Entscheidung zum Volksbegehren „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“.

(HVerfG 12/20).

Nach dem heutigen Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts darf das Volksbegehren „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“  nicht durchgeführt werden. Der von der Volksinitiative vorgelegte Gesetzgebungsvorschlag ist danach mit höherrangigem Recht nicht vereinbar. Zwar fehle es bei einer solchen Landesregelung nicht an der Gesetzgebungskompetenz. Der Vorschlag sei aber nicht klar genug gefasst und wahre damit nicht die Anforderungen, die sich aus dem Demokratieprinzip zum Schutz der Freiheit der Stimmberechtigten ergäben, sich für oder gegen den Vorschlag zu entscheiden. Die vorgeschlagenen Bestimmungen enthielten Widersprüchlichkeiten und Lücken, die es den Abstimmenden nicht ausreichend ermöglichten, die Auswirkungen des Vorhabens zu überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abzuschätzen. Die Entscheidung des Gerichts ist einstimmig ergangen.

Auf Antrag des Senats hatte das Verfassungsgericht über die Durchführung des Volksbegehrens zu entscheiden. Dessen Grundlage ist ein Gesetzesentwurf zur „Erprobung eines bedingungslosen Grundeinkommens im Land Hamburg“, mit dem ein wissenschaftlicher Modellversuch zur Erforschung der Wirkung, Akzeptanz und Umsetzbarkeit von Varianten des Grundeinkommens ermöglicht werden soll. Dazu sollen Versuchsgruppen bestehend aus insgesamt mindestens 2.000 Personen drei Jahre lang bedingungslos und ohne Bedürftigkeitsprüfung ein monatliches Einkommen erhalten. Dieses Grundeinkommen soll so hoch sein, dass daneben kein Bedarf an den Lebensunterhalt deckenden Sozialleistungen nach Bundesrecht besteht, und in wenigstens der Hälfte der Versuchsgruppen mindestens 1.120 Euro für Erwachsene und 560 Euro für Minderjährige betragen. Anderweitiges Einkommen soll angerechnet werden können, solange die Summe aus Geldzahlung und Einkommen jeweils höher ist als der Grundeinkommensanspruch. Der Entwurf sieht vor, dass die Gesamtkosten des Vorhabens 40 Mio. Euro nicht überschreiten sollen. Die genaue Ausgestaltung des Modellversuchs soll auf Vorschlag eines Forschungspartners durch Rechtsverordnung erfolgen.

Nachdem die Hamburgische Bürgerschaft die Vorlage der Volksinitiative nach Einreichung der erforderlichen Unterschriften nicht verabschiedet hatte, beantragten die Initiatoren im September 2020 die Durchführung eines Volksbegehrens nach dem Hamburgischen Volksabstimmungsgesetz. Daraufhin hat der Senat im Oktober 2020 das Hamburgische Verfassungsgericht angerufen und die Feststellung beantragt, dass das Volksbegehren nicht durchzuführen sei.

Nach der heutigen Entscheidung des Verfassungsgerichts würden die beabsichtigten Regelungen keine Gesetzgebungskompetenzen des Bundes oder sonstige bundesrechtlichen Regelungen verletzen. Es handele sich zwar um Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge, denn die Regelungen zielten der Sache nach zumindest auch darauf ab, potentielle Bedürftigkeit der an dem Modellversuch teilnehmenden Personen zu beseitigen oder zu minimieren. Das zeige sich daran, dass die Zahlung eines Grundeinkommens faktisch an eine individuelle Bedürftigkeit anknüpfe und die Teilnehmenden aus dem aktuell bestehenden System der Grundsicherung herauslösen solle. Für Materien der öffentlichen Fürsorge, die nur Bürgerinnen und Bürger eines bestimmten Landes betreffe, ließen die bundesrechtlichen Vorschriften jedoch Raum für Landesgesetze, die ein Modellvorhaben zur Weiterentwicklung des Systems der sozialen Grundsicherung ermöglichten, ohne das bestehende System zu unterlaufen.

