Mielkes Horchposten lauerten überall.

TP-Interview mit Dr. Manfred Uschner, Persönlicher Mitarbeiter des Politbüromitgliedes Hermann Axen.

Frage:
Herr Dr. Uschner, wenn Sie hören, daß Politbüromitglieder wegen der Toten und Verletzten an der deutsch-deutschen Grenze wegen „Totschlag durch Unterlassen“ angeklagt worden sind, was assoziieren Sie da als langjähriger Mitarbeiter eines Politbüromitgliedes, des verstorbenen Hermann Axen, und als kritischer Beobachter dieses Gremiums, als der sie sich mit Ihrem Buch „Die zweite Etage – Funktionsweise eines Machtapparates“ ja zweifellos ausgewiesen haben, als Erstes?
Dr. Uschner:
Ich kann nur Gorbatschow Recht geben. Er hat unmittelbar nach der Wende und dann noch einmal im Zusammenhang mit den Politbüroprozessen betont, daß es vor seinem Amtsantritt in der DDR keinerlei Möglichkeit gegeben habe, irgend etwas Wesentliches zu verändern. Das betrifft natürlich auch das Grenzregime. Hinter DDR-Grenzern standen ja sowjetische Divisionen und moderne Waffensysteme. Die sowjetischen Militärs gaben den Ton an!
Frage:
Wie verhielt sich das nach Gorbatschows Amtsantritt?
Dr. Uschner:
Ich hatte seit April 1986 einen direkten informellen Kontakt in das Büro von Gorbatschow, organisiert von Professor Wadim Sagladin über die extra in der DDR postierten Journalisten Lew Jelissejew, der von Anatoli Kowrigin abgelöst wurde und dieser wieder in der Endphase der DDR von Alexander Sjubenko. Sie waren akkreditiert als Vertreter der „Neuen Zeit“ oder der Nachrichtenagentur „Nowosti“ in Ost- und Westberlin. Sie suchten mich in bestimmten Abständen auf, um über meine Kenntnisse der Lage und Stimmung in der DDR im Allgemeinen und in der SED im Besonderen informiert zu werden. Es entwickelte sich auch ein enger familiärer Kontakt. Es gibt Leute, die vermuten, daß die drei einem direkt Gorbatschow unterstellten Geheimring namens „Lutsch“ („Der Strahl“) angehörten. Alle drei waren aufgeklärte junge Leute, die auch Ende der 80er Jahre Kontakte in der sich entwickelnden Bürgerbewegung der DDR aufbauten.
Sie verachteten die verbohrten Greise an der Spitze der DDR genauso wie ich. Sie beurteilten die Mauer als Rettungsring des DDR-Regimes, aber auch als noch vorläufig notwendige Grenzlinie zwischen NATO und Warschauer Vertrag. Sie wussten um die wirtschaftliche Überlegenheit des Westens und sahen richtig voraus, was beim Fall der Mauer passieren würde.
Gorbatschow sitze noch nicht so fest im Sattel, um hinsichtlich der DDR-Führung Veränderungen durchsetzen zu können, wenn dadurch militärisch die Westgrenze des sowjetischen Machtsystems in Gefahr geraten könne, hörte ich von den Moskauer Abgesandten immer wieder.
Das brauche seine Zeit, aber man arbeite daran. Dazu seien auch meine Informationen aus dem inneren Machtzentrum und über die Stimmungslage in der Bevölkerung sehr nützlich.
Jedoch es vergingen die Jahre 1986-88 und nichts passierte. Ich fragte meine lieben Moskauer Freunde, woran das denn läge. Die Situation könne leicht außer Kontrolle geraten. Ich merkte an den Reaktionen vor allem Kowrigins und Sjubenkos, daß sowjetischerseits keine durchgreifenden Aktionen zu erwarten waren, daß Gorbatschow zunehmend die Zügel entglitten und er schließlich unter den Einfluss von teilweise recht undurchsichtigen Leuten geriet. Seine Fehler nahmen zu. Es wuchs die Gefahr, daß die UdSSR selbst ins Schleudern geraten könne. Damit verband sich die Gefahr einer plötzlichen Implosion der DDR, Polens und der Tschechoslowakei, d.h. der „Westflanke“ Moskaus. An einem im Zusammenhang damit ausbrechenden Bürgerkrieg und militärischen Konfliktes war man auch im Westen, vor allem in den USA, nicht interessiert.
Frage:
Aus welchen Informationsquellen bezogen Sie Ihre Kenntnisse bzw. bedienten Sie sich auch aus westlichen Informationsquellen?
Dr. Uschner:
Das erfuhr ich überraschender Weise im Mai 1988 in den USA. Als Mitarbeiter Axens durfte ich ihn als Vorsitzenden einer Volkskammerdelegation begleiten, als er in Washington und New York Vorträge hielt und mit namhaften Politikern der USA zusammentraf. Bei einem großen Empfang in Washington wurde ich von den amerikanischen Gastgebern an einen Tisch in einer hinteren Ecke des großen Saales plaziert, fernab von den anderen Mitgliedern und Mitarbeitern der DDR-Delegation und der DDR-Botschaft. An meinem Tisch saßen ausschließlich DDR- und Ostexperten des State Departements und des CIA. Ohne viel Drumherum begannen sie mit mir in brutaler Offenheit über den kommenden Zusammenbruch der DDR zu sprechen. Kurz nach dem 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 werde die DDR die akute Krise nicht mehr eindämmen können. Das müsse jedoch so vor sich gehen, daß niemand die Nerven verliere und es nicht zu einem militärischen Konflikt in Mitteleuropa komme, der sich rasch ausweiten könne. Man habe gute Kontakte zu wichtigen Leuten in Moskau und in der DDR über 900 Spitzenagenten.
Frage:
Wie kam es, daß z.B. die Mitarbeiter des Ringes „Lutsch“ oder die CIA so offen mit Ihnen sprachen? Waren Sie auch deren Agent bzw. wollten sie Sie anwerben?
Dr. Uschner:
Von „Lutsch“ hörte ich erst etliche Jahre nach der Wende. Die drei bereits namentlich von mir genannten Journalisten waren mir von Prof. Wadim Sagladin, stellvertretender Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, zugeführt worden.
Die CIA brauchte mich nicht; sie hatte, wie ich ja in den USA erfahren hatte, genug Agenten in der DDR und in Moskau. Man kannte aber meine Haltung, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hatte. Ich trug zudem mein Herz allzu sehr auf der Zunge, und schon das machte mich für professionelle Geheimdienstarbeit sowieso ungeeignet.
Man habe zwar schon vor Jahren überlegt, mich auch von der CIA anwerben zu lassen, aber das wäre wohl bei mir – wie man inzwischen genau wisse – auf kontraproduktive Reaktionen gestoßen. Außerdem sei ich schon lange im Visier von Mielkes Leuten. Man kenne aber meine Verbindungen zum Büro Gorbatschow und meine politischen Ansichten, aus sozialdemokratischen Quellen, aber auch von DDR-Informanten.
Deshalb äußerten sie überraschend vertrauensvoll eine Bitte: Sie wüssten, daß ich beim Grenzoberkommando der DDR in Pätz bei Königswusterhausen regelmäßig Vorträge über die weltpolitische Entwicklung halten würde und dort mit den Spitzenleuten sehr offen reden könne. Wenn es zum Aufruhr in der DDR komme, solle ich nach Pätz fahren und die Grenztruppen veranlassen, noch etwa 6 Wochen die Grenze stabil zu halten. Dann habe man mit den Sowjets alles Wichtige geregelt und abgesprochen… Ich war mehr als erstaunt über diese Offenheit und das Vertrauen. Aber eines wurde mir dabei schon damals klar: auch die USA sahen amerikanisch-sowjetische Absprachen als Grundvoraussetzung für den „friedlichen“ Fall der Mauer und die Veränderung der Verhältnisse in der DDR an. DDR-Obere würden nur mit- oder weglaufen können… Dazu kamen die Informanten, aber nicht entscheidend Agierenden, weder auf der Straße, noch in den Apparaten!
Frage:
Wie dachte man im Politbüro?
Dr. Uschner:
An der Spitze der SED wurde jedes „Abirren“ von „der Parteilinie“, d.h. vom Kurs der „Viererbande“ (Honecker, Mittag, Mielke, Hermann) mit oftmals brutaler Konsequenz geahndet. Deshalb waren die Politbürositzungen auch stinklangweilig. Alles zu Beschließende hatten die Beschlusseinreicher ja vorher als Vorlage an Honecker geschickt. Wenn der sein „Einverstanden! „E.H.“ am rechten Rand der 1. Seite einer Beschlussvorlage angefügt hatte, war sowieso alles gelaufen. Es gab also nur ganz wenige Ausnahmen.
Frage:
Welche?
Dr. Uschner:
Zwei Beispiele sind mir in Erinnerung:
Da war der „Fall“ des 1. Sekretärs der SED – Bezirksleitung Berlin, Konrad Naumann. Er war ein recht rüder Typ, der sich aber bei Auftritten in Berliner Großbetrieben betont kumpelhaft gab. Das stärkte plötzlich seinen Einfluss, auch in der Bezirksverwaltung des MfS, was ihm zu Kopf stieg. Er ließ öffentlich anklingen, er würde eigentlich ein besserer Generalsekretär, als Honecker sein. Dieser war, wie ich von einem Mitarbeiter Honeckers erfuhr, wirklich etliche Monate in Sorge.
Da brachte sich Naumann durch ein „dreistes“ Auftreten im beschwipsten Zustand vor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften der SED selbst um alle Chancen. In seinem damaligen Vortrag kritisierte er, daß man den Künstlern der DDR alles in den Rachen werfen würde, um sie zu halten, Westautos, Häuser, Westreisen u. ä. Für die einfachen Bürger sei die Wohnungssituation dagegen prekär. Die SED-Spitze kenne die wahre Lage überhaupt nicht.
Der Institutsdirektor berichtete umgehend. Kurt Hager (verantwortlich für Kultur und Wissenschaften im Politbüro) gab den Bericht sofort an Honecker weiter. Es kam zu einer lebhaften Politbürositzung, in der auch alle sonst Schweigenden, wie etwa Hermann Axen, Naumann Unmoral und parteischädigendes Verhalten vorwarfen. Naumann wurde einstimmig aus dem Politbüro und Zentralkomitee der Partei ausgeschlossen und an das Landesarchiv in Potsdam strafversetzt. Seinem Rausschmiss folgten keinerlei Aktionen aus der Berliner Parteiorganisation heraus…

Der zweite „Fall“ war der Herbert Häbers. Vom Direktor des „Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft“ zum Leiter der Westabteilung des ZK der SED aufgestiegen, erregten seine produktiven und informativen Berichte über Gespräche mit führenden Politikern der BRD die Aufmerksamkeit Honeckers. Auch einige andere waren von den sehr interessant geschriebenen Berichten Häbers sehr angetan. Häber wurde vom einfachen ZK-Mitglied in ungewöhnlich schnellem Tempo zum Kandidaten und dann Vollmitglied des Politbüros „gewählt“.
Schon allein der schnelle Aufstieg Häbers stieß auf den Widerwillen und Neid vorher gleichrangiger Funktionäre im Parteiapparat. Mielke und Mittag beargwöhnten den wachsenden Einfluss Häbers auf die Gestaltung der Beziehungen der DDR zur BRD. Häber wusste, daß die DDR nur eine – zumindest zeitweilige – Überlebenschance hatte, wenn sie sich eigenständig mit der BRD arrangierte und eine wechselseitige Annäherung vorantrieb. So handelte er auch. Das empörte Mielke und seinen Apparat, aber auch besonders Günther Mittag, den Wirtschaftssekretär und Haupteinflüsterer Honeckers. Die Stasi intrigierte mit immer größerem Aufwand gegen Häber, Der Generalsekretär hatte aber einige Zeit Zweifel an deren Berichten, in denen Häber als ein verkappter Westagent dargestellt wurde. Dann hätte er ja „dem Feind“ in die Hände gearbeitet. Honecker zögerte einige Monate. Aber Mielke und seine Häscher ließen nicht locker, gewiß mit Rückendeckung konservativer Kreise in Moskau. Schließlich wurde Häber dann doch aus dem obersten Parteigremium ausgeschlossen und in eine von der Stasi mit Wissen Honeckers und anderer Politbüromitglieder gesteuerte psychiatrische Behandlung eingewiesen. Das war einer der Methoden, mit denen Andersdenkende mundtot gemacht wurden, natürlich im Machtapparat noch eher und aufwendiger, als etwa gegenüber aufmüpfigen Kirchenleuten, die zudem den Rückhalt der Kirchen und anderer Kräfte, auch der Medien der BRD, hatten. Einen solchen Rückhalt hatten ausgesonderte Spitzenfunktionäre der SED nicht, vor der Wende überhaupt nicht und nach der Wende nur vereinzelt und meistens sehr zurückhaltend. Entfernte Funktionäre wurden von der Stasi weiter observiert oder in entsprechender Weise von Vertrauensärzten der Stasi behandelt.
Erwähnen möchte ich auch, es ist fast ein Witz der Weltgeschichte, daß ich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre gerade beim Oberkommando der Grenztruppen in Pätz bei Königswusterhausen auf Generale und Oberste traf, die konkrete Überlegungen zum Sturz Honeckers, Mielkes und des gesamten vergreisten Politbüros der SED anstellten. Man hatte dort die verlogene und phrasenhafte Parteipropaganda längst satt und holte sich für „Weiterbildungslehrgänge“ Vortragende, die mutiger, als andere waren, sich etwas trauten und Interessantes anboten. Ich sprach immer über die weltpolitische Lage und insbesondere über Abrüstung und Entspannung. Als ich einmal im Vortrag äußerte, daß ihnen diese letzten Endes Rang und Uniform kosten könne, erntete ich lautes Gelächter.
