„Die Stadt gehört uns.“

Staatssekretär Dr. Andrej Holm kommt Entlassung zuvor und tritt selbst zurück.

(Berlin/tp) Nachdem der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, in einer Pressemitteilung vom 14. Januar angekündigt hatte, dass er sich „nach reiflicher Überlegung und intensiven Gesprächen mit den Koalitionspartnern entschlossen habe, die zuständige Senatorin zu bitten, dem Senat eine Vorlage zur Entlassung des Staatssekretärs Dr. Andrej Holm vorzulegen“, ist Andrej Holm heute nun von sich aus zurückgetreten, seinem „Quasi-Rausschmiss“ damit zuvorgekommen.

Michael Müller erklärte am Samstag:

„Andrej Holm hat in den letzten Wochen Gelegenheit gehabt, sich und seinen Umgang mit der eigenen Biografie zu überprüfen und zu entscheiden, ob er ein hohes politisches Staatsamt ausfüllen kann.

Diese Möglichkeit hat ihm der Senat ausdrücklich eingeräumt.

Seine Interviews und Aussagen in dieser Frage zeigen mir, dass er zu dieser Selbstprüfung und den dazugehörigen Rückschlüssen nicht ausreichend in der Lage ist. Nur so konnte es in den letzten Wochen zu politischen und gesellschaftlichen Diskussionen kommen, die nur den Rückschluss erlauben, dass Herr Holm die ihm anvertrauten für diese Stadt extrem wichtigen wohnungspolitischen Fragen nicht in dem notwendigen Maß erfüllen kann.

Gerade in Berlin, der Stadt der Teilung, darf es keinen Zweifel am aufrichtigen Umgang mit der eigenen Geschichte geben – sowohl in den vergangenen Jahren als auch heute.

Ein Staatssekretär hat nicht nur fachliche Verantwortung, er führt eine Verwaltung, übernimmt damit auch als hoher politischer Beamter Verantwortung für Menschen. Polarisierung in dieser Rolle kann nicht den gemeinsamen Zielen dieser Koalition dienen. Vielmehr schadet es der Umsetzung einer glaubwürdigen Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik des Senats.

Dieser Teil unserer Senatspolitik ist für die Menschen dieser Stadt und damit für die Koalition von so großer Bedeutung, dass ich mich nach reiflicher Überlegung und intensiven Gesprächen mit den Koalitionspartnern entschlossen habe, die zuständige Senatorin zu bitten, dem Senat eine Vorlage zur Entlassung des Staatssekretärs Dr. Andrej Holm vorzulegen.“

Heute nun der „freiwillige“ Rücktritt. Holm gab auf seiner Homepage dazu folgendes Statement ab:

Ein Rücktritt ist kein Rückzug aus der Stadtpolitik“.

„Mein Rücktritt als Staatssekretär Wohnen

Ich trete heute von meinem Amt als Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zurück.

In den letzten Tagen haben mir SPD und Grüne deutlich gemacht, dass sie mich als Staatssekretär politisch nicht unterstützen. Herr Müller von der SPD forderte öffentlich meine Entlassung. Damit wurde eine mögliche Zusammenarbeit in einer Koalition aufgekündigt. Die Koalition selbst steht an einem Scheideweg.

Heute ziehe ich eine Reißleine. Den versprochenen Aufbruch in eine andere Stadtpolitik hat diese Koalition bisher nicht ernsthaft begonnen – das allein mit meiner Personalie zu begründen, wäre absurd. Die Diskussionen um das Sicherheitspaket, der Verlauf der Parlamentsdebatte und der mehrfache Bruch von Vereinbarungen zwischen den Koalitionspartnern zeigen, dass die Koalition selbst in der Krise ist. Ich werde der zerstrittenen SPD nicht den Gefallen tun, sie auf meinem Rücken zerplatzen zu lassen.

Als ich dieses Amt vor fünf Wochen antrat, wollte ich ein bitter nötiges Reformprogramm für die Berliner Wohnungspolitik durchsetzen. Denn eines ist klar: Diese Stadt braucht eine Politik für die Mieterinnen und Mieter. Es muss Schluss sein mit einer Politik, die weiter die Profitinteressen der Immobilienbranche an erste Stelle setzt. Für diese Aufgabe bin ich mit den Hoffnungen, dem Vertrauen und der Unterstützung von vielen Berliner Stadtteil- und Mieteninitiativen, von kritischen WissenschaftlerInnen und der Partei DIE LINKE angetreten. Im Koalitionsvertrag war vereinbart, dass dieses Programm nicht nur gemeinsam mit diesen Kräften, sondern auch mit B90/Die Grünen und der SPD gestaltet werden wird.

