Landgericht Dortmund weist Klage gegen KIK wegen Verjährung ab.

Die 7. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund hat die Klage von vier pakistanischen Klägern gegen die Textilfirma KIK Textilien und Non-Food GmbH auf Zahlung von jeweils 30.000,– € Schmerzensgeld und etwaigen Verdienstausfalls aufgrund des Brandes auf dem Fabrikgelände der Firma Ali Enterprises im September 2012 in Karachi (Pakistan) mit Urteil vom heutigen Tage abgewiesen. Die Kammer musste offen lassen, ob die geltend gemachten Ansprüche nach dem insoweit einschlägigen pakistanischem Recht überhaupt bestehen, denn derartige Ansprüche seien jedenfalls nach pakistanischem Recht verjährt.

Die Kammer hat sich insoweit den Ausführungen des Sachverständigen und Rechtsgelehrten Prof. Ken Oliphant (University of Bristol) in dessen gutachterlicher Stellungnahme angeschlossen. Dieser hatte ausgeführt, dass nach den in Pakistan geltenden Rechtsgrundsätzen die Verjährungsfrist für sämtliche in Betracht kommende Ersatzansprüche höchstens 2 Jahre betragen habe. Die einmal eingetretene Verjährung sei durch das Gericht dabei von Amts wegen zu berücksichtigen und eine Klage im Verjährungsfall zwingend als unbegründet abzuweisen. Es sei grundsätzlich unzulässig und somit nicht möglich, nach pakistanischem Recht auf den Eintritt der Verjährung zu verzichten oder aber diese zu verlängern bzw. zu hemmen. Anders als in den meisten anderen Rechtsordnungen hätten bloße Verhandlungen über den Anspruch weder verjährungshemmende noch sonst die Verjährung berührende Wirkung. Ausgehend von den Feststellungen des Sachverständigen sei daher spätestens mit Ablauf des 11.09.2014 und somit vor Eingang der Klage bei Gericht für sämtliche vorliegend geltend gemachten Ansprüche der Kläger nach pakistanischem Recht Verjährung eingetreten.

Ein Ausnahmefall, der zu Verlängerung der Verjährungsfrist nach pakistanischem Recht führen könne, liege nicht vor. So sei eine Verlängerung zwar möglich, wenn – eine schriftliche Haftungsanerkennung („written acknowledgement of liability“) des Haftenden vorliege oder – der Anspruchsgegner den Anspruchsteller durch arglistiges Verhalten – insbesondere durch arglistiges Verschweigen von Tatsachen, welche dem Anspruchssteller eine Geltendmachung seines Anspruches ermöglichen – an der Geltendmachung des Anspruches hindere.

Eine derartige schriftliche Haftungsanerkennung der Beklagten könne nicht in der im Dezember 2012 zwischen der Beklagten und der Organisation PILER geschlossenen Vereinbarung, welche die Grundlage für die seinerzeit von der Beklagten geleistete Soforthilfe in Höhe von 1 Mio. US-Dollar bilde, gesehen werden. Dies zeige bereits der Umstand, dass diese Vereinbarung zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, zu welchem weder die konkrete Ursache des Schadensfalles noch deren konkrete Folgen aufgeklärt oder absehbar waren. Die Entscheidung über die Zahlung weiterer Entschädigungen sollte dementsprechend dem Ergebnis der nachfolgenden Ermittlungen und weiteren Verhandlungen vorbehalten bleiben. Sowohl die getroffene Vereinbarung selbst als auch die Umstände ihres Zustandekommens legten daher nahe, dass Zahlungen der Beklagten zunächst ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgten und gerade kein wie auch immer geartetes Schuldeingeständnis oder Haftungsanerkenntnis der Beklagten darstellen sollten. Auch der Sachverständige sei im Rahmen seiner Begutachtung zu dem Ergebnis gekommen, dass die getroffene Vereinbarung als sog. „agreement to compensate on an ex gratia basis“ zu bewerten sei, welches gerade kein Haftungsanerkenntnis nach pakistanischem Recht darstelle.

Ein arglistiges Verhalten der Beklagten sei ebenfalls nicht gegeben. Soweit von den Klägern behauptet werde, die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten vorgerichtlich nur deshalb auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichtet, weil sie hierdurch die Vergleichsverhandlungen der Parteien hätten in die Länge ziehen und auf diese Weise eine Verjährung der Ansprüche herbeiführen wollen, fänden sich hierfür aus Sicht der Kammer keinerlei objektive Anhaltspunkte. Sowohl der Sachvortrag als auch das Prozessverhalten der Parteien legten vielmehr den Schluss nahe, dass beide Parteien erst im Zuge des hiesigen Verfahrens durch die von ihnen jeweils eingeholten Privatgutachten bzw. privatgutachterlichen Stellungnahmen umfassend von der nach pakistanischem Recht bestehenden Verjährungsproblematik Kenntnis erlangt hätten.

