Leichtere Einbürgerung für Nachkommen von NS-Verfolgten.

Minister Seehofer setzt zwei Erlasse zu Wiedergutmachungseinbürgerungen in Kraft.

Nachkommen von NS-Verfolgten können leichter die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten: Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) setzt morgen zwei umfangreiche Erlassregelungen in Kraft, die im Ausland lebenden Nachkommen deutscher NS-Verfolgter, die keinen Anspruch auf Wiedereinbürgerung nach Artikel 116 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) haben, eine erleichterte Einbürgerung ermöglichen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer: „Deutschland muss seiner historischen Verantwortung gegenüber denjenigen gerecht werden, die als Nachfahren deutscher NS-Verfolgter staatsangehörigkeitsrechtliche Nachteile erlitten haben. Das gilt insbesondere für Personen, deren Eltern oder Großeltern ins Ausland flüchten mussten. Mit den morgen in Kraft gesetzten Erlassen schaffen wir eine schnelle, unmittelbar geltende Regelung zum Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit für diese Betroffenen.“

Nach Artikel 116 Absatz 2 GG sind frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 08. Mai 1945 durch NS-Unrecht die Staatsangehörigkeit entzogen wurde, auf Antrag wieder einzubürgern. Dies gilt auch für Abkömmlinge der Ausgebürgerten, weil sie durch die Unrechtsmaßnahmen gegenüber ihren Vorfahren nicht im Abstammungswege Deutsche werden konnten. In einigen Konstellationen, denen aber ein vergleichbarer Unrechtsgehalt zugrunde liegt, können Betroffene die Wiedergutmachungsregelung nach Artikel 116 Absatz 2 GG aus Rechtsgründen nicht für sich in Anspruch nehmen.

Bis zum Jahr 2007 konnten durch § 13 des Staatsangehörigkeitsgesetzes – StAG (Auslandseinbürgerungen ehemaliger Deutscher), dem bis dahin eine Ergänzungsfunktion in Bezug auf die nicht von Artikel 116 Absatz 2 GG erfassten Abkömmlinge zukam, im Einzelfall Wiedergutmachungseinbürgerungen erfolgen. Diese Regelung ist jedoch 2007 auf minderjährige Abkömmlinge beschränkt worden, da der Gesetzgeber ein öffentliches Interesse, erwachsene Abkömmlinge ehemaliger Deutscher auch über Generationen hinweg im Ausland einzubürgern, nicht mehr angenommen hat. Nachdem in der Folgezeit doch noch ein beachtliches Fallaufkommen festzustellen war, hat das BMI durch Erlass vom 28.03.2012 eine erleichterte Ermessenseinbürgerung ermöglicht.

Das Brexit-Referendum hat in Großbritannien nicht nur zu einem sprunghaften Anstieg von (Wieder-) Einbürgerungsanträgen nach Artikel 116 Absatz 2 GG geführt: Waren es 2015 noch 43 Anträge, so stieg diese Zahl 2016 auf 684, 2017 gab es 1.667 und 2018 1.506 Anträge; im Zusammenhang damit wurden zudem zahlreiche Einbürgerungsbegehren aus Großbritannien aber auch aus anderen Staaten geltend gemacht, die nicht von Artikel 116 Absatz 2 GG und auch nicht von der bisherigen Erlasslage erfasst sind.

Das BMI erachtet es als großen Vertrauensbeweis, wenn die Nachkommen von emigrierten NS-Verfolgten heute wieder die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen. Es hat daher weitergehende Einbürgerungsmöglichkeiten im Erlasswege geschaffen, um dem Wunsch der Betroffenen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten, nachzukommen.

