TP Presseagentur dokumentiert: Die komplette „Europa-Rede“ Junckers gestern in Berlin.

„Die Welt braucht den Schulterschluss zwischen USA und Europa“

Zum Jahrestag des Mauerfalls hat Kommissionspräsident Juncker gestern eine europapolitische Grundsatzrede in Berlin gehalten. Als Symbol für die Überwindung der Spaltung Europas ist der Jahrestag des Mauerfalls ein historisches Datum für den europäischen Einigungsprozess. „Es wurde an dem Tag bewiesen, dass Menschen nicht nur Geschichte erdulden müssen, sondern dass sie selbst Geschichte machen können“, sagte Juncker vor 500 Gästen im Allianz-Forum. In seiner Europarede sprach Juncker ausführlich über seine Sicht auf den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen, die Handels-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie das soziale Europa.

Seit 2010 bietet der 9. November den höchsten Verantwortungsträgern Europas Anlass, sich über die europäische Tagespolitik hinausgehend zur Idee und Lage Europas an die europäische Öffentlichkeit zu wenden. Die Europa-Rede ist ein Kooperationsprojekt der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Stiftung Zukunft Berlin.

Juncker ging in seiner Rede zunächst auf das transatlantische Verhältnis nach den US-Präsidentschaftswahlen ein. „Unabhängig vom Wahlausgang bleibe ich strikt der Auffassung, dass wir uns sehr darum bemühen sollten, das transatlantische Verhältnis in Ordnung zu halten. Präsident hin oder her – es gibt so viele Bande zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union, dass wir nicht aus Verärgerung – wieso ärgern wir uns eigentlich, wenn ein Volk abstimmt? – jetzt unsere Beziehungen zu den USA neu sortieren müssen. Nein, wir bleiben Partner, weil die Welt braucht den engen Schulterschluss zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem europäischen Kontinent. Und deshalb bin ich sehr dafür, dass wir uns da aufeinander zubewegen. Es geht um gemeinsame Werte. Und diese gemeinsamen Werte muss man stärken. Und wenn sie in Gefahr geraten, muss man auf Augenhöhe mit denen reden, die versuchen könnten, sie in Bedrängnis zu bringen.“

Juncker mahnte aber auch mehr Selbstverantwortung der Europäer in der Sicherheitspolitik an. „Diese Vorstellung, die überall grassiert, als ob die Amerikaner bis ans Ende der Tage für die Sicherheit der Europäer sorgen, die sollte man schnellstens vergessen; unabhängig sogar vom Ausgang des amerikanischen Wahlkampfs. Aber die Amerikaner, denen wir viel verdanken, auch und vor allem in dieser Stadt und in diesem Land, die werden nicht auf Dauer für die Sicherheit der Europäer sorgen. Das müssen wir schon selbst tun, und deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf in Sachen Europäische Verteidigungsunion, bis hin zu dem langfristigen Ziel der Einrichtung einer europäischen Armee. Dies ist die Zukunftsmusik und die spielt schon, nur viele Europäer hören sie noch nicht.“

Zur Handelspolitik sagte Juncker: „Wir werden die internationalen Handelsfragen nicht aus nationaler Isolation heraus regeln können. Auch dort braucht es das kräftige Zupacken der Europäischen Union. Wer denkt denn, dass ein Mitgliedsland der Europäischen Union die Handelsbeziehungen zu China so regeln könnte, dass es im beiderseitigen Interesse wäre? Oder zu den Amerikanern, oder zu den Kanadiern. Und ich plädiere hier noch einmal dafür, dass wir diese Handelsverträge brauchen. Nicht weil ich ein begeisterter free trader wäre, das bin ich überhaupt nicht, ich bin ein kritischer Mensch im Umgang mit den kapitalgetriebenen Kräften dieser Erde. Aber wenn man über Handel redet, muss man wissen, worüber man redet. 31 Millionen Arbeitsplätze in der Europäischen Union hängen direkt vom Handel mit anderen Teilen der Welt ab. Jede Milliarde mehr Export Europas mit anderen Teilen der Welt heißt 14 000 Arbeitsplätze.“

Die komplette „Europa-Rede“ von EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker bei der Konrad Adenauer Stiftung

Europäische Kommission – Rede – [Es gilt das gesprochene Wort]

Berlin, 9. November 2016

Sehr verehrter Herr Bundestagspräsident, lieber Norbert, liebe Frau Lammert, meine Damen und Herren Abgeordnete, Minister und Botschafter, meine Damen und Herren und für viele von Ihnen liebe Freunde,

ich darf mich zuerst zum Sprecher der Bundesregierung machen. Ich hatte heute Morgen um drei Minuten vor acht – die Stimmung war nicht gut – die Bundeskanzlerin am Telefon und habe ihr mitgeteilt, dass ich heute Abend in Berlin wäre; und ich soll Sie sehr herzlich von der Bundeskanzlerin grüßen und Ihnen einen schönen Abend wünschen. Ich hoffe, dass ich das nicht unmöglich mache durch die Rede, die ich halte.

