Klare Regelungen, damit mobiles Arbeiten nicht ausufere.

Zu der neuen Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung zum mobilen Arbeiten und zur Arbeit im Home-Office erklärt Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für ArbeitnehmerInnenrechte von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag:

„Mobiles Arbeiten bietet viele Chancen für Beschäftigte. Es schafft mehr Zeitsouveränität und ermöglicht vielen, Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen unter einen Hut zu bringen. Es braucht jedoch dringend klare Rahmenbedingungen, damit negative Auswirkungen, wie stärkere psychische Belastungen der Beschäftigten, verhindert werden können. Arbeitszeiten dürfen nicht ausufern, nur weil sie bei der mobilen Arbeit unübersichtlicher werden.

Das geschieht allerdings nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Notwendig sind klare Regeln und ein Arbeitsschutz, welcher der digitalen Arbeitswelt angepasst werden muss. Auch beim mobilen Arbeiten und im Home-Office muss es eine klare Zeiterfassung geben und Vorgaben bezüglich des Arbeitspensums müssen realistisch sein. Um dies durchsetzen zu können, brauchen Betriebs- und Personalräte ein Mitbestimmungsrecht über die Menge der Arbeit. Außerdem müssen Unternehmen dafür sorgen, dass für anfallende Arbeiten genug Personal und entsprechende Vertretungsregeln vorhanden sind.

Das bestehende und schon jetzt sehr flexible Arbeitszeitgesetz gibt das her. Das Arbeitszeitgesetz ist Gesundheitsschutz und schafft Freiräume für das Leben in der Familie und in der Gesellschaft. Und das muss auch so bleiben. Eine Abschwächung des Arbeitnehmerschutzes darf es nicht geben. Das würde auch zu einer Verschärfung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern führen, denn wie die  Studie der Böckler-Stiftung eindrücklich zeigt, hat die völlige Arbeitszeitautonomie unterschiedliche und negative Konsequenzen für die Work-Life-Balance von Frauen und Männern hat.“

Hintergrund: Studie untersucht Folgen für Frauen und Männer.

Im Homeoffice oder mit völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten fällt Abschalten besonders schwer – klare Regeln für Flexibilität nötig.

Extrem flexible Arbeitszeiten gehen häufig zulasten der Beschäftigten. Dabei sind die Folgen für Frauen andere als für Männer, zeigt eine neue Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung*.

Was ist für Arbeitnehmer am besten: feste Bürozeiten, Gleitzeit oder völlige Selbstbestimmung ohne konkrete Zeitvorgaben? Selbstbestimmung klinge gut, sei aber auch eine Einladung zur Selbstausbeutung, wie eine Analyse von Dr. Yvonne Lott zeigt. Die Böckler-Expertin für Arbeitszeiten hat untersucht, welche Zusammenhänge zwischen Arbeitszeitmodellen, Verhalten und Arbeitsbelastungen von Frauen und Männern bestehen. Die Auswertung basiere auf Angaben von gut 10.000 Personen aus der Haushaltsbefragung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) der Jahre 2011 und 2012. Es zeige sich:

– Wer im Homeoffice tätig ist, kann abends oft nicht abschalten.  Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 45 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie bei Beschäftigten, die nie zu Hause arbeiten. Offenbar verschwimmen die Grenzen zwischen den Lebensbereichen bei dieser Arbeitsweise besonders leicht.

– Bei völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten fällt das Abschalten Arbeitnehmern schwerer als bei festen Zeiten. Interessanterweise ist dieser Effekt nur bei Männern zu beobachten. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 40 Prozent, dass sie abends nicht zur Ruhe kommen, elf Prozentpunkte mehr als bei Männern mit festen Arbeitszeiten. Dies führt die Forscherin darauf zurück, dass gerade Männer dazu neigen, ohne vorgegebene Grenzen übermäßig lange zu arbeiten. Frauen seien hingegen „typischerweise geübtere Grenzgängerinnen“ als Männer, so Lott. Sie nutzten die zeitliche Flexibilität statt für unzählige Überstunden eher, um Haus- und Sorgearbeit mit dem Job unter einen Hut zu bringen.

– Mit selbstbestimmten, aber immer noch geregelten Arbeitszeiten, etwa Gleitzeit, fühlen sich Beschäftigte nicht übermäßig mehr belastet. Sie können zudem besser mit hohem Arbeitsdruck umgehen, was sich positiv auf die Work-Life-Balance auswirkt. Dies gilt aber wiederum nur für Männer.

– Ein unveränderlicher Arbeitsbeginn und eine feste Feierabendzeit können mit anderen Verpflichtungen kollidieren, die sich etwa aus den Abholzeiten von Kindergärten ergeben. Andererseits bieten klare Regeln Planungssicherheit, was Stress reduziert.

– Hoch ist die psychische Belastung bei unvorhersehbaren Arbeitszeiten, die der Arbeitgeber kurzfristig ändert – vor allem für Frauen. Unvorhersehbare Dienstzeiten erschweren die Planung des Alltags enorm, worunter vor allem diejenigen leiden, die traditionell den größeren Teil der Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit übernehmen. Besonders ausgeprägt ist der Stress in Kombination mit hohem Arbeitsdruck.

Im Lichte dieser Erkenntnisse sei eine von Unternehmen häufig geforderte weitere Deregulierung der Arbeitszeitbestimmungen äußerst kritisch zu sehen, sagt Lott. Neben den negativen Konsequenzen für die Work-Life-Balance verschärfen Modelle wie die völlige Arbeitszeitautonomie auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Die Forscherin spricht vom „Risiko der Traditionalisierung von Partnerschaften“, weil eine Seite – wahrscheinlich meist die Frau – der anderen den „Rücken frei halten“ muss.

Dennoch hält Lott noch mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit grundsätzlich für vertretbar. Es müsse aber klare Regeln geben: zeitliche Obergrenzen, Zeiterfassung, realistische Vorgaben für das Arbeitspensum, genug Personal und Vertretungsregeln. Fortbildungen in „Grenzmanagement“ für Beschäftigte und Vorgesetzte seien ebenso notwendig wie verlässliche Schichtpläne und eine Sensibilisierung aller Beteiligten für die geschlechtsspezifischen Folgen flexibler Arbeitsarrangements. Wenn diese Voraussetzungen nicht nur im Betrieb, sondern auch beim mobilen Arbeiten oder im Homeoffice gegeben sind, könnten durchaus neue Spielräume für selbstorganisiertes Arbeiten geschaffen werden – zum Beispiel durch ein Recht auf Homeoffice, das bislang ein Privileg einzelner Beschäftigtengruppen und vielen Arbeitnehmerinnen nicht gestattet ist.

*Yvonne Lott: Stressed despite or because of flexible work arrangements?, Working Paper Forschungsförderung  Nr. 046, Juli 2017. Download (pdf): https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_046_2017.pdf

Selbst organisiertes Arbeiten als Ressource für Beschäftigte nutzen!, Policy Brief der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 3, Juli 2017 Download (pdf): https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_pb_003_2017.pdf

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