Die Polemik derer, die mich als Staatssekretär verhindern wollten, zeigt, dass es bei der Entlassungsforderung nicht nur um meine Zeit bei der Stasi und um falsche Kreuze in Fragebögen ging, sondern vor allem um die Angst vor einer Wende im Bereich der Stadt- und Wohnungspolitik. Ich habe in den letzten Wochen unglaublich viel Unterstützung von der Stadtgesellschaft, aber auch von Wählerinnen und Wählern dieser Koalition erhalten. Über 16.000 Menschen haben sich in den letzten Wochen mit einer Unterschriftensammlung hinter mich gestellt und mir die Kraft gegeben, diese Auseinandersetzung über meine Person überhaupt bis zum heutigen Tage zu ertragen.

Entgegen der Darstellung vieler Medien habe ich mich nicht nur in den letzten Wochen bemüht, offen und selbstkritisch mit meiner Biographie umzugehen. Das war schmerzhaft für viele Opfer der DDR-Diktatur und das war auch schmerzhaft für mich. Die letzten Wochen hinterlassen bei mir den Eindruck, dass es auch im medialen Raum nur eine begrenzte Bereitschaft für die Wahrnehmung von Zwischentönen in DDR-Biographien gibt. Bevor die Entscheidung fiel, mich zu ernennen, war übrigens allen drei Koalitionspartnern bekannt, dass ich eine Stasi-Vergangenheit habe.

Die vielen Unterschriften gegen meinen Rücktritt zeigen: Nur selten standen sich veröffentlichte Meinung und Stimmung in der Stadtgesellschaft so konträr gegenüber. Mir ist bewusst, dass meine Biographie mit vielen Widersprüchen nicht in das Bild des klassischen Staatssekretärs passt. Doch wer einen gesellschaftlichen Aufbruch und eine Veränderung will, wird auch biografische Brüche und das Unangepasste akzeptieren müssen. Ich stehe nicht nur den Hausbesetzern näher als vielen privaten Investoren sondern vor allem den Mieterinnen und Mietern dieser Stadt. Gerade deshalb hat es so viel Unterstützung für mich gegeben.

Für mich hat der Debattenverlauf der letzten Wochen auch deutlich gemacht, dass es nicht allein um meine Person geht, sondern um das, was ich in dieser Regierung mit der LINKEN umsetzen wollte: eine soziale, gerechte Stadt und eine Wohnungspolitik , die sozialen und öffentlichen Belangen den Vorrang vor privaten Profiten einräumt. Darum ist auch der Druck gegen mich enorm erhöht worden, als die Unterstützung der Stadtgesellschaft für meine Person und die Politik, für die ich stehe, so zahlreich öffentlich wurde.

Dass Regierungsmitglieder nun frohlocken, endlich mit der Arbeit zu beginnen, kann nur verwundern. In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen jedenfalls hatten wir bereits mit der Arbeit begonnen und haben zusammen mit einer professionellen und für die neue Politik aufgeschlossenen Verwaltung in den wenigen Wochen einige Ergebnisse erzielt. Wir haben die Mieterhöhungen im alten sozialen Wohnungsbau ausgesetzt, eine Initiative zur Verschärfung der Umwandlungsverordnung für den Bundesrat qualifiziert, erste Eckpunkte für eine Reform des alten sozialen Wohnungsbaus formuliert und Gespräche zur sozialen Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen geführt.

Ich trete heute zurück, damit diese Politik weitergeführt werden kann, denn es gibt noch einiges zu tun. Die Wählerinnen und Wähler dieser Koalition werden den Erfolg der Regierung an der Umsetzung des Koalitionsvertrages messen. Die Schwerpunkte für die künftige Wohnungspolitik sind dringend notwendig und klar formuliert. Es geht um:

  • eine Reform der AV Wohnen, so dass in Zukunft Hartz-IV-EmpfängerInnen nicht mehr durch Mieterhöhungen aus ihren Wohnungen vertrieben werden können,
  • eine Reform des sozialen Wohnungsbaus, so dass dieser seiner Aufgabe wieder gerecht wird,
  • eine soziale Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen und mehr Mitbestimmung für die MieterInnen,
  • wirksame Maßnahmen gegen die steigenden Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt,
  • einen Stopp der Verdrängung einkommensschwacher Bewohner.

