Innensenator Henkel hat Angst vor seiner eigenen Stadt Berlin.

TP-Interview mit dem Spitzenkandidaten der Berliner Piratenpartei, Bruno Kramm.

TP: Herr Kramm, in einer Berliner Zeitung hieß es kürzlich: „Laptopdeckel zu – Piratenpartei tot“. Was erhoffen Sie sich überhaupt noch von der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September, bei der Sie als Spitzenkandidat Ihrer Partei antreten?

Kramm: Wir hoffen natürlich schon, dass wir einziehen werden. Wir sind mit einem großartigen Wahlprogramm in die Wahl gegangen, sehr umfangreich, das eben auch belegt, dass die Partei nicht tot, sondern aktiv an der Basis ist. Es hat natürlich viel damit zu tun, dass wir medial eigentlich sehr wenig dargestellt werden. Das sehe ich jetzt zum Beispiel beim RBB…

TP:… Rundfunk Berlin Brandenburg…,

Kramm:., der uns gezielt nicht einlädt in die so genannte Elefantenrunde, in die normalerweise nur die Spitzenkandidaten der Parteien eingeladen werden, die auch im Abgeordnetenhaus vertreten sind.

TP: Das sind die Piraten ja noch auf jeden Fall bis nach den Wahlen.

Kramm: Trotzdem heißt es nun nach 30jähriger Tradition, nach der nur die Parteien in die Elefantenrunde eingeladen wurden, die im Abgeordnetenhaus vertreten sind, dass jetzt nur noch solche Parteien dazu eingeladen werden, die in den Umfragen mehr als 5 Prozent erreichen. Und so wurde die AfD in die Elefantenrunde eingeladen und wir nicht.

TP: Eigentlich kolossal unfair vom RBB.

Kramm: Ich kann mich noch erinnern an die Bundestagswahl, da lagen wir weit über 14 Prozent bei den Umfragen. Damals verhielt es sich genau umgekehrt, und es wurde argumentiert, wir könnten nicht teilnehmen, weil wir im Bundestag nicht vertreten sind.

TP: Völlig verkehrte Welt bei den Medien.

Kramm: Man merkt natürlich schon, wenn über uns berichtet wird, wird nur über den parteiinternen Knatsch berichtet, über Streit oder darüber, welcher Pirat xyz die Partei verlässt bzw. verlassen hat oder in welche andere Partei er eingetreten ist. Aber nicht darüber, dass wir als Fraktion 2000 Anfragen im Abgeordnetenhaus formuliert hatten – wesentlich für Nichtregierungsorganisationen, zivilgesellschaftliche Vereinigungen und dafür gesorgt hatten, dass Transparenz im Parlament entsteht. Die Informationsfreiheit war ja eingeführt, aber es gab nicht einmal einen Aktenplan. Darum haben wir uns bemüht. Wir haben eine Studie zum fahrscheinlosen ÖPNV…

TP:… Öffentlichen Personen Nahverkehr…

Kramm:… gemacht, wir haben Untersuchungsausschüsse geleitet. Also ich denke, wir waren auf alle Fälle sehr erfolgreich für eine solche kleine Fraktion, aber leider wird das medial halt letzten Endes überhaupt nicht dargestellt. Das ist natürlich sehr traurig, was für uns aber erst recht bedeutet: Wir machen massiv Straßenwahlkampf, sind jeden Tag mit vielen Ständen auf der Straße und erarbeiten uns da bei den Wählerinnen und Wählern wieder so die Reputation, dass wir dann auch die Chance haben, die fünf Prozent wieder hinzubekommen.

TP: Drei Mitglieder der Piratenfraktion sehen das offensichtlich anders und sind vorsorglich anderen Parteien, etwa den Linken, beigetreten. Wollten diese Kollegen sozusagen das sinkende Schiff verlassen?