In den Vortragspausen, beim Imbiß, im ganz kleinen Kreis um Politchef Lorenz, Generalleutnant, wurde von Mal zu Mal offener geredet. Hohe Generale und selbst Abwehroberste der Grenztruppen äußerten zunehmend Zweifel an der Fortexistenz der DDR bei der im Amt befindlichen SED-Führung, die sich nun auch noch gegen Gorbatschow und damit die Schutzmacht Sowjetunion gestellt habe. Da in der Politik niemand agiere, müsse man wohl aus den Grenztruppen und der von Stasi-Leuten („Gruppe 2000“) und Honecker-Getreuen an der Spitze gesäuberten Nationalen Volksarmee heraus zum richtigen Zeitpunkt das Berliner Stadtzentrum besetzen und die existierende Führung festsetzen.
Darüber gäbe es schon lange vertrauliche Gespräche, von denen der Chef der Grenztruppen, Generalleutnant Baumgarten, wisse. Natürlich brauche man dann neue politische Köpfe und die Zustimmung Moskaus. In beiden Punkten gäbe es leider Probleme. Es wurden zunehmend Zweifel daran geäußert, daß wichtige Leute in der Umgebung Gorbatschow überhaupt noch eine Fortexistenz der DDR wollten oder nicht vielmehr an einen Ausverkauf der DDR und eine Wiedervereinigung dächten. In so einer unklaren Situation könne man nicht isoliert handeln. Das waren frappierende Gespräche und Erlebnisse!
Frage:
Sie erlauben, daß ich hier Zweifel anmelde. Gerade Baumgarten hat im 1. Politbüro-Prozeß als Zeuge ausgesagt, daß Dauerfeuer grundsätzlich nicht gegen das Grenzgesetz verstieß und damit sogar den Zorn der Politbüromitglieder auf sich gezogen. Er gilt eher als Hardliner.
Dr. Uschner:
Ja, Baumgarten geriet nach der Wende offenkundig unter den Einfluss und Druck orthodoxer ehemaliger SED-Leute, die „Mein Panier heißt Ehre!“ auf ihre Fahne schrieben. Dass er von Plänen in „seinen“ Grenztruppen gegen die vergreiste SED-Führung gewusst hat, durfte er da einfach nicht zugeben. Er sollte und wollte schließlich das „Ansehen der Grenztruppen der DDR“ (ich frage mich, ob es je so etwas wirklich gegeben hat!) nicht infrage gestellt sehen.
Natürlich habe ich Respekt vor jenen Generalen und Offizieren, die, hochgebildet und zumeist Absolventen der Moskauer Generalstabsakademie waren, so offen und mutig mit mir sprachen. Das waren keine Idioten. Natürlich glaubten sie an die sozialistische Idee. Sie sahen aber auch, daß die DDR und die anderen Staaten des Warschauer Paktes immer mehr ins Schleudern gerieten. Sie wollten die DDR retten, aber eine neue, demokratisch ausgestaltete errichten!
Sie wussten, daß sie mit ihrem Dienst an der deutsch-deutschen Grenze den Niedergang der DDR verhindern sollten. Sie waren aber in Zweifel geraten, ob das noch lange so weiter gehen könne und solle. So, wenn immer häufiger sowjetische Offiziere und Soldaten in die BRD zu flüchten versuchten und das sowjetische Oberkommando verlangte, auf die Flüchtenden zu schießen!
Frage:
Wie verhielt man sich im Politbüro dazu?
Dr. Uschner:
Im Politbüro der SED wurden solche ketzerischen Gedanken nicht einmal im Ansatz vorgebracht. Man setzte auf Hardliner in der UdSSR, die Gorbatschow schon wieder verdrängen oder zur Ordnung rufen würden, wie etwa Ligatschow.
Der Ausbau der Kontakte zur BRD sollte das Ansehen der SED-Spitze in der eigenen Bevölkerung und international aufbessern, was auch eine Zeitlang in gewissem Umfange gelang. Ich durfte einmal in 20 Jahren als Mitarbeiter des im Urlaub befindlichen Hermann Axen an einer Politbürositzung als „schweigender Gast“ teilnehmen. Es ging um das Projekt von SED und SPD zur Schaffung eines atomwaffenfreien Korridors in Europa. Den Kurzbericht hierzu durfte nicht ich halten, der in der Materie stand, sondern der Leiter der Westabteilung des ZK, G. Rettner, der überhaupt nicht an den Verhandlungen mit der SPD teilgenommen hatte. Ich saß am Katzentisch, wie auch die „neuen“, etwas jüngeren Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, alle nach „Hackordnung“ plaziert. Ich spürte den stechenden Blick Mielkes in meinem Rücken und drehte mich zu ihm um. Mich unverwandt ansehend sagte er in drohenden Tone: „Vergeßt nicht, Sozialdemokraten bleiben Sozialdemokraten!“ Alle nickten beifällig, besonders der an diesem Tage die Sitzung leitende Egon Krenz. Ich fühlte mich wie in einem Gruselkabinett, als ich die zumeist verschlossen-ängstlichen Gesichter der anwesenden Politbürokraten beim Herausgehen näher betrachtete…:
Frage:
Die Staatsanwaltschaft hat ja die Politbüromitglieder wegen „Totschlag durch Unterlassen“ angeklagt. Sie hätten nichts dafür getan, das Grenzregime zu humanisieren. War denn da nichts in eigener Regie möglich gewesen, auf eine Humanisierung hinzuwirken, ohne eine Konsultierung der Staaten des Warschauer Vertrages?
Dr. Uschner:
Es war durchaus möglich – nicht im Politbüro –, aber in Einzelgesprächen mit Honecker in Fragen auf ihn einzuwirken, die mit seiner eigenen Interessenlage zu tun hatten. So hat Axen mit Krenz, unserem neuen Büronachbarn (das langjährige Politbüromitglied Verner war mit Anzeichen von Demenz ausgeschieden) und Honecker über die Splitterminen an der deutsch-deutschen Grenze gesprochen. Die Sozialdemokratie der BRD habe sich darüber sehr aufgeregt und das als Verletzung der Menschenrechtskonvention gegeißelt. Das mindere das Ansehen Honeckers bei führenden westdeutschen Sozialdemokraten und in der westdeutschen Öffentlichkeit. Hinweise kamen wohl in gleicher Richtung aus München von Franz-Josef Strauß über Schalck-Golodkowski. Es folgte kurze Zeit später ein Abbau der Splitterminen.
Frage:
War dafür nicht auch der Milliardenkredit ursächlich?
Dr. Uschner:
Jein! Er mag eine Rolle gespielt haben, wurde aber selbst nie in Anspruch genommen! Er diente der DDR vor allem dazu, bei anderen westlichen Banken den Eindruck von Bonität zu erzeugen und von diesen neue Kredite zu bekommen. Die Linie Honecker/Mittag/Schalck zu Strauß war vor allem eine Linie höchst vertraulichen politischen Informationsaustauschs und vielfältiger gemeinsamer Wirtschaftsaktivitäten. Man ging gemeinsam zur Jagd, Strauß durfte zur „Leipziger Messe“ mit seinem Privat-Jet einfliegen, DDR-Handwerker arbeiteten auf seinem Hof, Geschenke gab es immer reichlich…
Da ging es bei den Kontakten zur oppositionellen SPD wesentlich spärlicher zu!

Aber die Meinung nicht nur der SPD, sondern der gesamten „Sozialistischen Internationale“ war für Honecker perspektivisch wichtig. Letztere hatte auch gegen die Splitterminen Front gemacht. Also drängte Honecker Stasichef Mielke und Armeechef Keßler auf technische Grenzkorrekturen, die dann nach Abstimmung mit den Moskauer Militärs realisiert wurden.
Frage:
In Ihrem Buch die „Zweite Etage“ schreiben sie davon, daß die Mächtigen selbst ihre Ohnmachtsgrenze hatten. Jenseits von ihr sei es ihnen nur um ihre Machtstellung gegangen, die stets Vorrang gehabt habe. Die Einsicht, daß es auch für das eigene Leben und die Partei besser sei oder ganz und gar im Interesse der Partei rechtzeitig zurückzutreten, hätte niemand gehabt.
War die schlichte Untätigkeit von Politbüromitgliedern, die ja vom Gericht im 2. Politbüro-Prozeß gegen Häber u.a. festgestellt oder unterstellt worden ist, demnach mehr Machtinteressen geschuldet denn Interessen gegenüber der Sowjetunion bzw. des Warschauer Paktes?
Dr. Uschner:
Über Jahrzehnte hinweg hatten diese Leute an den Sieg der Sowjetunion und ihrer Verbündeten im „weltrevolutionären Prozess“ geglaubt. Dass diese „Gesetzmäßigkeit“ keine war, glaubten sie bis zuletzt nicht. Axen hat mir nach der Wende und nach der Haftentlassung in unserem einzigen Gespräch nach meinem Rausschmiss aus dem ZK-Apparat am 20.02.1989 im Jahre 1991 voller Überzeugung gesagt: „Wir haben eine historische Niederlage erlitten. Aber unsere Enkelkinder werden sie überwinden!“
So verbanden sich Sendungsbewußtsein, pauschale „Treue“ zur Sowjetunion mit dem persönlichen Machterhalt zu einer organischen Einheit. Man fühlte sich auf vorgeschobenen Posten „Im Dienste der Sache“. Die damit verbundenen Privilegien sah man als selbstverständliche Zutat, als zusätzliches Entgelt für die „angespannte Arbeit zum Wohle des Volkes“.
Mit den zunehmenden wirtschaftlichen Problemen der DDR, die sich auch aus der Verringerung der sowjetischen Erdöllieferungen ergaben, mit dem Eintreten von Gorbatschow für Perestroika und Glasnost machte sich bei den meisten Politbüromitgliedern eine Mischung von Lethargie und krampfhafter Verteidigung der eigenen Machtpositionen breit. Die Stasi nutzte und förderte diese Entwicklung. So schob man Axen eine Luxusdatsche in Born an der Ostsee unter, weil nach beschafften ärztlichen Auskünften Frau und Töchter Axens dringend die jodhaltige Luft der Ostsee bräuchten. Er selbst ist nur einige Male dort gewesen. Aber er hat es trotz mancher „Bauchschmerzen“ hingenommen…
Oder Werner Jarowinski, im Politbüro für den Außenhandel tätig, hatte plötzlich statt einem gleich mehrere Segelboote. Dass es hier um verdeckte Korruption ging, wurde nur heimlich unter Mitarbeitern (auch der Stasi) diskutiert, teilweise recht verbittert!
Natürlich waren alle Politbürokraten überzeugt, daß Moskau die DDR niemals fallen lassen würde. Deshalb könne und müsse ja auch die Mauer bleiben.
Axen hatte von meinen zunehmend kritischen Äußerungen über den Lebensstil der Parteioberen gehört. Bei einem Rückflug 1988 von Prag nach Berlin raunte er mir in seiner Chefkabine des Sonderflugzeuges zu, er wisse von meiner Meinung über G. Mittag und kenne auch meine Auffassung, daß er selbst als ehemaliger KZ-Häftling kaum bestraft werden könne, wenn er den Mund aufmachen würde über die Zustände im Land, die Mauer und anderes. Wörtlich Axen: „Gewiß hast du in vielen Dingen zu 90% recht. Aber vergiß nicht: ich bin schon ein alter Mann und recht krank. Außerdem ist meine Frau querschnittsgelähmt. Auch uns würde es schlimm ergehen, wenn ich aufbegehren würde. Alles weißt du auch nicht, und das ist besser so! Halte auch du dich künftig mehr zurück, auch im Interesse Deiner Familie!“
Das war deutlich! So hatte Axen noch nie mit mir gesprochen. Aber seine tief in ihn eingefressene Angst war deutlich geworden.
Die erlebte ich auch im Mai 1988 beim bereits erwähnten Aufenthalt der Volkskammerdelegation in den USA, die eine USA-Reise Honeckers vorbereiten sollte. Axen war so voller Furcht, etwas zu sagen oder zu tun, was andere im Politbüro gegen ihn ausnützen könnten, daß er sich wie ein Nervenbündel verhielt. Am zweiten Aufenthaltstag schrie er den Journalisten Steiniger vom „Neuen Deutschland“ beim Frühstück wegen angeblich zu schwacher Berichterstattung der Parteizeitung über Axens USA-Reise an, und das extrem cholerisch. Steinigers Frau war am Tag zuvor gestorben, was Axen wusste. Deshalb ging ich dazwischen, schrie ihn in scharfen Worten an und fragte, ob er keinerlei Schamgefühl gegenüber einem Menschen habe, dessen Frau gerade gestorben sei.
Axen sagte mir auf dem Rückflug, ihm seien die Nerven durchgegangen, denn die USA-Reise werde im Politbüro sorgfältig beobachtet. Wenn etwas schief gegangen wäre, wäre es um ihn geschehen. Kurzum: auch für Axen ging es um den persönlichen Machterhalt! Seine panische Ängstlichkeit wirkte schon peinlich!
Frage:
Diese Angst hatten alle Politbüromitglieder?

Dr. Uschner:
Mehr oder weniger ja! Einmal hat Alfred Neumann, Bronzemedaillengewinner im Kugelstoßen bei der Olympiade von 1936, im Politbüro in seiner bekannten polterigen Art eine Lobrede Mittags unterbrochen und ihn gefragt, ob er denn auch noch ein paar Dachziegel in der DDR belasse oder alles in den Westen verscherbele. Es hat wohl Gelächter gegeben, aber sonst änderte sich nichts!
Frage:
Wie war das mit den Mitarbeitern? Konnten sie etwas tun?
Dr. Uschner:
In gewissem Umfange und mit einigem Geschick – so der Wille und Mut vorhanden waren – schon.
Nur ein Beispiel: Im Geburtstagsband zu Egon Bahrs 70. Geburtstag „Das Undenkbare denken“ hat der „rechts“ positionierte Sozialdemokrat Erwin Horn geschrieben: “Manfred Uschner zeigte sich als Kollege von erstaunlicher Offenheit. Er nutzte seine Stellung, um menschliches Leid zu vermindern und hat mir in sehr vielen Fällen bei Familienzusammenführungen geholfen; oft gegen den Widerstand von Behörden im eigenen Bereich.“
Frage:
Wie lief das?