Für diese Wohnungspolitik werde ich mich ab heute wieder außerhalb eines Regierungsamtes engagieren. Berlin wird eine soziale und gerechte Stadt werden, wenn wir es wollen. Die Stadt gehört uns!

Um gemeinsam zu überlegen, wie wir auch ohne mich als Staatssekretär eine soziale Wohnungspolitik in Berlin am besten durch- und umsetzen können, lade ich alle Interessierten und insbesondere die zahlreichen stadt- und mietenpolitischen Initiativen heute Abend um 18 Uhr zur öffentlichen Diskussion ein. Ort: ExRotaprint, Gottschedstraße 4, 13357 Berlin (Wedding).“

Erklärung von Senatorin Katrin Lompscher zu Holms Rücktritt:

„Als politisch und personalrechtlich verantwortliche Senatorin bedauere ich den Rücktritt von Dr. Andrej Holm als Staatssekretär sehr. Für mich ist diese Entscheidung bitter und dennoch nachvollziehbar, da der notwendige politische Rückhalt in der Koalition für ihn nicht stark genug war.

Dr. Andrej Holm ist ein profilierter, weit über Berlin hinaus anerkannter Sozialwissenschaftler, stadtpolitischer Experte und mietenpolitisch engagierter Aktivist. Dies war für mich der Grund, ihn im November 2016 für eine Tätigkeit in der rot-rot-grünen Landesregierung anzufragen, um die im Koalitionsvertrag verabredeten wohnungspolitischen Reformvorhaben gemeinsam in Angriff zu nehmen.

Aus meiner Sicht bestanden in Würdigung aller vorliegenden Informationen über seine Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seines Umgangs damit keine hinreichenden Gründe für eine Entlassung als Staatssekretär. Der Senat von Berlin hatte mit dem Beschluss zur Ernennung von Dr. Andrej Holm zum Staatssekretär – auf Vorschlag und in politischer Verantwortung der LINKEN Berlin und mir – eine tragfähige, dem Einzelfall angemessene Entscheidung getroffen. Er hat dabei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutsamen Zeitfaktor des langen Zurückliegens der MfS-Tätigkeit ebenso berücksichtigt wie das jugendliche Alter, die kurze Dauer der Tätigkeit, den kritischen Umgang mit der eigenen Biografie sowie die Tatsache, dass es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass er andere Personen geschädigt haben könnte.

Mein Anspruch bleibt ein sachlicher und respektvoller Umgang, eine einzelfallbezogene differenzierte Beurteilung und die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien. Auch verschiedene Jurist*innen, Bürgerrechtler*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen haben anhand der öffentlich zugänglichen Unterlagen Kommentare, Bewertungen und Analysen veröffentlicht, die diese Sichtweise stützen.

Für mich stand zudem außer Zweifel, dass ungeachtet der von der Humboldt-Universität angekündigten arbeitsrechtlichen Überprüfung eine politische Entscheidung zu treffen war. Ich bedauere ausdrücklich, dass ein anderer Eindruck entstanden ist und entschuldige mich dafür bei der Humboldt-Universität.
Es gehört nach meiner Überzeugung in die Gesamtbewertung nicht nur seine unbestrittene Expertise, sondern auch die breite Unterstützung seiner Person durch Vertreter*innen der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, die sich etwa in Solidaritätsbekundungen internationaler Akademiker*innen und von Studierenden oder in über 15.000 Unterschriften zur Unterstützung einer vom Mietenvolksentscheid e.V. initiierten Petition zeigt.