Im Handbuch für Reden steht, dass man immer sagen muss als ersten Satz, dass man froh ist da zu sein, wo man eben redet. Das mache ich auch immer und das stimmt in den seltensten Fällen. Heute Abend stimmt es aber, weil ich froh bin in Berlin zu sein – aus mehreren Gründen. Als ich zum ersten Mal in Berlin war, das war im April 1975, konnte ich nicht ohne Hindernisse zu dieser Seite der Stadt vorstoßen. Ich mag es immer in Berlin zu sein, weil ich es genieße, auf dieser Seite der Stadt sein zu dürfen, ohne dass jemand mir dumme Fragen stellt.

Und, meine Damen und Herren, ich bin froh, heute Abend hier in Berlin reden zu dürfen, weil das Kammerensemble des Europäischen Jugendorchesters hier uns musikalisch begleitet. Und ich höre dem Europäischen Jugendorchester immer gerne zu. Aber fast wäre es so gekommen, dass ich nicht mehr hätte zuhören können, weil in der Kommission ist das so, dass die Kommission circa 50 Entscheidungen am Tag trifft, von denen ich manchmal keine Ahnung habe. Aber es gibt ja Zeitungen am nächsten Morgen, um das in Erfahrungen zu bringen. Und eines Tages im Frühjahr bringe ich in Erfahrung, dass die Kommission sich anschickte, die finanzielle Unterstützung für das Europäische Jugendorchester nicht zu kürzen, sondern gänzlich abzuschaffen. Das war Zufall, dass ich das mitgekriegt habe. Und das habe ich dann verhindert. Ich war selten so stolz auf mich, wie an dem Tag. Weil ich nämlich der Auffassung bin, dass das Europäische Jugendorchester eigentlich die besten Botschafter für die Europäische Union sind. Wo immer das Europäische Jugendorchester aufspielt, wird europäische Melodie zu einem politischen Programm und umgekehrt. Und deshalb bin ich froh, dass es das Europäische Jugendorchester gibt. Mir sind junge Menschen, die muszieren, lieber als Staatsmänner, die gegeneinander intrigieren. Und deshalb bin ich froh, dass dem so ist.

Nun haben wir heute den 9. November. Dies ist ein bedeutungsschwangerer Tag in der deutschen Geschichte. Ich mag nicht jeden 9. November der deutschen Geschichte. Aber den 9. November 1989 mag ich sehr – aus zweierlei Gründen. Ich hatte einen schweren Autounfall im Oktober 1989 und war zwei Wochen im tiefsten Koma. Ich habe die Zeit übrigens genossen, weil man kriegt da weniger mit und man erlebt weniger Überraschungen. Und ich bin am 9. November abends ins Zimmer gebracht worden, als ich da wieder halbwegs bei Sinnen war, und dann hat meine Frau mir gesagt, die Berliner Mauer ist weg. Und ich habe da gesagt: „Ah ja“, und bin wieder eingeschlafen. Ich bin also nicht der Einzige der deutschen Sprache mächtige Politiker, der am Anfang die Deutsche Einheit regelrecht verpennt hat. Andere haben ein ähnliches Schicksal erlitten. Und als ich dann am anderen Tag wieder aufwachte, hat man nicht versucht wie bei ‚Good Bye, Lenin‘, mir weißzumachen, dass die Mauer noch steht. Man hat sie liegen lassen, dort wo sie lag.

Und dass diese Mauer einstürzte – sie stürzte überhaupt nicht ein, sie wurde umgeworfen – haben wir nicht den klugen Menschen im Westen zu verdanken, sondern den Menschen im Osten – überall in der DDR und auch in anderen europäischen, mitteleuropäischen Staaten. Es wurde an dem Tag bewiesen, dass Menschen nicht nur Geschichte erdulden müssen, sondern dass sie selbst Geschichte machen können. Und die Berliner haben heute vor 27 Jahren selbst Geschichte gemacht, sie selbst geschrieben und deshalb werde ich nicht aufhören, die Berliner und die Ostdeutschen auf Dauer zu bewundern. Das war ein guter Tag.

Nun soll ich über Europa reden – „Europa-Rede“ heißt ja die Veranstaltung – und das soll ich in 25 Minuten machen, hat Herr Professor Pöttering mir bedeutet. Normalerweise brauche ich 25 Minuten für das erste Drittel meiner Einführung, wenn ich eine Rede halte. Und über Europa gäbe es so viel zu sagen und es gälte so viel einzupacken, dass man da in der Kürze der Zeit fast kaum zum Thema kommt. Aber mich interessiert das Europa von heute. Ich lebe in Brüssel, ich weiß, was Brüsseler Regen ist. Wenn man Kommissionspräsident ist, steht man dauernd im Regen, wenn man in Brüssel sitzt. Aber ich würde auch gerne mal perspektivisch über Europa reden – über das Europa des Jahres 2050.

