„Entscheidend ist der aufrichtige Umgang mit der Vergangenheit“.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag Martin Hagen hielt in der heutigen Sitzung des Zwischenausschusses des Bayerischen Landtages die folgende Rede:

„Über den Inhalt des Flugblatts, für das Hubert Aiwanger von seiner Schule zur Rechenschaft gezogen wurde, gibt es glaube ich keine zwei Meinungen. Eine niederträchtige Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus, die auch 36 Jahre später noch fassungslos macht und schockiert. Die Berichte diverser Lehrer und Mitschüler – über Hitlergrüße im Klassenzimmer, über das Buch ‚Mein Kampf‘ im Schulranzen und ähnliches – zeichnen das Bild eines jungen Mannes, der offenbar ideologisch auf die ganz schiefe Bahn geraten war.

Ich finde aber – und das habe ich, das haben wir als FDP von Beginn der Debatte an klar gemacht – dass man jedem Menschen das Recht zugestehen muss, sich zu ändern. Was ein Mensch mit 16 gesagt oder getan hat, darf ihn nicht ein Leben lang für politische Ämter disqualifizieren. Entscheidend ist der aufrichtige Umgang mit der Vergangenheit. Ob man das ehrlich und selbstkritisch aufarbeitet. Ob man glaubwürdig darlegt, dass man geläutert ist, dass man das Gedankengut von damals abgelegt und hinter sich gelassen hat.

Herr Aiwanger, ich halte Sie nicht für einen Antisemiten. Aber Sie haben sich, als die Vorwürfe öffentlich wurden, nicht für Transparenz entschieden, sondern fürs Leugnen und für das Drohen mit dem Rechtsanwalt. Sie haben eine Woche gebraucht, bis Sie sich pflichtschuldig mit einer vom Blatt abgelesenen Erklärung entschuldigt haben – und wofür eigentlich, das ist nicht so ganz klar. Sie inszenieren sich als Opfer einer Medienkampagne und versuchen daraus politisch Kapital zu schlagen.

In der Tat kann man über den Stil der ursprünglichen Berichterstattung diskutieren. Das hat auch in unseren Reihen nicht allen gefallen, nicht alle überzeugt. Aber schauen wir uns doch mal an, wie Journalisten konservativer Medien die Sache beurteilen:

Filipp Piatov von der BILD kommentiert: ‚Aiwangers Ausreden machen klar: Er ist seines Amtes nicht würdig.‘ Georg Anastasiadis vom Münchner Merkur schreibt, der Skandal beschmutze das Ansehen der Staatsregierung und Bayerns. Christian Nitsche vom BR kommentiert: ‚Wer sich an eigene Verfehlungen nur schemenhaft erinnern mag, beschädigt die deutsche Erinnerungskultur insgesamt.‘ Und Robin Alexander von der WELT schreibt: ‚Aiwanger sieht nicht die Opfer. Er sieht sich als Opfer. Das allein ist bestürzend.‘

Keiner dieser Journalisten, keines dieser Medien hat sich bisher linker Umtriebe verdächtig gemacht. Wenn das tatsächlich eine Medienkampagne ist, dann haben sich offenbar alle Journalisten von links bis rechts gegen Sie verschworen. Das glauben Sie doch nicht wirklich.

Wer Vorwürfe des Rechtsextremismus und Antisemitismus behandelt, als ginge es dabei um eine Fensterscheibe, die man als Bub mal eingeschossen hat, der zeigt damit einen Mangel an Sensibilität für die Schoah und andere Verbrechen des Nationalsozialismus. Und er muss sich Kritik daran auch gefallen lassen.

Ministerpräsident Söder wollte Sie an der Beantwortung von 25 Fragen messen. Er hat wörtlich erklärt: ‚Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrigbleiben.‘ Wenn man sich Ihre Antworten anschaut, Herr Aiwanger, wird wohl niemand, auch nicht der Wohlmeinendste, zu dem Schuss kommen, diese Erwartung des Ministerpräsidenten sei erfüllt worden. Sie können sich an nichts erinnern und sprechen zugleich von einem ‚einschneidendes Erlebnis‘, das ‚wichtige gedankliche Prozesse angestoßen‘ habe. Das passt nicht zusammen.

Aus meiner Fraktion gab es keine Rücktrittsforderungen an Hubert Aiwanger und auch keine Vorverurteilung. Wir haben die Sondersitzung des Zwischenausschusses gemeinsam mit anderen Fraktionen einberufen, um Hubert Aiwanger die Möglichkeit zu geben, Parlament und Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen. Und um uns, den gewählten Vertreterinnen und Vertretern des Bayerischen Volkes, zu ermöglichen, uns ein faires, umfassendes Urteil zu bilden.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Vertreter der Regierungsfraktionen den Antrag auf eine Ministerbefragung abgelehnt haben. Die Brücke, die wir Herrn Aiwanger bauen wollten, damit er die Vorwürfe hier und heute ausräumen und Zweifel zerstreuen kann, wurde nicht beschritten. Die Hand, die wir ihm reichen wollten, nicht ergriffen. Wir sind gespannt, ob Herr Aiwanger trotzdem noch das Wort in dieser Sitzung ergreift und wir werden ihn auch daran messen.

In den letzten zwei Wochen drehte sich die landespolitische Debatte um den Mangel eines 16jährigen an politischer Orientierung und geschichtlichem Bewusstsein. Und um den Mangel eines 52jährigen an Reue und Aufrichtigkeit im Umgang damit. Ich wünsche mir, dass wir in den verbleibenden vier Wochen bis zur Landtagswahl wieder stärker über andere Themen Sprechen: Über den Mangel an Lehrerinnen und Lehrern zum Beispiel. Den Mangel an Kitaplätzen. Den Mangel an Fachkräften. Den Mangel an Wohnraum. Den Mangel an bezahlbarer Energie. Ich wünsche mir, dass in den verbleibenden vier Wochen bis zur Landtagswahl wieder stärker über die wirtschaftspolitische Bilanz von Hubert Aiwanger gesprochen wird. Denn die bietet – unabhängig der heute diskutierten Frage um das Flugblatt und den Umgang damit – reichlich Anlass zu Kritik.

Mit Blick auf den Minister Hubert Aiwanger stellt sich nach der jüngsten Debatte, aber auch angesichts seiner Äußerungen zur Demokratie in Erding die Haltungsfrage. Aber es stellt sich auch die Kompetenzfrage. Uns, die FDP, hat Ihr Reden und Handeln hinsichtlich beider Fragen nicht überzeugt.“

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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