Den Mieterinnen und Mietern sowie den stadtpolitischen Initiativen versichere ich, dass ich auch weiterhin für eine soziale Wohnungs- und Mietenpolitik stehe. Dr. Andrej Holm ist und bleibt dafür ein wichtiger Impuls- und Ratgeber.“

Gemeinsame Erklärung der Landesvorsitzenden der Partei DIE LINKE.
Berlin, Katina Schubert und der Vorsitzenden der Linksfraktion im
Berliner Abgeordnetenhaus, Carola Bluhm und Udo Wolf zu Holms Rücktritt:

„Wir haben Respekt vor dem Schritt von Andrej Holm und bedauern die
Umstände, die ihn zu seinem Rücktritt veranlasst haben, insbesondere den
fehlenden politischen Rückhalt beim sozialdemokratischen
Koalitionspartner. Für die rot-rot-grüne Koalition ist das ein herber
Rückschlag im Bemühen um einen spürbaren Politikwechsel.
Wir halten an unserem Ziel einer neuen sozialen Wohnungspolitik fest.
Wir danken allen, die sich in den letzten Tagen und Wochen aktiv für
Andrej Holm, eine neue Wohnungs- und Mietenpolitik und einen
differenzierten Umgang mit DDR-Geschichte eingesetzt haben.
Wir danken Andrej Holm für seine Bereitschaft gemeinsam mit uns als
Staatssekretär für eine andere Mietenpolitik einzutreten. Die letzten
Wochen waren für ihn eine schwere persönliche Belastung. Wir sind froh,
dass Andrej Holm auch weiterhin mit uns gemeinsam für diese Ziele
streiten wird.
Die Diskussionen der letzten Wochen haben deutlich gemacht: Wir stehen
als Partei in einer besonderen Verantwortung für die Aufarbeitung der
DDR-Vergangenheit, den Umgang mit Biografien und der Tätigkeit des MfS.
Wir werden uns auch weiterhin dieser Diskussion stellen.
Mit dem Rücktritt von Andrej Holm sind die koalitionsinternen Probleme
nicht vom Tisch. Wir werden jetzt mit unseren Koalitionspartnern beraten
müssen, ob und wenn ja wie wir zu einer Arbeitsweise kommen, die auf den
Prinzipien von Augenhöhe und Gleichberechtigung beruht und wie wir
tatsächlich in einen Arbeitsmodus kommen, der es zulässt, dass wir die
Ziele des Koalitionsvertrags politische Praxis werden lassen. Die
Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsfraktionen haben sich heute darauf
verständigt, zeitnah einen Koalitionsausschuss vorzuschlagen.“

Zum Rücktritt von Andrej Holm erklären die beiden Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Antje Kapek und Silke Gebel, sowie die beiden Berliner Grünen-Vorsitzenden Nina Stahr und Werner Graf:

„In der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung haben sich alle drei Parteien zu einer sozialen, gerechten und ökologischen Mieten- und Wohnungspolitik verpflichtet. Dass diese einen hohen Stellenwert für die Koalition hat, haben wir gemeinsam vereinbart. Wir Grüne vertrauen darauf, dass nicht nur die zuständige Senatorin alle Kraft dafür aufwenden wird, sondern stehen dafür auch als Koalitionspartner ein – gemeinsam mit den vielen Bürgerinitiativen in der Stadt.

Wir nehmen den Rücktritt von Andrej Holm mit Respekt zur Kenntnis. Als Grüne haben wir uns in den letzten Wochen um einen differenzierten und solidarischen Umgang in der Debatte um seine Person bemüht. Umso mehr bedauern wir die Verbitterung, die in Andrej Holms Erklärung zum Ausdruck kommt.

Richtig ist: Die Debatte der letzten Wochen wird weder ihm noch der notwendigen Aufarbeitung von DDR-Unrecht gerecht. Holms Schritt macht den Weg frei, dass die Koalition jetzt mit ganzer Kraft ihre Arbeit für eine sozial-ökologische Erneuerung Berlins und eine Wende in der Wohnungspolitik fortsetzen kann. Dass dieser Weg dringend nötig ist, macht Andrej Holm mit seiner Erklärung selber deutlich.“

Für eine andere Wohnungspolitik: jetzt erst recht!