Zum begünstigten Personenkreis gehören  vor dem 01. April 1953 geborene eheliche Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Mütter und ausländischer Väter,   vor dem 01. Juli 1993 geborene nichteheliche Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Väter und ausländischer Mütter, bei denen die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft nach deutschen Gesetzen vor Vollendung des 23. Lebensjahres wirksam erfolgt war, und  Kinder, deren deutscher Elternteil im Zusammenhang mit NS-Verfolgungsmaßnahmen eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat; dazu gehören auch Kinder, deren verfolgungsbedingt emigrierte Mütter nach § 17 Nummer 6 RuStAG a.F. vor dem 01. April 1953 durch Eheschließung mit einem ausländischen Mann die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, sowie deren Abkömmlinge bis zu dem zum 01. Januar 2000 eingefügten Generationenschnitt nach § 4 Absatz 4 StAG. Dies entspricht dem Geltungsbereich des Artikels 116 Absatz 2 GG.

Damit können alle zu diesem Personenkreis gehörenden Abkömmlinge, unabhängig davon, ob sie sich in der zweiten, dritten oder vierten bzw. vereinzelt sogar schon fünften Generation befinden, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Für ihre nach der Einbürgerung geborenen Abkömmlinge, also für die nachfolgenden Generationen, gelten dann die allgemeinen staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen zum Abstammungserwerb (§ 4 Abs. 1 bzw. Abs. 4 StAG bei fortbestehendem Auslandsaufenthalt).

Erfasst werden auch Kinder deutscher Staatsangehöriger, bei denen zwar kein NS-Verfolgungsschicksal zugrunde liegt, die aber ebenfalls aufgrund der früheren nicht verfassungskonformen Abstammungsregelungen vom Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren, einschließlich deren Abkömmlinge bis zum Generationenschnitt.

Für die Berechtigten mit NS-Verfolgungshintergrund werden die Einbürgerungsvoraussetzungen auf ein Minimum reduziert. Vom Nachweis der Unterhaltsfähigkeit wird abgesehen. Das Sprachniveau wird auf einfache deutsche Sprachkenntnisse abgesenkt; es genügen Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Diese Voraussetzungen werden ohne Prüfung in einem persönlichen Gespräch mit der Auslandsvertretung festgestellt; dabei wird eine wohlwollende Handhabung zugrunde gelegt. Die Einbürgerungen erfolgen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit und sind gebührenfrei.

Die Regelungen erlangen ab morgen unmittelbar Geltung. Gesetzliche Grundlage ist die für Auslandsfälle geltende Einbürgerungsvorschrift in § 14 StAG. Durch die konkreten Vorgaben in den Erlassen besteht mit dem heutigen Tage eine anspruchsgleiche Regelung, nach der alle, die zum erfassten Personenkreis gehören und die genannten Voraussetzungen erfüllen, einzubürgern sind.

In vergleichbaren Fallkonstellationen, die in den Erlassen nicht angesprochen sind, sind Einzelfallentscheidungen möglich. Dabei werden die Kriterien der Erlassregelung zugrunde gelegt.

Anträge können ab morgen über die deutschen Auslandsvertretungen gestellt werden.

Quelle: PM des BMI

Nachfahren ausgebürgerter Nazi-Opfer verdienen Rechtsanspruch auf Wiedereinbürgerung.

„Das Vorhaben der Bundesregierung wird den berechtigten Ansprüchen der Nachfahren von NS-Verfolgten nicht gerecht“, kritisiert die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, die heute vorgestellten Erlasse des Bundesinnenministeriums zur erleichterten Einbürgerung der Nachfahren von Deutschen, die infolge von NS-Verfolgungsmaßnahmen die deutsche Staatsbürgerschaft verloren hatten. Jelpke weiter:

„Deutschen, die von den Nazis ins Exil gezwungen wurden und dort ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren haben, wurde schweres Unrecht zugefügt. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ihnen sowie ihren Nachfahren einen uneingeschränkten Rechtsanspruch auf den Rückerwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu geben.

Stattdessen will die Bundesregierung lediglich mehr ‚Wohlwollen‘ bei den sogenannten Ermessenseinbürgerungen zeigen. Damit bleibt es bei der unbefriedigenden Situation, dass die Nachkommen der NS-Opfer keinen Rechtsanspruch haben, sondern auf den guten Willen deutscher Beamter angewiesen sind. Zudem müssen sie weiterhin, über ihren Wunsch, wieder Deutsche zu werden hinaus, Bindungen an Deutschland nachweisen. So werden Opfer von Naziverbrechen zu Bittstellern im Land der Täter degradiert.