Die Durchführung des Volksbegehrens scheitert nach dem Urteil daran, dass der vorgelegte Entwurf nicht klar genug gefasst ist und damit die sich aus dem Demokratieprinzip ergebenden Anforderungen zum Schutz der Freiheit Stimmberechtigten, sich für oder gegen dessen Unterstützung zu entscheiden, nicht eingehalten würden. Nach dem aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten Prinzip der Abstimmungsklarheit müssten die Bürgerinnen und Bürger anhand der Vorlage den Kern der Regelungen und die Auswirkungen des Vorhabens überblicken und wirklich erfassen können, sodass sie die Vor- und Nachteile des zur Abstimmung gestellten Gesetzentwurfs abwägen könnten. Hierfür müsste deutlich werden, welches die Rahmenbedingungen des vorgeschlagenen Modellversuchs seien und mit welchen Auswirkungen für die Teilnehmenden der Versuch durchgeführt werden solle. Die Stimmberechtigten müssten auch überblicken können, ob der als Ziel des Modellversuchs formulierte Erkenntnisgewinn mit der vorgeschlagenen Regelung erreicht werden kann. Diese Voraussetzungen erfülle der vorgelegte Entwurf nicht. Dieser enthalte Widersprüchlichkeiten und Lücken, die zur Folge hätten, dass bei den Stimmberechtigten falsche Vorstellungen vom Inhalt des Vorhabens geweckt würden.

So erweckten sowohl die Entwurfsüberschrift als auch einzelne Bestimmungen den Eindruck, es gehe um die modellweise Einführung eines Grundeinkommens, das bedingungslos und ohne Bedürftigkeitsprüfung an die Teilnehmenden ausgezahlt werde. Tatsächlich enthalte der Entwurf jedoch Regelungen zu einer Einkommensanrechnung und zur Prüfung individueller Bedarfe, ohne zu regeln, wie diese Bedarfe ohne eine „bürokratische Bedürftigkeitsprüfung“ ermittelt werden sollten, die es nach dem Entwurf gerade nicht mehr geben solle. Nicht hinreichend deutlich werde zudem, dass der Modellversuch schon wegen der Kostendeckelung auf 40 Mio. Euro in weiten Teilen nicht ohne eine Anrechnung anderweitigen Einkommens auskommen würde.

Weiterhin vermittele der Entwurf den unzutreffenden Eindruck, mit der Zahlung eines Grundeinkommens in Höhe von 1.120 Euro für Erwachsene und 560 Euro für minderjährige Teilnehmende sei die Armutsrisikoschwelle überschritten und es bestehe im Ergebnis eine ausreichende Grundsicherung. Tatsächlich seien diese Mindestbeträge auch zum Zeitpunkt der Unterschriftensammlung im Jahr 2020 bereits nicht mehr auskömmlich gewesen. Es werde nicht dargelegt, ob und aus welchen Gründen, eine Erhöhung der Mindestbeträge stattfinden solle und was dies für den Erfolg des Modellversuchs und die Kostengrenze von 40 Mio. Euro bedeutet würde. Unberücksichtigt blieben auch inflationsbedingte Anpassungen sowie Abzüge, die durch eine Besteuerung des Grundeinkommens entstünden. Auch die Auswirkungen des Grundeinkommens in der Sozialversicherung und seine Pfändbarkeit würden nicht behandelt. Es könne zwar nicht erwartet werden, dass das Zusammenspiel zwischen dem Modellversuch und den bestehenden Gesetzen in allen Facetten beleuchtet werde, jedoch seien die wesentlichen Schnittstellen mit anderen Gesetzen, insbesondere soweit sie sich nachteilig für die Teilnehmenden auswirken könnten, zu benennen. Denn anders könnten die Abstimmenden die Vor- und Nachteile des Gesetzentwurfs und dessen Auswirkungen nicht abschätzen.

Schließlich entstehe bei den Abstimmenden ein falscher Eindruck über den Umfang der aus dem Modellversuch zu gewinnenden Erkenntnisse. Nicht offengelegt werde, dass die negativen monetären Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht untersucht werden könnten, sodass die Versuchsanordnung insoweit unvollständig bleibe. Erkenntnisse über die verschiedenen Varianten des Grundeinkommens ließen sich durch den Versuchsaufbau allein auf Grundlage der positiven/neutralen finanziellen Wirkungen gewinnen, nicht hingegen über Wirkung und Akzeptanz der negativen finanziellen Folgen, die mit der Finanzierung eines solchen Grundeinkommens verbunden seien.

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