Erklärung von Katrin Schmidberger, Bündnis 90/Die Grünen über Facebook

Als fachpolitisch zuständige Abgeordnete möchte ich heute nach dem Rücktritt von Andrej Holm, den ich sehr bedaure, meine Sichtweise dazu schildern. Dabei will ich mich jetzt explizit nicht dazu äußern, ob das Kreuz im Fragebogen der HU an der falschen Stelle war oder nicht. Auch will ich jetzt hier nicht diskutieren, ob eine Person mit so einer Vita überhaupt ein solches Amt als Staatssekretär bekleiden darf. Vielmehr möchte ich den Fokus auf die Zukunft richten. Denn nach wie vor bin ich überzeugt: Rot-Rot-Grün kann und wird es besser machen. Und ich werde weiter dafür kämpfen (und das gilt für die Grünen insgesamt), dass wir einen Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik, den die 85% Mieter*innen dieser Stadt dringend brauchen, einleiten.

Zwar verlieren wir nun einen kompetenten, engagierten und klugen Kopf als Staatssekretär. Andrejs Rücktritt ist wirklich ein herber Verlust. Aber trotz des Bedauerns stelle ich fest: keiner ist unersetzbar. Wer glaubt, die Wohnungspolitik dieser Stadt lässt sich anhand einer Person ändern, der unterschätzt die Widerstände. Zumal der Koalitionsvertrag auch ohne ihn zustande kam – bei aller Würdigung seines Wirkens. So sehr wie ich für viele progressive Vorschläge in dem Koalitionsvertrag gekämpft habe, so sehr werde ich nun für dessen Umsetzung kämpfen. Auch wenn wir uns nicht in allen Forderungen durchsetzen konnten, habe ich gemeinsam mit den Linken in den über vierwöchigen Koalitionsverhandlungen hart gekämpft, um die bisherige Senatspolitik, die nur auf teuren Neubau setzt und die BestandsmieterInnen faktisch vernachlässigt, zu stoppen. Die im Koa-Vertrag vereinbarten Bausteine wie die Reparatur des bestehenden Sozialen Wohnungsbaus, die Verschärfung diverser Mieterschutzrechte und die soziale Neuausrichtung der Landeseigenen Wohnungsunternehmen (uvm.) für eine bedarfsgerechte Wohnungspolitik sind entscheidend, um die soziale Spaltung der Stadt noch zu stoppen. Das wird extrem schwer. Und genau deshalb muss nun die Devise gelten: jetzt erst recht. Denn es geht um die Menschen, die konkret betroffen sind. Ob mit einem Staatssekretär Holm oder nicht – sie erwarten von uns zu Recht konkrete Verbesserungen ihrer Wohnsituationen und vor allem die Umsetzung des Koalitionsvertrages. Und dieser Verantwortung will ich mich auch weiterhin stellen.

Dass das nicht von Heute auf Morgen geht, dass es starke Widerstände gibt und geben wird und dass wir das wenn überhaupt nur gemeinsam – die Bewegungen und die Koalition – schaffen können, das ist ganz klar. Umso erstaunter bin ich nun über Äußerungen darüber, wer am Rücktritt Schuld ist oder wie viel Verantwortung trägt. Bei mir melden sich seit Wochen viele Initiativen, MitstreiterInnen und AktivistInnen. Leider ist in der Öffentlichkeit zweimal der Eindruck entstanden, wir Grüne hätten den Rücktritt von Andrej Holm gefordert bzw. ihn nicht ausreichend unterstützt. Auch Andrej lässt das in seiner heutigen Erklärung auf seiner Homepage anklingen. Insgesamt scheint die Story verbreitet zu werden, SPD und Grüne seien am Rücktritt Schuld. Wenn es denn so einfach wäre. Wir Grünen haben an keiner Stelle seinen Rücktritt gefordert. All diejenigen, die das behaupten, vermute ich, tun dies aus politischem Kalkül. Am Donnerstag Abend haben wir Grüne und ich persönlich im Plenum den Linken unsere Solidarität zugesichert. Und überhaupt, ich finde alle drei Partner haben es gemeinsam verbockt (Stichwort „Gutes Regieren geht nur gemeinsam“). Welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen nun gezogen werden, müssen unsere Parteispitzen klären.

Ich wünsche Andrej Holm alles Gute – politisch, beruflich wie privat. Wir werden sicherlich auf seine Expertise auch nicht verzichten müssen. Und ich appelliere an alle Initiativen und AktivistInnen, mit uns gemeinsam weiter zu kämpfen – für eine gemeinwohlorientierte, soziale und progressive Wohnungspolitik! Jetzt erst recht!