Dr. Uschner:
Ja, wie lief das? Nachdem mich Bahr und seine Mitstreiter kennen gelernt hatten, gaben sie mir immer öfter einen Aktendeckel mit, der Bitten erhielt, DDR-Bürger zu ihren erkrankten oder plötzlich allein stehenden Verwandten in der BRD zeitweilig oder ganz ausreisen zu lassen. Anfangs zeigte ich diese Bitten Axen. Dann meinte er: “Übernimm du das!“ Also rief ich z.B. den Sicherheitssekretär der SED-Bezirksleitung in Dresden an und avisierte die Zustellung einer Bitte von Hermann Axen an, deren wohlwollende Prüfung im Interesse der Partei und unserer Verhandlungsführung gegenüber der SPD liegen würden. Der hat das dann über die Stasi-Bezirksverwaltung geregelt. Zu oft durfte das natürlich am gleichen Ort auch nicht geschehen. So habe ich auch einer namhaften Schauspielerin die Ausreise nach München ermöglicht, wobei der damalige stellvertretende Kulturminister Höpke half.
Ich weiß, daß auch andere Mitarbeiter so gehandelt haben, was nicht immer gut ging oder, wie bei mir, nur für eine bestimmte Zeit! Das setzte aber ein bestimmtes Verhältnis zu den Chefs voraus, nach dem Motto etwa „Wenn es schief läuft, habe ich nichts gesehen und gehört!“ Eine sichere Rückendeckung hatte man nie. Aber der Kultur- und Wissenschaftsverantwortliche im Politbüro, Kurt Hager, hat über seine Mitarbeiter auch manches möglich gemacht!
In der Endphase der DDR verstärkten einige Politbüromitglieder ihre Kontakte zu Moskau, etwa Krolikowski, Felfe, Jarowinski, zuletzt gar, um seine Haut zu retten, Erich Mielke!
Volkskammerpräsident Sindermann nahm mich einmal beiseite und meinte: „So geht es nicht weiter! Aber was können wir schon tun?“
Frage:
War diese Resignation allgemein in der Partei verbreitet?
Dr. Uschner:
Viele hofften in der SED und in der Bevölkerung auf den XI. Parteitag der SED, an dem Gorbatschow teilnehmen würde. Es gab auch hoffnungsvolle Anzeichen. Die Leipziger Parteitagsdelegierten hatten ein Buch über die Parteigeschichte in Leipzig erhalten, in denen auch Krisen und der wahre Verlauf der Ereignisse vom 17. Juni 1953 dargestellt waren.
In der SED-Spitze herrschte Unruhe. So sollte der gehbehinderte Mittag Gorbatschows Ehrenbegleiter sein, nicht der russisch sprechende Krenz. Honecker wollte unbedingt die Rede Gorbatschows vorab haben und einen DDR-Dolmetscher am nächsten Tag in die Dolmetscherkabine setzen. Doch die „sowjetischen Freunde“ spielten nicht mit. Honecker und alle Delegierten hörten die Rede erst, als sie gehalten wurde und das über einen aus Moskau mitgekommenen russischen Dolmetscher. Während der Rede, in der Geltungssucht, Realitätsferne und abgehobener Lebensstil kritisiert worden war, herrschte absolute Stille im Saal. Honeckers und seiner Vertrauten Köpfe wurden immer röter. Nach der Rede Stille. Dann prasselnder Beifall der Delegierten, dem sich das Präsidium zögernd anschloß. Das Bettuch schien zerschnitten.
In einer Parteitagspause wurde ich zu Axen gerufen, der mit Honecker und Gorbatschow zusammenstand. Bei der Suche nach einem Thema, bei dem man wenigstens annähernd übereinstimmte, war man auf das Projekt des atomwaffenfreien Korridors zu sprechen gekommen. Gorbatschow sagte, seine Experten würden in einer bestimmten Frage noch Abstimmungsbedarf sehen. Lächelnd blickte er mich an und meinte, Genosse Uschner könne doch zu seinem Beauftragten, Professor Sagladin, fliegen und noch jemanden vom Außenministerium der DDR mitnehmen. Die Plätze im Flugzeug von Aeroflot seien schon gebucht.
War alles etwas merkwürdig! Aber gut: Wieder einmal nach Moskau! Dort angekommen, wurden wir von alten Vertrauten überraschender Weise mit Eiseskälte begrüßt.
Im Parteihotel „Oktjabrskaja“ erhielten wir die schlechtesten Zimmer, was immer ein Signal für schlechte Beziehungen zwischen den Parteien war. Statt den Termin bei Sagladin wahrzunehmen, sollte ich ein Revolutionsmuseum besichtigen. Es war klar: Die SED galt zu diesem Zeitpunkt in Moskau als Feind Gorbatschows, und daß es da noch andere gab, war noch nicht „durchgestellt“ worden. Also wandten wir das an, was wir die „koreanische Methode“ nannten: wir sprachen gegen die Zimmerdecke, wo wir die Wanzen vermuteten und lobten Gorbatschow über den grünen Klee, während wir Honecker und Mittag madig machten. Schon Stunden später hatten wir bessere Zimmer. Und der Termin „Morgen 9 Uhr im ZK“ (den man schon Bahr und Voigt hatte zuschieben wollen, die wir in der Lobby des Hotels unter einer der Kunstpalmen entdeckt hatten), stand auch wieder.
Frage:
Wurde er ein Erfolg?
Dr. Uschner:
Professor Wadim Sagladin schaute mir sehr tief in die Augen, als er uns in sein geräumiges Arbeitszimmer bat. Die von Gorbatschow angesprochene Frage hatten wir in 10 Minuten geklärt. Dann bat ich Sagladin, ihn unter vier Augen sprechen zu dürfen. Er verstand und nickte. Ich sprach 3 Stunden, er eine, während sich im Vorzimmer die Leute drängelten.
Ich hatte an diesem Tage das, was man bei Homosexuellen ein „Coming out“ nennt. Alles, was sich in mir seit Jahrzehnten angestaut hatte an politischem Frust beim Parteiausschluß meines Vaters, dem Tod meines Bruders infolge Lagerhaft, in der Erinnerung an den XX. Parteitag der KPdSU, an die Invasion in der CSSR und an 18 Jahre Arbeit im Parteiapparat der SED, brach aus mir heraus. Ich beschrieb Sagladin die zugespitzte Lage in der DDR, die Gorbatschow-Feindschaft der Führung. Als ich fertig war, kam er um den Konferenztisch herum und umarmte mich weinend. Ja, es würden schlimme Zeiten auf uns alle zukommen. Gerade deshalb müssten die „Aufgeklärten“ und „Ehrlichen“ zusammenhalten. Man werde zu diesem Zwecke schon in Kürze immer einen sowjetischen Journalisten in meiner Nähe postieren, der im Auftrage des Generalsekretärs und in seinem Auftrage handele. Man würde mich absichern, trotzdem müsse ich vorsichtig sein. Aber an meinen Lagebeurteilungen sei man zutiefst interessiert. „Eure Greise sind wirkliche Arschlöcher, aber gefährlich. Michail muß erst hier bei uns im Lande seine Positionen festigen, ehe bei Euch mit Eurer sensiblen Grenze etwas geschehen kann. Es ist noch unsicher, ob wir erfolgreich sind. Übe dich in Geduld. Wenn wir durch unbedachte Schritte die Berliner Mauer öffnen, bricht alles zusammen wie ein Kartenhaus! Der gesamte Warschauer Pakt! Dann kann die Bundeswehr letzten Endes vor Moskau oder zumindest vor unseren Grenzen stehen! 4 – 5 Jahre werden wir benötigen, wenn nichts schief geht. Aber vielleicht entsteht auch eine günstige Gelegenheit!“
Total aufgewühlt flog ich nach Berlin zurück. Dr. H., mein Begleiter vom DDR-Außenministerium, hatte geduldig die 4 Stunden im Vorzimmer Sagladins gewartet. Ihm war klar, daß etwas Besonderes vorgefallen sein musste, fragte aber nicht weiter.
In Berlin ging es direkt vom Flugplatz Schönefeld in das ZK-Gebäude (heute Auswärtiges Amt). Dort dachte ich, daß mich der Schlag trifft. Schon beim Betreten der Politbüroetage fragten mich Mitarbeiter Honeckers, ob ich es denen in Moskau „mal ordentlich gegeben“ hätte. Was sich Gorbatschow auf dem XI. Parteitag der SED geleistet habe, sei unverfroren gewesen. Diesen „grünen Jungen“ müsse man erst einmal mit „der kollektiven Weisheit von Bolschewisten“ konfrontieren, wie sie in der SED-Führung vorhanden sei. Ich erschrak: Welch eine gespenstische, weltfremde Szenerie! Immer war uns eingetrimmt worden: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ und „Ohne die Sowjetunion sind wir nichts!“.
Man verwies auf Äußerungen von Portugalow, Dassitschew und Schewardnadse und brachte sie sehr schnell mit dem Wort „Verrat“ in Verbindung. Hanna Wolf, die ehemalige Parteihochschuldirektorin, nun „persönliche wissenschaftliche Mitarbeiterin Honeckers machte allen Hoffnung: Ligatschow (ein Hardliner) werde sich schon durchsetzen.
Frage:
Das ist ja bekanntlich letzten Endes nicht geschehen.
Dr. Uschner:
Als ich 1988 im Herbst – aus Bonn von Gesprächen mit Egon Bahr kommend – abends noch zu einer Parteiwahlversammlung in das ZK fuhr, wankte mir die Sekretärin des früheren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Mückenberger, nun Vorsitzender der Zentralen Parteikontrollkommission, kreidebleich entgegen. „Was ist denn los, ist dir schlecht?“ fragte ich die Frau im mittleren Alter. „Manfred, die wollen sich auf einem vorgezogenen XII. Parteitag noch einmal wählen lassen. ich kann nicht mehr!“
Wutentbrannt betrat ich in den Versammlungsraum. Fast zuletzt berücksichtigte man meine Wortmeldung. Ich fragte, ob man denn überhaupt noch die Stimmung der Bevölkerung kenne? Was nutze eine friedliche Außenpolitik, wenn die Innen- und Wirtschaftspolitik die DDR destabilisiere? Woher die vielen Ausreiseanträge kämen, fragte ich und wie lange dies die DDR aushalten könne. Schweigen im Versammlungsraum, aber etliche Kollegen folgten mir in mein Arbeitszimmer und klopften mir kräftig auf die Schulter. Andere warnten: „Das wirst du wohl nicht überstehen!“
Am nächsten Morgen gleich ein Anruf vom Parteisekretär der Politbüroetage, Joachim W., „zweiter“ Mitarbeiter bei Honecker und eigentlich recht aufgeschlossen – im Gegensatz zum 1. Mitarbeiter Frank-Joachim Hermann. „Du wirst wohl selbst wissen, daß die Abschiedsglocken für Dich schlagen. Der Countdown läuft! Hanna Wolf arbeitet schon am Bericht, und die Organe sind aktiviert!“
Einen Tag später tagte die zentrale Parteileitung unter dem früheren Nazi und nun Kaderchef des ZK der SED, Fritz M., der zu Honecker gerufen worden war. Honecker habe ihm wütend erklärt, in „seinem Hause“ gäbe es Leute und Stimmungen, die er nicht dulden werde, also Anhänger von Gorbatschow. Einer der schlimmsten „Fälle“ sei der persönliche Mitarbeiter Hermann Axens, Manfred Uschner. Er und seinesgleichen hätten im ZK-Apparat nichts zu suchen. Das sei – aber ohne großes Aufsehen – in der Parteiorganisation unverzüglich auszuwerten. Danach wurde die Parteiorganisation gleichgeschaltet und unter verstärkte Kontrolle der Stasi gestellt. Eine Säuberungswelle erfaßte 64.000 Mitglieder und Funktionäre der SED. Ich war nur einer davon!
Aber die letzten Jahre war schon am immer häufigeren Auswechseln der Telefonbücher und an der Verteilung von „Änderungen“ mit „Zugängen“ und „Abgängen“ erkennbar geworden, daß es aufmüpfige Mitarbeiter und vor allem Anhänger von Gorbatschow gab, die kurzerhand entfernt wurden.
Frage:
Und das wurde von Moskau geduldet?
Dr. Uschner:
Moskau erwies sich als machtlos, das zu verhindern, und die PDS zeigte nach der Wende keinerlei Interesse an diesen Menschen, die ihr Andersdenken und ihre aufrechte Gesinnung vor dem Fall der Mauer offenbart hatten. Leute, die geschwiegen hatten oder die Säuberungen mitgetragen hatten, verblieben bei der SED/PDS, auch in ihrem Apparat noch einige Zeit und teilweise bis heute.
„Getreue“ Kommunisten sind gefragt!
Nachdem man 1968 3 ½ Stunden unter Leitung von Fritz M., dem Kaderchef, aufbrachte, um mich unter Vorwänden und mit Drohungen für eine „befristete Zeit“ ins ZK zu holen, brauchte man nun, am Montag, den 20. Februar 1989 ganze 5 Minuten, um mir meinen Rausschmiss zu verkünden. Am Freitag zuvor war Egon Bahr bei Axen im ZK gewesen und hatte sich sehr kritisch über die innere Entwicklung der DDR geäußert. Ich war ihm, wie so oft, auf die Toilette gefolgt (zum Flugplatz nach Tegel durfte ich ihn schon nicht mehr begleiten) und merkwürdigerweise kam an diesem Freitag abend Erich Honecker um 19.30 Uhr (absolut ungewöhnlich) auch auf diese Toilette und bemerkte: „Seltsam, wen man hier alles trifft!“
Ich diktierte der Sekretärin noch den Vermerk über das Gespräch. Es war mein letzter dort. Am 18.02.1989 früh um 9 Uhr wurde Axen von Honecker in seinem Wandlitzer Domizil angerufen. Honecker verlangte meine sofortige Entfernung und gab seine Absicht bekannt, mich in den Stasiknast Hohenschönhausen einliefern zu lassen. Der geschockte Axen, der meine Arbeit bei ihm in den letzten Jahren zunehmend schätzen gelernt hatte und wusste, wem er manchen Erfolg in den Abrüstungsgesprächen mit der SPD zu verdanken hatte, der mir auch persönlich viel Freiraum gelassen hatte, widersprach heftig. Eine Inhaftierung würde Aufsehen erregen bei der SPD und Gespräche erschweren oder beenden. Nach einigem Hin und her stimmte Honecker Axen zu, daß die „übliche stille Lösung“ die bessere Variante sei: Sofortige Entlassung ohne Benennung der wahren Gründe, Strafversetzung an die Akademie der Wissenschaften, strikte Kontrolle durch die Stasi, Berufsverbot als Diplomat, Außenpolitikwissenschaftler und Abrüstungsexperte, Ersetzung Uschners durch einen „zuverlässigeren Genossen“. Das war dann mein früherer Sektorenleiter, Prof. Dr. Joachim B.
