Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, mahnt eine Vorbereitung auf die nächste Pandemie an.
Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek, fordert eine systematische Vorbereitung auf eine mögliche neue Pandemie. „Es ist sinnvoll, dass wir uns in Zukunft in den sogenannten interpandemischen Phasen besser darauf vorbereiten, dass neue Erreger auftreten könnten“, sagte der Wissenschaftler der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Montagausgabe). Dabei spielten unter anderem Corona-Viren eine Rolle.
Am Paul-Ehrlich-Institut sei ein neues Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika eröffnet worden. Dort solle mit Blick auf mögliche neue, pandemische Erreger dafür gesorgt werden, dass künftig noch schneller auf Pandemien reagiert werden kann. Cichutek betonte: „Wir müssen auf jeden Fall Vorsorge treffen, um besser gerüstet zu sein.“ Nicht nur Corona-Viren, auch Influenza-Viren hätten pandemisches Potenzial.
Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das heute in der Wochenzeitung „Das Parlament“ erschienene Interview im vollständigen Wortlaut:
Herr
Cichutek, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist zuständig für Impfstoffe. Was
heißt das konkret?
Das Paul-Ehrlich-Institut begleitet die Entwicklung von Impfstoffen und
biomedizinischen Arzneimitteln von der ersten Entdeckung und Konzeptentwicklung
über klinische Prüfungen bis hin zur Zulassung und danach. Wenn von der
Zulassung durch die europäische Arzneimittelagentur EMA die Rede ist, steht
auch das PEI dahinter. Die EMA ist ein Netzwerk der Arzneimittelbehörden der
EU, deren Experten die Stellungnahmen der EMA erarbeiten. Weiterhin prüft das
PEI jede Charge eines Impfstoffs, bevor sie auf den Markt kommen darf. Wichtig
ist zudem die Pharmakovigilanz, die Erkenntnisse zu sehr seltenen
Nebenwirkungen liefert.
War eine so
erfolgreiche Impfstoff-Entwicklung gegen das neue Coronavirus zu erwarten?
Die schnelle Impfstoff-Entwicklung ist das Ergebnis effektiver Arbeit weltweit
und guter Vorarbeiten. Wir haben bei der Forschung an den Coronaviren SARS und
MERS frühzeitig wichtige Erkenntnisse gewonnen. Die Forschung des PEI hat dazu
beigetragen, das potenziell schützende Erreger-Antigen zu bestimmen, also den
Erreger-Bestandteil, der in einem Impfstoff die Immunantwort auslöst und so die
Infektionskrankheit verhindern kann. Das ist das Spike-Protein. Die mRNA- und
Vektor-Technologie war wichtig, um Impfstoffe schnell herzustellen. Dass wir so
sichere und hochwirksame Impfstoffe in so kurzer Zeit verfügbar haben würden,
war aber nicht vorauszusehen.
Welches
Potenzial hat die mRNA-Technologie?
Wir erwarten, dass neue Impfstoffe entwickelt werden können. Zum anderen können
wir uns vorstellen, dass bei Therapeutika mit RNA-Verfahren Kurzzeitanwendungen
ähnlich wie bei der Gentherapie möglich werden. Denkbar wäre, dass Antikörper,
die in der Krebstherapie oder bei Rheuma erfolgreich sind, nicht mehr außerhalb
des Körpers hergestellt werden, sondern die RNA mit den entsprechenden
Bauplänen als Therapeutikum angewendet wird, sodass die Körperzellen des
Menschen die Antikörper selbst herstellen.
Es gibt
mehrere zugelassene Corona-Impfstoffe. Sind die alle gleich gut?
Alle in der EU zugelassenen Covid-Impfstoffe sind gut, weil sie einer
sorgfältigen Nutzen-Risiko-Analyse unterzogen werden und der Nutzen jeweils
deutlich gegenüber den Risiken überwiegt. Allerdings ist es sinnvoll, sich
neben der Zulassung und Fachinformationen auch nach den Empfehlungen der
Ständigen Impfkommission (Stiko) zu richten, die besondere Eigenschaften und
die Sicherheitsdaten des PEI berücksichtigt. Im Moment werden bevorzugt die
zugelassenen mRNA-Impfstoffe empfohlen.
Wie sinnvoll
sind Überkreuzimpfungen mit verschiedenen Impfstoffen?
Umfangreiche Daten aus Großbritannien, Israel, den USA und auch aus Deutschland
zeigen, dass die heterologe Impfung hohe Antikörperkonzentrationen erzeugen und
damit zu einem verbesserten Schutz führen kann.
Sind
Impfungen für kleine Kinder problematisch?
