Frau Keil, die Justiz und die Fußfessel.

Von Dr. Thomas Galli, Augsburg.

Die elektronische Aufenthaltsüberwachung („Fußfessel“) ist grundsätzlich sehr kritisch zu sehen. Insbesondere das Risiko ihrer maßlosen Ausweitung und der mit ihrer Hilfe fast absoluten Überwachung Einzelner durch den Staat ist groß. Bislang kommt die (elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) vor allem als Weisung der Führungsaufsicht bei Menschen zum Einsatz, die aus der Haft oder Sicherungsverwahrung entlassen worden sind (das betrifft deutschlandweit knapp 100 Menschen, vgl. http://m.fr.de/politik/ueberwachung-von-gefaehrdern-96-personen-tragen-fussfesseln-a-1423106).

Sinnvoll erscheint die EAÜ mir persönlich jedoch als Alternative zur Haft bzw. Untersuchungshaft sowie als Auflage für Lockerungen der Haft zu sein, die ansonsten nicht gewährt würden. Die EAÜ ist in solchen Fällen, trotz aller mit ihr verbundenen Risiken, das geringere Übel und die sinnvollere staatliche Intervention. Voraussetzung muss sein, dass die bzw. der Inhaftierte der EAÜ zustimmen, da es für manche auch die schlimmste Folter sein kann, dauerhaft das Gefühl zu haben, beobachtet und kontrolliert zu werden. Einige Strafvollzugsgesetze der Länder sehen ausdrücklich vor, dass Lockerungen von einer Zustimmung zur EAÜ abhängig gemacht werden können (vgl. z.B. § 47 Abs. 2 JVollzGB LSA).

Die EAÜ wird allerdings nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht, sondern auch mit den Argumenten kritisiert, sie verhindere nicht wirksam Straftaten oder eine Flucht und sei keine mit der Strafhaft vergleichbare Strafe. Dem ist zu entgegnen, dass die Strafhaft die Allgemeinheit außerhalb des Gefängnisses auch nur für die Zeit der Haft weitgehend vor Straftaten schützt. Es führt zu einem sehr oberflächlichen und symbolischen Schutz der Sicherheit, wenn man sich vor Augen führt, dass die Strafhaft die Wahrscheinlichkeit eher noch erhöht, dass die Inhaftierten danach wieder straffällig werden (vgl. https://www.freiepresse.de/POLITIK/DEUTSCHLAND/thema-einspruch/Gefaengnisse-sind-keine-Loesung-artikel9466132.php#). Auch geht es nicht darum, Menschen mit der Fußfessel in Freiheit zu lassen, von denen befürchtet werden muss, sie könnten jederzeit jemanden vergewaltigen oder umbringen. Es geht um die absolute Mehrheit von Straffälligen, die keine schweren Gewalttäter sind. Damit sollen nicht etwa z.B. Vermögensdelikte generell bagatellisiert werden. Wer um sein Geld gebracht wird, für das er hart gearbeitet hat, oder das er selbst dringend braucht, der hat ein Recht darauf, dass der Staat dagegen vorgeht und dass versucht wird, den Schaden bestmöglich zu beheben. Die Frage ist aber eben, wie der Staat das tut. Wer im Gefängnis sitzt, kann weder „normal“ Geld verdienen, um Gläubiger zu bedienen, noch Steuern zahlen. Im Gegenteil, jeder Monat Haft kostet den Steuerzahler gut 4000 Euro.

Aus der Forschung weiß man, dass die Gefahr, aufgedeckt zu werden, einen viel höheren Abschreckungseffekt hat als die mögliche Strafe, die dann droht. Eine elektronische Fußfessel erhöht die Aufdeckungsgefahr erheblich, da jederzeit nachvollzogen werden kann, wo sich ihr Träger aufgehalten hat. Auch eine Flucht etwa ins Ausland kann so mit den gleichen Einschränkungen vermieden werden, wie sie auch im geschlossenen Vollzug bestehen (vgl. aktuell die Flucht von 4 Gefangenen aus dem geschlossenen Vollzug in Berlin, https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2017/12/vier-inhaftierte-aus-jva-ploetzensee-geflohen-berlin.html).

Und wenn ein Betroffener einen bestimmten Bereich z.B. nur verlassen darf, um einer gemeinnützigen Arbeit nachzugehen, dann kann das ebenso Strafcharakter wie eine Strafhaft haben.