Am 20.02.1989 – Axen hatte das Wochenende aufgeregt und ohne etwas zu essen, wie mir seine Familie und Wachpersonal berichteten – kam er früh in meinen Arbeitsraum: Fast väterlich raunte er mir zu: “Um 15 Uhr findet bei mir eine streng geheime Beratung statt, na, das kennst du ja! Bis dahin ruhe dich etwas aus!“ Merkwürdig war nur: Meine Telefonverbindungen waren gekappt, ich bekam keine Zeitungen zur Auswertung. Nun war klar: Es ist soweit! Von 7.45 Uhr bis 15 Uhr saß ich allein in meinem Raum an einem leeren Schreibtisch und wartete auf die „Urteilsverkündung“. Nur meine Sekretärin flüsterte mir, als ich mal zur Toilette musste, auf dem Korridor zu, der andere Mitarbeiter und die Sekretärinnen seien zu 15.10 Uhr zu Axen bestellt worden. Ex-Nazi M., und zum damaligen Zeitpunkt Kaderchef des ZK, sei den ganzen Vormittag immer wieder mit als „Geheim!“ gekennzeichneten Aktenheftern zu Axen gegangen.
Punkt 15 Uhr betrat ich das große Arbeitszimmer Axens zum letzten Mal. Axen saß hinter dem Schreibtisch mit hochrotem Kopf und lauter kleinen blauen Zetteln in den Händen, von denen er abzulesen begann: „Manfred, dir müssen die Abrüstungsgespräche zu Kopf gestiegen sein. Sonst könnte ich mir nicht deine unverschämte Kritik an führenden Genossen erklären. Offensichtlich bist du dem Einfluss der Sozialdemokratie erlegen. Du bist ab sofort fristlos entlassen, hast deine Sachen zu übergeben, vor allem die streng vertraulichen, und das Haus unverzüglich zu verlassen!“
Frage:
Wie haben Sie reagiert?
Dr. Uschner:
Ich war nicht überrascht. Aus ihrer Sicht hatten die da ja Recht. Ich war in wichtigen Fragen nicht oder nicht mehr ihrer Meinung. Ich blieb auch ganz ruhig. Ich fragte den Kaderchef: „Nennt mir doch wenigstens nur ein Beispiel für mein Fehlverhalten!“ M. antwortete harsch: „Ach, was soll das! Da sind über Jahre Tausende von Dingen zusammen gekommen! Du müsstest nur mal mit Hanna Wolf reden (das war die ehemalige Parteihochschulsekretärin und nunmehr wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Honecker), aber das willst du ja nicht! Schade ist nur, daß es jetzt schwer für Hermann wird, der dich gerade jetzt bei den Abrüstungsgesprächen bräuchte!“ Unter beifälligem Nicken von Axen fügte er in gespielt kumpelhaftem Ton hinzu: „Was dir jetzt passiert, ist Millionen in unserer Bewegung in viel schlimmerer Weise passiert. Du kannst froh sein, daß dich Hermann vor Schlimmeren bewahrt hat. Du wirst an die Akademie der Wissenschaften zu Professor Buhr versetzt mit halbem Gehalt. Alle Einzelheiten klärt dann die Kaderabteilung!“ Ich ging hinaus und schrie erst zu Hause meine Wut heraus.

1991 traf ich den „Kadermüller“ im Wartezimmer einer Zahnärztin. Ich setzte mich absichtlich auf den freien Stuhl neben ihn. Mit leiser, heiserer Stimme sagte er: „Du willst gewiß mit mir nichts mehr zu tun haben. Das verstehe ich. Aber was sollten wir denn damals machen. Gegen die Stasi-Abteilungen kamen wir doch nicht an! Die haben doch eure richtigen Personalakten geführt. Und da lag sehr viel gegen dich vor!“ Später, als Nazi enttarnt und nach Uschner befragt, verwehrte er Reportern von „Kontraste“ den Zugang zu seiner Wohnung, spielte seine Nazivergangenheit herunter und bezeichnete mich als „Schwein, den man niemals in die Partei hätte aufnehmen dürfen.“ Dabei hatte er mich doch zur Arbeit im ZK genötigt. Übrigens die gleichen Urteile gaben die älteren Herren von sich, die als Zuschauer am Prozess gegen Häber meine Zeugenaussage hörten.
Frage:
Sie kamen ja eigentlich aus der Wissenschaft und wollten nie in die Politik?
Dr. Uschner:
Ja, plötzlich erinnerte man sich bei meinem Rausschmiss wieder daran und erzählte auch den SPD-Vertretern um Egon Bahr auf der meinem Rausschmiss folgenden ersten Sitzung der gemeinsamen sicherheitspolitischen Arbeitsgruppe von SED und SPD, Manfred Uschner sei in die Wissenschaft zurückgekehrt. Das habe er ja immer gewollt. Er sei ja nur zeitweilig „ausgeliehen“ worden. Ich weiß heute, daß es da kein Anzweifeln und kein Nachfragen seitens der SPD-Vertrauten gab.
Frage:
Keine Nachfragen, Bemerkungen oder ähnliches?
Dr. Uschner:
Nein, ich hatte ja mal auf eine verdeckte Kontaktaufnahme oder eine Nachricht gewartet, etwa einen Briefkasteneinwurf über einen Kirchenmann abends im Dunklen. Ich habe dann im Frühsommer dem italienischen Handelsvertreter Antonio Grimaldi eine ganz klein auf einem Zettel geschriebene Botschaft an Karsten D. Voigt in Frankfurt/M. mitgegeben, die diesen auch erreichte. Grimaldi hatte sie voller Angst in seinem Slip in die BRD transportiert.
Als danach über die amerikanische Botschaft in Ostberlin ein Kontaktversuch gestartet wurde, brannte wenige Tage danach unser PKW „Wartburg“ vor dem Kindergarten unseres Sohnes. Eigentlich, so die Mitteilung eines Abgesandten der „Hauptabteilung Aufklärung“, sollte der PKW nachts in der Garage explodieren und unseren im Kinderzimmer darüber schlafenden Sohn töten. Man sei davon ausgegangen, daß „Uschner danach keine Politik mehr macht“!
Das alles war schon schockierend, widerspiegelte aber auch die Nervosität und zunehmende Perfidie des Regimes. Der Sommer 1989 war durch die Abwesenheit Honeckers, die totale Lähmung der SED-Führung – seltsamer Weise vom schwerkranken Mittag statt von Krenz (was eigentliche Beschlußlage war) „gelenkt“ – die Zunahme der Botschaftsbesetzungen und Tausende Ausreiseanträge gekennzeichnet. Die Führungsetagen von Stasi und SED bekamen nun mit, daß es doch für sie ein baldiges Ende geben könne. Die Stasi-Generalität las bereits das Buch „Geheimakte Odessa“, in welchem die Absetzaktivitäten der Nazioberen bei Ende des 2. Weltkrieges beschrieben worden waren. Man hatte in der BRD ganze Auflagen für die kostbaren Valuta aufgekauft!
Frage:
Dann kam der heiße Herbst, wie er Ihnen nach Ihrer Schilderung von den Amerikanern im Mai 1988 angekündigt worden war!
Dr. Uschner:
Ja, ich nahm an allen Demonstrationen teil, am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz, an den Demonstrationen vor dem Gebäude des ZK. Da stand ich nun in Jeans und Lederjacke auch jenen gegenüber, mit denen ich rund 20 Jahre im gleichen Gebäude zusammen gearbeitet hatte. Sie mischten sich auftragsgemäß „unter die Genossen“, um „beruhigend zu wirken.“ Da war aber nichts mehr zu beruhigen! Vor dem ZK-Gebäude standen bei jeder Demo und Kundgebung viele tausend vor allem jüngerer Leute aus der Akademie der Wissenschaften, aus der Humboldt-Universität und dem Werk für Fernsehelektronik voller Empörung den Parteioberen gegenüber. Sie kamen mit Zustimmung ihrer Parteileitungen, gegen den Willen des ZK und verlangten durchgreifende Reformen und personelle Veränderungen. Auf den Stufen des ZK-Haupteinganges klagten wir erst Schabowski und dann Krenz an, die Dinge nur aussitzen und verzögern zu wollen. Das DDR-Fernsehen war da und übertrug live!!! Das Ende der nun Ohnmächtigen war nahe!
Die Mitarbeiter der „zweiten Etage“ hielten sich – mit einer Ausnahme – von mir fern und sahen von weitem auf mich wie auf einen Feind.
Gary Bindenagel, amerikanischer Gesandter in der Ostberliner USA-Botschaft, der mich Ende 1989 einlud und dem ich davon erzählte, sagte mir lachend: „Natürlich waren Sie in diesem Moment deren Feind! Die haben bis zum Schluss mitgemacht und Sie nicht! Die werden sich nie bei Ihnen entschuldigen oder Ihnen Genugtuung widerfahren lassen. Diese KPD-Leute und Kominternerben haben noch nie einen von ihnen Bestraften wirklich rehabilitiert und entschädigt. Die lassen Sie auch an keinen ihrer Schreibtische zurück. Sie werden es erleben! Und die Bürgerrechtler werden Ihre Vergangenheit einseitig beurteilen und Ihre Sachkompetenz und Ihre Verbindungen fürchten! Man will keine ehemaligen SED-Leute und wird propagandistisch alle in einen Topf werfen. So war es denn auch!
Markus Wolf, am 4. November 1989 bei der großen Kundgebung auf dem Alexanderplatz ausgepfiffen, half noch bei der personellen Rettung der SED/PDS. Dann landete er im „Ältestenrat“ der PDS. Gerade Wolfs „leiser Abgang“ nach Moskau und vorher schon Häbers Abschuß hatte viele nachdenklichen Parteifunktionäre gelähmt. Sie wollten ja eine bessere DDR und keinen bedingungslosen Anschluß an die BRD, wie er dem Mauerfall folgte.
Tausende kluger und volksverbundener Funktionäre wurden unter den fadenscheinigsten Gründen in der Parteigeschichte der SED aus ihren Funktionen entfernt, nicht wenige von ihnen inhaftiert oder massiv bedroht.
Darüber wird in der PDS kaum gesprochen, und den Bürgerrechtlern ist dieses Thema, wie ich auf vielen Nachwendeveranstaltungen erleben konnte, völlig obsolet.
Dabei ist nicht neu, daß diktatorische Machtcliquen vorrangig ihre Umgebung überwachen. Die meisten Arbeitsräume im ZK waren verwanzt, aber selbst die Räume des Politbüropavillons im Regierungskrankenhaus in Buch, auch die Suiten von Honecker und Mielke! Eine Tochter Hermann Axens beschrieb mir erst kürzlich, daß sowohl Axens Haus in Wandlitz (Haus 21), wie auch das Grundstück in Born in jedem Raum total verwanzt war, also auch die Schlafzimmer und Toiletten. Man kann sich denken, was die STASI bei einem Besuch von Egon Bahr in Born alles mitgeschnitten hat…
Die Familie Hermann Axens – und das ist der Gipfel – musste sich in der Wendezeit bei der Auflösung der Grundstücke das laute Lachen und hämische Bemerkungen eben jener Stasi-Experten anhören, die all die Gerätschaften eingebaut hatten! Noch Fragen zum Verhältnis von Partei und Stasi?
Frage:
Erzählen Sie ruhig weiter…
Dr. Uschner:
Zwei Stasi-Mitarbeiter meldeten sich 1985 bei mir in meinem Arbeitsräumen des ZK. Sie wiesen sich aus und erklärten, sie hätten den Befehl – in Abstimmung mit dem Hauskommandanten – durch mein Zimmer hindurch eine Abhörleitung in den Gesprächsraum zu legen, in dem am nächsten Tag Axen erstmals mit Bahr sprechen wollte. Als das Krenz und Herger (letzter Abteilungsleiter für Sicherheitsfragen im ZK) das mitbekamen, hielten sie das für Unsinn und bliesen die Aktion nach Rücksprache mit Axen ab. Die beiden Stasileute packten ihre Technik wieder zusammen und sagten beiläufig: „Sollten die ihre Meinung wieder ändern, wir sind ja jede Nacht hier im ZK tätig. Wir haben zu allen Räumen und Safes Nachschlüssel!“
Wenn Bürgerrechtler über die Stasi als „Schild und Schwert der Partei“ sprechen, lassen sie diesen Grundtatbestand absichtlich außen vor: Die Stasi konnte in jeden Raum der Partei hinein, sogar in die Safes. Zwei Stunden nach jeder Politbüro- und Sekretariatssitzung hatten die Abteilungsleiter des MfS die Protokolle abgeschrieben auf ihrem Tisch. Und umgekehrt? Niemand, selbst Honecker nicht, hätte unkontrolliert in Räume der Stasi gelangen, an Safes und Aktenunterlagen des MfS herankommen können. Die Partei hatte auch gar nicht die materiell-technische Basis, um die Stasi überwachen zu können.
Frage:
Ist das nicht eher eine Rechtfertigung, daß die Stasi die Partei und nicht umgekehrt die Partei die Stasi in der Hand hatte?
Dr. Uschner:
Nein, immer nach 1917 hatten die geheimen Unterdrückungsapparate die Partei unter Kontrolle, legten Dossiers an, arbeiteten falsche Beschuldigungen aus und betrieben auf unkontrollierbare Weise ihre Art von Personalpolitik. Natürlich gab es, wenn der Sicherheitschef auch im Politbüro saß, eine gewisse Personalunion, aber eben nur in seiner Person und mit seiner doppelten Machtfülle. Die Stasi durfte keinen Mitarbeiter des Parteiapparates der SED anwerben, aber es gab natürlich Tausende von verwandtschaftlichen Kontakten und viele enge Bekanntschaften, und sei es nur über die Datschennachbarschaft, über medizinisches und Betreuungspersonal. Und dann das Wanzenwissen!!!
