Landgericht Hamburg: Erste Entscheidungen über nachträgliche Beschwerden gegen G20-Ingewahrsamnahmen.

In einer Reihe von Beschwerdeverfahren hat das Landgericht Hamburg über polizeiliche Ingewahrsamnahmen während des G20-Gipfels entschieden und die damit verbundenen Maßnahmen teils für rechtmäßig und teils für rechtswidrig erklärt. Die Beschwerdeführer waren nach ihrer Festnahme zunächst in der Gefangenensammelstelle der Polizei und dann aufgrund richterlicher Entscheidung in Justizvollzugsanstalten bis zum Ende des Gipfelwochenendes festgehalten worden.

In den bislang entschiedenen Fällen waren die Ingewahrsamnahmen nach Ansicht des Landgerichts zwar erforderlich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung von Straftaten durch die Betroffenen zu verhindern. Allerdings war es in diesen Fällen zu erheblichen Verzögerungen zwischen der Festnahme der Betroffenen und deren Vorführung zur richterlichen Anhörung gekommen. Darin sieht das Landgericht einen Verstoß gegen das Gebot, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung herbeizuführen und erklärte die Ingewahrsamnahmen in der Zeit zwischen den Festnahmen der Betroffenen und der jeweiligen richterlichen Entscheidung für rechtswidrig. Etwas anderes gilt nach Auffassung der zuständigen Zivilkammer für die Fortdauer der Freiheitsentziehung nach dem jeweiligen amtsgerichtlichen Beschluss. Soweit diese Entscheidungen bis zum Ende des Tages nach der jeweiligen Festnahme vorlagen, war der weitere Vollzug der Ingewahrsamnahmen rechtmäßig.

Zur Behandlung der Betroffenen in der Gefangenensammelstelle der Polizei hat das Landgericht Hamburg außerdem in einigen Fällen u.a. festgestellt, dass etwa Durchsuchungen der Betroffenen bei vollständiger Entkleidung ohne konkreten Anlass rechtswidrig gewesen seien und die Betroffenen nicht hätten gezwungen werden dürfen, ihre Notdurft unter Aufsicht zu verrichten.

Die Betroffenen in den bislang entschiedenen Fällen waren anlässlich gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen dem 6. und dem 8. Juli 2017 von der Polizei aufgegriffen, vorläufig festgenommen und in die Gefangenensammelstelle in Hamburg-Harburg verbracht worden. Unter den Beschwerdeführern sind Personen, die am frühen Morgen des 7. Juli 2017 anlässlich eines Polizeieinsatzes am Rondenbarg vorläufig festgenommen worden waren, und solche, die am späten Abend des 7. Juli 2017 am Haus Schulterblatt 1 und an anderen Orten des Schanzenviertels in Polizeigewahrsam gekommen waren. In allen bislang entschiedenen Fällen kam es bis zur Vorführung der Betroffenen zur richterlichen Anhörung zu Verzögerungen, so dass zwischen ihrer vorläufigen Festnahme und den richterlichen Entscheidungen über die Ingewahrsamnahmen insgesamt zwischen 15 und 40 Stunden lagen. In einigen Fällen wurden die Betroffenen zwar bis zum Ende des Folgetages einem Richter oder einer Richterin vorgeführt, jedoch konnte eine richterliche Entscheidung nicht mehr innerhalb dieser Höchstfrist ergehen.

