MDR muss Wahlspot der PARTEI ausstrahlen.
Die PARTEI obsiegt vor dem Verwaltungsgericht Leipzig mit ihrem Anspruch auf Ausstrahlung eines Radio-Werbespots.
Mit Beschluss vom 16. August 2024 hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Leipzig dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Eliteförderung und basisdemokratische Initiative Sachsen (Antragstellerin) stattgegeben und den Mitteldeutschen Rundfunk verpflichtet, den von der Partei übermittelten Wahlwerbespot »Die Machtergreifung« am 22. August 2024 um 12:57 Uhr im Hörfunkprogramm »MDR SACHSEN – Das Sachsenradio« zu senden.
Die Antragstellerin nimmt als politische Partei an den Landtagswahlen im Freistaat Sachsen am 1. September 2024 teil. Sie übersandte dem MDR hierzu einen Wahlwerbespot zur Ausstrahlung im Radio. Der Inhalt des Wahlwerbespots lautet wie folgt:
»Geräusche: Schritte, Bier öffnen
& trinken, im Hintergrund ein leises Radio, Radio wird auf-gedreht.
Nachrichtensprecher: Nachrichten! Dresden: Die neue sächsische Regierung ist am
Vormittag vereidigt worden.
Herbert: Örmschn! De AfD ham‘se vereidischt. Die Faschisden sind wieder anner
Macht.
Irmgard: Schonne wieder? Müssmer da was machn?
Herbert: Na gloar. Ich geh sorford die Knarrn ausm Kellor holn.
Irmgard: Nischt machste, mit deine Beene!
Herbert: Abor … *grml*
Irmgard: Hase du bleibst hier!
Herbert: Geht das wieder los, mit de Nazis. Da is doch schon eener! EY, HAST DU
OCH AFD GEWÄHLT? Oah da nickt der!
IRMGARD MACHE HINNE, HIER IS EENER! Du Gnusbbergob, diesma schießen WIR zuerst!
Irmgard: Wo isser? wo isser?
Geräusche: Fenster klirren, Schuss
Habsch!
Herbert: Oh ih eeh, viehsch die Gusche aus’m Nischel geruppt!
Irmgard: Sowas verlernste ni!
Herbert: Gucke Mal Da! Das ist doch der kleene von drübn.
Irmgarg: Soon lieber Junge!
Herbert: Na der wählt seit Johren AfD!
Irmgard: Schade.
Geräusche: Schuss
Herbert: Irmi, da komm noch mehr. Los, schieß! Schieß!
Geräusche: Schüsse
Boahh… Die könn‘n ihre Peffis ma schön in der hohlen Hand heeme schleppn!
*nachladen*
Irmgard: Kennst du die alle?
Herbert: Joa nee, aber bei Fufzsch wird’s schon de richtchen treffn!
Irmgard: Nunu!
Geräusche: Schüsse
Ansagestimme: Bevor es zu spät ist: Wählen Sie die PARTEI.«
Zur Begründung der Entscheidung hat
die Kammer näher ausgeführt, dass den politischen Parteien grundsätzlich nach §
5 Abs. 1 Parteiengesetz i. V. m. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1
Grundgesetz ein Anspruch auf Ausstrahlung von Wahlwerbespots im Rahmen der
ihnen eingeräumten Sendezeit und zugeteilten Sendeplätze zusteht. Da die
Wahlwerbung in Hörfunk und Fernsehen nach wie vor zu den wichtigen Mitteln im
Wahlkampf der politischen Parteien gehört, muss die Vergabe von Hörfunk- und
Fernsehzeiten für Wahlwerbesendungen dem Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen
der politischen Parteien Rechnung tragen. Allerdings besitzen die
Rundfunkanstalten das Recht, die Ausstrahlung konkreter Wahlwerbespots
politischer Parteien bei einem evidenten und ins Gewicht fallenden Verstoß
gegen allgemeine Normen des Strafrechts zurückzuweisen. Denn es ist ihnen nicht
zuzumuten, sich an schwerwiegenden, offensichtlich rechtswidrigen Tätigkeiten
Dritter zu beteiligen. Hingegen darf eine Ausstrahlung nicht allein deshalb
verweigert werden, weil der vorgelegte Wahlwerbespot mit dem Grundgesetz nicht
zu vereinbarende Zielvorstellungen, Programme oder Inhalte zum Gegenstand hat.