Kramm: Nein, die Problematik ist natürlich, die Piratenpartei ist eine Partei mit sehr flachen Hierarchien, hat auch nicht vor den klassischen Berufspolitiker hervorzubringen, was natürlich bedeutet, dass jemand nach einer Legislatur unter Umständen nicht mehr auf der Liste steht. Und diese Menschen haben mitunter auch andere Angebote bekommen in ihren neuen Parteien. So etwas haben wir natürlich nicht zu verteilen. Das, denke ich, ist der Hauptgrund, warum sich ehemalige aktive Mitglieder verabschiedet haben. Aber unsere aktuelle Liste für das Abgeordnetenhaus ist zur Hälfte in Abgeordnete unserer Fraktion sowie in einen breiten Querschnitt unserer Gesellschaft von Akademikern, Künstlern, Kulturschaffenden, Frauen wie Männer, alt wie jung, alles gleichermaßen aufgeteilt. Das ist die genau die Vielfalt wie letztendlich unser Programm.

TP: Mit welchen Punkten in Ihrem Programm wollen Sie jetzt die derzeitigen Umfragewerte von 4 Prozent übertreffen, um wieder in das Berliner Parlament gewählt zu werden?

Kramm: Wir sind natürlich mit einigen Kernpunkten im Wahlkampf: Demokratieupdate, Transparenz und Menschenrechte. Demokratieupdate im Sinne der Ermöglichung von mehr bürgerschaftlichem Engagement im Parlament, das bottleneck aufmachen dafür und Transparenz sind die Punkte, womit wir am meisten werben können. Wir müssen den Berlinerinnen und Berlinern klarmachen, wenn die Piraten nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten sein werden, dann wird diese Transparenz, die zuletzt eingezogen ist, schnell wieder verschwinden. Denn wenn eine rot-rot-grüne Regierung hier dann Berlin weiter verwaltet, und in der Opposition AFD mit CDU ist, kann man davon ausgehen, dass weder irgendjemand dieses linke Bündnis daran erinnern wird, was es an Wahlversprechen gegeben hat, noch jemand dafür sorgt, dass Transparenz im Parlament herrscht. Damit können wir viel punkten. Aber es gibt noch viele andere Aspekte – sei es der Verwaltungsstau: der kürzeste Berlin-Witz: Ging einer spontan ins Bürgeramt… ist nach wie vor gültig.

TP: In Berlin unmöglich wegen der damit verbundenen monatelangen Wartezeiten.

Kramm: Herr Henkel…

TP: …der Berliner Innensenator der CDU…

Kramm: …wollte in den letzten 5 Jahren diese digitale Verwaltungsreform hinbekommen. Wenn wir uns anschauen auf welchem Level, auf welchem Niveau wir im europäischen Vergleich sind, was die digitale Ausstattung, die digitale Verwaltung betrifft – verglichen z.B. mit Finnland, wo das umfassend realisiert ist -, schaut’s in Berlin dagegen so aus, dass unter Umständen noch nicht einmal die Wahl funktionieren wird, weil die Software nicht vernünftig darauf eingestellt ist. Das ist ein Totalversagen, das unglaublich viel gekostet hat und wir als Piratenpartei mit der Expertise im digitalen Bereich durchaus die Lösungen anbieten können.

TP: Liegt dieser Verwaltungsstau auch daran, dass Berlin bis unter’s Hausdach verschuldet ist und sich diese Digitalisierung überhaupt nicht leisten kann?

Kramm: Das stimmt schon mal deswegen nicht, weil das Geld dafür zur Verfügung gestellt und die Firma, die beauftrag wurde, diese Software zu schreiben, viele Millionen dafür kassiert, aber dann halt nicht geliefert hat. Das Problem ist aber auch, dass im Vergleich zu anderen internationalen digitalen Metropolen – Estland (Tallinn), Finnland, England (London) und New York -, in denen mit freier Software gearbeitet wird, dann sehr schnell, sehr konkrete Problemlösungen für das jeweilige Verwaltungsgebiet geschaffen werden können. Das Geld war da, nur hat halt Herr Henkel lieber eine geschlossene Infrastruktur geschaffen, die dann auch letztendlich wiederum an geschlossenen Infrastrukturen scheiterte – weil es darum geht, wie integrieren wir alte Windows 95-Rechner und ähnliches und dann feststellen, dass es so nicht realisierbar ist. Da hätte ein grundsätzlich umfängliches Komplettkonzept da sein müssen, wo man komplett auf freie Software umstellt. Da hätte man viel Geld sparen können, hätte sehr viel über Crowdsourcing sich Arbeit erleichtern können, auch Dinge tun lassen können; wir wären dann schon viel weiter in dieser Verwaltungsreform. Insofern: Es wurde Geld rausgeschmissen und kaum Mehrwert geschaffen.

TP: Digitale Verwaltung würde ja bedeuten, dass man den Personalausweis oder den Reisepass usw. digital beantragen kann, sich Wartezeiten erspart und die Sachen lägen dann abholbereit an einem Schalter.

Kramm: Ganz genau, das ist zum Beispiel einer der Punkte, wie es in Finnland normal ist. Finnland nehme ich gerne als Beispiel, weil es dort am weitreichsten realisiert wurde. In Finnland kann ich mich online sogar scheiden lassen. Das ist ein Klick und dann bekommt mein Partner die Scheidung zugeschickt. So weit würde ich jetzt in Berlin nicht gehen wollen, aber rein prinzipiell geht es genau darum: Wenn ich mich als eine neu zugezogene Familie mit 3 oder 4 Kindern polizeilich anmelden will und dann beim Bürgeramt gesagt wird, dass mit so vielen Kindern und dem ganzen Anmeldekram nur ein Termin in 6 Monaten möglich ist, dann ist das ein Unding. Das wäre mit einer Verwaltungsreform, die auf freie Software setzt, auch machbar, zumal es genügend beispielhafte Projekte in Tallinn oder in Helsinki gibt, die man sich anschauen könnte.

TP: Nachhaltige Wohnraumpolitik ist auch ein Punkt in Ihrem Wahlprogramm. Nicht zu kostspielig für Berlin?

Kramm: Natürlich ist der Rückkauf und die Rekommunalisierung von vielen Liegenschaften, die in der rot-roten Zeit zwischen 2001 und 2011 verkauft wurden, teuer. Und es ist ein Verlustgeschäft. Aber ich kann nur sagen, wenn wir barrierefreien Wohnraum schaffen wollen, die Mietpreise senken, die Gentrifizierung aufhalten, den Milieuschutz wirklich realisieren wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als vieles zu rekommunalisieren. Das ist ein teurer Spaß, ist aber in zehn, zwanzig Jahren noch teurer, denn dieser Wohnraum wird sicher nicht billiger, sondern nur noch teurer werden.

TP: Bürgerrechte und Innenpolitik, auch einer von vielen Punkten in Ihrem bunten Wahlprogramm. Sie sagen hier, die aktuelle Innenpolitik stelle die Menschen unter Generalverdacht. Nicht Überwachung, sondern Verbrechensprävention und die Stärkung der Bürgerrechte müssten das Ziel sein, fordern Sie.

