkern gemeinsamen, auf Wert und Würde des Menschen bezogenen Rechtsüberzeugungen verletzt; in einem solchen Fall muß das positive Recht der Gerechtigkeit weichen. Daran hält der Senat fest. Er hat in seiner Entscheidung BGHSt 39, 1 auf die Schwierigkeit hingewiesen, die mit der Übertragung der „Radbruchschen Formel“, die bei der strafrechtlichen Beurteilung nationalsozialistischer Verbrechen entwickelt worden ist, auf Fälle der vorliegenden Art verbunden ist (BGHSt 39, 1, 16). Er hat in diesem Zusammenhang bemerkt, da heute konkretere Prüfungsmaßstäbe hingekommen seien, weil die internationalen Menschenrechtspakte, vor allem der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973, II S. 1534; GBl. DDR 1974 II S. 57 – IPbürgR -), Anhaltspunkte dafür böten, wann der Staat nach der Überzeugung der weltweiten Rechtsgemeinschaft Menschenrechte verletzt. Hierbei hat der Senat Art. 6 IPbürgR genannt, wonach niemand seines angeborenen Rechts auf Leben willkürlich beraubt werden darf (BGHSt 39, 1, 20 ff), ferner Art. 12 Abs. 2 IPbürgR, wonach es jedem freisteht, jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassen; das Recht auf Ausreise darf nach Art. 12 Abs. 3 IPbürgR nur durch Gesetz und nur zu bestimmten Zwecken, u.a. zum Schutz der öffentlichen Ordnung, eingeschränkt werden (vgl. BGHSt 39, 1, 17 ff).

aa) Die DDR hat die Ratifizierungsurkunde für den IPbürgR erst nach der hier in Rede stehenden Tatzeit, nämlich am 8. November 1973 hinterlegt (GBl. DDR 1974 II S. 57); der Pakt ist, auch mit Wirkung für die beiden deutschen Staaten, am 23. März 1976 in Kraft getreten (BGBl. II S. 1068; GBl. DDR II S. 108). Die DDR war demnach im Februar 1972, als der Angeklagte die Schüsse abgab, nicht an den IPbürgR gebunden, während die Entscheidungen BGHSt 39, 1; 39, 168 Vorgänge betrafen, die sich 1984 und 1989, also nach dem Inkrafttreten des IPbürgR, ereignet hatten.

Aus diesem Unterschied ergibt sich aber nicht, daß die Rechtsauffassung des Senats zur Unwirksamkeit grob ungerechter und menschenrechtswidriger Rechtfertigungsgründe unanwendbar wäre.

bb) Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der seit 1966 zur Unterzeichnung auflag (Art. 48), hat seine Grundlage in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948; deutsche Übersetzung bei Satorius II Nr. 19). Nach Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jeder Mensch das Recht auf Leben; in Art. 13 Nr. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen …“ Nach Art. 29 Nr. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist der Mensch „in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte der Freiheiten anderer zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen“. Hiernach stimmen die Gewährleistungstatbestände der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte im Hinblick auf das Recht auf Leben und freie Ausreise überein; weniger präzise als im IPbürgR formuliert sind allerdings die Schranken der Menschenrechte (Art. 29 Nr. 2 der Allgemeinen Erklärung).

(1) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte dient dazu, die Bezugnahme der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (BGBl. 1973 II S. 431; 1974 II S. 770) auf die Menschenrechte zu konkretisieren (Buergenthal/Doehring/Kokott/Maier, Grundzüge des Völkerrechts, 1988, S. 111).

Hinweise auf die Menschenrechte finden sich in Art. 1 Nr. 3, Art. 13 Abs. 1 Buchst. b, Art. 55, 62, 68 der Charta. Nach Art. 56 der Charta sind alle Mitgliedstaaten verpflichtet, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen die in Art. 55 der Charta genannten Ziele, zu denen die Verwirklichung der Menschenrechte (Art. 55 Buchst. c) gehört, anzustreben. In der Beschlußpraxis der Generalversammlung der Vereinten Nationen und ihrer Untergliederungen ist demgemäß seit Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wiederholt und in vielfältiger Form auf diese Erklärung hingewiesen worden.

(2) Allerdings ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 kein Vertragsrecht. In diesem Sinne hieß es 1973 in der Denkschrift der Bundesregierung zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (BT-Drucks. 7/660 S. 27), daß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zwar grundsätzlich bedeutend, jedoch nicht formell rechtsverbindlich sei (vgl. auch BVerfGE 41, 88, 106).