Viele grundlegende Impfungen werden ja gerade bei kleinen Kindern vorgenommen,
weil diese besonders anfällig sind für Infektionskrankheiten. Aber Kinder sind
keine kleinen Erwachsenen. Insofern sind besondere klinische Prüfungen auch an
Kindern nötig, um die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen auch in dieser
Altersgruppe festzustellen. Der Covid-Impfstoff von Biontech/Pfizer wird
in den USA und Israel für kleine Kinder mit einem Drittel der mRNA-Menge
pro Dosis genutzt.
Impf-Skeptiker
befürchten langfristige Nebenwirkungen von Corona-Impfstoffen, etwa
Unfruchtbarkeit. Ist die Sorge berechtigt?
Dafür liegen uns keine Hinweise vor. Wir haben ja mittlerweile Erkenntnisse
durch Millionen von Corona-Impfungen. Es hat sich gezeigt, dass schwere
Nebenwirkungen sehr selten sind. Wir befinden uns hier im Bereich von unter
zehn Fällen pro 100.000 Impfungen. Es gibt im dem Zusammenhang vollständige
Transparenz.
Was tun Sie,
wenn der Verdacht besteht, dass ein Impfstoff nicht sicher ist?
Wir gehen auch nach der Zulassung den Verdachtsfallmeldungen zu Nebenwirkungen
und Impfkomplikationen nach. Bei schwerwiegenden Meldungen prüfen wir, ob
andere Gründe wie etwa Vorerkrankungen für eine Reaktion verantwortlich sein
können. Dann untersuchen wir, ob ein vom Impfstoff aufgelöster Mechanismus
zugrunde liegen könnte. Notfalls kann die Zulassung zurückgenommen werden, die
Marktrücknahme einzelner Chargen kann veranlasst werden, Warnhinweise können in
Fach- und Gebrauchsinformationen aufgenommen werden. In der Frühphase der
Covid-Impfungen haben wir mit einem Vektorimpfstoff das vermehrte Auftreten von
Thrombosen mit Thrombozytopenie festgestellt. Damals haben wir eine
vorübergehende Aussetzung der Impfungen veranlasst, um die Häufigkeit und
Schwere dieser Fälle zu ermitteln.
Wie gehen
Sie mit sogenannten Impfdurchbrüchen um?
Wir prüfen, ob die Wirksamkeit der Impfstoffe weiterhin hoch ist, also eine
Erkrankung an Covid-19 effektiv verhindert werden kann. Außerdem geht es um die
Dauer der Wirksamkeit. Wir wissen, dass bei einigen Menschen die Wirksamkeit
des Impfstoffs gegenüber der Delta-Variante nach fünf bis sechs Monaten
abnimmt. Entsprechend sind Drittimpfungen von der Stiko empfohlen worden.
Gibt es
Virusvarianten, die Ihnen derzeit besondere Sorgen machen?
Derzeit steht die Delta-Variante im Fokus. Wir können dieser Variante mit
Auffrischungsimpfungen begegnen. Zum Glück können wir auf neue
Corona-Virusvarianten schnell reagieren. Die mRNA- und Vektor-Impfstoffe bieten
einen großen Vorteil, weil schnell neue Impfstoffe konstruiert werden können,
die noch besser gegen Varianten schützen und in kurzer Zeit in großer Zahl
produziert werden können.
Ihr
US-Kollege Fauci hat eine internationale Offensive gegen Coronaviren gefordert.
Stimmen Sie zu?
Es ist sinnvoll, dass wir uns in Zukunft in den sogenannten interpandemischen
Phasen besser darauf vorbereiten, dass neue Erreger auftreten könnten.
Corona-Viren spielen dabei eine Rolle. Wir haben beim PEI ein neues Zentrum für
Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika (ZEPAI) eröffnet. Dort soll mit Blick auf
mögliche neue, pandemische Erreger dafür gesorgt werden, dass wir künftig noch
schneller auf Pandemien reagieren können.
Pandemien
dieser Größenordnung sind selten. Müssen wir uns trotzdem darauf einstellen,
dass uns in absehbarer Zeit ein neues Virus lahmlegt?
Wir müssen auf jeden Fall Vorsorge treffen, um besser gerüstet zu sein. Nicht
nur Corona-Viren, auch Influenza-Viren haben pandemisches Potenzial. Wir haben
Erfahrungen gesammelt mit der Spanischen Grippe, der Hongkong-Grippe, der
russischen Grippe, der Schweinegrippe und der SARS-Pandemie 2002/2003. Wir
haben auch die Ebola-Epidemie in Westafrika und MERS sehr genau beobachtet.
Seit Ausbruch
der Pandemie sind Sie als Experte gefragt und gefordert. Ist das Belastung oder
Anerkennung?
Das ist keine Belastung, es ist unser Job. Wir sind froh, dass wir der
Gesellschaft helfen können, mit der Corona-Pandemie hoffentlich bald noch
besser umzugehen.
Das Gespräch führte Claus Peter Kosfeld
Professor Klaus Cichutek (65) ist Virologe und Biochemiker. Er ist seit Dezember 2009 Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts.
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin