Das „vernünftige und unvernünftige Töten“ von männlichen Küken.

Das wirtschaftliche Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteten Hennen ist für sich genommen kein vernünftiger Grund i.S.v. § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes (TierschG) für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien. Da voraussichtlich in Kürze Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung stehen werden, beruht eine Fortsetzung der bisherigen Praxis bis dahin aber noch auf einem vernünftigen Grund. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Küken-Töten bleibt übergangsweise erlaubt

Wegen der unwirtschaftlichen Aufzucht werden bisher jährlich Millionen männlicher Küken geschreddert oder vergast. Das Land Nordrhein-Westfalen hatte das Kükentöten 2013 per Erlass stoppen wollen. Zwei Brütereien aus NRW klagten dagegen.Nun hat das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil gefällt: Das Töten männlicher Küken bleibt erlaubt – vorerst.Weiter Infos: bit.ly/Artikel_Küken

Publiée par PHOENIX sur Jeudi 13 juin 2019

Der Kläger betreibt eine Brüterei. Die dort ausgebrüteten Eier stammen aus Zuchtlinien, die auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet sind. Für die Mast sind Tiere aus diesen Zuchtlinien wenig geeignet. Deshalb werden die männlichen Küken kurz nach dem Schlüpfen getötet. Das betraf in Deutschland im Jahr 2012 etwa 45 Millionen Küken. Der Beklagte untersagte dem Kläger mit Verfügung vom 18. Dezember 2013 ab dem 1. Januar 2015 die Tötung von männlichen Küken. Er folgte damit einem an alle Kreisordnungsbehörden des Landes gerichteten Erlass, der auf das zuständige Landesministerium zurückging.

Das Verwaltungsgericht Minden hat die Untersagungsverfügung aufgehoben, das Oberverwaltungsgericht Münster die Berufung des Beklagten zurückgewiesen: Die Tötung der männlichen Küken erfolge nicht ohne vernünftigen Grund i.S.v. § 1 Satz 2 TierSchG.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung nur im Ergebnis bestätigt. Gemäß § 1 Satz 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Das Tierschutzgesetz schützt – anders als die Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin. Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten. Anders als Schlachttiere werden die männlichen Küken zum frühestmöglichen Zeitpunkt getötet. Ihre „Nutzlosigkeit“ steht von vornherein fest. Zweck der Erzeugung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Küken aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung ist allein die Aufzucht von Legehennen. Dem Leben eines männlichen Kükens wird damit jeder Eigenwert abgesprochen. Das ist nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes, für einen Ausgleich zwischen dem Tierschutz und menschlichen Nutzungsinteressen zu sorgen.

Die bisherige Praxis wurde allerdings – ausgehend von einer damaligen Vorstellungen entsprechenden geringeren Gewichtung des Tierschutzes – jahrzehntelang hingenommen. Vor diesem Hintergrund kann von den Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden. Bereits imZeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts war absehbar, dass in näherer Zukunft eine Geschlechtsbestimmung im Ei möglich sein würde. Die weitere Entwicklung hat diese Einschätzung bestätigt. Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.

BVerwG 3 C 28.16 – Urteil vom 13. Juni 2019

BVerwG 3 C 29.16 – Urteil vom 13. Juni 2019

Landwirtschaftsministerin Klöckner meldet sich aus China zum heutigen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Kükentöten.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner: „Meine Position zum Kükentöten ist schon lange klar: Ethisch ist es nicht vertretbar, diese Praxis muss so schnell wie möglich beendet werden. Mit insgesamt über acht Millionen Euro fördere ich mit meinem Ministerium daher mehrere Verfahren und Initiativen, die das zukünftig überflüssig machen. Dazu zählt die Aufzucht und Haltung männlicher Küken aus Legelinien, so genannte ‚Bruderhähne‘ oder ‚Zweinutzungshühner‘, die wir voranbringen. Sie sind auf dem Markt, der Verbraucher hat bereits heute die Wahl.

Ein Durchbruch ist vergangenes Jahr zudem mit einem Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Brut-Ei gelungen – weibliche Küken werden hier ausgebrütet, männliche nicht. Mit fünf Millionen Euro haben wir die Entwicklung gefördert, in der Praxis kommt es bereits zur Anwendung. Es ist auf dem Weg zur Serienreife, wird den Brütereien bald flächendeckend zur Verfügung stehen.

Alternativen stehen also zur Verfügung. Sie müssen aber auch rasch angewendet werden, um das Kükentöten schnellstmöglich zu beenden. Verbände und Unternehmen nehme ich hier in die Pflicht, habe die klare Erwartungen an sie, tätig zu werden. Mit Vertretern der Wissenschaft werde ich sie daher zeitnah an einen runden Tisch zusammenholen.