Man hatte mir eine wunderschöne Rede geschrieben. Gott sei Dank habe ich sie gestern Nacht gelesen. Ich wollte sie nicht nur vorlesen, ich wollte sie auch vorher gelesen haben. Und da entdecke ich, von Seite drei bis fünf, eine Lobhuldigung der neuen amerikanischen Präsidentin. Also das Verfallsdatum erreichte die Rede relativ schnell.

Und ich möchte in dem Zusammenhang sagen – auch dies ist ein interkontinentaler 9. November – dass unabhängig vom Wahlausgang ich strikt der Auffassung bleibe, dass wir uns sehr darum bemühen sollten, das transatlantische Verhältnis in Ordnung zu halten. Präsident hin oder her – es gibt so viele Bande zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union, dass wir nicht aus Verärgerung – wieso ärgern wir uns eigentlich, wenn ein Volk abstimmt? – jetzt unsere Beziehungen zu den USA neu sortieren müssen. Nein, wir bleiben Partner, weil die Welt braucht den engen Schulterschluss zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem europäischen Kontinent. Und deshalb bin ich sehr dafür, dass wir uns da aufeinander zubewegen. Es geht um gemeinsame Werte. Und diese gemeinsamen Werte muss man stärken. Und wenn sie in Gefahr geraten, muss man auf Augenhöhe mit denen reden, die versuchen könnten, sie in Bedrängnis zu bringen.

Wenn man sich das Europa des Jahres 2050 vorstellt, wird man sich daran erinnern müssen, dass Politik eigentlich immer ein Gemisch, eine Schnittmenge zwischen Geographie und Demographie ist. Wir werfen manchmal einen Blick auf Europa, der uns ein falsches Europabild vermittelt. Europa ist der kleinste Kontinent und wir denken wir wären die Herren der Welt. Wir sind nicht die Herren der Welt. Die Welt braucht im Übrigen keine Herren. Wann immer jemand versuchte, sich zum Herrn der Welt emporzuschwingen, ging es schief. Europa ist der kleinste Kontinent: 5,5 Million Quadratkilometer Europäische Union; Russland 17,5 Million Quadratkilometer – noch Fragen, wenn es um die Bedeutung der Europäischen Union geht? Die Geographie gibt eine erste Antwort. Europa, ist heute – die Europäische Union, eine große Handelsmacht. Wir bringen 25% der globalen Wertschöpfung auf die Waage. Im Jahre 2050 wird dem nicht mehr so sein. Dann wird der europäische Anteil an der globalen Wertschöpfung viel geringer sein. 10, 15% – to be seen.

Und Europa befindet sich eigentlich im demographischen Abschwung. Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren 20% der Erdbevölkerung 1/5 Europäer. Jetzt noch 7% bis 10%. Und im Jahre 2030 wird es noch 4% Europäer auf dann 10 Milliarden Menschen geben. Wer sich dies vor Augen hält, und an diesen Tatsachen ist nicht zu rütteln – dem wird so sein – Europa wird nicht größer, die Wirtschaft wird nicht anteilkräftiger, und die Demographie wird auch nicht so sein, dass jetzt über Nacht die kontinentale Libido Resultate zeigen würde. Wir bleiben das, was wir sind, und das ist absehbar, wie wir sein werden.

Und deshalb, wenn ich mit jungen Menschen rede – davon sind ja Gott sei Dank viele hier – dann erkläre ich Europa nicht aus der Vergangenheit heraus, obwohl dies wichtig bleibt, sondern aus der zukünftigen Perspektive heraus. Wenn wir in der Welt Einfluss haben möchten, wenn wir bestehen möchten, dann müssen die europäischen Länder engstens und enger zusammenarbeiten. Wenn ich nicht Luxemburger wäre, würde ich vor Kleinstaaterei in Europa warnen. Weil mit Kleinstaaterei und mit der Zurückdividierung in nationale Kategorien werden wir in Europa nicht weiterkommen, weil die Aufgaben vor denen die Menschheit steht, auch der europäische Teil der Menschheit, sind nur zu bewältigen, wenn wir intensivst zusammenarbeiten.

Die Flüchtlingskrise wird kein Land alleine bestehen können, auch nicht das größte Mitgliedsland der Europäischen Union. Und obwohl viele meine Einschätzungen nicht teilen, möchte ich hier sagen, dass ich Angela Merkel sehr bewundert habe während der Flüchtlingskrise. Es ist einfacher, den Populisten nachzulaufen als sich den Populisten in den Weg zu stellen, und mir ist ein deutscher Bundeskanzler lieber, der den Populisten nicht nachläuft, sondern der den Populisten dort wiederspricht, wo es um fundamentale Werte geht. Und das hat Angela Merkel getan.