Kramm: Da fordert natürlich auch Herr Henkel als Innensenator noch mehr Überwachung. Alle wissen, dass Videoüberwachung nichts bringt; keine Videoüberwachung hat je eine kriminelle Tat verhindert, sie hat sie vielleicht dokumentiert. Und wesentlich ist es ja auch so, wenn ich jetzt vorschlage, den Görlitzer Park mit Videos zu überwachen, dann wird sich die Drogenkriminalität in andere Bereiche verlagern. Dann werden halt am Boxhagener Platz die Drogen auf dem Kinderspielplatz verkauft. Anstatt darüber nachzudenken, dass wir Cannabis lieber legalisieren sollten, und dem illegalen Drogenmarkt da auch seine Macht entzogen wird und wir letztlich dabei auch Steuern verdienen, wird weiter gemacht wie bisher. Ich habe immer das Gefühl, dass Herrn Henkels Sicherheitspolitik von einem ausgeht: Herr Henkel hat letztendlich Angst vor seiner eigenen Stadt Berlin. Er hat Angst und ist dadurch natürlich der falsche Kandidat, hier vielleicht Regierender Bürgermeister zu werden im Sinne von „Ich darf keine Angst vor dieser Stadt haben, ich muss dort wo wirklich Probleme existieren, Lösungen anbieten“. Aber nicht mit allem auf alles mit Überwachung und Angst reagieren. Wenn man Herrn Henkel zuhört, könnte man glauben, dass Berlin schon ist wie Los Angelos oder wie die Bornieus in Paris. Aber von dieser Art von Parallelgesellschaften sind wir in Berlin weit, weit entfernt. Und wir können sehr froh darüber sein. Und es liegt letztendlich auch daran, dass wir eben so vielschichtige Milieus haben, die wir jetzt auch schützen müssen.

TP: Sie fordern ja nun in Ihrem Programm auch selbst eine personelle Stärkung der Polizei. Andere sind der Auffassung, man sollte erst mal das Personal bei der Polizei nutzen, das vorhanden ist.

Kramm: Das Personal muss zuerst mal mehr geschult werden, keine Frage, aber was Extrapersonal betrifft, ist es zum Beispiel dieser gute alte KOB, dieser Kontaktbereichsbeamte vor Ort, der natürlich ganz viel Spannung rausnehmen kann, weil er eben seinen Kiez kennt, und weil er ganz genau weiß, wo was funktioniert und wo die Menschen auch ein Vertrauen haben und dann auf diese Menschen zuzugehen. Das ist die eine Geschichte, die kostet nur ein bisschen Personal zu stellen, aber viel zu schulen. Sicher, was die Ausstattung der Polizei betrifft, muss natürlich etwas besser ausgestattet werden, aber wir müssen die Polizei nicht ultimativ hochrüsten wie Herr Henkel das seit langem verspricht, es letztendlich aber gar nicht finanziell realisieren kann.

TP: Da gibt’s ja auch die Bereitschaftspolizei, von denen gesagt wird, dass sie den ganzen Tag in den Kasernen sitzt. Wäre es nicht sinnvoll, die mal irgendwo gezielter einzusetzen als nur bei Demonstrationen?

Kramm: Ja sicher, aber die müssen dann komplett geschult werden. Wenn man sich die Bereitschaftspolizei anschaut, wie schnell die selbst konfliktfördernd ist, dann bin ich mir nicht sicher, ob das die richtigen Beamten sind für einen friedvollen Umgang als Freund und Helfer und der Vielfalt von Berlin.

TP: Thema Demokratie: Hier haben die Grünen sehr viel getan, was Bürgerbeteiligung bei Bürgerinitiativen, Volksentscheiden betrifft.

Kramm: Ja, dieser partizipative Charakter ist wesentlich wichtig. Wir sehen das in allen Bereichen, die Berlinerinnen und Berliner haben auch ein großes Interesse, sich mehr um ihre Stadt selbst zu kümmern. Wir müssen insofern auch die Autonomie und Selbstverwaltung fördern, ganz bewusst fördern, auch finanziell fördern. Natürlich müssen wir viel mehr partizipative Elemente, vielleicht auch digitale Tools anbieten und damit den Berlinerinnen und Berlinern die Möglichkeit geben, viel öfter über Dinge mehr abzustimmen. Wenn es zu Großprojekten kommt wie dem BER…

TP… dem immer-später-fertig-Flughafen Berlin-Brandenburg…

Kramm:…oder ähnliches, sollten wir die Berlinerinnen und Berliner zuerst befragen, bevor solche Unsummen dafür bereitgestellt werden.

TP: Sanierungsstau in Berlin. Wie ist dem beizukommen?

