Mit dem Magerquark der Gesellschaft leben.

TP-Interview mit dem Nebenklägeranwalt im Politbüroprozess Hanns-Ekkehard Plöger.

Bereits nach dem ersten Verhandlungstag im sog. Politbüro-Prozess gab Rechtsanwalt Hanns-Ekkehard Plöger der Berliner Presseagentur TP folgendes Interview, in dem er auch seine Sorgen hinsichtlich einer Justizpleite unverhohlen zum Ausdruck brachte.

TP: Herr Plöger, sitzen hier heute die wirklichen Angeklagten auf der Anklagebank oder handelt es sich etwa um Doubles ( Frage in Anlehnung an die Zweifel, die Plöger im Honecker-Verfahren hinsichtlich der Echtheit von Erich Honecker geltend machte )?

Plöger: Also wissen Sie, bei den DDR-Leuten weiß man das ja nie, die hatten das System des Klonens noch verfeinert. Aber hier sitzen wohl die Echten, denn der Herr Krenz kann sich wohl nicht verstellen, der hätte auch als Kukident-Vertreter gehen können.

TP: Erwarten Sie eigentlich eine Verurteilung hier in diesem Verfahren?

Plöger: Ich erwarte eine Verurteilung, auch wenn natürlich Herr Bräutigam in der Sache Mielke ein skandalöses Urteil damals gefällt hat. Er hatte das Verfahren endgültig eingestellt wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit. Die Nebenklage mußte die Staatsanwaltschaft motivieren auch in die Revision zu gehen. Wir haben das beide gemacht, und am 14. Dezember ( 1995 ) wird der Bundesgerichtshof über dieses Urteil nachdenken, ob es richtig war. Und möglicherweise wird dann Herr Mielke wieder zurückgeführt werden (am 14. Dezember hat der Bundesgerichtshof zwar auf die Revisionen von Plöger und der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Berlin aufgehoben, aber Mielke wird nicht zurückgeführt. Nach erneuter Anhörung eines medizinischen Sachverständigen kam der BGH zwar zu der Auffassung, daß Mielke „aktuell verhandlungsunfähig“ ist, hielt jedoch eine Änderung dieses Zustandes „nicht für gänzlich ausgeschlossen“ und hat das Verfahren deshalb lediglich vorläufig eingestellt. Zur zukünftigen Beobachtung des Zustandes von Mielke hat der BGH das Verfahren an das Landgericht Berlin zurückgegeben., Anm. d. Verf.)

TP: Besteht hier nicht auch die Möglichkeit, daß gegen die beiden älteren Angeklagten, Mückenberger und Hager, wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt wird?

Plöger: Also, wir waren immer der Meinung, daß Leute, die nicht so sehr dem Verfahren folgen können, obgleich beide – Hager und Mückenberger – in der Lage waren, sich durch Gutachter ohne Pause zwei Stunden lang untersuchen zu lassen, daß die natürlich hier im Interesse einer beschleunigten Verfahrensabwicklung nicht an dieser Verhandlung teilnehmen sollten, sondern in einem getrennten Verfahren einer Verhandlung entgegensehen sollten. So hätten wir es also besser gefunden, wenn eben zwei Arten von Verfahren durchgeführt werden, eben einmal für die, die nicht so können und dann für Krenz, Schabowski und so weiter, die sind ja fit, und da hätte man dann durchverhandeln können, und wäre rascher zu einem Urteil gekommen.
Ich habe eigentlich kein Verständnis dafür, nachdem ja nicht alle Mitglieder des Politbüros zur gleichen Zeit angeklagt worden waren, daß man sich immer irgendwelche Leute rausgreift, immer die Ältesten, weil Herr Bräutigam dadurch wieder dieses Verfahren bekommen hat, aber man muß auch prozeßökonomisch vorgehen. Und dieses Verfahren ist natürlich wieder ein Schlag gegen unsere Justiz.

TP: Glauben Sie, daß ein Urteil auch gegen die vier jüngeren Angeklagten, Krenz, Schabowski, Kleiber und Dohlus, die ja nicht an den Beschlüssen von 1973 beteiligt waren, einer höheren Instanz standhält? Die Staatsanwaltschaft hat ja hier auch nur wegen Tötung durch Unterlassen angeklagt.

