Grüne: „Grundsätzlich ein kluger Vorschlag.“

Lammert schlägt vor: Alterspräsident des Bundestages soll künftig nach „Dienstalter“ bestimmt worden

Nach dem gestrigen Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), wonach künftig nicht mehr der lebensälteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete Alterspräsident des Parlaments bei dessen konstituierender Sitzung sein soll, also der Abgeordnete, der dem Deutschen Bundestag am längsten angehört, gab es heute diverse Statements der Parteien, auch von der AfD.

Aus Sicht Lammerts soll sichergestellt werden, dass ein Parlamentarier die erste Sitzung des neugewählten Bundestages leitet, der über ausreichende einschlägige Erfahrungen verfügt. Bei der derzeitigen Rechtslage bleibe es dem Zufall überlassen, wer Alterspräsident werde; nicht auszuschließen sei etwa, dass ein neugewählter Abgeordneter ohne jegliche Erfahrung in der Leitung von Versammlungen oder Sitzungen als Lebensältester in die Situation komme, die konstituierende Sitzung des größten und wichtigsten deutschen Parlaments zu leiten. Das sei mit dessen Bedeutung nicht vereinbar.

Unter mehreren Abgeordneten mit gleichem „Dienstalter“ soll gegebenenfalls wiederum der lebensälteste zum Zuge kommen. Eine entsprechende Regelung ist bereits 1992 im schleswig-holsteinischen Landtag eingeführt worden. Lammert bat die Fraktionen des Deutschen Bundestages darum, sich mit seinem Änderungsvorschlag für die Geschäftsordnung zu befassen.

Zum Vorschlag Lammerts zur Änderung der Geschäftsordnung erklärte heute Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag:

„Es ist grundsätzlich ein kluger Vorschlag, die Leitung einer konstituierenden Sitzung in erfahrene Hände zu legen. Die Landtage in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein haben damit gute Erfahrungen gemacht. Der Zeitpunkt dieses Vorschlages ist aber der falsche. Wir halten nichts davon, eine bewährte Regelung im Hauruck-Verfahren zum Ende einer Legislaturperiode über Bord zu werfen und so den Eindruck zu erwecken, es gebe einen direkten Zusammenhang mit der anstehenden Wahl. Natürlich wäre es eine Zumutung, wenn ein Rechtsnationalist eine Parlamentssitzung eröffnen würde, doch wir sind überzeugt: unser Parlament und unsere Demokratie halten das aus. Das Parlament wird, wenn es dazu kommt, souverän und selbstbewusst damit umgehen. In jedem Falle muss klar sein: Wer im Deutschen Bundestag spricht, muss dies eindeutig auf dem Boden unseres Grundgesetzes und unserer Rechtsordnung tun.“

 

Der Alterspräsident hat nach der Geschäftsordnung des Bundestages die Aufgabe, in der ersten Sitzung des Parlaments den Vorsitz zu führen, „bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt.“ Zudem hat er nach der Geschäftsordnung in dem bislang nicht praktisch gewordenen Fall die Plenarsitzungen zu leiten, wenn Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert sind.

Ebenfalls auf Vorschlag von Bundestagspräsident Lammert hat der Ältestenrat den Geschäftsordnungsausschuss beauftragt, zu prüfen, wie sichergestellt werden kann, dass der Deutsche Bundestag und jedenfalls seine in der Verfassung oder in Gesetzen vorgesehenen Fachausschüsse nach den anstehenden Bundestagswahlen möglichst rasch und unabhängig von in ihrer Dauer nicht einschätzbaren Koalitionsverhandlungen arbeitsfähig sind. Zu Beginn der aktuellen Wahlperiode war ein provisorischer Hauptausschuss konstituiert worden, um dringende Fragen zu klären. Diese Konstruktion sei weder in der Verfassung noch in der Geschäftsordnung vorgesehen. Im Grundgesetz vorgesehen sind der Europaausschuss, der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss und der Petitionsausschuss. Eine einfachgesetzliche Grundlage haben etwa der Haushaltsausschuss und der Wahlprüfungsausschuss gefunden.

AFP meldete heute:

„Die von Bundestagspräsident Lammert vorgeschlagene Regeländerung bei der Festlegung des Alterspräsidenten stößt auf breite Zustimmung. Vertreter von SPD, Union und Linkspartei sprachen sich am heute dafür aus, den Alterspräsidenten des Bundestages nicht mehr nach Lebensjahren, sondern nach Dienstalter zu bestimmen. Kritik kam dagegen vom stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, dem nach der Bundestagswahl der Posten nach den bisherigen Regeln zufallen könnte. Gauland warf Lammert in einer Erklärung «Tricksereien» vor. Aus «Angst vor der AfD» würden die «Altparteien» versuchen, «mögliche Kandidaten einer demokratischen Partei mit billigen Tricks völlig grundlos» zu verhindern. Persönlich sei es ihm aber «vollkommen egal, wer diesen Titel im September erhält und welche Partei ihn stellt».

Der Alterspräsident des Bundestags spielt vor allem bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments alle vier Jahre eine wichtige Rolle. Er hält eine einführende Rede und leitet die Sitzung, bis ein Parlamentspräsident gewählt ist. Lammert hatte am Donnerstag dafür plädiert, künftig den Abgeordneten mit der längsten Dienstzeit zum Alterspräsidenten zu machen. Haben mehrere Volksvertreter die gleiche Zeit im Bundestag aufzuweisen, soll der Älteste von ihnen zum Zuge kommen.

Die AfD dürfte Umfragen zufolge im September erstmals in den Bundestag einziehen. Sollten die alten Regeln für die Alterspräsidentschaft gelten, käme die Aufgabe wohl auf Wilhelm von Gottberg zu, der auf Platz vier der Kandidatenliste der niedersächsischen AfD steht und Ende März 77 Jahre alt wird. Bei einem schlechteren AfD-Wahlergebnis stünde der 76-jährige Gauland bereit, der die Liste der Partei in Brandenburg anführt.

Rückendeckung erhielt Lammert von den Sozialdemokraten. «Das ist ein guter Vorschlag», sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. In diesem Amt brauche es Erfahrung. «Dies gilt unabhängig von einem möglichen Alterspräsidenten der AfD.» Die SPD kämpfe in den nächsten Monaten darum, «dass die AfD überhaupt nicht in den Bundestag kommt».

Auch der Justiziar der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), signalisierte Unterstützung. «Die konstituierende Sitzung nach der Wahl steht im besonderen Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie zu leiten braucht Erfahrung und nicht Alter», sagte Uhl dem

«Handelsblatt». Daher sollte noch vor der Bundestagswahl die Geschäftsordnung des Parlaments entsprechend geändert werden.

Die Linkspartei erwägt, den Vorschlag ebenfalls zu unterstützen. Mit dem Thema dürfe zwar «nicht leichtfertig» umgegangen werden, sagte Kipping dem «Handelsblatt». «Aber wenn droht, dass mit einem Herrn von Gottberg jemand als Alterspräsident reden würde der klare geschichtsrevisionistische Thesen vertritt, der die Singularität der Naziverbrechen in Frage stellt, dann haben wir eine kollektive Verantwortung.»

Einem «Zeit»-Bericht von Mitte März zufolge hatte von Gottberg 2001 in einem Artikel für das Ostpreußenblatt (heute «Preußische Allgemeine Zeitung») den Holocaust als «wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen und ihrer Geschichte» bezeichnet.“

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