Die in den jetzt entschiedenen Fällen eingetretenen Verzögerungen zwischen Festnahme und richterlicher Entscheidung verstoßen nach Ansicht der Zivilkammer 1 auch unter den besonderen Umständen während des G20-Gipfels gegen das sog. Unverzüglichkeitsgebot (§ 13a Abs. 1 Satz 1 SOG und Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG). Danach muss eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung ohne jede vermeidbare Verzögerung nachgeholt werden. Zwar bestanden wegen der unübersichtlichen Sicherheitslage und der beschwerlichen Transportwege sowie infolge der Häufung von Festnahmen während des Gipfels besondere Herausforderungen für die Polizei. Diese Situation rechtfertigte in gewissem Umfang Verzögerungen, die unter gewöhnlichen Umständen schon nicht mehr hinnehmbar gewesen wären. Allerdings hatten – so die Zivilkammer 1 – Polizei und Justiz eben mit einer solchen Lage gerechnet und umfangreiche Vorkehrungen getroffen. In dieser Situation wäre nach Ansicht der Kammer ein Zeitablauf von mehr als 12 Stunden bis zur richterlichen Entscheidung nur gerechtfertigt, wenn eine Lage eingetreten wäre, die – wie etwa gewalttätige Auseinandersetzungen in und um die Gefangenensammelstelle – für niemanden vorhersehbar gewesen wäre. Das sei jedoch nicht der Fall gewesen, zumal die Gefangenensammelstelle der Polizei zu keinem Zeitpunkt mit Gefangenen voll ausgelastet gewesen sei.

Hinsichtlich der Art und Weise der Ingewahrsamnahmen haben die Betroffenen teilweise mit Erfolg geltend gemacht, dass ihre Behandlung durch die Polizei rechtswidrig gewesen sei. Dazu gehört in mehreren der bislang entschiedenen Verfahren die teils mehrfach erfolgte Durchsuchung der Betroffenen in der Gefangenensammelstelle bei (nahezu) vollständiger Entkleidung. Da die Betroffenen jeweils schon bei ihrer Festnahme durchsucht worden seien, habe eine konkrete Veranlassung für einen derart gravierenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen nicht bestanden. Entsprechendes gilt für die von einzelnen Betroffenen erhobene Rüge, bei der Verrichtung ihrer Notdurft von Polizeikräften beaufsichtigt worden zu sein. Auch diese Maßnahme war nach Auffassung der Kammer durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt.

Den zuständigen Zivilkammern 1 und 9 des Landgerichts Hamburg liegen insgesamt 38 Beschwerden vor, die sich gegen Ingewahrsamnahmen anlässlich des G20-Gipfels richten. Anders als in den beim Verwaltungsgericht Hamburg anhängigen Verfahren waren die hier Betroffenen nach ihrer Festnahme jeweils einem Richter oder einer Richterin vorgeführt worden, was die Zuständigkeit des Landgerichts als Beschwerdegericht begründet. In der Nebenstelle des Amtsgerichts Hamburg in Hamburg-Harburg standen rund um Uhr jeweils 8 Richter im Dreischichtbetrieb für Entscheidungen über Haftbefehle und Ingewahrsamnahmen zur Verfügung. Insgesamt wurden 174 Verfahren zur Entscheidung über polizeiliche Ingewahrsamnahmen und weitere 108 Zuführungen für Entscheidungen über Haftbefehle durchgeführt. Mehr als 150 solcher Anträge wurden allein innerhalb von 24 Stunden am 8. Juli 2017 eingereicht. Insgesamt wurde in 108 Fällen die Fortdauer der polizeilichen Ingewahrsamnahme bis zum Ende des Gipfelwochenendes angeordnet und in weiteren 63 Fällen ein Haftbefehl erlassen. In den übrigen Fällen wurden die Betroffenen aufgrund richterlicher Entscheidung oder nach Antragsrücknahme entlassen.

Zum Hintergrund: Bei der polizeilichen Ingewahrsamnahme handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Deren Ziel ist nicht die Verfolgung einer bereits begangenen Straftat, sondern die Verhinderung solcher Taten. Wer unmittelbar davor steht, eine Straftat oder eine gravierende Ordnungswidrigkeit zu begehen und nicht anders aufzuhalten ist, kann vorübergehend in Gewahrsam genommen werden (sog. Verhinderungsgewahrsam). Der Gewahrsam darf nur so lange dauern, wie es unerlässlich ist, um die befürchteten Taten zu verhindern. Das Hamburgische Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) sieht für solche Ingewahrsamnahmen eine Höchstgrenze von 10 Tagen vor.

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