Plöger: Ja, aber die Kammer machte daraus ein aktives Tun, und das fand ich auch gut, weil das Politbüro nun das oberste Machtorgan war, und das hat bis unten zum Mauerschützen durchgegriffen. Alle waren ja immer stolz im Kollektiv zu handeln. Und nun müssen sie sich auch im Kollektiv mit ihrem persönlichen Tatbeitrag verurteilen lassen.

TP: Sie hegen keine Zweifel an einer Verurteilung?

Plöger: Ich habe keinen Zweifel, daß verurteilt wird. Ich habe nur Bedenken, daß sich die Justiz noch weiterhin lächerlich machen wird auf dem Wege zur Verurteilung.

TP: Gehen wir mal davon aus, daß hier Haftstrafen ausgesprochen werden. Müssen sie auch angetreten werden?

Plöger: Na ja, das hängt wieder vom Bundesverfassungsgericht ab. Die haben uns eigentlich versprochen, bis Ende des Jahres eine Entscheidung in Sachen Keßler ( letzter Verteidigungsminister des SED-Regimes, Anm. d. Verf. ) vorzulegen. Sie sind jetzt davon abgerückt, ich weiß nicht…, wir von der Nebenklage denken jetzt ernsthaft darüber nach, auch zu prüfen, ob wir nicht die Verfassungsrichter wegen Strafvereitelung im Amt anzeigen, weil wir meinen, daß die Leute, die verurteilt worden sind, unter anderem auch einer, Herr Herrmann, der sechs Jahre bekommen hat, auch einen Anspruch darauf haben müssen, zu wissen, wann und ob sie ihre Strafe anzutreten haben. Und darüber hinaus auch die Opfer wissen müssen, ob und gegen wen sie zivilrechtliche Klage zu erheben haben (§ 844 BGB). Im übrigen hat es ja keinen Sinn mehr, wenn man dann nach vielleicht fünf, sechs Jahren die Leute mal zum Strafantritt auffordert. Dann kommen sie mit einem Attest und brauchen es nicht. Also, um Ihre Frage zu beantworten, man sollte, wenn die Leute frecher werden, auch wieder dazu übergehen, Haftbefehle auszusprechen, wie das ja auch bei Honecker, Mielke und anderen der Fall war. Es gibt jetzt eigentlich keine andere Lage, warum die Leute hier frei einfliegen dürfen.

TP: Erwarten Sie eigentlich hier solch hohe Haftstrafen, daß eventuell aus Ihrer Sicht eine Untersuchungshaft gerechtfertigt sein könnte?

Plöger: Also, wenn ein Mauerschütze schon in Potsdam zehn, hier in Berlin sechs Jahre kriegt, und die Leute hier in diesem Verfahren waren die Drahtzieher, dann ist das, wenn überhaupt zu vertreten, mit sieben Jahren aufwärts… Und ich meine, das wäre für mich auch schon ein Fluchtanreiz, irgendwo in ein sozialistisches Land auszuwandern. Ich habe auch ein Jahr lang darauf hingewiesen, daß Herr Wetzenstein-Ollenschläger ein Verbrecher sei. Man hat so lange gewartet, bis er nach Kuba abdampfen konnte. Jetzt habe ich den Herrn Dr. Frank Osterloh, Verteidiger von Baumgarten, den habe ich jetzt auch geoutet als Oberstleutnant des MfS ( Ministerium für Staatssicherheit, Anm. d. Verf. ), und ich hoffe, daß man da vielleicht mal zuschlägt, denn die haben alle psychische Beihilfe betrieben.

TP: Herr Professor Wesel ist der Auffassung, daß dieses Verfahren eine juristisch äußerst fragwürdige Konstruktion ist?

Plöger: Also, der Wesel ist ja bekannt als Oberschlaumeier, und der hätte von seiner Einstellung her zu den Leuten gepaßt, die heute auf der Anklagebank sitzen. Seine Kommentare sind für die Opfer schlichtweg unerträglich. Herr Wesel fühlte sich als die intellektuelle Speerspitze der Linken und hat dabei die Realitätsbezogenheit von historischem Unrecht verloren. Ich habe aber nichts dagegen, wenn er im Wachsfigurenkabinett von Madame Taussant neben sozialistischen Größen einen Ehrenplatz findet.

TP: Herr Plöger, verstehen Sie eigentlich Gott und die Welt noch?

Plöger: Also, ich verstehe beide, man muß mit dem Magerquark unserer Gesellschaft leben.

Interview: Dietmar Jochum, TP 1995

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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