„Die gesamte Gesellschaft muss Verantwortung übernehmen.“

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs veröffentlicht den Bilanzbericht ihrer ersten Laufzeit.

Berlin, 03.04.2019. Die Unabhängige Kommission sexuellen Kindesmissbrauchs veröffentlichte heute den Bilanzbericht ihrer ersten Laufzeit und informierte umfassend über ihre Arbeit der letzten drei Jahre. Der Bericht besteht aus zwei Bänden. Band I beinhaltet neben der Dokumentation der Arbeit der Kommission auch Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen. In Band II erzählen Betroffene in eigenen Worten von ihrer Vergangenheit, ihren Wünschen und Hoffnungen.

Bilanzbericht-2019_Band-I

Bilanzbericht-2019_Band_II

Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission: „Aus den Berichten der Betroffenen geht vor allem hervor, wie häufig das nahe Umfeld und die gesamte Gesellschaft versagt haben und Kinder nicht geschützt wurden. Dafür muss Verantwortung übernommen werden. Es geht darum, heute Kinder und Jugendliche zu ihren Rechten zu verhelfen und sie zu schützen. Und es geht um die Anerkennung der Rechte heute erwachsener Betroffener und um eine gute Versorgung.“

Seit Mai 2016 haben sich knapp 1700 Betroffene bei der Kommission gemeldet. Es wurden rund 900 vertrauliche Anhörungen durchgeführt und 300 schriftliche Berichte ausgewertet. Die Kommission veranstaltete drei öffentliche Hearings, in denen Betroffene vor 200 Gästen zu den Schwerpunkten Familie, DDR sowie evangelische und katholische Kirche ihre Geschichte erzählten.

Die Unabhängige Kommission zu Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs arbeitet ehrenamtlich und hat im Mai 2016 ihre Arbeit aufgenommen. Diese war vorerst auf drei Jahre begrenzt und wurde nun bis Ende 2023 verlängert. Damit hat die Kommission die Möglichkeit, sexuellen Kindesmissbrauch in weiteren Bereichen zu untersuchen. Erste Schwerpunkte der zweiten Laufzeit sind der Sport, Menschen mit Behinderung und die sogenannte Pädosexuellenbewegung. Bis zum Herbst 2019 hat die Kommission den Auftrag, Eckpunkte für eine gelingende Aufarbeitung zu erarbeiten, die Institutionen eine Orientierung geben sollen, eine Aufarbeitung bestmöglich zu beginnen und durchzuführen.

Foto: Gruppenfoto Kommission

v.l.n.r.: Prof. Dr. Heiner Keupp, Prof. Dr. Barbara Kavemann, Brigitte Tilmann, Prof. Dr. Sabine Andresen, Prof. Dr. Peer Briken, Dr. Christine Bergmann

Fotoquelle: © Anja Müller

Aufarbeitung fortsetzen, Lehren für die Zukunft ziehen.

Zur Vorlage des ersten Bilanzberichts der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs erklärt Katja Dörner, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag:

„Der heute von der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs vorgelegte Bilanzbericht belegt erneut das erschreckend große Ausmaß sexuellen Missbrauchs in unserer Gesellschaft. Er zeigt auch, dass diese wichtige Aufarbeitung noch lange nicht beendet ist. Wir begrüßen daher sehr, dass die Kommission drei Jahre arbeiten kann. Hierfür braucht sie aber auch gute Rahmenbedingungen, um gerade die institutionelle Aufarbeitung weiter voranzubringen. Eine gesetzliche Absicherung der Kommission wäre daher sinnvoll, die auch eine umfassende Akteneinsicht ermöglicht.

Dass Betroffene im Rahmen der Arbeit der Kommission Gehör finden, ist ein wichtiger und zentraler Teil der Aufarbeitung, auch um Täterstrukturen besser zu erkennen und Schutzkonzepte für Kinder und Jugendliche zu entwickeln. Der Bilanzbericht legt offen, wie schwer es für Kinder ist, mit ihren Problemen und Anliegen Gehör zu finden. Der Bericht der Kommission zeigt, wie wichtig es ist, Kindern und Jugendlichen umfangreich Rechte zu geben und Strukturen so zu gestalten, dass sie ernst genommen werden und Gehör finden. Hierzu gehört, Fachkräfte in der Kinder- und Jugendbetreuung, wie auch Lehrerinnen und Lehrer umfangreich fortzubilden.