Miteinbezogen werden müssen aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit ihrer Kaufentscheidung haben sie es letztlich mit in der Hand, ob sich innovative Verfahren durchsetzen oder immer mehr Eier importiert werden.“

Weitere Statements zur Kükenschredderei.

Bundesverwaltungsgericht zum Kükenschreddern – Armutszeugnis für Landwirtschaftsministerium.

Die SPD-Bundestagsfraktion hält nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur vorübergehenden Fortsetzung des Kükenschredderns den Druck auf das Bundeslandwirtschaftsministerium aufrecht.

Rainer Spiering, agrarpolitischer Sprecher, und Susanne Mittag, zuständige Berichterstatterin erklärten:

„Die Frage, die das Gericht zu klären hatte, war im Grunde, ob es bereits praxistaugliche Alternativen zur Kükentötung gibt. Offenbar sah das Gericht den aktuellen Stand als noch nicht ausreichend an, auch wenn es in näherer Zukunft damit rechnet, dass eine Geschlechtsbestimmung im Ei möglich sein wird. Das ist ein Armutszeugnis für die bisherigen Bemühungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums, entsprechende Verfahren auf den Weg zu bringen, zumal selbstgesetzte Fristen immer wieder verschoben wurden.

Es ist endlich an der Zeit, dass dieser langanhaltende Tierschutzverstoß der Vergangenheit angehören soll, zumal dies sowohl im Koalitionsvertrag als auch in einem ergänzenden Entschließungsantrag seitens der SPD gefordert und vereinbart wurde.

Die SPD-Bundestagsfraktion ist nicht bereit, eine erneute zeitliche Verschiebung zu dulden, nur weil Brütereien sich nicht schnell genug auf ein Ende des Kükenschredderns eingestellt haben. Wir brauchen einen konkreten Zeitpunkt und Vorgaben von der Bundeslandwirtschaftsministerin, wie genau der Umstellungsprozess gestaltet werden soll. Nur so können sich große und kleine Brütereien darauf einstellen. Die Technik sowie alternative Haltungsmethoden gibt es bereits. Sie müssen nun auch genutzt werden.“

Urteil zum Kükentöten – Gesetzgeber ist gefordert.

„Wenn für ein paar Cent Ersparnis männliche Eintagsküken weiter legal getötet werden dürfen, müssen Gesetze entsprechend geändert werden“, erklärte Kirstin Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Fraktion der Linksfraktion im Bundestag, zum aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kükentöten.

Tackmann weiter:

„Sonst bleibt das Staatsziel Tierschutz eine leere Hülle. Und das obwohl mit ‚Zweinutzungsrassen‘ oder ‚Bruderhahninitiativen‘ Alternativen zum Kükenschreddern längst verfügbar sind. Die von Agrarministerin Klöckner favorisierte Selektion der männlichen Küken im Ei ist eine teure technologische Scheinlösung, die den Kern des Problems verkennt.“

„Männliche Küken sind kein Abfallprodukt“.  
 
Christian Hierneis: „Kükenschreddern und fehlgeleiteten Zuchtwahn beenden.“    
 
München (13.6.19/lmo). „Für uns Grüne ist das Töten von männlichen Küken in jeder Beziehung falsch“, erklärt der tierschutzpolitische Sprecher der Landtags-Grünen im Bayerischen Landtag, Christian Hierneis, zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass männliche Küken in der deutschen Geflügelwirtschaft weiter kurz nach der Geburt getötet werden dürfen – wenn auch nur noch übergangsweise bis das Verfahren zur Geschlechtsbestimmung der Tiere im Ei vorliegt. „Die Forschung muss hier einen Zahn zulegen – wir reden hier von unsäglichem und unerträglichem Tierleid, dass sofort beendet werden muss.“

Jedes Jahr werden laut Bundeslandwirtschaftsministerium 50 Millionen männlicher Küken getötet, weil sie keine Eier legen können und auch aufgrund der Zuchtlinie nicht genügend Fleisch ansetzen können, um irgendwann gegessen zu werden. Christian Hierneis: „Das Schreddern von erst knapp davor geborenen Lebewesen ist das Ergebnis eines fehlgeleiteten Zuchtwahns.“

Christian Hierneis fordert, dass Töten männlicher Küken zu stoppen und die Entwicklung von Hühnerrassen zu unterstützen, die gleichzeitig Eier legen und Fleisch ansetzen können. Zudem muss Forschung zur Früherkennung des Geschlechts im Ei schnellstmöglich einsetzbar werden. „Männliche Küken sind kein Abfallprodukt.“

„Wir brauchen zügig Alternativen zum Kükentöten.“

Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, erklärte:

„Wir begrüßen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das die Notwendigkeit bekräftigt, aus der Praxis des Tötens männlicher Küken auszusteigen. Die Erwartungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und auch der deutlichen Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sind in dieser Frage eindeutig und unmissverständlich. Das routinemäßige Töten von Eintagsküken muss so schnell wie möglich beendet werden.