Das bedeutet nichts weniger, als den Nachkommen von NS-Verfolgten eine Bringschuld gegenüber Deutschland abzuverlangen. Richtig wäre es andersrum: Deutschland steht in der Schuld dieser Menschen.

Alle, deren Vorfahren aufgrund der Nazityrannei ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, müssen sie auf Antrag zurückerhalten. Sie verdienen dabei einen Rechtsanspruch, keinen Gnadenerweis auf dem Erlassweg. DIE LINKE. wird einen eigenen Gesetzentwurf hierzu vorlegen.“

„Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht braucht eine gesetzliche Lösung.“

Zur Erleichterung der Einbürgerung für Betroffene und Nachfahren der NS-Verfolgung durch Erlassregelungen des Bundesinnenministeriums erklärt Filiz Polat,Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, undObfrau im Innenausschuss des Bundestages:

„Wir begrüßen es ausdrücklich, dass beim Bundesinnenministerium nun endlich Bewegung in die Angelegenheit gekommen ist. Das war überfällig. Allerdings schließen die Erlassregelungen aus dem Bundesinnenministerium die diskriminierende Gesetzeslücke im Staatsangehörigkeitsrecht leider nicht. Es bleiben weiterhin ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen bestehen, was nicht im Sinne des Gesetzgebers sein kann. Es ist absurd, wenn Betroffene mit Wohnsitz im Inland höhere Voraussetzungen erfüllen müssen, als diejenigen mit Wohnsitz im Ausland. Dass nur mit einem Erlass schnell reagiert werden könne, stimmt nicht. Gerade erst vor der Sommerpause wurde ein umfangreiches Gesetzespaket aus dem Bundesinnenministerium im Eiltempo verabschiedet. Wir haben einen Gesetzentwurf erarbeitet, der im September eingebracht wird. Dieser könnte problemlos noch vor einem möglichen Brexit verabschiedet werden. Es ist nicht ersichtlich, warum sich die Bundesregierung gegen eine gesetzliche Regelung sträubt. 

Um das Wiedergutmachungsinteresse von NS-Unrecht angemessen umzusetzen, muss ein umfassender und rechtssicherer Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft gewährleistet sein. Die Nachkommen von Zwangsausgebürgerten im Nationalsozialismus haben ein starkes und klares Zeichen aus der Mitte des Deutschen Bundestags verdient. Wir erwarten von der Bundesregierung ein eindeutiges Bekenntnis zur Wiedergutmachung. Eine gesetzliche Regelung schafft einen dauerhaften Rechtsanspruch und beendet für die Nachkommen die Situation, sich als Bittsteller vor den Behörden zu fühlen. Die Erfahrungen aus der bisherigen Einbürgerungspraxis nach Ermessen zeigen, dass sich durch Verwaltungsvorschriften alleine die bestehende Gesetzeslücke nicht schließen lässt. Ohne ein Gesetz gibt es keine Rechtssicherheit für die Betroffenen.

Dass mit dem Erlass nun das Bundesverwaltungsamt mit der Prüfung der Anträge aus dem Ausland beauftragt werden soll, ist kurzsichtig. Schon jetzt betragen die Wartezeiten über zwei Jahre. Auch der weiterhin vorhandene Generationenschnitt ist nicht nachvollziehbar, nicht nur weil eine gesetzliche Regelung jahrzehntelang verschleppt wurde, sondern auch, weil dieser für Art. 116 GG nicht einschlägig ist. Die Verbrechen der Nationalsozialisten wirken bis heute nach. Es darf daher für Nachfahren von Verfolgten des NS-Regimes keine Ungleichbehandlung geben.“

Den eingereichten Gesetzentwurf der grünen Bundestagsfraktion zur Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht finden Sie HIER.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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