Wir werden die internationalen Handelsfragen nicht aus nationaler Isolation heraus regeln können. Auch dort braucht es das kräftige Zupacken der Europäischen Union. Wer denkt denn, dass ein Mitgliedsland der Europäischen Union die Handelsbeziehungen zu China so regeln könnte, dass es im beiderseitigen Interesse wäre? Oder zu den Amerikanern, oder zu den Kanadiern. Und ich plädiere hier noch einmal dafür, dass wir diese Handelsverträge brauchen. Nicht weil ich ein begeisterter free trader wäre, das bin ich überhaupt nicht, ich bin ein kritischer Mensch im Umgang mit den kapitalgetriebenen Kräften dieser Erde. Aber wenn man über Handel redet, muss man wissen, worüber man redet. 31 Millionen Arbeitsplätze in der Europäischen Union hängen direkt vom Handel mit anderen Teilen der Welt ab. Jede Milliarde mehr Export Europas mit anderen Teilen der Welt heißt 14 000 Arbeitsplätze. Das Handelsabkommen mit Korea hat in Europa zur Schaffung von 200 000 Arbeitsplätzen geführt, und genauso wird es auch sein, wenn das Kanada-Abkommen, was schwierigst herbeizuführen war, umgesetzt wird. Wir brauchen Außenhandel, und wer denkt, Europa gewönne an Einfluss, Europa würde stärker dadurch, dass wir uns in unser Schneckenhaus zurückziehen, der irrt sich fundamental. Die europäische Zukunft hat sehr viel mit den Handelsbeziehungen zu tun, die wir mit anderen Teilen der Welt anstreben, und deshalb bin ich bei aller Vorsicht dafür, dass wir weitere Handelsabkommen mit anderen Ländern der Erde abschließen. Wir haben 140 davon und das muss weitergehen.

Alle Probleme, die mit Globalisierung und deren Folgen zusammenhängen, können wir als Nationalstaaten nicht in unserem Sinne regeln. Wir müssen dadurch, dass wir mit anderen zusammenarbeiten und dadurch, dass wir uns zusammenraufen intern, dafür sorgen, dass europäische Normen, europäische Standards zu internationalen Standards werden. Und deshalb müssen wir mit anderen zusammenarbeiten. Ich sage dies, weil ich oft lese, – mit Bitterkeit im Herzen eigentlich und mit Kopfschütteln – die Europäische Union wäre das größte Problem des europäischen Kontinents. Ich bin gegenteiliger Meinung: Die Europäische Union ist die einzige Lösung, die Europa findet, um in der Welt von morgen bestehen zu können.

Politik und Europa, das ist ein Mixtum-Kompositum aus Vernunft und Gefühl. Diejenigen, die Europa zu einem rein rationalen Vorgang erklärt haben, und die auch so sprechen – ergo von den Menschen nicht verstanden werden –, die haben das Wesentliche, das Kernelement der europäischen Einigung nicht verstanden. Und deshalb braucht es in Europa auch, und da darf man sich nicht genieren, auch Gefühl. Man muss auch mit Gefühl über Europa reden. Und man braucht sich dessen nicht zu schämen.

Ich reise gerne, nicht genug – bin gerne in Asien und in Afrika – nicht oft genug, weil ich im Brüsseler Regen stehen bleiben muss. Aber wann immer ich in Afrika bin oder in Asien, und sehe wie andere – Afrikaner, Asiaten – uns bewundernd beobachten und sagen: was ihr da in Europa zustande gebracht habt, das ist eine große Performance der europäischen Nachkriegsgeschichte. Und wenn ich dann im Brüsseler Regen wieder lande – in diesem Tal der Tränen – dann würde ich am liebsten wieder einsteigen und nach Afrika fliegen, und nach Asien fliegen, weil die, die von uns entfernt leben, sehen Europa viel besser als wir den europäischen Kontinent begreifen – wir, die wir hier leben.