Die vom Bundesverwaltungsgericht eingeräumte Übergangszeit gilt es jetzt zu nutzen. Wir brauchen in ganz Deutschland zügig zuverlässige und flächendeckende Alternativen zum Kükentöten, die von den Brütereien konsequent eingesetzt werden können. Dabei hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner unsere Unterstützung. Die Verfahren zur Geschlechtserkennung, die maßgeblich von Wissenschaftlern in Deutschland entwickelt und die mit Bundesmitteln gefördert worden sind, müssen jetzt rasch allen Brütereien zur Verfügung stehen. Gleichzeitig fordern wir die Handelsunternehmen auf, die Brütereien in Deutschland bei der Umstellung vollumfänglich zu unterstützen.“

Otte-Kinast: „Das Kükentöten so schnell wie möglich beenden!“
Hannover/Leipzig. Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast erklärte: „Für mich steht schon lange fest: Der Ausstieg aus dem Töten männlicher Eintagsküken der Legelinien muss mit Nachdruck vorangetrieben werden. Das Kükentöten muss so schnell wie möglich beendet werden! Nun erwarte ich von der Geflügelwirtschaft, dass sie ihre Anstrengungen zur Erreichung der Praxistauglichkeit der Geschlechtsbestimmung im Ei nochmals deutlich erhöht.“ Ministerin Otte-Kinast wird Vertreter der niedersächsischen Brütereien, der Wissenschaft und der Bruderhahn-Initiative kurzfristig zu einem Gespräch ins Ministerium einladen. Niedersachsen sieht im Töten von männlichen Eintagsküken aus ökonomischen Gründen keine Rechtfertigung und hat daher bereits 2011 per Erlass vorgegeben, dass für eine Übergangszeit, das heißt, bis zum Vorliegen einer tatsächlich praktikablen Lösung, das Töten der männlichen Eintagsküken aus Legelinien nur dann toleriert wird, wenn die Küken als ganze Tiere nach vorheriger tierschutzgerechter Betäubung (z.B. durch ein Kohlendioxid-Sauerstoff-Gemisch) in Zoos, Falknereien etc. als Ersatz für andere Futtertiere (z.B. Mäuse) verwertet werden. Tiere dürfen also in Niedersachsen seit dem Jahr 2011 nicht getötet werden, um sie dann etwa in einer Tierkörperbeseitigungsanstalt zu entsorgen. Die Entwicklung der Verfahren zur Geschlechtsdifferenzierung im Ei begleitet Niedersachsen intensiv und steht mit der Wissenschaft ebenso in engem Kontakt wie mit den Brütereien. Auch wenn der ursprünglich angepeilte Ausstieg bis Ende 2018 nicht realisierbar war, weil sich bei der Umsetzung in die Praxis noch unerwartete Schwierigkeiten ergeben haben, sind inzwischen verschiedene Verfahren über das Versuchsstadium hinaus zur Marktreife herangewachsen und eine Einführung in den Betrieben in der Fläche steht hoffentlich bald bevor. Niedersachsen hält das sogenannte spektroskopische Verfahren, mit dem bereits wenige Tage nach der Befruchtung des Eies die Geschlechtsbestimmung erfolgen kann, für den aus Tierschutzsicht sinnvollen Weg. Das sogenannte endokrinologische Verfahren, das frühestens neun Tage nach der Befruchtung eingesetzt werden kann, greift hingegen zu spät ein und wird von Tierschutzexperten daher abgelehnt. Außerdem unterstützt Niedersachsen seit Jahren Forschungsarbeiten mit dem Ziel, das Töten männlicher Küken zu vermeiden, beispielsweise zur Entwicklung von Mehrnutzungshühner und zur Mast von männlichen Küken aus Legelinien. Ob eine Anpassung des derzeitigen Erlasses erforderlich ist, wird nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung geprüft.

Der Hintergrund:
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat darüber verhandelt, ob das Vergasen männlicher Küken mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist. Konkret ging es um die Klagen von zwei Brütereien aus Nordrhein-Westfalen. Dort hatte das Land die Praxis 2013 per Erlass stoppen wollen mit der Begründung, sie verstoße gegen das im Tierschutzgesetz verankerte Verbot, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Die Brutbetriebe aus dem Kreisen Gütersloh und Paderborn klagten dagegen – und bekamen in den Vorinstanzen Recht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*