Ich will die Problematik anhand eines konkreten Falles nachvollziehbar machen. Es betrifft eine Mandantin in der sächsischen JVA Chemnitz, die mich ausdrücklich ermächtigt hat, ihren Fall auch öffentlich zu thematisieren, da er exemplarisch für viele andere steht. Auch ist ihr Name (in den Boulevardmedien als „Dubai-Gabi“) bereits gegen ihren Willen vielfach medial verbreitet worden. Frau Keil war als Bankerin und Anlageberaterin tätig. Sie ist wegen Anlagebetruges vom Landgericht Hof zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, und war auf dem besten Wege, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. Sie ist erstmalig straffällig geworden, hat sich im Strafvollzug hervorragend geführt, war nie gewalttätig und hat keinerlei Suchtproblematik. Sie hat Familie (u.a. einen minderjährigen Sohn), die sie braucht und die von ihr gebraucht wird. Die Vollzugsanstalt ist, was sehr selten vorkommt, aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls einer Entlassung bereits nach der Verbüßung der Hälfte der Strafzeit nicht entgegengetreten. Die zuständige Strafvollstreckungskammer ist dieser Einschätzung gefolgt, und hat die Reststrafe von Frau Keil zur Bewährung ausgesetzt.

Dann der Rückschlag: Die Staatsanwaltschaft Hof hat Beschwerde gegen diese Entscheidung erhoben, und ein neues Ermittlungsverfahren gegen Frau Keil eröffnet. Eine (angeblich inhaltlich veränderte) Vermögensplanung aus dem Jahr 2013, die sie 2017 an verschiedene Justizbehörden geschickt hatte, sei strafrechtlich gesehen das Gebrauchen einer unechten Urkunde („Urkundenfälschung“). Alle Chancen auf eine vorzeitige Entlassung waren dahin. Das OLG Dresden entschied nun, die Strafe doch nicht zur Bewährung auszusetzen. Frau Keil wurde vom offenen Vollzug wieder in den geschlossenen Vollzug verlegt. Vollzugslockerungen, die sie ohne jede Beanstandung absolviert hatte, wurden wieder gestrichen. Das Amtsgericht Hof hat einen Haftbefehl erlassen, es ist Überhaft für das neue Verfahren angeordnet. Dass der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Hof, es läge durch die Übersendung eines Dateiausdrucks per Fax eine Urkundenfälschung vor, der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH widerspricht, der entschieden hat, dass es sich weder bei einem als Datei gespeichertem Schriftstück noch bei dem Ausdruck eines per Telefax übermittelten Schriftstücks beim Empfänger um eine Urkunde i.S.d. § 267 StGB handelt (vgl. Beschluss BGH v. 27.10.2010, Az. 5 StR 488/09), kann im Rahmen dieses Beitrages nicht näher thematisiert werden.

Entscheidend ist hier vielmehr die Frage, warum Frau Keil eine Unterbringung im offenen Vollzug mit einer EAÜ, der sie zugestimmt hat, oder ein elektronisch überwachter Hausarrest verweigert wurden. Fluchtgefahr? Wie sollte sie fliehen, wenn ihr Aufenthaltsort für die Polizei jederzeit ersichtlich ist und etwaige Manipulationen an der technischen Einrichtung sofort auffallen würden? Dass die Technik noch nicht ausgereift genug sei, kann nur als Scheinargument bezeichnet werden. Was noch nicht ausgereift genug ist, ist der Wille, sie sinnvoll anzuwenden. Die Gefahr der Begehung von Straftaten? Unabhängig davon, dass die Zusendung des Schriftstücks, anders als von der StA Hof angenommen, keine Straftat war, ist festzustellen, dass derartiges auch ohne Probleme aus dem geschlossenen Vollzug heraus, den man Frau Keil nun noch über viele Monate angedeihen lassen will, vollzogen werden könnte. Beeinflussung von Zeugen? Wer das wollte, könnte es ebenfalls ohne Probleme aus dem Vollzug heraus tun. Notfalls vermittelt über Dritte. Legale Kontaktmöglichkeiten nach außen gibt es, etwa über die Besuchsregelungen, genug, und auch z.B. Handys, über die gänzlich unkontrolliert Kontakt mit der Außenwelt gehalten werden kann, sind in jeder Anstalt zahlreich im Umlauf (vgl. https://www.swr.de/swraktuell/rp/verbotene-mobiltelefone-in-gefaengnissen-156-handys-in-zellen-geschmuggelt/-/id=1682/did=19436744/nid=1682/1pmtp20/index.html). Resozialisierung? Frau Keil hätte die Chance, als Angestellte zu einem regulären Gehalt in einem Berufsfeld tätig zu werden, das nichts mit ihrer früheren Tätigkeit zu tun hat. Sie könnte sich um ihren Sohn kümmern, ganz normale soziale Kontakte aufbauen und pflegen, und etwaige Schulden bedienen. Und jetzt? Der persönliche Kontakt mit ihrer Familie ist auf wenige Stunden im Monat beschränkt. Die Bezugs- und Kontaktpersonen von Frau Keil sind nun die anderen Inhaftierten der JVA Chemnitz, ihr Leben spielt sich größtenteils in einem kleinen Haftraum mit vergitterten Fenstern ab. Frau Keil wird von der normalen Welt entfernt.