 

Katrin Schmidberger (34) lebt in Kreuzberg und ist seit 2011 für Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie ist direktgewählte Wahlkreisabgeordnete für Kreuzberg 61 und setzt sich besonders für faire Mieten, bezahlbaren Wohnraum, soziale Stadtentwicklung und eine neue Liegenschaftspolitik ein.

Das Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde e.V. (BüSGM) äußerte sich mit folgendem Papier zum Fall Holm:

 

Der tiefe Staat schlägt zurück

Rot-Rot-Grünes Projekt vom Stasi-Torpedo getroffen

Autor: U. Gellermann – Datum: 16. Januar 2017

Nachdruck aus der Internet-Plattform www.rationalgalerie.de

Ein ganzes Jahr lang wird der Mann bespitzelt. Seine Freunde werden überwacht. Sein Telefon wird abgehört. Er wird verfolgt. Dunkle Männer mit Mikrophonen belauschen Treffen. Der Mann spürt den Druck. Dann stürmt ein Einsatzkommando seine Wohnung. Ohne Beweise, ohne Anklage wird der Mann ins Gefängnis geworfen. Sogar seine Frau zweifelt an ihm.

Was da so klingt als würde die BILD-Zeitung Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit beschreiben, hat sich in den Jahren 2006/2007 im vereinigten Deutschland ereignet. Zielperson der staatlichen Repressions-Maßnahmen war der Soziologe Andrej Holm. Genau: Jener Holm, der noch Staatssekretär in Berlin ist, jetzt aber unter dem Druck eines Stasi-Vorwurfs rausgeworfen werden soll.

Als Andrej Holm vor 27 Jahren Offiziersschüler im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ war, einer Gliederung der DDR-Staatssicherheit, bespitzelte er niemanden. Er brach in keine Wohnung ein und verhaftete auch niemanden. Holm war 18. Das Wachregiment dem er angehörte war eine Art Objektschutz-Truppe: Zuständig für die Bewachung wichtiger Grundstücke von Partei und Staat. Manchmal durften die Soldaten auch mit blank geputzten Stiefeln den Stechschritt proben: Bei Kranzniederlegungen, an hohen staatlichen Feiertagen. Beim „protokollarischen Ehrendienst“ wie es auch in der Dienstvorschrift des Wachbataillons der Bundesrepublik Deutschland heißt.

Die Frau, die 2006/2007 den Soziologen Holm, einen aktiven Gegner der Gentrifizierung, wegen „Terrorismus-Verdacht“ bespitzeln und inhaftieren ließ, ist für dieses und anderes Unrecht nie zur Rechenschaft gezogen worden: Monika Harms, eine Beauftragte des Koffer-Ministers Schäuble, war von 2006 bis 2011 Generalbundesanwältin beim Bundesgerichtshof der Bundesrepublik Deutschland.

Die Harms ordnete im Mai 2007 im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm 40 polizeiliche Razzien an, die zwischenzeitlich vom Bundesgerichtshof für widerrechtlich erklärt worden sind. Die Harms ließ Mitarbeiter von „tagesschau.de“, einen Redakteur der Hörfunkwelle „NDRInfo“ und andere Journalisten, etwa vom Berliner „Tagesspiegel“, bei Recherchegesprächen überwachen. Der damalige Intendant des Norddeutschen Rundfunks, Jobst Plog, hatte die Abhörmaßnahmen als „einen massiven Angriff auf die Rundfunk- und Pressefreiheit“ bezeichnet. Frau Harms wurde nie belangt, sie kann in aller Ruhe ihre beachtliche Rente genießen.

Jetzt in diesen Tagen wird eine offene Rechnung beglichen:

Andrej Holm kam damals nach massivem öffentlichen Druck frei. Und der Staatsapparat sah aus wie er ist aber ungern ertappt wird: Wie eine Repressionsmaschine, der die Gesetzeslage ziemlich gleichgültig ist. Diese Bloßstellung ist nicht vergessen. Das wird jetzt mit einem alten, bekannten Stasi-Vorwurf heimgezahlt.