„Die Partei, die Partei hat immer recht?“ Nein recht hatten immer die Dossiers der Stasi, die Berichte der IMs und vor allem jene, die sie dazu gemacht haben. Letztere sind nach der Wende zumeist unbehelligt geblieben, pflegen heute ihre Kameradschaft oder sind neuen Auftraggebern zu Diensten!
Frage:
Wie gestaltete sich konkret das Verhältnis Honeckers zu Mielke?
Dr. Uschner:
Ohne Mielke ging in Sicherheitsfragen gar nichts. Er hatte wohl nicht nur den „roten Koffer“ mit z.B. Unterlagen über Honeckers erste Ehe mit einer Zuchthauswärterin in Verwahrung, sondern wusste auch um die Leichen anderer in ihrem Keller. Zumindest kannte er ihre Schwach- und Angriffspunkte und nutzte sie aus.
Rein formal und dem Verlauf der Amtsgeschäfte und protokollarischen Normen nach war natürlich Honecker der offiziell unumstrittene Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR. Er war in der Tat die „Spinne im Machtnetz der DDR“. Aber nachdem dem Moskauer Vorbild folgend der Staatssicherheitsminister und der Armeeminister Vollmitglieder des Politbüros geworden waren (in Reformzeiten der 50er Jahre waren die Vertreter der Stasi aus der Parteiführung entfernt worden!), bildete sich allmählich ein neues Kräfteverhältnis heraus. Beide Minister verbanden in Personalunion ihre Machtposition als Politbüromitglieder mit ihrer Machtposition als Chefs der beiden wichtigsten Sicherheitsapparate! Das ist der generelle Aspekt.
Dazu kamen Besonderheiten. Nach dem Amtsantritt Gorbatschows in Moskau folgte Mielke nach jeder Politbürositzung (dienstags) unmittelbar nach Sitzungsschluß Honecker in dessen Arbeitszimmer zu einem Gespräch unter vier Augen und – möglicherweise – unter vier Ohren…
Die Verweildauer Mielkes wurde von Mal zu Mal länger. Auf dem Weg zur (einzigen) Herrentoilette auf der „zweiten Etage“ musste ich ja immer an Honeckers Zimmer vorbei und sah Mielkes „Schatten“ vor Honeckers Tür warten. Nicht selten wurde ich von anderen Politbüromitgliedern mit ängstlichem Unterton gefragt, ob Mielke noch immer bei Honecker sei. In diesen Gesprächen wurden die „Spitzenangelegenheiten“ und „Problemfälle“ besprochen. Daran kann es keinen Zweifel geben. Aber es könnte auch durchaus sein, daß Mielke nicht nur in der letzten Politbürositzung Honecker mit einem „Auspacken“ des „Roten Koffers“ gedroht hat, sondern auch schon früher, wenn Honecker nach Meinung Mielkes gegenüber der BRD zu flexibel und gegenüber Gorbatschow-Anhängern nicht hart genug agierte. Nach der Wende war von diesem „Roten Koffer“ mit dem belastendem Material gegen Honecker häufig die Rede. Ob der Koffer rot war oder nicht, das weiß ich nicht. Dass belastendes Material vorhanden war, zeigte Mielkes Auftreten in der erwähnten letzten Politbürositzung und zeigen Äußerungen hoher Vertreter der SED und Stasi in der Wendezeit. Man kann sie in einschlägigen Publikationen nachlesen.
Frage:
Was war denn an den Materialien in dem „roten Koffer“ möglicherweise noch so brisant gewesen, wenn man von der verschwiegenen Ehe mit einer Gefängnisaufseherin der Nazis absieht?
Dr. Uschner:
Nun diese Sache allein hätte – wäre sie bekannt geworden – Honeckers gesamte Nachkriegskarriere sofort beendet. 4 ½ Monate war Honecker dank dieser Frau und anderer Helfer außerhalb des Zuchthauses Brandenburg in Berlin als Dachdecker tätig und kehrte dann kurz vor der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg durch die „Rote Armee“ dorthin zurück! Das alles wurde ja in seiner offiziellen Biographie verschwiegen oder falsch dargestellt. Schon das Wissen darum gab eine genügende Grundlage für Erpressungsmöglichkeiten. Aber in etlichen Veröffentlichungen nach der Wende wurde auch das Verhalten Honeckers bei Gestapo-Verhören in Zweifel gezogen. Aus Gesprächen mit antifaschistischen Widerstandskämpfern weiß ich, daß es da etwas gab.
Es muss noch mehr Material gegeben haben, das Mielke erlaubte, Honecker zum Schluss bei einer Verweigerung des Rücktritts mit dem „Auspacken“ zu drohen. Auf jeden Fall war Honecker unter Druck zu setzen und gegebenenfalls zu erpressen. Mielke konnte Honecker auch durch gezielt eingesetzte Informationssteuerung über hohe Parteifunktionäre beeinflussen.
Die „Personalpolitik“ hinsichtlich hoher und höchster Parteifunktionäre lag bei der Stasi, bei der Hauptabteilung Kader und Schulung (für deren Akten sich Bürgerrechtler ganz offenkundig bislang wenig interessiert haben!!!) sowie bei der „Arbeitsgruppe Minister“, nicht aber bei der Kaderabteilung des Zentralkomitees der SED, wenngleich es da engste Arbeitsbeziehungen gab.
Frage:
Wie zeigte sich dieses Zusammenwirken in Ihrem Fall?
Dr. Uschner:
Ja, 1985/86 geriet ich mit den Abrüstungsgesprächen SED/SPD zunehmend ins Visier jener, die alle Verbindungen von Parteifunktionären zum „Klassenfeind“, d.h. vor allem auch zur SPD unter Kontrolle zu nehmen hatten.
Kam ich auf dem Flugplatz Köln/Wahn an, warteten 2 Autos auf mich: eines mit dem offiziellen MfS-Vertreter in der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD, Bernd L. und eines der SPD mit dem persönlichen Mitarbeiter von Egon Bahr, Uwe S. Ich bin immer in das Auto des Gastgebers, also der SPD gestiegen und zum Erich-Ollenhauer-Haus gefahren worden. Hängte sich L. dran, was einige Male geschah, ließen wir den jungen Mann draußen im Sekretariat warten.
Kam es zu Reisen ins Land, z.B. zum Mainzer Antichemiewaffenkongreß in Mainz (mit einem damals noch als Abrüstungsanhänger anzusehenden Rudolf Scharping), fuhr mich Bernd L., in seinem PKW, wobei er mir u.a. erzählte, daß er auch bei den streng geheimen Treffen von G. Mittag mit dem Textilfabrikanten Schießer und dem VW-Chef Hahn immer dabei sei.
Warnungen, vorsichtiger zu sein, erhielt ich von Mitarbeitern der Ständigen Vertretung, von Mitarbeitern der „zweiten Etage“ (darunter Mitarbeitern Honeckers) und von Mitarbeitern der Abteilung Internationale Verbindungen und anderer Abteilungen. Zunächst seien von Neid geprägte Äußerungen notiert worden: „Wer ist denn der Uschner schon, warum ist der andauernd in den Ost- und Westmedien, wieso kann der allein zur SPD-Spitze fahren, wieso reist der andauernd in der Welt herum!?“ Dann ging man an die Beeinflussung Axens heran, um unser Vertrauensverhältnis anzukratzen. So teilte mir dieser eines Tages mit, Kaderchef Müller habe eine so „komische Bemerkung“ über mich gemacht. Ich würde mich nur noch über die Abrüstungsgespräche mit der SPD äußern, nicht aber den inneren Fragen den gebührenden Rang einräumen. Er habe das in der Kaffeestube gehört. Eine Nachfrage ergab, daß Müller nie selbst die Kaffeestube aufsuchte, sondern sich das Frühstück in sein Büro bringen ließ.
Frage:
Also hat man es ihm möglicherweise hintenrum gesteckt?
Dr. Uschner:
Ich ahnte, woher das Ganze kam. Denunziationen gehörten zum Arbeitsalltag vieler „innerer“ Abteilungen, die ja auch enge Kontakte zu den STASI-Fachabteilungen pflegten. Sch., ein Mitarbeiter der Propagandaabteilung des ZK, hatte mich einmal angesprochen und lobend festgestellt: „Was Ihr da mit der SPD in Sachen Abrüstung macht, kommt bei der Bevölkerung gut an!“ Ich antwortete: „Wenn wir schon in der Innen- und Wirtschaftspolitik nicht vorankommen, müssen wir es wenigstens in der Außenpolitik versuchen!“ Sch. stimmte scheinheilig zu, meinte gar, im ZK-Gebäude werde nur noch das Märchen von des Kaisers neuen Kleider gespielt, aber keiner rufe: „Der Kaiser ist nackt!“ Das solle man wohl vorläufig auch besser lassen…
Aber war man einmal auf das Tapet gehoben und die Stasileute glaubten, im ZK-Apparat für ihre Recherchen Gehör zu finden, ließ man nicht mehr locker! Da folgten dann Verdächtigungen, Abstempelungen, „warnende Bemerkungen“ – zum Beispiel vom heute in Österreich lebenden Finanzchef Wildenhain – und schließlich die Einflußnahme auf die Chefs und danach die unmittelbaren Vorbereitungen auf die politische und berufliche Eliminierung.
Unsere sicherheitspolitischen Gespräche waren von Anfang an ein Dorn im Auge der orthodoxen Stasi-Leute, die Gefahr für die innere „ideologische Stabilität“ der Partei witterten. Dementsprechend wurden auch „Kundschafterberichte“ aus dem Bundesgebiet ausgewertet. Eines Tages gab mir Axen eine der MfS-Informationen – in grünem Pappumschlag, eingeschweißt in einer weißen Plasteschiene – über die Gespräche SED-SPD (eigentlich durfte ich so ein streng geheimes Material „Streng geheim! Nur für den persönlichen Gebrauch! Keine Quellenangabe!“ nie in die Hand bekommen!). Darin wurden „Quellen“ aus SPD-Führungskreisen „zitiert“, wonach es Ziel der Gespräche mit der SED sei, diese aufzuweichen. Ich schrieb ganz dünn mit wegradierbarem Bleistift in Druckbuchstaben auf die Seite 8 des Materials: „Hermann, das richtet sich gegen unsere Verhandlungen und Dich persönlich!“. Als ich ihm das Material zurückgab und auf meine Anmerkungen, die ich wieder wegradieren wollte – in seinem und meinem Interesse – aufmerksam machte, reagierte er überaus wütend. Er benutzte meine Anmerkungen und schrieb auf den Umschlagdeckel der MfS-Information eine scharfe Replik. Er warf die Frage auf, ob das MfS für die Desinformation der Parteiführung zuständig sei. Das war ein schwerer Vorwurf! Gerade, als ich Axen bitten wollte, meine Bleistiftanmerkungen ausradieren zu dürfen, ließ die Sekretärin Hermann Axens den Kurier des MfS herein, der das ihm von Axen entgegen gestreckte Material sofort in der an sein Handgelenk angeketteten Kuriertasche verschwinden ließ.
Frage:
Hatte das Konsequenzen für Sie?
Dr. Uschner:
Wie im Nachwendebuch „Wolfs Westspione sagen aus“ (allerdings bewusst mit einer zeitlichen Verschiebung um 1 Jahr!) nachzulesen ist, löste dieser „Vorfall“ in der Auswertungsstelle des MfS einen großen Aufruhr aus: Noch nie hatte ein Politbüromitglied etwas auf eine MfS-Information geschrieben und dazu noch kritisch! Die MfS-Truppe musste einen Rückzieher machen, aber nur zeitweilig. Der Urheber der Bemerkungen Axens war leicht zu ermitteln. Das hat wohl mein Dossier weiter anwachsen lassen und die Vorbereitungen für meine Entfernung beschleunigt!

Überhaupt hatte ich zum Verhältnis Partei/Staatssicherheit einige interessante Erlebnisse. Schon 1972 war ich mit einer Sondermaschine der „Interflug“ über Gander in Kanada nach Kuba geflogen. Mit in der Maschine ein Mitarbeiter des DDR-Außenministeriums, mit dem ich im kubanischen Außenministerium die Dokumente für den bevorstehenden Honeckerbesuch abstimmen sollte sowie eine große Gruppe von Technikern und Personenschutzleuten des MfS. Nach Erledigung der Arbeiten in Havanna hatten wir noch einige Tage Zeit. Man brachte uns nach Varadero in ein abgesperrtes Erholungsgebiet für hohe Regierungsgäste, wo dann auch die offizielle Delegation einkehrte. Manche Stunde saß man auch mit MfS-Leuten an diesem oder jenem Pool zusammen, süffelte die kubanischen Rumgetränke. Da äußerten sich dann MfS-Leute nach einigen Drinks begeistert über Castros Gewohnheit, bei Staatsbesuchen 30 km links und rechts der Fahrtroute alle Geisteskranke, Kriminelle und „politisch Unzuverlässige“ zu „entfernen“. Da fielen dann auch Sätze, wie: „Ja hier sind Partei und Sicherheit eins, bei uns leider nicht!“ Und mit Blick auf uns „Zivilisten“ leicht provokatorisch: “Aber wir haben Euch auch so unter Kontrolle!“
12 Jahre später durfte ich Hermann Axen – natürlich in einer „Regierungsmaschine“ der „Interflug“ – zum 5. Jahrestag der nikaraguanischen Revolution nach Managua begleiten. In der Maschine saßen in „Chefsesseln“ zwei mir unbekannte Personen. Als Sekretär der Delegation fragte ich Axen, wer diese Leute denn seien. Das seien Generale des MfS, um die sollte ich mich nicht kümmern. Die hätten ihre eigenen Gastgeber und ihr eigenes Programm. Einer der beiden, General Fiedler, überlebte wohl nach der Wende einen Fenstersturz, soll aber in Untersuchungshaft Selbstmord begangen haben (er bot mir übrigens auf dem Rückflug an, mir über die Sonderversorgung des MfS alles zu besorgen, was ich bräuchte, Westküchengeräte etwa oder Exportfliesen, na ja…).