Wenn man den Gedanken der Resozialisierung tatsächlich ernst nimmt, dann kann er nicht das Postulat enthalten, dass die Gefahr, die in jedem Menschen liegt, straffällig zu werden, auf Null reduziert wird. Resozialisierung bedeutet vielmehr, dass dieser Gefahr am ehesten und am besten durch eine Integration in die Gesellschaft mit eben ihren Werten und Normen begegnet werden kann. Durch ein Ausschließen aus der Gesellschaft erreicht man jedoch genau das Gegenteil.

Wann fangen die Justizverwaltungen also endlich an, ihre immensen Ressourcen in Einsatz, Erforschung und Entwicklung sinnvollerer Alternativen zu investieren, statt Millionen in den Aufbau, Ausbau oder die Renovierung des geschlossenen Strafvollzuges zu stecken (vgl. z.B. 90 Mio. Euro für 364 Haftplätze, https://www.frankenpost.de/region/marktredwitz/JVA-Bau-beginnt-2019;art2442,5858055), der nach allem, was man wissen kann, nicht re-, sondern de-sozialisierend wirkt und somit der Gesellschaft schadet?

Es ist utopisch zu fordern, den geschlossenen Strafvollzug (das „Gefängnis“) von heute auf morgen abzuschaffen. Keineswegs utopisch, naiv oder ideologisch motiviert („rot-grün-versifft“), sondern ein Gebot reiner Vernunft jedoch ist es, schrittweise Alternativen aufzubauen, und so den Anwendungsbereich des geschlossenen Vollzuges zu verkleinern, also die Gefängnisse langsam zu leeren (was, nebenbei erwähnt, auch das Mittel der Wahl gegen die allseits beklagte Überbelegung vieler Anstalten wäre, vgl. https://www.focus.de/politik/deutschland/hoch-aggressives-und-unbelehrbares-klientel-strafvollzugs-gewerkschaftler-warnt-vor-gefaengnis-revolten_id_7485225.html). Vorbildlich ist z.B. die freie Form des Jugendstrafvollzuges in Sachsen (http://www.sueddeutsche.de/panorama/freie-form-des-strafvollzugs-straftaeter-im-haus-1.3791584?reduced=true). Warum fängt man nicht darüber hinaus mit der Etablierung z.B. eines elektronisch überwachten Hausarrestes, wie es ihn in anderen Ländern seit vielen Jahren gibt (in der Schweiz wird in diesem Jahr damit begonnen, vgl. https://m.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/kreis-konstanz/Hausarrest-statt-Gefaengniszelle;art372432,9590585), als Alternative zur Unterbringung im geschlossenen Strafvollzug an? Zunächst könnte man mit (den sehr wenigen) weiblichen Inhaftierten beginnen, von denen, wie bei Frau Keil, keine Gefahr für Leib oder Leben anderer ausgeht.

Viele der bekannten und empirisch belegten negativen Folgen des geschlossenen Vollzuges könnten so vermieden werden. Zumindest sollte man zeitnah dazu übergehen, Vermögenstraftäter/-innen im offenen Vollzug, notfalls ergänzt durch eine EAÜ, unterzubringen.

Dies wäre nicht nur für Frau Keil und ihre Familie wünschenswert. Es wäre uns allen zu wünschen. Als Steuerzahler und als Bürger, die einen Anspruch darauf haben, dass der Staat im Umgang mit dem Thema Kriminalität weder maßlos noch symbolisch, sondern möglichst sinnvoll agiert.

 

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