Manchmal – die Geschichte ist so – kommen Vernunft und Gefühl zusammen. Schauen Sie sich einmal die Lebensgeschichte der Generation meiner Eltern an; die haben ja Europa auf den Weg gebracht – nicht wir. Wir tun so als ob die Geschichte mit uns begonnen hätte – hat sie nicht. Wir sind Erben derer, die Europa aus der Taufe gehoben haben, diese Männer und Frauen, die 1945 von den Frontabschnitten und aus den Konzentrationslagern in ihre zerstörten Städte und Dörfer zurückkehrten, die haben aus diesem ewigen Nachkriegssatz “Nie wieder Krieg“ – aus diesem Gebet ein politisches Programm gemacht, das bis heute seine Wirkung zeigt. Und ich finde es undankbar, dass viele aus meiner Generation, und aus den nachfolgenden Generationen, vergessen haben, was wir der Kriegsgeneration eigentlich verdanken. Und wir sollten uns manchmal bedanken bei unseren Eltern und Großeltern für das, was sie uns hinterlassen haben, und dafür sorgen, dass wir unseren Kindern und Enkeln ähnliches hinterlassen anstatt kaputtzumachen, was errichtet wurde. Und weil Vernunft und Gefühl sich die Hand geben müssen, muss man auch zu einer neuen Beschreibung des Zusammenwirkens auf unserem Kontinent kommen. Ich, als ich jung war, habe auch begeistert von den Vereinigten Staaten von Europa geredet. Das sollten wir unterlassen. Die Menschen in unseren Staaten, in unseren Ländern wollen überhaupt nicht die Vereinigten Staaten von Europa erleben. Man sollte den Eindruck nicht schüren als ob die Europäische Union sich auf dem Wege der Verstaatlichung befinden würde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus der Europäischen Union ein farbloser, uniformer Schmelztiegel wird, wo man seine Kinder nicht mehr wiedererkennt. Ich bin gerne Luxemburger und bin gerne Europäer. Und andere sind gerne Bayern, und Deutsche und Europäer. Andere Tiroler, Österreicher und Europäer – und ich könnte die Aufzählung endlos weiterführen. Man darf den Menschen nicht das Gefühl geben als ob man ihnen ihre sofortige Nähe rauben würde, dadurch dass man sich für die europäische Integration einsetzt. Die Nationen, das sind keine provisorischen Erfindungen der Geschichte – die sind auf Dauer eingerichtet. Und man kann Europa nicht zum Erfolg führen, wenn man Europa gegen die Nationen macht. Europa muss mit den Nationen gemeinsam gestaltet werden. Und deshalb muss man auf die Wortwahl sehr achten, wenn man über europäische Gegenwart und über europäische Zukunft redet.

Vernunft und Gefühl – aber mehr Vernunft als Gefühl – das ist auch der Grundstein der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Wieso Vernunft? Man darf den alten Geschichten nicht aufsetzen. Es wird auch in Deutschland immer wieder verbreitet, der Euro wäre das Ergebnis der Einwilligung der anderen Europäer zur Deutschen Einheit. Das ist strikt falsch. Ich war dabei – noch nicht so in Amt und Würde –, aber ich war ein bescheidener Finanzminister; ich kam den meisten Luxemburgern damals überhaupt nicht bescheiden vor, aber das ist eine andere Sache. Der Grundstein zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wurde anlässlich des EU-Gipfels, der damals noch EG-Gipfel hieß, in Hannover gelegt. Dann hat Jacques Delors seinen Plan vorgelegt – eine mehr oder weniger genaue Kopie des Planes, den mein Vorgänger als luxemburgischer  Premierminister, Werner, 1970 vorgelegt hatte. Da hat er übrigens, was viele Luxemburger nie hören wollten, für intensive Steuerharmonisierung plädiert – das wissen die meisten Luxemburger nicht, und Werner hat auch immer versucht, das in Vergessenheit geraten zu lassen, wenn er in Luxemburg über seinen Plan redete. Dann kam die Deutsche Einheit. Das hat den Prozess vielleicht beschleunigt, aber es hat ihn nicht ausgelöst. Deshalb sollte man es sein lassen den Euro, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als ein Ergebnis der Deutschen Einheit zu beschreiben.

Dieser Euro, der damals noch nicht so hieß, der hat vieles in Europa und in der Welt in Bewegung gebracht. Es ist die zweitstärkste Währung der Welt, steigt dieser Tage allzu sehr; aber das hat mit dem Ausdruck des Volkswillens auf einem anderen Kontinent zu tun. Aber stellen Sie sich einmal eine Sekunde vor, es hätte in den letzten 20 Jahren den Euro nicht gegeben. Stellen Sie sich einmal vor, nach den Attentaten in New York und Washington hätte es den Euro nicht gegeben. Stellen Sie sich einmal vor, in der Folge des Irakkrieges, von den Amerikanern losgetreten, und von einigen Europäern – nicht von allen – positiv begleitet; stellen Sie sich mal vor, angesichts der Verwürfnisse und der Verwerfungen in der Folge der jüngsten Wirtschafts- und Währungskrise hätte es den Euro nicht gegeben. Dann hätte es Währungskrieg in Europa gegeben. Weil die Länder, die Staaten, die dann im europäischen Währungssystem verblieben wären, hätten sich ja gegenseitig bekämpft: Deutsche gegen Franzosen, Bundesbank gegen Banque de France, Nederlandsche Bank gegen Banca d’Italia. Es hätte einen Währungskrieg in Europa gegeben, dessen Folgen verheerend gewesen wären und bis heute andauern würden. Und deshalb ist der Euro – auch bei aller Trübsal über das, was nicht funktioniert – ein Garant dafür, dass die Europäische Wirtschaft und unsere Gesellschaften sich einigermaßen harmonisch gemeinsam in die Zukunft bewegen. Der Euro schadet uns nicht, der Euro nutzt allen Europäern inklusive den sozial Schwächeren.