Ob die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als bloß programmatische Grundsatzerklärung aufgefaßt werden darf (BVerwGE 3, 171, 175; 5, 153, 160; K. Ipsen, Völkerrecht 3. Aufl. 1990 § 7 Rdn. 11), mag dahinstehen. Jedenfalls ist ihr von vornherein der Zweck beigemessen worden, die Praxis der Vereinten Nationen sowie die Rechtsentwicklung in den Mitgliedsstaaten und darüber hinaus in allen Staaten der Welt zu beeinflussen, und zwar in dem Sinne, daß sie überall als Maßstab für die Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte verstanden werden soll (vgl. Partsch in Simma, Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, 1991 Art. 55 Rdn. 23 ff; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 822 f: Henkin in: Henkin [Hrsg.], The International Bill of Rights, New York 1981, S. 1, 8 f; T. Meron, Human Rights and Humanitarian Norms as Customary Law, Oxford 1989, S. 82 ff mwN). Zur Zeit der hier abgeurteilten Tat lag bereits die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahre 1970 in der Sache Barcelona Traction Light and Power vor, in der die „basic rights of the human person“ als Rechtsgüter bezeichnet wurden, die mit Wirkung gegen jedermann, auch gegen den Staat, zu schützen seien (ICJ Reports 1970, 3, 32 f); der Internationale Gerichtshof hat in einer späteren Entscheidung aus dem Jahre 1980 (Teheraner Botschaftsfall) ausdrücklich auf die Rechte und Freiheiten Bezug genommen, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt sind (ICJ Reports 1980, 3, 42; vgl. hierzu auch Frowein in: Völkerrecht als Rechtsordnung, Festschrift für Hermann Mosler, 1983, S. 241 ff; Dinstein, Archiv des Völkerrechts 30, 1992, S. 16 ff und Hobe/Tietje, Archiv des Völkerrechts 32, 1994, S. 130, 139).

In der Literatur mehren sich die Stimmen, die der Erklärung eine Bindungswirkung für alle Mitgliedsstaaten oder überhaupt für alle Staaten beimessen (Verdross/Simma aaO S. 822 f; Meron aaO S. 81 ff m.w.Nachw.; Lillich in T. Meron [Hrsg.], Human Rights in International Law, Oxford 1984, S. 115 f).

Fundamentale Menschenrechte im Sinne der UN-Charta werden zum Teil als ius cogens im Sinne des Art. 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 II S. 927) verstanden (Frowein EPIL, Lieferung 7 [1984] S. 327, 329; Hobe/Tietje aaO; vgl. auch Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 284 ff; abweichend Klenner, Marxismus und Menschenrechte, 1982, S. 191, 193); andere Autoren sprechen von Völkergewohnheitsrecht (Pechota in: Henkin [Hrsg.] aaO, S. 32, 38, 408; T. Meron, Human Rights and Humanitarian Norms as Customary Law, Oxford 1989, S. 79 ff, 246 ff m.w.Nachw.). Der Senat braucht diesen Zuordnungen nicht nachzugehen. Auch wenn die Bindungswirkung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im allgemeinen wie auch im Hinblick auf die einzelnen Menschenrechte nicht voll geklärt ist, so kommt doch der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte jedenfalls insofern ein hohes Maß an rechtlicher Bedeutung zu, als sie den Willen der Völkerrechtsgemeinschaft, Menschenrechte zu verwirklichen, und den ungefähren Inhalt dieser Menschenrechte zum Ausdruck bringt. In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht auf die Allgemeine Erklärung Bezug genommen (BVerfGE 31, 58, 68). Angesichts der Exaktheit, mit der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte das fundamentale Recht auf Leben und das Recht auf freie Ausreise definiert hat, kann die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, nicht anders als der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, als eine Konkretisierung dessen aufgefaßt werden, was als die allen Völkern gemeinsame, auf Wert und Würde des Menschen bezogene Rechtsüberzeugung verstanden wird (BGHSt 39, 1, 15 f).