  • Und pünktlich zum Start der rot-rot-grünen Koalition aufgewärmt. Und mehr noch: Einen Mann wie Holm, der zu Recht im Verdacht steht auf der Seite der bedrängten Mieter zu stehen, der darf, nach Maßgaben der Profiteure, keinesfalls Staatssekretär für Wohnungspolitik im Berliner Senat werden.
  • Und noch mehr: Die Rot-Rot-Grüne Koalition in Berlin gilt als Modell für eine mögliche Rot-Rot-Grüne Regierung auf Bundesebene. Dass dieses Projekt nur über die Leiche der SPD oder über die Leichen der linken LINKEN zustande kommen wird, also eher nicht, irritiert den tiefen Staat nicht. Schäubles Nebenregierung aus Geheimdiensten, Polizeioffizieren und sympathisierender Justiz kann weder die Niederlage im Fall Harms noch die kleinste demokratische Öffnung durch eine alternative Regierung zulassen. Sowas muss torpediert werden.

In den nächsten Tagen wird sich erweisen, ob der Berliner Versuch gelungen ist, mit Andrej Holm einen engagierten Wissenschaftler für Stadterneuerung, gegen Gentrifizierung und soziale Wohnungspolitik in Stellung zu bringen. Der Berliner LINKEN-Chef, Klaus Lederer, beginnt schon mit dem Zurückrudern: „Wir müssen uns nun darüber verständigen,“ sagt Lederer nachdem der Regierende Bürgermeister Holms Entlassung verlangt hatte, „wie wir künftig miteinander umgehen wollen.“ Ein klares NEIN zur Entlassung Holms klingt anders.

AKTUELL
War der Fall von Andrej Holm geplant?

Berliner Landes-Chef fingerte an der Verfassung

Wie nebenbei meldet das Berliner Info-Radio plötzlich eine interessante, bisher unbekannte Tatsache: Im neuen Vertrag der rot-rot-grünen Koalition hat sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller ein Recht vorbehalten, das es bisher in der Landesverfassung nicht gab: Er darf laut Vertrag ausgerechnet in dieser Koalition Staatssekretäre entlassen. Der Regierenden Bürgermeister (s. Anhang aus der Verfassung von Berlin) hat eine vergleichbar schwache Stellung im Kabinett. Das resultiert noch aus der Zeit der Besatzungszonen.

Er hat mehr den Charakter eines Grüß-August als den eines Ministerpräsidenten. Denn: jedes Mitglied des Senats (Landesminister) leitet seinen Geschäftsbereich selbständig.

Die im Koalitionsvertrag festgelegte, faktische Änderung der Verfassung deutet daraufhin, dass die Entlassung geplant war. Neben vielen anderen Fragen stellt sich auch diese: War die Linkspartei zu naiv, um diese Falle zu erkennen, oder ist sie einfach sehenden Auges in diese Falle gelaufen

Anhang: Verfassung von Berlin – Abschnitt IV: Die Regierung

Artikel 58

  • Der Regierende Bürgermeister vertritt Berlin nach außen. Er führt den Vorsitz im Senat und leitet seine Sitzungen. Bei Stimmengleichheit gibt seine Stimme den Ausschlag.
  • Der Regierende Bürgermeister bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik. Sie bedürfen der Billigung des Abgeordnetenhauses.
  • Der Regierende Bürgermeister überwacht die Einhaltung der Richtlinien der Regierungspolitik; er hat das Recht, über alle Amtsgeschäfte Auskunft zu verlangen.
  • Der Senat gibt sich seine Geschäftsordnung.
  • Jedes Mitglied des Senats leitet seinen Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung innerhalb der Richtlinien der Regierungspolitik. Bei Meinungsverschiedenheiten oder auf Antrag des Regierenden Bürgermeisters entscheidet der Senat.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

Eine Antwort

  1. Die Pharisäer freuen sich und Die Linke hat eine herbe Entscheidung zu verkraften. Dr. Andrej Holm wurde ausweislich seines Geburtsdatums im Oktober 1970 geboren. Er war somit im November 1989 mal eben 19 Jahre, mal gerade ein Jahr erwachsen, soweit man vom Erwachsensein sprechen kann. Ihm das heute, 27 Jahre später, anzukreiden, widerspricht eklatant jeglicher Rechtsprechung. Ihm dann noch seine zwischenzeitlich erworbenen umfangreichen Fachkenntnisse kleinzureden, bestätigt anschaulich die bodenlose Dummheit dieser Pharisäer. Wie schwach muss Die Linke sein, wenn sie diesem Unsinn Dr. Scheinheiligen nicht widerstehen konnte?

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