In Nikaragua war auch die Spitze des kubanischen Geheimdienstes anwesend. Sie sorgte dafür, daß die Sicherheitsleute aus den befreundeten Ländern in einem klimatisierten Raum bei gastronomischen Spitzenleistungen den 5. Jahrestag der nikaraguanischen Revolution feiern konnten. Die Parteienvertreter, zumeist Politbüromitglieder, darunter Hermann Axen, durften sich in einem nicht klimatisierten großen Saal „unter das Volk mischen“, wie Sicherheitsleute hämisch bemerkten. Kubas legendärer Geheimdienstgeneral Pineiro, den ich seit dem Aufenthalt 1972 in Varadero und einem Besuch im Revolutionsmuseum kannte (ich hatte ihn dort weinend vor dem Foto eines im Kampf gegen Batista gefallenen Kameraden getroffen und mein Mitgefühl ausgedrückt), machte mir gegenüber noch eine bissige Äußerung: “Mit den alten Parteigreisen in Moskau und bei Euch werden wir uns nicht halten können. Das können nur die Sicherheitsorgane!“
Nun, in der DDR waren die Parteioberen überall von Sicherheitsleuten umgeben. Sie wurden abgehört. Ihre Sonderleitungen liefen über ein Stasi-Zentrum. Ihre Fahrer, Begleiter, Haushälterinnen, Gärtner, Handwerker, Piloten, die Angehörigen des Wandlitzer Sonderversorgungssystems, die Wachen in den drei Sicherheitszonen in Wandlitz, in den Partei- und Regierungsgebäuden, Erholungsheimen, Krankenhäusern waren Angehörige des MfS, also zumindest seines Wachregiments. Die Parteioberen waren keine Minute unter sich. Alle Arbeits- und Privaträume waren verwanzt.
Frage:
Auch die Schlafzimmer?
Dr. Uschner:
Da erinnere ich Sie nur an meine vorhin gemachten Ausführungen zu den Wohnräumen Axens! Selbst die Krankensuiten im Regierungskrankenhaus Buch (Station 9) waren mit Wanzen und versteckten Kameras bestückt!.
Auch in unserer Wohnung waren Wanzen eingebaut. Daran scheiterte zum Beispiel eine Bandaufnahme des Radio-DDR-Reporters Thomas Silberstein, die dieser am 30.12.88 in meiner Wohnung aufnehmen wollte. Es ging um einen außenpolitischen Jahresrückblick. Das neue japanische Aufnahmegerät war durch eine elektronische Fremdquelle so gestört, daß ich in das Studio von Radio DDR fahren musste, um die Aufnahme zu wiederholen.
Ja, und als dann mein Rausschmiß feststand, brauchte man wohl noch etwas „besonders verwerfliches“ Zusatzmaterial – so wie bei Herbert Häber mit der Beschuldigung seines Vaters. Im Dezember tauchte ein Stasi-Beauftragter nicht etwa bei einigen Stasi-Offizieren auf, die in unserer Nachbarschaft wohnten, auf, sondern bei einem parteilosen Querulanten, der in der Nähe ein großes Privatgrundstück besaß und besitzt und mich seit Jahren wie die Pest hasste. Der erzählte dann dem Stasi-Mann von Besäufnissen und einer Orgie im Swimmingpool einer benachbarten Familie und forderte gerade diese am nächsten Tag auf, bei der Stasi auszusagen. Er habe das stundenlang getan. Der Mann würde am nächsten Tag wiederkommen. Da kam aber keiner….
Um aber Hermann Axen zu beeinflussen, reichte ein entsprechender Bericht aus. Ich weiß inzwischen, daß diese „Drecksarbeit“ in fast allen ähnlichen Fällen ausgeübt wurde. Meine Stasiakte enthält nur Reste bis zum 19. Lebensjahr. Da sind es schon rund 70 Seiten! Mein für die Stasi „interessantes“ Leben begann aber erst später: es soll dicke Aktenordner gegeben haben, die im Herbst 1989 vernichtet wurden. Auf dem obersten Aktendeckel soll nach aussagen eines Offiziers L. gestanden haben: „Der feindlichen Einflußnahme (SPD) erlegen“.

Frage:
Sie haben vorhin Dinge erwähnt, die Mielke in seinem Panzerschrank gegen Honecker in der Hand gehabt haben soll. In einem Buch über Honecker, das kürzlich erschienen ist, werden solche Dinge in den Bereich der Legende gerückt.
Dr. Uschner:
Nun es gibt andere Bücher, wie etwa die hervorragende Mielke-Biographie von
Dr. W. Otto, die Mitglied der historischen Kommission der PDS ist. Die ist anerkanntermaßen seriöser. Die Zahl der Versuche, das wirkliche Geschehen im nachhinein zu vertuschen, nimmt gegenwärtig zu. Das erinnert an das Verhalten ehemaliger Nazis in der Nachkriegszeit. Zunächst hat man sich verkrochen, nun halten einige Ewiggestrige die Zeit für reif, zum „Gegenangriff“ überzugehen.
Wissen Sie, ich habe selbst im Urlaub auf der Insel Hiddensee die zweite Frau Erich Honeckers, Edith Baumann, gesprochen. Ihren Platz hatte inzwischen Margot Honecker eingenommen. Ich war allein auf die Insel gekommen, und Edith Baumann freute sich, beim Wandern über die Inselhügel sich endlich einmal ihren Frust von der Seele reden zu können. Sie erzählte mir von Honeckers erster Ehe und daß er nach der Verhaftung durch die Nazis wohl „weich“ geworden sei. Das könne von den „Organen“ mal gegen ihren Exmann ausgenutzt werden! Aber darüber rede man besser nicht. Ich war damals total überrascht und habe erst viel später das Gehörte verstanden.
Nun hat Mielke in der letzten Politbürositzung der SED, bei der Absetzung von Honecker, gedroht, mit der „ganzen Wahrheit“ herauszurücken. Das muss schon gewichtig gewesen sein. Also die verschwiegene erste Ehe mit einer Gefängnisaufseherin, sein monatelanger (unbewachter) Außeneinsatz als Dachdecker in Berlin, seine freiwillige Rückkehr in das Zuchthaus Brandenburg kurz vor seiner Befreiung durch sowjetische Truppen. Außerdem die Hinweise, daß sein Verhalten bei Gestapoverhören den Nazis geholfen habe, z.B. bei der Enttarnung von Parteikurieren.
Frage:
In diesem Zusammenhang wurde auch behauptet, eine Frau Fodorova sei aufgrund einer Denunziation Honeckers durch die Nazis umgebracht worden. 1992, so in dem nun neu erschienenen Buch über Honecker, habe sie sich aber aus Israel gemeldet und erklärt, Honecker habe sie entlastet, wodurch sie freigekommen wäre. Was meinen Sie dazu?
Dr. Uschner:
Ich kenne das genannte Buch nicht, aber die Namen einiger Verfasser. Da habe ich schon Vorbehalte. Aber es ging ja auch in den Verhören nicht nur um Frau Fodorova.
Ich weiß aus vertraulichen Gesprächen mit Professor Walter Bartel, der KPD-Lagervorsitzender in Buchenwald gewesen war, nach dem Kriege Vorsitzender des Buchenwaldkomitees, daß nach seinen Informationen etliche Häftlinge Honecker nicht für „echt“ ansahen. Das hätte sich auch immer wieder bei den Treffen der ehemaligen Häftlinge des Zuchthauses Brandenburg gezeigt (dort habe übrigens Honecker als einziger einen Rundfunkempfänger gehabt!). Man sei deutlich sichtbar auf Distanz zu Honecker gegangen!
Ich habe erlebt, wie es Hermann Axen bei zwei Treffen der Buchenwaldhäftlinge ähnlich ergangen ist. Auch Axen ließ die letzten Jahre einen Rostocker Professor an seiner Biographie arbeiten. Es gab wohl 15 Entwürfe. In der letzten wollte Axen mit einer Maschinenpistole in den Händen einen SS – Wachturm gestürmt haben… Wir Mitarbeiter bekamen diese kläglichen Versuche der Legendenbildung offiziell gar nicht zu sehen!
Beim zweiten Besuch in Buchenwald gelang es mir nach stundenlangen nächtlichen Gesprächen im SED-Gästehaus Erfurt, Axen zu überreden, in seine Rede am nächsten Tage die Juden als Hauptopfer der Nazi-KZs zu bezeichnen. Obwohl selbst Jude, hatte er sich immer geschämt, das herauszustellen, wohl um den Antisemitismus in der UdSSR wissend.
Seine Äußerung zu den schweren Opfern der Juden, die seine Rede dann enthielt, wurde selbst in den USA positiv aufgenommen und öffneten mental den Weg zur USA-Reise Axens im Mai 1988, die wiederum eine Reise Honeckers in die USA vorbereiten sollte.
Was mir selbst in Buchenwald auffiel: Axen wurde von vielen ausländischen Kameraden sehr kühl und zurückhaltend begrüßt. Im KZ hatte er als relativ junger Mensch keine Rolle gespielt, zumindest keine auffallend positive.
Schabowskis Behauptung in seinem ersten Nachwendebuch über das Politbüro, wonach Axen gar nicht in Auschwitz und Buchenwald gewesen sei, sondern in der Sowjetunion, ist purer Unsinn. Ich weiß von vielen Häftlingen, darunter vom verstorbenen Schriftsteller Bruno Apitz, der neben ihm auf der Pritsche lag, daß Hermann Axen KZ-Häftling gewesen ist.
Frage:
Sie haben in Ihrem Buch „Die zweite Etage“ auf ein Kapitel über die „Mafia“ im ZK verwiesen. Das fehlte dann seltsamerweise. Warum?
Dr. Uschner:
Der Verlag wurde durch anonyme Anrufe eingeschüchtert, andere auch. Auch ich bekam anonyme Drohungen. Außerdem war mir bekannt, daß Mafiosi in Krisenfällen immer Geld beiseite schaffen, das ihnen gestattet, sich die teuersten Rechtsanwälte zu leisten, Anklagen zu widersprechen, die Glaubwürdigkeit von Zeugen in Zweifel ziehen zu lassen. Manches hat man auch nur selbst miterlebt, ohne darüber schriftliche Dokumente, wie Quittungen, Beschlüsse usw. in der Hand zu haben.
Frage:
Wer war die Mafia im ZK-Apparat?
Dr. Uschner:
An der Spitze stand die Familie Gisela und Günther Glende. Sie leitete das Büro des Politbüros. Ihr Vater war der „Thälmann-Kurier“ Walter Ehrengott Trautzsch gewesen. Das öffnete der eher unscheinbaren Sekretärin den Weg in diese Schlüsselposition. Damit hatte sie jederzeit Zugang zum Generalsekretär, fertigte die Vorlagen für die Politbüro- und Sekretariatssitzungen aus, die Beratungsprotokolle, die internen Parteiinformationen, bereitete maßgeblich mit der Abteilung Parteiorgane unter Horst Dohlus die Plenartagungen des ZK und die Parteitage vor. Dem Büro des Politbüros unterstanden der Zentralcomputer, die Benutzung der Sonderflugzeuge durch Parteifunktionäre, die Auslandsurlaubsreisen, die Auslandskuren, die Planung für die Verlegung der Parteiführung im Ernstfall in den vorbereiteten Bunker, die Erfüllung von persönlichen Wünschen der Politbüromitglieder, die jeden Freitag mittag auf die schwarzen Taschen mit den Beschlußvorlagen für die Politbürositzungen am Dienstag und die Sekretariatssitzungen am Mittwoch warteten. Sie wurden ihnen von Mitarbeitern des Büros des Politbüros ausgehändigt.
Günter Glende war Leiter der Abteilung „Verwaltung der Wirtschaftsbetriebe beim ZK der SED“. Ihm unterstanden der Fuhrpark, die gastronomischen Einrichtungen, die Gästehäuser des ZK, die Wohnungsvergabe, die Beschaffung von Ersatzteilen, die Datschenzuweisung, das ZK-Gebäude selbst, die Druckereien, etwa 70 Handwerker. Als er sich von seiner angeblich krebskranken Frau scheiden ließ und eine neue Ehe mit Gisela Trautzsch einging, entstand eine enorme, unkontrollierte Machtzusammenballung, gegen die mehrere Abteilungsleiter und ZK-Mitglieder vergeblich bei Honecker Einspruch einlegten. Durch Querverbindungen zum Sekretariat des Ministerrates und zum MfS wurde das Spektrum der verdeckten Machtausübung von der Personalpolitik bis zur Belieferung von Westwaren noch erweitert. Günter Glende ließ sich auch zur „zusätzlichen Absicherung“ zum Vorsitzenden der Revisionskommission der Parteiorganisation im ZK wählen, damit ja alles ganz „wasserdicht“ blieb. Hinzu kam der Leiter der Finanzverwaltung und Parteibetriebe, Karl-Heinz W., dem auch der Parteibetrieb „Fundament“ und die Auslandsbetriebe der Partei unterstanden, die enorme Devisengewinne machten und das „Genex“-Programm realisieren halfen.
All das wurde von Horst Dohlus, Leiter der Abteilung Parteiorgane gedeckt, auch wenn er nach außen hin immer einen unscheinbaren Eindruck machte.
Die Glendes zogen sich allmählich eine Clique von engen Vertrauten heran, der auch der Parteisekretär und Kaderchef des Hauses sowie etliche Abteilungsleiter, einige Sekretärinnen von Politbüromitgliedern und der Hauskommandant angehörten.

Wer sich über diese Clique kritisch äußerte, wurde bald scharf verwarnt, wie ich mehrfach von Honeckers Sicherheitschef, General Siegfried O. Aber Sondervergünstigungen und –lieferungen, Berichte über Arbeitsleistungen ohne Rechnungslegung sprachen sich im Hause herum und produzierten starken Unwillen unter den Mitarbeitern. Von ihnen stammt der aburteilende begriff „Die Mafia im Hause“! Wer sich allzu sehr auflehnte, war bald weg vom Fenster! Das hätte selbst Politbüromitglieder treffen können! Aber die wollten ihre Privilegien nicht gefährden! Die „Mafia“ schuf eine gespenstische Atmosphäre der Unaufrichtigkeit, Einschüchterung und Verletzung aller Parteinormen.
Frage:
Was war Voraussetzung, um in den Genuß von Privilegien zu kommen?