Eine Verjährung der Ansprüche sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil auf den vorliegenden Sachverhalt ausnahmsweise deutsche Verjährungsvorschriften Anwendung finden. Insbesondere hätten die Parteien durch ihre vorgerichtlichen Regulierungs- und Vergleichsbemühungen keine konkludente Teilrechtswahl nach Art. 14 Abs. 1a) Rom II-VO in der Weise getroffen, dass sich die Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche nach deutschem Recht richten solle. Unabhängig von der Frage, ob – was nach Auffassung der Kammer bereits zweifelhaft erscheint – allein durch die Korrespondenz über eine mögliche außergerichtliche Einigung sowie durch eine in diesem Zusammenhang abgegebene einseitige Verjährungsverzichtserklärung der Beklagtenseite überhaupt eine wirksame (konkludente) Einigung im Sinne des Art. 14 Abs. 1a) Rom II-VO zustande gekommen sein könne, fehle es den Parteien vorliegend jedenfalls sowohl an dem erforderlichen Erklärungsbewusstsein als auch an dem notwendigen Rechtsbindungswillen zum Abschluss einer solchen Vereinbarung. Weder den Parteien noch ihren Prozessbevollmächtigten seien die im pakistanischen Recht geltenden Verjährungsgrundsätze einschließlich der sich hieraus konkret ergebenden Probleme zum damaligen Zeitpunkt überhaupt bekannt gewesen. Von diesem Problemkreis hätten – wie ausgeführt – die Prozessbevollmächtigten und die Parteien offenkundig erst durch die im hiesigen Verfahren eingeholten Rechtsgutachten umfassend Kenntnis erlangt, was ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein und einen Rechtsbindungswillen und damit eine Vereinbarung ausschließe.

KiK flüchte sich in Verjährung –
und entziehe sich seiner Verantwortung für Fabrikbrand.
„Als Hauptkunde der Fabrik war KiK nicht bloßer Abnehmer, sondern der Boss und damit mitverantwortlich für den mangelnden Brandschutz“, sagte Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Pakistaner vor Gericht vertrat. „KiK hat sich in die Verjährung geflüchtet und damit verhindert, dass das Gericht die Sachfragen sowie wichtige Fragen der Haftungspflicht deutscher Unternehmen klärt.“ Ob die Kläger in Berufung gehen, wollen sie nach Auswertung der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden.

Klägerin Saeeda Khatoon, deren Sohn bei dem Fabrikbrand starb, sagte: „KiK hat sich der rechtlichen Verantwortung für den Tod von 258 Menschen entzogen. Aber immerhin hat sich ein Gericht in Deutschland mit dem Fall beschäftigt.“ Deswegen sei das Verfahren wichtig gewesen – unabhängig von dem Urteil. Gemeinsam mit der Ali Enterprises Factory Fire Affectees Association (AEFFAA), der Organisation der Betroffenen, will sie weiter für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in den Lieferketten der globalen Textilindustrie kämpfen.

Miriam Saage-Maaß vom ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) betonte die grundlegende Bedeutung des Verfahrens: „Deutsche Unternehmen aller Branchen haben die Klage gegen KiK genau verfolgt. Rechtsexperten in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz griffen die Argumentation auf. Allen ist klar: Das aktuelle Recht wird der globalisierten Wirtschaft nicht gerecht.“

Thomas Seibert von medico international ergänzte: „Um die Menschen- und Arbeitsrechte durchzusetzen, reichen freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen nicht. Die Politik muss Gesetze für eine echte Unternehmenshaftung schaffen.“

„Fair war es nicht wie KiK prozessiert hat.“

Auf Anfrage, ob man sich durch das Anerkenntnis (freiwillige Selbstverpflichtung) von KiK in der Verjährungsfrage möglicherweise hat täuschen lassen und deswegen nicht schneller reagiert hätte, gab Prof. Dr. Remo Klinger gegenüber der TP Presseagentur Berlin folgendes Statement ab:

„Wenn die Rechtsauffassung des Landgerichts zutrifft, hätten wir nicht schneller reagieren können. Denn dann waren die meisten Ansprüche ja schon nach einem Jahr verjährt, zu einem Zeitpunkt, in dem wir noch nicht in dem Mandat vertraten. Das zeigt aber auch eines der Probleme mit diesem Urteil: Wie soll es denn der Mutter eines pakistanischen Opfers möglich sein, in dieser kurzen Zeit überhaupt möglich sein, eine Klage vor einem deutschen Gericht zu erheben?

Durch den Verjährungsverzicht hat KiK zu erkennen gegeben, dass man sich in einem Prozess nicht auf eine Verjährung berufen wird, die innerhalb dieser vereinbarten Frist erhoben wird. Wir mussten daher davon ausgehen, dass dadurch nicht mehr das für die Verjährungsfrage strenge pakistanische Recht, sondern deutsches Recht vereinbart wurde, danach war die Klage nicht verjährt. Fair war es nicht wie KiK prozessiert hat.“

Mehr zum KiK-Fall unter ecchr/kik/pakistan

 

 

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