Und obwohl ich jeden Ärger über die Art und Weise wie die Europäische Kommission den Stabilitätspakt interpretiert nicht nachvollziehen kann,  aber halbwegs verstehen kann, ist das doch so, dass wir uns den Blick auf die nationalen Wirklichkeiten erhalten sollten. Nicht jedes Land ist gleich stark in Europa und die, die schwächer sind, denen muss man auch aus dem elementaren Solidaritätsgedanken heraus zur Seite stehen, wenn sie in Bedrängnis geraten. Deshalb habe ich mich mit Energie für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone eingesetzt, weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, dass ein Land aus dem Euro-Währungsgebiet ausscheidet – weil dies hätte zur Folge gehabt, dass andere auch ausgeschieden wären. Und deshalb wird dieser Stabilitätspakt so zur Interpretation gebracht wie eine volkswirtschaftliche Lektüre dessen, was in unseren Ländern passiert, es von uns verlangt. Man kriegt in Deutschland nie Beifall, wenn man das sagt.

Zum Euro gehört auch Disziplin. Ich rede hier nicht der Nicht-Disziplin das Wort. Regeln sind da, um eingehalten zu werden. Aber wenn Regeln, die stur eingehalten werden, dazu führen, dass die Regeln keinen Wert mehr haben, dann muss man nicht die Regeln ändern, sondern die Art und Weise, wie man die Regeln zur Anwendung bringt. Was auch heißt, dass diejenigen, die sich schwertun mit den Fundamentalregeln, bereit sein müssen, ihre Anstrengungen zu verdoppeln. Ich rede da nicht von Italien, weil ich jetzt lese, auch in italienischen Zeitungen, dass ich meinen Unpopularitätsgrad in Italien noch einmal fähig war zu steigern. Weil Italien ist ein wichtiges Land, die drittgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union. Und wenn ein Land wie Italien die Heimsuchungen erlebt, die Italien zurzeit erlebt: massiver Flüchtlingszustrom und Erdbeben, mehrfache Erdbeben, und noch ein Tornado dazu. Ja, dann kann ich immer sagen: „Stabilitätspakt sieht aber vor, dass“. Aber die Wirklichkeit in Italien ist die, die sie ist. Und deshalb, wenn es um die Flüchtlingsproblematik geht, und um die Wiederaufbaukosten nach dem Erdbeben, dann ist unser Platz an der Seite Italiens und nicht gegen Italien. Wir müssen Italien unterstützen.

Vernunft ja, auch in der Flüchtlingsfrage ist Vernunft und Gefühl geboten. Ich bin der Auffassung – amerikanische Wahlen hin oder her –, dass Solidarität ein gelebtes Prinzip in Europa bleiben muss. Und wenn Menschen vor Hunger und Armut flüchten, vor Krieg, vor Folter, vor Vergewaltigung, weil Menschen es nicht ertragen können, dass ihre Kinder vor ihren Augen abgemurkst werden, dann ist Europa der Platz, wo diese Menschen Zuflucht finden müssen. Das gehört zur europäischen DNA. Wir sind auch da, um denen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können.

Aber wir müssen das alles richtig tun. Wir brauchen den Schutz der Außengrenzen und der europäischen Küsten. Wir haben am 15.Dezember 2015 als Kommission einen Vorschlag zum Außengrenzschutz gemacht; dieser Vorschlag wurde jetzt vom Ministerrat und vom Europäischen Parlament angenommen. Und das müssen wir ernsthaft betreiben. Genauso wie wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen, dass wir uns mit den Ursachen der Migrationsbewegung beschäftigen müssen. Deshalb habe ich einen Plan vorgeschlagen – vor ein paar Wochen im Juni –, um dafür zu sorgen, dass europäische Unternehmen in Afrika investieren. Es geht, wenn es um die Zusammenarbeit mit Afrika geht – ein aufstrebender Kontinent – nicht darum, aus Mitleid Entwicklungshilfe zu leisten. Die wurde im Übrigen gekürzt, die ist so niedrig jetzt wie noch nie seit 2003, was ein Skandal ist. Daran sind viele europäische Regierungen beteiligt. Aber wir müssen dafür sorgen, dass Afrika auch wirtschaftlich auf einen zukunftsversprechenden Weg kommt. Und deshalb müssen europäische Betriebe in Afrika investieren. Statt die Menschen ins Meer stürzen zu lassen, ist es besser, wir schaffen Arbeitsplätze in Afrika, damit die Menschen vor Ort einen Ausweg aus der Krise finden.

Wir brauchen mehr Sicherheit in Europa. Ich meine damit nicht nur Terrorbekämpfung; da tun wir vieles, machen Programme zur Entradikalisierung, haben Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht den internationalen Waffenhandel betreffend, obwohl die Jäger-Lobby und die Kunstsammler-Waffen-Lobby alles tut, um das Europäische Parlament davon zu überzeugen, dass dem nicht so sein dürfe. Aber in Paris wurde mit Kalaschnikows geschossen. Ich lasse mir von Lobbys nicht verbieten, dass wir diese Kalaschnikows aus dem Verkehr ziehen. Die bringen Unheil überall dort, wo sie eingesetzt werden. Und ich sage das als ein ausgesprochener Freund vom General Kalaschnikow; den habe ich gekannt, weil der General Kalaschnikow, der dieses Ding erfunden hat, hat zum ersten Mal schießen lassen, mit seiner Kalaschnikow, durch einen luxemburgischen Soldaten, der von der Wehrmacht zur russischen Roten Armee übergelaufen war. Der Erfolg von Kalaschnikow ist untrennbar mit Luxemburg verbunden, aber trotzdem gehören diese Waffen aus dem Verkehr gezogen, weil es ja nicht nur Luxemburger sind, die sie benutzen.