Dr. Uschner:
Abgesehen von absoluter Verschwiegenheit war Voraussetzung, daß man selbst der Clique nützlich war oder nützlich werden könnte. Das betraf den politischen und materiellen Einfluss, den Schutz vor Nachforschungen, die Übereinstimmung mit den politischen Ansichten und moralischen Haltungen der Führungsclique. Man musste selbst etwas zu bieten haben und „absolut zuverlässig“ sein – wie in einer Mafia eben üblich. Das heißt, man zog einflußreiche Leute gerade auch der Parteikontroll- und Revisionskommission an sich heran, einige Sekretärinnen, die ihren Chef beeinflussen konnten. Man band Leute an sich, die einen Diplomatenpaß benutzen und nach Westberlin einkaufen fahren konnten, akkreditiert bei bestimmten Grenzübergangsstellen. Das waren die „Beschaffer“. Glende fuhr aber auch schon mal selbst nach Westberlin. Man hatte Kontakt zu Scheinfirmen der SED im Westen.
Einzelne Gruppen der Clique hatten ihre Luxusdatschen in der gleichen Gegend, fuhren gemeinsam in den Urlaub, meist ins Ausland. Man kannte sich immer intimer untereinander, wusste viel übereinander und war so zunehmend voneinander abhängig. Das zusätzlich Schlimme daran ist, daß sich diese korrupten Leute nach außen und gegenüber den normalen Parteimitgliedern als Vorreiter sauberen moralischen Verhaltens ausgaben!
Deshalb war die „Mafia“ auch westlicherseits unterwandert, wie ich im Mai 1988 in den USA erfuhr und nach der Wende, was meinen „Fall“ anbelangte: Das Sekretariat des ZK entschied erst am 22.02.1989 über meine fristlose Entlassung, die aber schon 2 Tage vorher vollzogen war. Der Bericht darüber und der Beschlußentwurf lagen aber bereits am 20.02.1989 in Bonn auf dem Schreibtisch eines nicht unbedeutenden Politikers!
Frage:
Kehren wir noch einmal zum Politbüro-Prozeß gegen Häber und andere zurück.
Werner Großmann hat in seiner Biographie „Bonn im Blick“ geschrieben, daß er sich gegenüber Mielke für das „Zürcher Modell“ eingesetzt habe. Dieses sah vor, der DDR Milliardenkredite zu gewähren, wenn rund 5 Millionen DDR-Bürger ins westliche Ausland hätten fahren können. Dafür hatte sich vor allem auch Herbert Häber eingesetzt. Nun war Großmann der letzte Leiter der Hauptabteilung Aufklärung (HVA). Wenn man das von ihm Aufgeschriebene liest, könnte man den Eindruck gewinnen, HVA habe in Wirklichkeit „Hauptabteilung Auflösung“ bedeutet und nicht, wie es ja richtig ist, „Hauptverwaltung Aufklärung“; denn, wenn so viele DDR-Bürger in den Westen hätten reisen können, hätte das ja zwangsläufig die Auflösung der DDR forciert.
Ich kann mir daher nicht vorstellen, daß er sich sozusagen für die Auflösung der DDR eingesetzt hat, sondern daß er höchstens, was die HVA ja wirklich bezweckte, Aufklärung betrieben hatte und sonst gar nichts.
Dr. Uschner:
Ja, so muss man das wohl sehen. Mit Mielke über die massenhafte Ausreise von DDR-Bürgern zu sprechen, wo der jeden Ausreisewilligen brutal verfolgte – das klingt schon eher unwahrscheinlich und wie eine späte Aufbesserung des eigenen Ansehens. Wenn, dann hätte Markus Wolf in aller Vorsicht an Mielke herantreten können, keineswegs offiziell. Großmann war für uns eher unscheinbar, galt als „stilles Wasser“ ohne Hang zu Eigeninitiativen. Eine Selbstauflösung der DDR wollte Großmann auf keinen Fall, mehr Aufklärungsmöglichkeiten in der BRD schon. Aber deshalb 5 Mio. DDR-Bürger ausreisen zu lassen – das hätte doch sehr bald das Aus, auch seines Apparates bedeutet. Also: das klingt sehr unglaubwürdig. Das muss nicht heißen, daß er nichts vom „Zürcher Modell“ wusste. Er hat vielleicht eine beobachtende und abwartende Position eingenommen. Vielleicht würde Honecker mal wieder unter Mittags Einfluss eine „Kurve“ nehmen. Nach offizieller Lesart waren „jähe Wendungen“ ja nie ausgeschlossen!
Frage:
Welche Bedeutung hat Großmanns Aussage Ihrer Meinung nach gehabt?
Dr. Uschner:
Aus meiner Sicht und der Häbers keine wesentliche! Auch die des MfS-Mitarbeiters Behrendt nicht. Diese Leute stehen zwischen Baum und Borke. Da ist einerseits der Druck der ehemaligen Tschekistengenossen und andererseits der menschliche Drang nach Anpassung an sich verändernde Situationen. Sie haben die DDR nicht verteidigen können, eine verheerende Niederlage erlitten und suchen die Verantwortung dafür bei anderen, etwa bei Gorbatschow, aber nicht bei sich selbst!
Frage:
Ihnen wird bescheinigt, daß Sie Ihre Position nutzten, um menschliches Leid zu mindern.. Warum haben das viele andere SED-Funktionäre und DDR-Verantwortliche nicht getan? Es hat ja keiner, wie Honecker in seinen „Moabiter Notizen“ bemerkt hat, mit der Maschinenpistole hinter den Leuten gestanden und zum Kadavergehorsam gezwungen.
Dr. Uschner:
Nein, aber Mielkes Horchposten waren überall. Und an der Grenze und in den Haftanstalten, da standen schon Mielkes Männer mit der Maschinenpistole. Auch vor und in allen offiziellen Gebäuden. Davon gingen sichtbare und erfahrbare Bedrohungen aus. In die Haftanstalten kamen ja nicht nur Parteilose und zeitweilig nicht einmal an erster Stelle. So wurden schon nach dem 17. Juni 1953 nicht wenige Parteimitglieder und KVP-Angehörige aufgegriffen und verurteilt. Die SED hat in ihrer Geschichte viele Schauprozesse, aber noch viel mehr „stille Abstrafung“ von Mitgliedern mit eigenen Ansichten zu verantworten.
Die DDR war ja aufgrund ihrer geographischen Lage und als Teil des gespaltenen Deutschlands und aufgrund mangelhafter demokratischer Legitimation stets besonders gefährdet. „Revolutionäre Wachsamkeit“ war „hier vorn“ alles andere, als nur ein Schlagwort.
Also: Es gehörte schon eine feste Treue zu bestimmten politischen und moralischen Werten dazu und natürlich Mut und Findigkeit , um trotzdem etwas zu bewerkstelligen, was eigentlich verboten war und unter Strafe stand. Dagegen stand die natürliche Neigung des Menschen zur Anpassung, zur Bequemlichkeit, zur Furcht vor „unnützen Problemen“. Es haben nicht wenige SED- und DDR-Verantwortliche etwas getan. Die meisten wurden ausgespäht, ihrer Ämter verwiesen und schlimmeres. Keiner der heutigen Machthaber fragt nach ihnen… Dafür ernten sie noch bis heute den Hohn und Spott jener, die sie verfolgt und „ausgesondert“ haben. Eigentlich abstoßend und makaber!!!
Frage:
Sind Sie als ein Querulant angesehen worden im SED-Apparat?
Dr. Uschner:
Als „Querulant“ wurde jeder in Partei und von den „Organen“ abgestempelt, der „meckerte“, also Kritik an Personen oder bestehenden Zuständen übte.
Das ist nichts anderes, als gezielte Diffamierung. Hatte man diesen Stempel erst einmal aufgedrückt bekommen, konnte man härter rangenommen werden.
Das Wort „Querulant“ stößt schon viele Menschen ab. Es ist pauschalisierend und wenig konkret! Aus der Sicht der Parteiorthodoxen und der Stasi war ich jemand, der immer lauter und unvorsichtiger wider die offizielle Parteilinie Front machte. Aus deren bis heute bestehende Sicht wurde ich zu recht und viel zu spät bestraft! Da steht der Vorwurf mit im Raum, durch meine aktive und unkonventionelle Rolle in den Abrüstungsgespräche mit der SPD zum Untergang der DDR beigetragen zu haben. Die SED sei dadurch brüchiger geworden, und die Sozialdemokratie habe in der DDR an Einfluss gewonnen.
Über den wirtschaftlichen Niedergang der DDR, die Mangelwirtschaft, die nicht vorhandene Demokratie, die Selbstisolierung der SED-Spitze vom Volk, die Repressionspolitik der Stasi, die unheilvolle, verlogene Erfolgspropaganda, den Ausverkauf der DDR an Westkonzerne und Westbanken wird von den gleichen Leuten kaum oder nur abwehrend gesprochen.
Und Sozialdemokratismus, den man mir vorwarf und vorwirft, war immer der Hauptangriffspunkt der deutschen Kommunisten seit Gründung der KPD.
Er ist auch bei vielen älteren PDS-Mitgliedern, die ja alle aus der KPD-Richtung kommen, tief verwurzelt! Deshalb hat die PDS-Spitze auch wachsende Probleme bei ihrem pragmatischen Herangehen an rosa-rote Regierungsbündnisse und hinsichtlich einer wirklich aufrichtigen Aufarbeitung ihrer Geschichte.

Frage:
Die SPD hat sie Mitte der 90er Jahre nicht in ihre Reihen aufgenommen bzw. eine Mitgliedschaft in Berlin-Kreuzberg für ungültig erklären lassen. Nun sagen Sie, daß Sie nicht mehr wollen und alle Angebote entschieden zurückweisen. Warum?
Dr. Uschner:
Entscheidend war eine schwerwiegende und bis heute zuungunsten der SPD nachwirkende Entscheidung des SPD-Präsidiums. Da Willy Brandt krank war, hatte in der Präsidiumssitzung, in der es um den Umgang mit der SED/PDS und früheren Verhandlungspartnern ging – es war wohl im Dezember 1989 – Hans-Jochen Vogel den Vorsitz. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, der die Abrüstungsgespräche SED/SPD erst angeregt hatte und seit 1985 immer Mitte Mai bei Honecker zu längeren Gesprächen aufkreuzte, verlangte nun den völligen Kontaktabbruch zu den früheren SED-Verhandlungspartnern und erhielt eine Mehrheit. Er wollte wohl das, was vordem „Vorzug“ gewesen war und nun im Lichte der CDU-Hetze und der wenigen Ost-Neusozialdemokraten als Makel, durch besonders scharfe Anti-SED-Erklärungen und Maßnahmen von sich abstreifen. Er drängte damit Egon Bahr und andere in die Defensive. Er hatte wohl auch Furcht vor allzu scharfen Angriffen der CDU auf die frühere „SED-Nähe“ einiger SPD-Politiker und deren „Nebenaußenpolitik.
Entsprechend dem gefaßten Beschluss wurde nun die am 7. Oktober in Schwante bei Berlin – zumeist von Pfarrern und reichlich stasiunterwandert – gegründete SDP als einziger Partner in der DDR anerkannt. An der Spitze der stand einige Monate der Stasimann Ibrahim Böhme, mit dem sich andere Sozialdemokraten schon lange vor der Wende getroffen hatten, und eigenartige Figuren wie Angelika Barbe, die heute in der CDU rumrudert. Dieser reichlich späte gegründete Ostableger der SPD legte auch gleich los in Richtung übersteigerter Anti-DDR-Hetze, lehnte alle Kontakte mit SED-Funktionären völlig undifferenziert ab und griff sogar das gerade erst angenommene Berliner Programm der SPD an, das eine scharfe Kapitalismuskritik enthält und auf den demokratischen Sozialismus orientiert.
Diese Richtung, die bis heute anhält, hat zunächst nur der rechtsgerichteten „Allianz für Deutschland“ genutzt und später dann auch der PDS. Inwieweit da auch Stasileute ganz bewusst mögliche Wahlsiege der SPD in allen ostdeutschen neuen Bundesländern – mit historisch gesehen traditionellem sozialdemokratischen Wählerpotential – verhindert haben, weiß ich nicht.
Frage:
Die SPD in den neuen Bundesländern scheint auch heute nicht gerade Höhenflüge zu erreichen.
Dr. Uschner:
Jedenfalls ist die SPD in den neuen Bundesländern mitgliedermäßig ein sektenartiges Gebilde, ein closed shop geblieben. Es erlangten Menschen Mandate und Positionen, von denen man vor der Wende nie gehört hatte, daß sie sozialdemokratisch dachten. Sie haben bis heute eine unüberwindliche Furcht vor sachkompetenten Bürgern, die mal in der SED waren und in einer anderen Besatzungszone nach dem Kriege woanders gewiß ihren Weg gemacht hätten. Sie gehen lieber „Zählgemeinschaften“ mit der CDU ein, um ihre Wendebesitzstandsgewinne abzusichern. Das erkannte die Bevölkerung zunehmend. Aber auch in der SPD Westberlins und der alten Bundesländer begriffen klügere Funktionäre, welchen historischen Fehler die SPD gemacht hatte und mit welchen fatalen Auswirkungen. Man hätte die SED/PDS 1989/90 in ihre ursprünglichen Bestandteile SPD und KPD zerlegen können. Die heutige PDS wäre wieder die alte KPD geworden, natürlich auch mit Erneuerungsdruck.
Aber die SED/PDS hat im Winter 1990, als sie noch aus drei Plattformen bestand (Plattform „Dritter Weg“, „Kommunistische Plattform“ und „Sozialdemokratische Plattform“) letztere isoliert und sehr schnell aus der Partei herausgedrängt. Die konstituierte sich im Januar neu als „Sozialdemokratischer Arbeitskreis e.V.“ Der bekam sofort eine Klageandrohung (5000 DM) von Wolfgang Thierse über den Rechtsanwalt Lancelle: Der Begriff „sozialdemokratisch“ sei namensrechtlich geschützt. Daraufhin benannte sich der Arbeitskreis mit damals etwa 1000 Mitgliedern und ständigem Zulauf in den „Kautsky-Bernstein-Kreis e.V.“ um (Anfang Mai 1990). Es gab dann bald verdeckte Kontakte zu einzelnen Funktionären der SPD, die aber wenig produktiv waren: Wir sollten etwa 10 Jahre „Asche auf unser Haupt streuen“ – so der heutige SPD-Parteivorsitzende eines ostdeutschen Bundeslandes.