In Zweifelsfällen sind – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
– zugunsten der politischen Parteien die vorgelegten Wahlspots auszustrahlen.
Vor diesem Hintergrund bestehe im konkreten Fall ein Anspruch der
Antragstellerin auf Ausstrahlung ihres Wahlwerbespots. Von einer evidenten
Strafbarkeit des Inhalts sei nicht auszugehen. Für eine öffentliche
Aufforderung zu Straftaten (§ 111 Strafgesetzbuch – StGB -) oder eine Störung
des öffentlichen Friedens (§ 126 StGB) fehle es an der erforderlichen
Ernstlichkeit. Denn das Geschehen sei satirisch stark überzeichnet, was
insbesondere durch die deutliche Überreaktion der Protagonisten auf die
Nachricht der Vereidigung der neuen Regierung, die geäußerten Beleidigungen und
den starken Dialekt der Sprecher erkennbar werde. Auch eine Strafbarkeit wegen
Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) scheide aus. In der Rechtsprechung
sei bereits entschieden, dass Personenkreise wie die Wähler oder Sympathisanten
einer bestimmten Partei keine abgrenzbare Bevölkerungsgruppe bildeten, die
Opfer einer Volksverhetzung sein könne. Denn es handele sich bei den Wählern
einer Partei schon aufgrund des Wahlgeheimnisses und der Tatsache, dass das
eigene Wahlverhalten regelmäßig nicht öffentlich bekundet werde, zum einen
nicht um eine für Außenstehende klar abgegrenzte und erkennbare Gruppe. Zum
anderen stelle dieser Personenkreis auch eine ihrer Natur nach vorübergehende
und nicht auf einem dauerhaften Abgrenzungsmerkmal beruhende Gruppierung dar,
was allein schon aus der Vielzahl und zeitlichen Abfolge an Wahlen auf
verschiedenen Ebenen folgt, an denen Parteien teilnehmen. Schließlich liege
auch keine Gewaltdarstellung im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Nr. 1 StGB
vor. Danach mache sich strafbar, wer grausame oder unmenschliche
Gewalttätigkeiten in einer Art schildere, die deren Verharmlosung ausdrücke.
Zwar zeige der Wahlwerbespot eine menschenverachtende Haltung der beiden
Protagonisten, die die anvisierten Personen allein aufgrund deren
Wahl-verhalten erschießen. Allerdings mache das Unmenschliche dabei nicht den
wesentlichen Inhalt und zugleich Sinn der Schilderung aus. Vielmehr gehe es
ersichtlich den Protagonisten des Wahlwerbespots um den Widerstand gegen
vermeintliche Rechtsextreme, bzw. die Notwendigkeit dazu (»Geht das wieder los,
mit de Nazis«, und »diesma schießen WIR zuerst!«, »Bevor es zu spät ist: Wählen
Sie die PARTEI.«). Vor diesem Hintergrund sei der Wahlwerbespot möglicherweise
im Grenzbereich der Strafbarkeit anzusiedeln, jedenfalls liege aber die Annahme
einer evidenten Strafbarkeit des Inhalts fern. In einer Zusammenschau mit dem
Schlusssatz »Bevor es zu spät ist: Wählen Sie die PARTEI.« sei der Sinngehalt
des Wahlwerbespots dahin zu verstehen, dass das beschriebene Szenario aus Sicht
der Antragstellerin gerade nicht gewünscht sei, mithin auch nicht die Tötung
von AfD-Wählern. Diesem Schlusssatz komme als vom Rest des Wahlwerbespots
sprachlich und zeitlich hervorgehobenem Teil des Spots besonderes Gewicht zu.
Der Satz sei gestalterisch isoliert und stehe in deutlichem Kontrast zum Dialog
des Ehepaars. Die Sprecherin dieses Satzes trete zudem in Hochdeutsch und einer
nüchternen Tonalität in Erscheinung. Eine eindeutig gutheißende Haltung
gegenüber den Erschießungen (vermeintlicher) AfD-Wähler sei damit nicht zu
erkennen. Nach alldem bestehe ein Anspruch der Antragstellerin gegen den MDR
auf Ausstrahlung des streitgegenständlichen Wahlwerbespots zum vom MDR
zugeteilten Termin.
Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die Beschwerde an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zu, von der bislang kein Gebrauch gemacht wurde.
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