(3) Daß die DDR erst im Jahre 1973, also nach der hier abgeurteilten Tat, Mitglied der Vereinten Nationen geworden ist, lag, ebenso wie im Falle der Bundesrepublik Deutschland, an den besonderen Problemen, die mit der Teilung Deutschlands verbunden waren. Die DDR hat stets erklärt, sie identifiziere sich mit den Zielsetzungen der Vereinten Nationen (vgl. z.B. die im Gesetzblatt der DDR angedruckte ausführliche Erklärung des Staatsrats vom 29. April 1970, GBl. DDR I S. 63). Der Staatsrat der DDR hat am 28. Februar 1966 einen Antrag auf Aufnahme der DDR in die Vereinten Nationen gestellt (Dokumente zur Außenpolitik der DDR 1966 – Bd. XIV/1 – S. 639) und am 20. September 1968 die Bereitschaft der DDR erklärt, den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen beizutreten, deren Verwirklichung durch die Rechtsordnung der DDR in umfassender Weise garantiert werde (Dokumente zur Außenpolitik der DDR, 1969 – Bd. XVI/1 – S. 459). In der Literatur der DDR ist frühzeitig ausgeführt worden, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte stehe mit der sozialistischen Grundrechtslehre weitgehend in Einklang (Poppe, Menschenrechte – eine Klassenfrage, 1971, S. 127; Poppe NJ 1968, 161 ff; vgl. auch Graefrath, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, 1956, S. 67, 71, 73, 83 f). Nachdem die DDR den Vereinten Nationen beigetreten war, ist behauptet worden, daß die Menschenrechtspraxis in der DDR mit der Menschenrechtspraxis der Vereinten Nationen übereinstimme (vgl. Graefrath NJ 1973, 683, 688; 1978, 329). Der Senat übersieht nicht, daß mit solchen Äußerungen aus der DDR stets der Zusatz verbunden war, zwischen dem westlichen Verständnis der Menschenrechte und der Menschenrechtstheorie und -praxis der sozialistischen Staaten beständen erhebliche Unterschiede, die sich insbesondere aus der Betonung der sozialen Grundrechte durch das sozialistische Rechtsverständnis ergäben (Graefrath aaO; vgl. auch Klenner in: Dimensionen des Rechts, Gedächtnisschrift für Rene Marcic, 1974, S. 793 ff). Auch äußerten die unter dem Einfluß der Sowjetunion stehenden Staaten die Besorgnis, die Betonung der Menschenrechte könne entgegen Art. 2 Abs. 7 der Charta der Vereinten Nationen zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten führen (zusammenfassend Graefrath, Menschenrechte und internationale Kooperation, 1988, S. 15 ff, 29 ff, 46 ff). Gleichwohl entnimmt der Senat den Äußerungen aus der DDR zur Frage der Menschenrechte die Aussage, der Mensch habe Lebens- und Freiheitsrechte, die der Staat zu achten habe und über die er nicht schrankenlos verfügen dürfe (vgl. auch Art. 30 der DDR-Verfassung). Dem entspricht es, daß nach Art. 91 der DDR-Verfassung die „allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts über die Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen“ unmittelbar geltendes Recht sein sollten (vgl. auch das von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR herausgegebene Lehrbuch „Völkerrecht“, 2. Aufl., 1981, Bd. 1, S. 244 ff).

cc) Der Senat wendet nach allem die in den Entscheidungen BGHSt 39, 1, 15 ff; 168, 183 f dargelegten Grundsätze über die Unbeachtlichkeit von Rechtfertigungsgründen auch auf die Beurteilung der vorliegenden Tat an, die begangen worden ist, bevor sich die DDR zur Einhaltung des IPbürgR verpflichtet hatte.