Wir bemühen uns sehr, den Informationsaustausch zwischen Geheimdiensten zu verbessern. Das hatten wir uns schon mal vorgenommen in der Folge der Attentate von New York 2001. Einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates: Geheimdienste müssen besser zusammenarbeiten. Einstimmiges Resultat: Das haben sie nicht gemacht, weil die Geheimdienste eigentlich denken, die Regierungen würden sie bei ihrer geheimdienstlichen Tätigkeit eher stören als ihnen behilflich sein. Das geht jetzt besser. Wir haben einen europäischen Vorschlag zur Ein- und Ausreiseregelung in Europa auf den Weg gebracht; wird demnächst vom Europäischen Parlament verabschiedet. Vor Ende des Jahres werden wir noch ein europäisches Reiseinformations- und Genehmigungssystem auf den Weg bringen, weil wir müssen wissen, wer kommt nach Europa und wer verlässt Europa und wieso tut er das. Das ist keine Schnüffelei, das ist einfach die Bedingung, um das unter Kontrolle zu bringen, worüber wir, wegen des dunklen Geflechtes, das dem Terrorismus unterliegend ist, nicht genug Einblick haben. Wobei es sehr darauf ankommt, dass man die Menschenrechte achtet, und auch die bürgerlichen Freiheiten – libertés publiques, wie die Franzosen sagen. Ich bin etwas besorgt, in einigen europäischen Ländern schüttet man das Kind zurzeit mit dem Bade aus. Ich bin nicht dagegen, dass einige Notstandsgesetzgebungen erlassen werden, aber ich bin sehr dafür, dass man davon wieder Abschied nimmt, wenn es nicht mehr notwendig ist, und dass dies nicht zum Missbrauch führt.

Und weil ich über Sicherheit rede: Wir brauchen eine andere Art und Weise, die europäische Verteidigung zu organisieren. Hans-Gert hat vorhin davon geredet, dass die französische Nationalversammlung 1954 die Europäische Verteidigungsgemeinschaft verhinderte. Wir brauchen das jetzt. Diese Vorstellung, die überall grassiert, als ob die Amerikaner bis ans Ende der Tage für die Sicherheit der Europäer sorgen, die sollte man schnellstens vergessen; unabhängig sogar vom Ausgang des amerikanischen Wahlkampfs. Aber die Amerikaner, denen wir viel verdanken, auch und vor allem in dieser Stadt und in diesem Land, die werden nicht auf Dauer für die Sicherheit der Europäer sorgen. Das müssen wir schon selbst tun, und deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf in Sachen Europäische Verteidigungsunion, bis hin zu dem langfristigen Ziel der Einrichtung einer europäischen Armee. Dies ist die Zukunftsmusik und die spielt schon, nur viele Europäer hören sie noch nicht. Sicherheit hat viele Aspekte, ist pluri-dimensional, muss pluri-dimensional sein in einer Zeit, in der Europa es mit einer Polykrise zu tun hat, die die Sicherheit betrifft und die auch unsere wirtschaftliche und soziale Lage betrifft.

Deshalb hat meine Kommission – wenn Sie mir den Gebrauch dieses exzessiven Possessivpronomens einmal erlauben – einen Europäischen Investitionsplan auf den Weg gebracht. 315 Milliarden sollen bis Ende nächsten Jahres mobilisiert werden: Privatkapital mit wenig Unterstützung durch öffentliches Geld, weil wir können nicht mehr Geld ausgeben, als wir haben. Dieser Plan funktioniert: 138,3 Milliarden sind bis heute an Investitionen mobilisiert worden. 300 000 mittelständische Betriebe sind Nutznießer dieses Planes. Am Anfang hieß dieser Plan auch Juncker-Plan – das hat mich sehr erfreut. Aber ich wusste wieso alle diesen Plan Juncker-Plan nannten. Weil man dachte das geht schief; und dann musste man den identifizieren, der dafür in Haft genommen werden könnte. Inzwischen heißt der Juncker-Plan nicht mehr Juncker-Plan, sondern Europäischer Fonds für Strategische Investitionen. Ich möchte Ihnen nur sagen, damit Sie nicht durcheinander kommen: Es ist genau das Gleiche – aber es heißt jetzt nur anders.