Kramm: Hat auch viel mit Bürokratieabbau zu tun. Ein Aspekt ist natürlich, dass wir in Berlin einen Dschungel von Bauverordnungskram haben, wo wir natürlich mitunter auch mal darüber nachdenken müssen, Bürokratie abzuschaffen, damit Sanierung eben auch schneller gehen kann. Aber wir müssen natürlich auch wesentlich gucken, dass Sanierung halt auch immer Milieuschutz bedeutet, wir müssen für Wohnungen, für die Menschen, für die Berlinerinnen und Berliner sorgen und dürfen nicht wieder eine Art und Weise von Privatisierungswelle mit vereinfachten Baugenehmigungen machen, die dann dazu führt, dass noch mehr Wohnraum und noch mehr öffentliches Eigentum an Investoren verschwindet.

TP: Wie soll die Neuausrichtung der Berliner Jobcenter aussehen, was ja auch ein Punkt in Ihrem Wahlprogramm ist?

Kramm: Wir sehen, dass in Berlin unglaublich viele neue Jobs entstehen. Das heißt, wir sollten erst mal dafür sorgen, dass die Berliner Jobcenter in Zukunft nicht mehr diese prekären Jobs vermitteln im Sinne von all diesen befristeten, niederschwelligen, schlecht bezahlten Jobs. Das ist etwas, was nicht weiter vermittelt werden sollte, sondern nur Jobs mit vernünftigen Mindestlohnstandards, da Berlin eben auch am Wachsen ist. Aber wir müssen uns natürlich auch eines bewusst machen: es gibt auch ein Heer von Menschen, die selbständig sind in Berlin, die – seien es Künstler, kreative Journalisten, Blogger – aus sich selbst heraus schöpfen und versuchen sich selbst eine Existenz zu schaffen. Und hier wird zu wenig getan, wenn wir uns mal den Bereich anschauen, wenn’s um Existenzgründung geht, bei Menschen, die vielleicht lange Hartz 4 bezogen haben und versuchen sich dann selbständig zu machen. Da gibt es Fördertöpfe. Die Erstförderung wird vom Land vorgenommen, die Nachförderung vom Bund. Wir stellen aber fest, dass es bei der Erstförderung schon an kleinen Dingen scheitert, etwa dass die IBB…

TP:…Investitionsbank Berlin…

Kramm:…keine Mikrokredite gerade für Selbständige gibt. Das wäre aber wesentlich wichtig. Wenn ich jetzt ein Großprojekt habe, das 30, 40 Arbeitsplätze schafft, dann bekomme ich von der IBB schnell Kredite in der entsprechenden Höhe. Aber wenn’s um Mikrokredite geht, wenn ich selbständiger Blogger, Musikproduzent, Maler, Kunstschaffender – oder was auch immer – bin, wo es nur um eine elementare Ausstattung geht, wofür ich einen Kredit von 5000 Euro benötige, dann lässt man mich links liegen. Und genau bei dieser Art von selbständigen Leuten, die – weil sie so sehr an ihrem Traum hängen – dann sogar in Kauf nehmen ohne Sozialversicherung, ohne Krankenversicherung so durchs Leben sich zu kämpfen und dadurch natürlich in einer prekären Lebenssituation sind, dass es keinen Weg nach oben gibt, müssen wir zum Beispiel anfangen, wieder mal über eine Amnestie bei der Sozialversicherung nachzudenken. Die gab’s zuletzt 2014. Da wird’s wieder dringend Zeit; denn zwei Jahre Nachzahlungen bei einer Krankenkasse mag durchaus für einen kleinen Selbständigen auch schon einen Ruin bedeuten. Das ist eine Vielzahl von Leuten, die in Berlin für diese kulturelle Vielfalt sorgen. Und um diese müssen wir uns kümmern.

TP: Worin sehen Sie überhaupt das Problem, dass es bei der Wahl am 18. September zum Abgeordnetenhaus bei den Piraten Probleme bei der Fünf-Prozent-Hürde geben könnte?

