Ob sich die Deutschen schämen?

Hermann Kant ist tot. Der Schriftsteller starb gestern im Alter von 90 Jahren.

Hermann Kant wurde am 14. Juni 1926 in Hamburg geboren. Sein zehn Jahre jüngerer Bruder Uwe war ein bekannter Kinderbuchautor. Wegen drohender Bombenangriffe auf Hamburg zog die Familie 1940 zum Großvater väterlicherseits nach Parchim. Kant begann dort nach der Volkschule eine Elektrikerlehre, die er 1944 erfolgreich als Monteur beendete. Alsbald wurde er als Soldat eingezogen und geriet in polnische Kriegsgefangenschaft. In einem Arbeitslager war er Mitbegründer des Antifa-Komitees und Lehrer an der Antifa-Zentralschule. In dieser Zeit begegnete ihm auch die Schriftstellerin Anna Seghers. Nach seiner Entlassung als Kriegsgefangener ging er 1949 in die DDR und trat dort der SED bei.

Nach Abitur 1952 studierte Kant Germanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Diplomarbeit trug den Titel „Die Darstellung der ideologisch-politischen Struktur des faschistischen deutschen Heeres in Pliviers Roman Stalingrad“. Danach arbeitete er bis 1957 als wissenschaftlicher Assistent am Germanistischen Institut und von 1957 bis 1959 als Chefredakteur der Studentenzeitschrift Tua res. 1960 wurde er freiberuflicher Mitarbeiter des Schriftstellerverbandes der DDR.

Hermann Kants erstes Buch war der 1962 erschienene Erzählband „Ein bisschen Südsee“.

Es folgten der Romane wie „Die Aula“ (1965), „Das Impressum“ (1972) und viele andere.

An der Humboldt-Universität übernahm Kant in den 1950er Jahren die Funktion des Parteisekretärs der Germanisten-Grundorganisation und wurde später Mitglied der Universitäts-Parteileitung. Zwischen 1974 und 1979 war er Mitglied der SED-Bezirksleitung Berlin, von 1981 bis 1990 SED-Abgeordneter der Volkskammer der DDR, 1986 bis 1989 Mitglied des ZK der SED. Bereits ab 1961 soll er den Schriftsteller Günter Grass bespitzelt haben. Seit 1990 gehörte er der PDS bzw. deren Nachfolgeorganisationen an.

Hermann Kant wurde vielfach ausgezeichnet:

– 1962 Heinrich-Heine-Preis des Ministeriums für Kultur der DDR
– 1963 Literaturpreis des FDGB
– 1967 Heinrich-Mann-Preis
– 1973 Nationalpreis der DDR
– 1976 Vaterländischer Verdienstorden in Silber
– 1978 Ehrentitel Held der Arbeit
– 1980 Ehrendoktor der Universität Greifswald
– 1983 Nationalpreis der DDR I. Klasse für Kunst und Literatur
– 1986 Vaterländischer Verdienstorden in Gold
– 1986 Orden der Völkerfreundschaft des Obersten Sowjets der UdSSR
– 1987 Goethe-Preis der Stadt Berlin

Für die TP-Presseagentur Berlin schrieb Hermann Kant im Jahre 1998 für die Buch-Dokumentation von Dietmar Jochum „Die Plädoyers und das Urteil im Politbüro-Prozess“ exklusiv den Kurz-Beitrag „Nach dem Hoch-Gericht“, der im Folgenden wiedergeben wird:

„Nach dem Hoch-Gericht

Von Hermann Kant

Wenige Wochen nach dem Prozeß gegen Krenz hört man kaum noch von beiden. Nicht, daß ein wieder und wieder widerhallender Volkszorn zu erwarten gewesen wäre – spätestens seit dem Versickern Honeckers weiß man von diesem Schweigen der Lämmer -, aber gelegentliche Erkundigungen nach dem Mann, der eine etwas holzhaltige Anständigkeit bewies und den rechtsprechenden Schwarzkitteln sozusagen im remobilisierten Blauhemd gegenübertrat, sollten sich nicht verbieten. Zumal die Justizgeschichte so viele ehemalige deutsche Oberhäupter, die wegen ihrer exzessiven Auslegung des staatlichen Gewaltmonopols wie blutbespritzte Totschläger verurteilt wurden, gar nicht aufzuweisen hat. Oder einen Eben-noch-Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates, der seinen Anwälten erlaubte, Haftaussetzung für ihn zu verlangen, da er seiner kranken Frau die Laube malern müsse. Oder ein Gericht, dem dieses einleuchtete.

Während die Medien jene Lady Di noch und noch in die Pariser Tunnelwand rammen und der gemeine Mann in ihr inzwischen Unsere Gute Frau erkennt, die uns von den Landminen befreite, kommt Krenz kaum mehr vor. – Ungeheuerliche Frage: Ob sich die Deutschen schämen? Ob sie die Klappe halten und die Augen zu, weil sie zur Heuchelei, derzufolge das Hoch-Gericht sein Urteil jenseits aller politischen Überlegungen gesprochen haben will, kein bißchen Lippe riskierten? Ob es die Ostdeutschen geniert, daß man sie flexibel heißt, wo sie sich nur duckten? Ob es die Westdeutschen geniert, daß ihrem einzigen politischen Widerstand, der sich in einer gewissen Abneigung gegen das Krenz-und-Grenz-Regime äußerte, das Politische genommen wurde? Die ungeheuerliche Frage noch einmal: Ob sich die Deutschen schämen?“

Anmerkung TP: Mit „Hoch-Gericht“ ist die 27. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin gemeint, deren Vorsitzender Josef Hoch war. Egon Krenz, Günther Kleiber und Günter Schabowski wurden von dieser Schwurgerichtskammer 1997 wegen der Schüsse an der DDR-Grenze verurteilt.

TP Presseagentur Berlin

Foto: Herman Kant im Januar 2008 an der Gedenkstätte der Sozialisten am Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin.

Bildquelle: TP Presseagentur Berlin/dj

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*