„DeCix – Geheimdienstliche Massenüberwachung bleibt rechtsstaatlich höchst problematisch“.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat in erster und letzter Instanz auf die Klage einer Internetknotenpunkt-Betreiberin (DE-CIX) entschieden, dass das Bundesministerium des Innern (BMI) sie verpflichten kann, bei der Durchführung strategischer Fernmeldeüberwachungsmaßnahmen durch den Bundesnachrichtendienst (BND) mitzuwirken.

Nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10-Gesetz) ist der BND im Rahmen seiner Aufgaben berechtigt, auf Anordnung des BMI internationale Telekommunikationsbeziehungen, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt, zu überwachen und aufzuzeichnen. Das BMI legt auf Antrag des BND in der Beschränkungsanordnung die für die Überwachung in Betracht kommenden Übertragungswege sowie den höchst zulässigen Anteil der zu überwachenden Übertragungskapazität fest. Für die Durchführung der Überwachungsmaßnahme kann das BMI nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Art. 10-Gesetz geschäftsmäßige Erbringer von Telekommunikationsdiensten durch Anordnung zur Ermöglichung der Überwachung verpflichten. Ob und in welchem Umfang das verpflichtete Unternehmen Vorkehrungen zu treffen hat, richtet sich letztlich nach § 27 Abs. 2 der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV). Danach hat der Verpflichtete dem BND an einem Übergabepunkt im Inland eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen, die über die in der Anordnung bezeichneten Übertragungswege übertragen wird. Auf der Grundlage der Beschränkungsanordnung wählt der BND gegenüber dem Telekommunikationsdiensteanbieter diejenigen Übertragungswege aus, die überwacht werden sollen.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass ihre Verpflichtung zur Mitwirkung an verschiedenen angeordneten Beschränkungsmaßnahmen in den Jahren 2016 und 2017 und die Auswahl der Übertragungswege durch den BND rechtswidrig sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Feststellungsbegehren als unbegründet angesehen. Prüfungsgegenstand sind lediglich die Anordnungen ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung, deren gesetzliche Grundlagen sich als Berufsausübungsregelungen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG darstellen. Demgegenüber kann die Klägerin keine gerichtliche Überprüfung auch der ihren Verpflichtungen zugrunde liegenden Beschränkungsanordnungen verlangen.

Sie kann sich nicht auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 Abs. 1 GG berufen.

Dieses Grundrecht schützt die Vertraulichkeit der Telekommunikationsverkehre. Darauf kann sich jedoch die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Vermittlerin von Telekommunikationsverkehren nicht berufen. Sie trifft keine Verantwortung oder Haftung für die Rechtmäßigkeit der Beschränkungsanordnung; diese trifft allein die beklagte Bundesrepublik Deutschland.

Die gegenüber der Klägerin ergangenen Verpflichtungsanordnungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Sie legen insbesondere in noch hinreichend bestimmter Weise die Verpflichtung zur Bereitstellung der Datenströme fest, die über die in der Beschränkungsanordnung aufgeführten Übertragungswege abgewickelt werden. Mit ihren gegen die Beschränkungsanordnung gerichteten Einwendungen kann sie die Rechtmäßigkeit der Verpflichtungsanordnung nicht in Frage stellen.

Schließlich genügen die gesetzlichen Grundlagen der Verpflichtungsanordnungen den an Berufsausübungsregelungen nach Art. 12 Abs. 1 GG zu stellenden Anforderungen.

Das Gericht hat des Weiteren festgestellt, dass der BND gegenüber der Klägerin eine Auswahl der tatsächlich zu überwachenden Übertragungswege im Rahmen der durch die Beschränkungsanordnung gesetzten Vorgaben verbindlich treffen kann.

BVerwG 6 A 3.16 – Urteil vom 30. Mai 2018

DeCix – Geheimdienstliche Massenüberwachung bleibt rechtsstaatlich höchst problematisch.

Zur gestrigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur verpflichtenden Ausleitung von Kommunikation am Internetknotenpunkt DeCix an den Bundesnachrichtendienst (BND) erklärt Dr. Konstantin von Notz, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag:

„Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bedauern wir sehr. Gleichzeitig möchten wir uns bei den Klägern ausdrücklich bedanken.

Die vollumfängliche Telekommunikationsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) am größten Internetknotenpunkt der Welt ist und bleibt rechtsstaatlich höchst problematisch.

Der „fulltake“, das heißt die Ausleitung sämtlicher Kommunikation ohne Unterscheidung von Sender und Empfänger, die an allen Knotenpunkten dieser Welt stattfindet, bedeutet nichts anderes als eine weltweite, anlasslose Massenüberwachung. Der mit ihr verbundene, totalitäre Anspruch und der Generalverdacht gegenüber allem und jedem sind dem Rechtsstaat unbekannt und lassen die Grenze zwischen Demokratien und autoritären und totalitären Staaten zunehmend verschwimmen.

Der sicherheitspolitische Nutzen bleibt bestenfalls vage. Den Rechtsstaat konstituierende Grundsätze wie die Unschuldsvermutung laufen jedoch de facto ins Leere. Auch der Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Richterinnen und Richter, Journalistinnen und Journalisten, Anwältinnen und Anwälten sowie in der Seelsorge Tätigen ist nicht mehr gewährleistet.

Diesen höchst fragwürdigen Entwicklungen werden wir uns auch weiterhin mit aller Kraft und allen uns zur Verfügung stehenden parlamentarischen und juristischen Mitteln entgegenstellen. Wir werden auch weiterhin unseren Teil dazu leisten, die weltweite geheimdienstliche Überwachung privater Kommunikation von Milliarden von Menschen gesetzlich einzuschränken und die Rechte der Betroffenen sowie die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste weiter zu stärken.“

BVerwG-Urteil zur BND-Internetüberwachung ist vertane Chance.

„Erneut hat sich ein Höchstgericht verweigert, die ‚heiße Kartoffel‘ der massenhaften Überwachung des Internetverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND) anzufassen und in der Sache zu entscheiden“, erklärt André Hahn, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste, zum gestrigen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig.

Hahn weiter:

„Mit der Erklärung, DE-CIX als Betreiber des weltweit größten Internetknotens in Frankfurt am Main könne sich nicht auf das grundgesetzlich geschützte Fernmeldegeheimnis berufen, da er lediglich Vermittler von Telekommunikation sei, hat das Gericht den denkbar einfachsten Ausweg gewählt und die Klage aus eher formalen Gründen abgewiesen. Eine Entscheidung in der Sache ist aber dringend erforderlich. Die Überwachungspraxis des BND in Frankfurt, der auch grundgesetzlich geschützte rein innerdeutsche Verkehre unterliegen, war erstmals im Rahmen des BND/NSA-Untersuchungsausschusses bekannt geworden. Seitdem hält diese verfassungswidrige Praxis an, und es wurden alle Klagen dagegen zurückgewiesen. Das gestrige Urteil war somit eine erneute vertane Chance. Es ist zu wünschen, dass die Richter am Bundesverfassungsgericht, dem die Angelegenheit jetzt wohl vorgelegt wird, mehr Traute haben und dem BND klare Grenzen aufzeigen.“

 

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