Kramm: Das hat natürlich ganz viel damit zu tun, dass in die Piratenpartei unglaublich viel hineinprojiziert wurde in den Hoch-Zeiten, Dinge, die man dann auch nicht alle erfüllen konnte. Wir sind eine junge Partei, wir sind eine Partei mit einem neuen Konzept demokratischer Beteiligung. Das ist mitunter sehr schwer, wenn dann in Standards gemessen wird, die zum Beispiel medial kommen: dass eine bestimmte Erwartungshaltung da ist, wie wir uns z.B. darstellen öffentlich. Anstelle zu begreifen, ja, das ist eine transparente Partei, kommt man vielmehr mit dieser Streitkultur, die bei anderen Parteien eben hinter verschlossenen Türen stattfindet. Das hat dafür gesorgt, dass kaum mehr darüber berichtet wurde, wo wir wirklich aktiv waren mit über 2000 Anfragen im Parlament. Wesentlich wurde stattdessen nur darüber berichtet: die streiten sich wieder, die streiten sich wieder. Und da geht’s halt ein bisschen darum, dass Journalisten letztendlich auch lernen, auch mal ein bisschen hinter die Fassade zu blicken, um festzustellen, ja, diese Partei hat flache Hierarchien, diese Partei ist transparent, dadurch bekommt man jeden Streit mit, und da bekommt man auch viel mehr die Reibereien zwischen Parlamentarier und Basismitglied mit. Bei anderen Parteien sind die Parlamentarier in ein hierarchisches System eingebettet, wo die Basis letztendlich überhaupt nicht an den Parlamentarier herankommt. Bei den Piraten hat die Basis durch diese flachen Hierarchien sofort die Möglichkeit jeden Parlamentarier anzusprechen, was dazu geführt hat, dass zu viele Erwartungen hineinprojiziert wurden wie sich Parlamentarier zu verhalten haben, was dann natürlich zu einer Resignation bei einigen geführt hat.

TP: Haben die Piraten nicht auch bisschen politischen Nachdruck vermissen lassen bei ihrem Kernthema „Freies WLAN für alle hier in Berlin“, das bis heute nicht verwirklicht wurde?

Kramm: Ja aber als kleine Oppositionspartei…

TP:…kann man auch Rabatz machen…

Kramm:…kann man auch Rabatz machen, haben wir auch permanent getan. Wir haben permanent versucht hier Abhilfe zu schaffen, wir sind auf die Freifunkinitiativen zugegangen. Aber in der Tat, wir haben noch immer kein flächendeckendes WLAN, aber das liegt nun mal an zwei Punkten: einmal am mangelnden Interesse des Senats, das wirklich zu realisieren. Es wäre technisch kein Problem, das in ganz Berlin über all die öffentlichen Räume, in denen man die WLAN-Router draufstellt, zu realisieren. Punkt 2 ist, dass lange Zeit die Störerhaftung in Deutschland per se es nicht ermöglicht hat, wirklich freies WLAN – ohne die Gefahr von Rechteinhabern und großen Verlagen verklagt zu werden – dann aufzubauen. Die Störerhaftung ist jetzt endlich abgeschafft, noch nicht komplett, aber wesentlich. Jetzt wäre eigentlich der Punkt, in der nächsten Legislatur dann endlich wirklich diese WLAN-Initiative loszutreten, denn ein WLAN hat auch für die Berliner Regierung maßgeblichen Vorteil. Die Daten, die wir anonymisiert sammeln, können uns maßgeblich helfen – sei es im Verkehrsbereich, Ampelschaltung, Verkehrsführung bis zu all diesen Systemen, die es in den USA zum Beispiel gibt. Da kann der Bürger dann einfach über Crowdsourcing das WLAN dann antippen und auf defekte Ampeln hinweisen und um Abhilfe ersuchen. Das sind alles Aspekte, die im Moment in Berlin nicht machbar sind, aber machbar sein könnten, wenn freies WLAN da wäre.

Interview: Dietmar Jochum, TP Presseagentur Berlin

Foto: Bruno Kramm im Berliner Abgeordnetenhaus

Bildquelle: TP Presseagentur Berlin/dj

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