Sexueller Missbrauch in der Kindheit hat für viele Betroffene langfristige Folgen. Diese anzuerkennen und Hilfen für Betroffene bereitzustellen, ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Die anstehende Reform des Opferentschädigungsgesetzes muss daher gewährleisten, dass Betroffene sexueller Gewalt einen Anspruch auf zeitnahe Hilfe und Unterstützung erhalten.“

Giffey dankt den Betroffenen für ihren Mut, sich an die Kommission zu wenden.

Zum heute vorgelegten Bericht der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat sich Bundesfamilienministerin Franziska Giffey wie folgt geäußert:

„Die Arbeit der Aufarbeitungskommission ist eine enorme Hilfe für die vielen Betroffenen von sexuellem Missbrauch. Und sie ist von großem Wert für unsere Gesellschaft. Denn sie hat ein stärkeres Bewusstsein geschaffen für das Ausmaß und die Folgen dieser schrecklichen Erfahrungen. Der heute vorgelegte Bericht zeigt einmal mehr: Sexualisierte Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche sind keine Einzelfälle, sondern etwas, das die gesamte Gesellschaft angeht. Ich unterstütze die Forderungen der Kommission nach besseren Schutzkonzepten,  einer noch aktiveren Aufarbeitung in Institutionen und nach einer auch öffentlichen Anerkennung des Unrechts, das Betroffenen geschehen ist. Den Mitgliedern der Kommission danke ich für ihr großes Engagement in den vergangenen drei Jahren. Es ist gut und wichtig, dass wir als Bundesregierung die Laufzeit der Unabhängigen Kommission bis 2023 verlängert haben. So können weitere Bereiche wie zum Beispiel sexualisierte Gewalt im Sport oder an Menschen mit Behinderung untersucht werden. Ganz besonders danke ich den vielen Betroffenen, die den Mut hatten, sich mit ihrer Geschichte an die Kommission zu wenden und die damit dazu beitragen, Kinder und Jugendliche heute besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen.“

Für die Bekämpfung sexuellen Missbrauchs brauchen wir das Erfahrungswissen Betroffener.

Zur Vorstellung der Bilanz der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ erklärten die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Nadine Schön, und der familienpolitische Sprecher Marcus Weinberg:

Nadine Schön:
„Der Bericht macht deutlich, wie wichtig es für die Bekämpfung sexuellen Missbrauchs ist, dass Betroffene ihr Erfahrungswissen in die Diskussion einbringen. Mit dem Erzählen ihres ganz persönlichen – oft dramatischen – Schicksals tragen sie dazu bei, dass sich etwas in unserer Gesellschaft verändert. In Familien, Institutionen und Verbänden ist sexueller Missbrauch nicht länger ein Tabuthema. Politik und Gesellschaft diskutieren gemeinsam, wie Kinder und Jugendliche in Zukunft besser vor diesen Verbrechen geschützt werden können. Auch unsere Fraktion hat von dem Erfahrungswissen Betroffener profitiert. In unserem Positionspapier ‚Sexuellen Kindesmissbrauch bekämpfen‘ legen wir dar, wie die Hilfesysteme ausgebaut und Präventionsangebote gestärkt werden müssen. Wir sind dankbar für diesen Beitrag und machen Druck, damit die Verbesserungen schnell umgesetzt werden.“

Marcus Weinberg:
„Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein Verbrechen gegenüber den Betroffenen und Gift für die Gesellschaft. Wir müssen alles dafür tun, ihn zu verhindern, den Opfern zu helfen und die Täter hart zu verfolgen. Der Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch darf keine Scheuklappen, keine Scham und kein Verdecken zulassen. Die Gesellschaft und die politischen Entscheidungsträger müssen sich unerschrocken und uneingeschränkt mit den Realitäten auseinandersetzen. Dazu trägt die Aufarbeitungskommission bei. Sie hilft, die Perspektive der Betroffenen sowie die Täterlogik besser zu verstehen. Der Kommission und den vielen Betroffenen, die an der Aufarbeitung mitwirken, danken wir für ihren wichtigen und mutigen Beitrag.“

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