Gibt es realistische Chancen, von einer strafenden zu einer wiederherstellenden Gerechtigkeit zu gelangen?

Ein Gastbeitrag von Ex-JVA-Leiter und Gefängniskritiker Dr. Thomas Galli, Augsburg.

Es gibt verschiedene Perspektiven, von denen aus unser Strafrecht und unser Strafvollzug gesehen, analysiert und erklärt werden können, und verschiedene Haltungen, die das System prägen und verändern.

Nach unserem ersten Gespräch mit Thomas Middelhoff (https://tp-presseagentur.de/niemand-hat-einen-heiligenschein-verdient/) haben wir nun mit drei Persönlichkeiten gesprochen, die ganz besondere Perspektiven und Haltungen vertreten.

Eine gänzlich objektive Perspektive zu unserem Strafrecht als einem menschlichen und sozialen Konstrukt wird wohl nie möglich sein, jedoch kommt dieser Objektivität sicher ein kriminologischer Ansatz am nächsten, der gleichsam von außen das menschliche Zusammenleben und seine Regeln analysiert. Mit Prof. Dr. Johannes Feest und Prof. Dr. Sebastian Scheerer haben wir dazu mit zwei herausragenden Vertretern einer solchen Kriminologie gesprochen, wobei sich beide nicht auf eine weitgehend objektive Analyse beschränken, sondern in ihrer Kritik des Status quo auch für Veränderungen argumentieren und eintreten. 

Johannes Feest widmet einen Großteil seines (wissenschaftlichen) Wirkens dem Thema Strafvollzug, konkreter ausgedrückt der Abschaffung der Freiheitsstrafe. Unter anderem ist er langjähriger Herausgeber und Mitautor des Alternativkommentars zum Strafvollzug (mittlerweile in der 7. Auflage).

Zusammen mit Scheerer hat Feest aktuell in No Prison die wichtigsten Argumente gegen die Freiheitsstrafe zusammengefasst (vgl. Rezension unter http://tp-presseagentur.de/thomas-galli-hat-sich-mit-dem-buch-no-prison-auseinandergesetzt/).

Sebastian Scheerer hat u.a. mit seinem viel Aufsehen erregenden und unbedingt lesenswerten Beitrag „Kritik der strafenden Vernunft“ (in: Ethik und Sozialwissenschaften, Jg. 12, 2001, S. 69–83) immer wieder auch die hinter dem Gefängnis stehenden grundlegenden Fragen danach aufgeworfen (und sie verneint), ob wir überhaupt strafen dürfen und sollten. 

Man tut Feest und Scheerer sicher nicht unrecht, wenn man sie als Vordenker des Abolitionismus in Deutschland bezeichnet.

Wir konnten in einem hochinteressanten Gespräch viele wichtige Fragen mit ihnen erörtern: wie kamen bzw. kommen sie dazu, für eine Abschaffung der Gefängnisse (oder wie Scheerer gar zu einer Abschaffung von Strafe) zu plädieren? Was spricht dafür, was dagegen? Wie sehen sie die realistischen Möglichkeiten für Veränderungen unseres Systems? Wie sehen sie die Rolle und Bedeutung der abolitionistischen Bewegung in Deutschland, und wie im internationalen Vergleich? Wie geht es ihnen ganz persönlich damit, oft (z.B. auf Fachtagungen) mehr oder weniger der einzige zu sein, der ihre Ansichten vertritt? Welche Erfahrungen haben sie ganz persönlich mit der Justiz gemacht? 

Nach unserer Überzeugung hat der Abolitionismus vor allem eine Chance, wenn er realistische und überzeugende Alternativen zur Freiheitsstrafe in geschlossenen Anstalten aufzeigt. Insbesondere die Ideen und Ansätze scheinen hier vielversprechend zu sein, die sich unter dem Begriff der Restorative Justice vereinigen lassen. Hierzu haben wir ein spannendes Gespräch mit Kim Magiera geführt. Kim Magiera ist Wissenschaftlerin an der Universität Kiel und befasst sich im Schwerpunkt u.a. mit der Restorative Justice. Was ist damit gemeint? Gibt es das schon irgendwo auf der Welt? Welche Ansätze gibt es in Deutschland? Gibt es realistische Chancen, von einer strafenden zu einer wiederherstellenden Gerechtigkeit zu gelangen?

Die ausführlichen Gespräche werden in einem kommenden Buchprojekt verarbeitet.

Näheres dazu in Kürze.

Foto: (v.l.n.r) Kim Magiera, Sebastian Scheerer, Thomas Galli, Sait Icboyun, Johannes Feest

Fotoquelle: Cornelia Musolff

Eine Antwort

  1. Die gestellte Frage läßt sich mit einem Ja beantworten.
    Denn denkbar ist alles.
    Nur, ob es sinnvoll ist, sich die Lebenszeit mit dieser Diskussion zu verkürzen, mag zu bezweifeln sein.
    Über Jahrtausende hin, hat sich bei den urbanisierten Völkern eine Kultur des Strafens entwickelt und manifestiert, die sich schwerlich aus den Köpfen verdrängen läßt.
    Indigene und nomadisierende Völker kennen keine Gefängnisse.
    Aus deren Erfahrungen zu lernen, würde zum richtigen Ansatz führen. Nur ist der weiße Mann dabei, auch die letzten verbliebenen Völker im Wege des unbeschränkten Freihandels zu liquidieren.

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