Gezielte Verständigungsversuche gingen vor allem von Egon Bahr aus. Willy Brandt hatte mich und andere schon auf dem „Vereinigungsparteitag der SPD“ eingeladen, der SPD beizutreten (das erste Aufnahmeformular hatte ich übrigens 1987 in Schleswig-Holstein von einem SPD-Unterhändler erhalten. Da gab es die Rubrik „Frühere Parteizugehörigkeiten“ noch nicht. 1993 hatte mir jemand (wie ich heute weiß, in provokatorischer Absicht) einen Aufnahmeantrag der SPD auf die Terrasse geschmuggelt. Dann erhielt ich einen Brief mit einem neuen Aufnahmeantrag. Absender: Der Berliner Landesvorstand der SPD mit der genauen Bezeichnung der SPD-Abteilung in Altglienicke (Abteilung 007).
Nach Rücksprache mit westdeutschen sozialdemokratischen Freunden füllte ich das Formular aus und fügte einen kurzen Brief über meinen Werdegang und die Spezifik meines Antrages bei. Ich bekam die Antwort, daß die SPD Treptows vorläufig keine ehemaligen Mitglieder der SED oder PDS aufnehme.
Diesen Wisch hielt ich immer jenen hohen westdeutschen SPD-Funktionären unter die Nase, die mich auf SPD-Parteitagen, wo ich einige Male als Gast eingeladen war, und auf Veranstaltungen der Friedrich-Ebert-Stiftung fragten, warum ich nicht längst Mitglied der SPD sei. Da gab es dann Aktivitäten von Bahr bis Walter Momper, dieses „endlich“ zu ändern. Als Treptow erneut ablehnte, wurde meine Aufnahme in Kreuzberg vorbereitet. Momper, der damals in einem Votum gegen die schwache Frau Stahmer antrat, sah die Sache als „gelaufen“ an. Doch er irrte und scheiterte! Im Landesausschuß stimmte man 5:2 für meine Aufnahme, doch im Landesausschuß hatte Frau Barbe, heute CDU, fleißig Stimmung gegen mich gemacht.
Interessant war, daß die Kreuzberger SPD-Abteilung ihre Genossen aus Treptow eingeladen hatte, um mit ihr zu diskutieren und zwar in meiner Anwesenheit. Als ein Fernsehteam aufkreuzte, ließen die Kreuzberger und ich uns selbstverständlich filmen. Meine Treptower „Freunde“ hielten die Hände vor das Gesicht. Warum wohl?
Übrigens soll nach Aussage eines ehemaligen Landesvorsitzenden der SPD am Abend vor der Abstimmung im Landesausschuß ein Anruf aus Bonn den Ausschlag gegeben haben…
Frage:
Kann man sagen, daß das DDR-System nicht lebensfähig war, wenn es Probleme hatte und nicht lösen konnte, die woanders keine waren?
Dr. Uschner:
Deutschlands Teilung war Ergebnis des Zweiten Weltkrieges. Sie sollte ja nicht ewig dauern. Aber dann kam der „Kalte Krieg“ und in dessen Verlauf zur Rettung der DDR und des sowjetischen Vorfeldes die Mauer. Das brachte tragische menschliche Schicksale hervor. Ich konnte in etlichen Fällen helfen, indem ich mit Axen sprach oder seine Funktion nutzte. Auch sein durch die Abrüstungsverhandlungen mit der SPD zeitweilig enorm gewachsenes Ansehen.
Frage:
Hatte Axens Ansehen auch eine gewisse Immunitätsfunktion gegenüber der von Ihnen scharf kritisierten „Mafia im Politbüro“?
Dr. Uschner:
Nein, wir waren nur fast jeden Tag in den Medien mit den Berichten über die Treffen mit der SPD. Und Honecker lobte, wie wir mit geringen Mitteln das Ansehen der DDR auf dem Felde der Außen- und Deutschlandpolitik wesentlich vergrößert hatten, bis in die Kirchenbewegungen hinein, wie der gemeinsam mit den Parteien organisierte „Palme-Marsch“ in beiden Teilen Deutschlands unterstrich. Ich durfte in seinem Verlauf in Bremen auftreten, westdeutsche Friedensfreunde in der DDR.
Mir verschaffte das einen ungeheuren Freiraum. Ich reiste im Auftrage Axens viele Male allein nach Bonn, Moskau, Prag, einmal nach Stockholm und einmal nach Kuba zu einer internen Beratung. Ich war laufend unterwegs, was im Hause des ZK massenweise Neid, bei der Mafia aber Mißgunst und Wut hervorrief.
Ja und nach der Wende wollte die Ost-SPD von diesen ergebnisorientierten Aktivitäten gar nichts hören!
Auch die PDS hat ja keinen der „Ausgesonderten“ und Bestraften nach der Wende angesprochen. da haben sich ganz andere Leute nach vorn gedrängelt! Ich wurde formal von der SED/PDS am 1.02.1990 „rehabilitiert“. In den Wisch steht aber nur, daß ich am 20.02.1989 unter Verletzung arbeitsrechtlicher und moralischer Normen aus dem ZK-Apparat entfernt wurde. Vorher hatte ich vor der Parteikontrollkommission über vier Stunden meine Kenntnisse über die Mafia mitgeteilt, aber darüber wollte man danach nichts mehr wissen und mir auch nichts etwas Ausführlicheres über meinen Rausschmiss geben, weil dieses „der Partei schweren Schaden zufügen“ könne. Ich hatte das Gefühl beim Verlassen des heutigen Gebäudes des Auswärtigen Amtes (übrigens sitzt nun u. a. Karsten D. Voigt, der Verantwortliche für die Gestaltung der deutsch-amerikanischen Beziehungen, mein früherer Verhandlungspartner in der „Zweiten Etage“, ganz in der Nähe meines früheren Arbeitszimmers…), hier geht etwas für immer zu Ende.
Sowohl in der Ost – SPD, wie auch in Teilen des PDS-Apparates weiß man um meinen Anteil bei der Verhinderung eines militärischen Konflikts im Herbst 1989 in der DDR. Aber man fürchtet wohl, daß ich versuchen könnte, daraus politisches Kapital zu schlagen und Nachwendelegenden anderer ins Zwielicht zu rücken. Das führte sofort zu Blockierungen.
Was war geschehen: am 8. Oktober 1989, als sich in etlichen Städten der DDR Bevölkerungsgruppen empört in Kundgebungen zusammenfanden, hatte ich drei wichtige Informationen aus „vernünftigen“ MfS-Kreisen und aus der Westabteilung des ZK der SED („Manfred, die Kriegskasse wird in den Bunker geschafft!) über meinen damaligen Verbindungsmann zum Büro Gorbatschow, Anatoli Kowrigin, mit dem ich mich gegen 18 Uhr in einem Wäldchen traf, nach Moskau gegeben. Die Amerikaner haben sowohl den Anruf Kowrigins über die Sonderleitung im sowjetischen Hauptquartier Karlshorst abgehört, wie auch die Antwort Moskaus: „Sagen sie unseren deutschen Freunden, daß wir in keinem Fall militärisch eingreifen werden, wenn unsere Truppen nicht selbst angegriffen werden!“ Das teilte mir der amerikanische Gesandte in Ostberlin schon kurz nach der Wende mit. Damit war natürlich die Bürgerbewegung bald im Bilde: Die Sowjets werden nicht eingreifen! So konnten sie und andere, professionelle Kräfte, mit einer ganz anderen Bewegungsfreiheit ihre Aktionen erweitern.
Frage:
Sehen Sie in den Blockierungen bei Ost-SPD und PDS ein bewußtes Ignorieren der Tatsache, daß es auch in der SED Menschen gab, die sich für Konfliktverhinderung einsetzten oder gar reine Eifersüchteleien?
Dr. Uschner:
Ja, das war es vor allen Dingen. Ich weiß inzwischen natürlich aus verschiedenen Quellen noch mehr darüber.
Als es um meine SPD-Aufnahme in Berlin-Treptow ging, hatte ich mit den dort bis heute tonangebenden SPD-Funktionären eine widerliche Aussprache. Es ging einigen gar nicht so sehr um meine frühere Funktion, sondern darum, daß ich feststellte, seit 1985 enge Kontakte zur SPD in Bonn gehabt zu haben (was ein Privileg war, aber zur Wende etwas beigetragen hat, wie Steffen Reiche, der Mitbegründer der SDP am 25.03.02 auf einem Empfang des Bundeskanzlers zu Ehren des 80. Geburtstages von Egon Bahr erneut öffentlich festgestellt hat) und daß ich Befürwortungsbriefe von Willy Brandt und Egon Bahr vorlegte. Das wurde als Mißachtung des Willens der „Basis“ gewertet. Ich hätte mich auch früher bei dem Häuflein Treptower Neusozialdemokraten melden sollen (sie gründeten sich am 28.11.1989 bei einer Flasche Kognak in einer Wohnung!). Ja, vor der Wende hatte ich keinen Sozialdemokraten in Treptow erkennen können, und nach der Wende gab es das Verdikt aus Bonn und von rechtsgerichteten Westberliner Sozialdemokraten, wie dem Neuköllner Frank B., eine scharfe Linie gegen ehemalige SED-Mitglieder.
Es hat mich übrigens sehr berührt, daß der Vorsitzende der Kreuzberger SPD, Hans-Christoph Wagner, aus Protest gegen meine Nichtaufnahme sein Amt niederlegte, seine frisch renovierte Wohnung mit seiner Familie verließ und nach Holland zog. Hut ab vor solchen SPD-Genossen!
Frage:
Wie war das mit der Stasi und der Wende?
Dr. Uschner:
Einige liefen sofort über. Schon 1987 hatten Stasi-Offiziere in der BRD fast alle Auflagen des Buches „Geheimakte Odessa“ aufgekauft, in dem geschildert wird, wie hohe Naziführer schon 1943 begannen, in Hinblick auf die sich abzeichnende Kriegsniederlage Fluchtwege anzulegen, gefälschte Papiere herstellen zu lassen, Zivilkleidung griffbereit zu halten, über den „römischen Weg“ nach Südamerika zu fliehen oder vorläufig mit falscher Identität unterzutauchen. Nur, wohin sollten die DDR-Machthaber fliehen? Nach Nordkorea? Das wollten sie sich nicht zumuten. In die UdSSR? Die wollte sie nicht mehr. Kuba und Chile waren weit weg. Nach der nicht ganz beendeten Aktenvernichtung blieb ein hilfloser Haufen übrig, der nichts getan hatte, um jene zu verteidigen oder ihnen zu helfen, die sie in höchste Rangstufen versetzt und mit höchsten Orden ausgezeichnet hatten. Die Generalität äußerte sich auch nicht zur organisierten Verfolgung der „Inoffiziellen Mitarbeiter“. Sie duckten einfach ab oder nahmen neue Dienste an. Natürlich nicht alle. Die Verfolgung trifft die Kleinsten, die Großen beziehen eine nun aufgestockte Rente und so manche Unterstützung. Einige schreiben Rechtfertigungsbücher. Man sieht sich auf Kameradschaftstreffen.
Für Honecker und seine Truppe hat die Stasi nichts getan. Ich weiß bis heute nicht, warum mich Honeckers chilenischer Schwiegersohn Ende November eine Nacht lang immer wieder aufgeregt anrief. Man müsse sich an der Boutique Spittelmarkt treffen. Ich solle mich aber vor den „eigenen Verfolgern“ nicht erwischen lassen. Es gehe um das Schicksal seines Schwiegervaters, also Erich Honeckers. Ob man Honecker vielleicht meine Kontakte zur SPD viel zu hoch angesiedelt dargestellt hat, so dass er von dort die Chance einer Ausreise etwa nach Schweden erhoffte? In Richtung Moskau hatte er doch ganz andere Möglichkeiten, als ich… Es bleibt mir ein Rätsel.
Gewiß trifft man auf deutsch-deutsche Seilschaften, an denen ehemalige Stasileute beteiligt sind. Auch die SED/PDS hat Geld beiseite geschafft. Aber der Ermittler Hammerstein kam wohl in vielen Fällen zu spät! Wenn ich daran denke, was die „Islamische Religionsgemeinschaft“ unter Herrn Younes an Geld aus Mitgliedsbeiträgen früherer SED-Mitglieder erhielt, werde ich richtig böse!
Was die Stasi-Akten anbelangt, so gab es einen „Spiegel“-Bericht, wonach mein letzter Verbindungsmann nach Moskau, Alexander Sjubenko und sein Chef Prinzipalow die Mikroverfilmung aller Geheimakten in Karlshorst übernahmen und an die Amerikaner verkauften („Aktion Rosenholz“). Sie kamen beide am Lenkrad ihrer Autos unter mysteriösen Umständen in Moskau um.
Frage:
Wenn es die DDR wieder gäbe, was könnte anders gemacht werden, damit sie nicht wieder zusammenkracht?
Dr. Uschner:
Das ist eine rein hypothetische Frage. Mit diesen Verbündeten, mit diesem von Moskau übernommenen undemokratischen System, wäre sie immer wieder zusammengekracht, wie sie es nennen.
Eine modernere Wirtschaftsstruktur wäre nötig, eine Leitung aller gesellschaftlichen Belange durch wirklich kompetente Fachleute, ein echtes Mehrparteiensystem ohne führende Rolle einer Partei, Machttransparenz und Demokratie auf allen Ebenen. An dieser Utopie ist auch Gorbatschow, in den ich mal alle meine Hoffnungen gesetzt habe, gescheitert!
Frage:
Ginge das mit oder ohne Mauer?
Dr. Uschner:
Wenn sich das, was ich in meiner Antwort auf Ihre vorige Frage sagte, mit den guten Seiten der DDR-Gesellschaft und wirklicher sozialer Gerechtigkeit verbinden ließe, natürlich ohne Mauer! Warum sollte man dann weglaufen in eine BRD, die uns Ostdeutschen nichts mehr Neues zu bieten hat!

Interview: Dietmar Jochum, 7. Februar 2002

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