c) Der Senat hat in seinen Urteilen BGHSt 39, 1, 23 ff und 39, 168, 184 f ferner ausgeführt, daß die nach dem Recht der DDR zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden es ermöglicht hätten, den Rechtfertigungsgrund so auszulegen, daß Menschenrechtsverletzungen vermieden wurden. Der Senat hat insbesondere darauf hingewiesen, daß im Recht der DDR (z. B. in Art. 30 Abs. 2 Satz 2 der DDR-Verfassung) Ansatzpunkte für eine Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes enthalten sind; der Rechtfertigungsgrund hätte in der Weise einschränkend ausgelegt werden können, daß der Tod eines Menschen nicht durch das staatliche Interesse aufgewogen werde, das unerlaubte Überschreiten der innerdeutschen Grenze zu verhindern. Daran hält der Senat auch in der vorliegenden Sache fest; Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wie sie der Senat früher in § 26 Abs. 2 und § 27 Abs. 1 des Grenzgesetzes von 1982 gefunden hatte (BGHSt 39, 1, 23 ff), waren zur Zeit der hier in Rede stehenden Tat in § 16 Abs. 2 und § 17 Abs. 1, 4 des Volkspolizeigesetzes enthalten. In seiner Forderung, bei der Beurteilung des Grenzsoldaten nicht die der damaligen Staatspraxis entsprechende, sondern eine an den Menschenrechten orientierte Auslegung des Rechtfertigungsgrundes zugrunde zu legen, hat der Senat seinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG gesehen (BGHSt 39, 1, 26 ff; 39, 168, 185). Er hat hinzugefügt, daß im übrigen im Ergebnis nichts anderes gelten könnte, wenn ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund, der gleich gewichtigen Einwendungen ausgesetzt ist, überhaupt keiner Auslegung zugänglich wäre, die sich an den Menschenrechten orientiert (BGHSt 39, 1, 30). Der Senat hält an seiner Auffassung fest, und zwar auch unter Berücksichtigung der auf Art. 103 Abs. 2 bezogenen kritischen Stellungnahmen im Schrifttum, die seit seiner Entscheidung BGHSt 39, 168 veröffentlicht worden sind (u.a. Jakobs GA 1994, 1; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Lieferung 30 [1992], Art. 103 Abs. II, Rdn. 255; vgl. auch Alexy, Mauerschützen: Zum Verhältnis von Recht, Moral und Strafbarkeit, 1993).

d) Im Ergebnis hat der Tatrichter hiernach zutreffend angenommen, daß das Verhalten der Angeklagten nicht gerechtfertigt war, weil der vom DDR-Recht zur Verfügung gestellte Rechtfertigungsgrund einschränkend, nämlich menschenrechtsfreundlich, ausgelegt werden mußte und deswegen die Tötung des unbewaffneten Flüchtlings, der lediglich von einem Teil Berlins in den anderen schwimmen wollte, rechtswidrig war.

3. Die sachlichrechtliche Nachprüfung ergibt auch keinen Rechtsfehler insoweit, als der Tatrichter schuldhaftes Handeln der Angeklagten angenommen hat. Der Tatrichter hat ohne Rechtsverstoß ausgeführt, der Befehl, Grenzverletzer, soweit notwendig, zu „vernichten“, habe im Sinne des § 5 WStG und des § 258 Abs. 1 StGB-DDR gegen das Strafrecht verstoßen. Er hat nicht angenommen, daß der Beschwerdeführer diesen Verstoß erkannt hat; er ist jedoch der Auffassung, daß im vorliegenden Fall der Strafrechtsverstoß im Sinne des § 5 Abs. 1 WStG und des § 258 Abs. 1 StGB-DDR offensichtlich gewesen ist. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Hierzu verweist der Senat auf seine Ausführungen in BGHSt 39, 1, 32 ff; 39, 168, 189 f. Der Umstand, daß zur Tatzeit der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte noch nicht in Kraft getreten war, gab dem Tatrichter keinen Anlaß, die Frage der Offensichtlichkeit anders zu bewerten. Ersichtlich waren weder der Beitritt der DDR zum IPbürgR noch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Gegenstand der Unterrichtung von Grenzsoldaten der DDR. Entscheidend ist, daß „die Tötung eines unbewaffneten Flüchtlings durch Dauerfeuer unter den gegebenen Umständen ein derart schreckliches und jeder vernünftigen Rechtfertigung entzogenes Tun war, daß der Verstoß gegen das elementare Tötungsverbot auch für einen indoktrinierten Menschen ohne weiteres einsichtig, also offensichtlich war“ (BGHSt 39, 1, 34; 168, 190).

Die Urteilsausführungen zur Schuld des Angeklagten halten auch insoweit der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand, als der Tatrichter das Vorliegen eines entschuldigenden Notstandes sowie eines unvermeidbaren Verbotsirrtums verneint hat (UA S. 35, 36). Die Ausführungen zum Verbotsirrtum und seiner Vermeidbarkeit stehen im Einklang mit den Gesichtspunkten, die der Senat in seiner Entscheidung BGHSt 39, 168, 190 ff dargelegt hat.

4. Schließlich weist auch die Strafbemessung keinen Rechtsfehler auf. Die Bemessung der Freiheitsstrafe und ihre Auseinandersetzung steht im Einklang mit den Erwägungen des Senats in gleichgelagerten Fällen (vgl. BGHSt 39, 1, 35 f; 39, 168, 193; Senatsurteil vom 19. April 1994 – 5 StR 204/93 -, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*