Wir müssen in der Vervollständigung dessen, was wir den Europäischen Binnenmarkt nennen, größere Anstrengungen machen. Wir brauchen den Digitalen Binnenmarkt. Das ist keine Eingebung von verrücktgewordenen Globalingenieuren, das ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Wir haben Rückstände in der Beziehung zu beklagen. Ein Digitaler Europäischer Binnenmarkt, das heißt konkret: 400 Milliarden Mehrwert in Europa; das heißt drei Millionen Arbeitsplätze in Europa. Wir müssen uns darum kümmern, und mein Freund Günther Oettinger hat diesen Digitalen Binnenmarkt zu seiner Herzensangelegenheit gemacht. Ich wünschte mir manchmal, er würde nur darüber reden, aber das macht er gut, und deshalb wird er auch mit Wirkung vom 1. Januar an Haushaltskommissar in der Europäischen Union. Weil Herr Bundesminister, lieber Christian, ich es sehr mag, dass ein Kommissar, der aus Deutschland kommt – nicht ein deutscher Kommissar, sondern ein Kommissar, der aus Deutschland kommt – der Bundesregierung erklären wird müssen, wieso Europa mehr Geld braucht. Das ist die Strategie, die hinter diesem Schritt steckt. Aber er wird das gut machen, weil Günther Oettinger ein Mann ist, der sich schnellstens in Gebiete einarbeitet, mit denen er sonst nicht so viel zu tun hatte. Ich sage das ernsthaft: Das war ein hervorragender europäischer Energiekommissar, ist ein sehr guter Digitalkommissar und wird auch den Deutschen zur Freude ein guter Haushaltskommissar werden.

Sicherheit hat mit den Lebensbedingungen der Menschen zu tun. Und deshalb müssen wir uns anstrengen, dem sozialen Dumping in Europa entgegenzutreten. Ich bedaure es sehr, dass die soziale Dimension Europas unterentwickelt geblieben ist – stark unterentwickelt geblieben ist. Wir haben den Binnenmarkt auf den Weg gebracht, ohne uns über die sozialen Konsequenzen, die sich aus dieser Vereinheitlichung vieler wirtschaftlicher Teilbereiche ergeben, bewusst zu sein. Deshalb hat die Kommission eine neue Entsenderichtlinie auf den Weg gebracht. Und wir haben elf Parlamente in der Europäischen Union, die dagegen protestiert haben, weil sie sagen: das hat mit Europa nichts zu tun, sondern das ist ein Fall für die Anwendung der Subsidiaritätsregel. Also wenn Menschen über die Grenze hinweg, in einem anderen Land arbeiten, dann ist das plötzlich Subsidiarität. Für mich geht es darum, dafür zu sorgen, dass egal wo man in Europa arbeitet, ein Prinzip gilt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit an der gleichen Stelle – und das wird auch durchgesetzt werden gegen alle Widerstände.

Gleiches gilt in Sachen Bekämpfung des Steuerdumpings. Da hat die Kommission – da darf ich wirklich sagen meine Kommission – vieles auf den Weg gebracht, was man der Kommission eigentlich, weil von einem Luxemburger im Vorsitz geführt, nicht zugetraut hätte. Dabei sind alle steuerpolitischen Fortschritte in Europa immer unter luxemburgischem Vorsitz erreicht worden. Und so ist es auch diesmal. Wir müssen dafür sorgen, dass Gewinne dort versteuert werden, wo Gewinne zustande kommen – das geht zusammen: Kampf gegen soziales Dumping, Kampf gegen Steuerdumping auch international. Das müssen wir einfach leisten, weil sich in unseren Bevölkerungen das Gefühl eingestellt hat, diese europäische Veranstaltung hat mit uns nur noch sehr wenig zu tun – das ist eine Veranstaltung für multinationale Konzerne; das ist eine Veranstaltung für organisierte Kräfte in der Gesellschaft, und das läuft am Bürger vorbei, als ob es ihn nichts angeht. Das müssen wir ändern. Wir müssen es schaffen – ich weiß noch nicht genau wie –, dass wieder mehr Gefühl für europäische Notwendigkeiten entsteht. Eigentlich müssen wir es schaffen, dass die Europäer sich untereinander wieder ein bisschen mehr lieben. Und wenn nicht lieben, dann wenigstens schätzen. Wir wissen, wenn wir ehrlich sind, nicht genug übereinander. Was wissen wir hier über die Lebensverhältnisse in Nordlappland, und was wissen die Lappen – ich muss das sagen, Christian, du bist mir nicht böse – über Teile Bayerns – nichts. Aber wir reden so, als ob wir alles wüssten. In Europa ist es so gekommen, dass manche sich eine Weltanschauung zurechtlegen, ohne die Welt angeschaut zu haben. Wir müssen die Welt intensiver anschauen und dazu gehört auch, dass wir begreifen, dass Europa mit seiner Aufgabe nicht am Ende angelangt ist, so lange jeden Tag 25 000 Kinder den Hungertod sterben. Dafür sind wir auch verantwortlich.

Vielen Dank fürs Zuhören.

https://www.youtube.com/watch?v=hdODR_KfHE8

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