Paritätsgesetz verfassungswidrig.

Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg hat heute seine Urteile in den Organstreitverfahren des Landesverbandes der NPD (VfGBbg 9/19) sowie des Landesverbandes der AfD und in Verfassungsbeschwerdeverfahren von vier Parteimitgliedern der AfD (VfGBbg 55/19) verkündet. Die Verfahren waren am 20. August 2020 gemeinsam verhandelt worden.

Sie betreffen das sogenannte Paritätsgesetz (Zweites Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes – Parité-Gesetz (GVBl.I/19, [Nr. 1]), das die politischen Parteien verpflichtet, bei der Aufstellung ihrer Landeslisten für die Wahlen zum Landtag Brandenburg abwechselnd Frauen und Männer zu berücksichtigen. Im Ergebnis hat das Verfassungsgericht eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte der NPD und der einzelnen Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen festgestellt und die Vorschriften für nichtig erklärt. Sie finden daher bei der nächsten Landtagswahl keine Anwendung.

Das Verfassungsgericht sieht die NPD in ihrer Organisations- und Programmfreiheit, der Wahlvorschlagsfreiheit der Partei und der Chancengleichheit der Parteien verletzt (VfGBbg 9/19). Der Grundsatz der Freiheit der Wahl gelte auch für Parteien bereits im Vorfeld der Wahl. Es sei ihre grundlegende Aufgabe, u. a. durch Aufstellung von Kandidaten und Kandidatenlisten zu den Landtagswahlen, die Offenheit des Willensbildungsprozesses vom Volk hin zu den Staatsorganen zu gewährleisten. Dieser Prozess müsse frei von inhaltlicher staatlicher Einflussnahme bleiben. Durch das Paritätsgesetz entziehe der Gesetzgeber dem demokratischen Willensbildungsprozess einen wesentlichen Teil, indem er auf die Zusammensetzung der Listen Einfluss nehme. Die Vorgabe der paritätischen Listenbesetzung könne faktisch den Aus­schluss der Aufstellung bestimmter Bewerberinnen und Bewerber zur Folge haben. Bei Parteien, die ein sehr unausgewogenes Geschlechterverhältnis haben, könnte sie zudem zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Aufstellung abwechselnd besetzter Listen führen. Das habe Einfluss auf die Chancen der Parteien bei der Wahl. Außerdem verwische die Pflicht zur Aufstellung abwechselnd besetzter Listen die Unterschiede in den Parteiprogrammen. Den Parteien stehe es frei, sich im Rahmen ihrer Programmatik dem Ziel der Förderung der Gleichberechtigung mehr oder weniger zu verschreiben.

Die angegriffenen Regelungen seien weder durch eine dem Gesetzgeber grundsätzlich obliegende Ausgestaltung des Wahlverfahrens noch durch das Ziel, den Frauenanteil im Landtag anzuheben, legitimiert. Die Verfassungsordnung des Landes Brandenburg bekenne sich zwar ausdrücklich zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern und verbinde dies mit einer Verpflichtung des Landes, für deren Gleichstellung – auch – im öffentlichen Leben zu sorgen. Änderungen im Wahlrecht, die Auswirkungen auf das Demokratieprinzip in seiner bisher verfassten Form haben, bedürften jedoch einer Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers und seien dem Zugriff des einfachen Gesetzgebers entzogen. Die vom Paritätsgesetz berührten Rechte der Freiheit der Parteien sowie der Gleichheit und Freiheit der Wahl seien Ausprägungen des Demokratieprinzips. Dem Demokratieprinzip der Verfassung des Landes Brandenburg liege aber der Grundsatz der Gesamtrepräsentation zu Grunde. Nach diesem Prinzip seien die Abgeordneten nicht einem Wahlkreis, einer Partei oder einer Bevölke­rungs­grup­pe, sondern dem ganzen Volk gegenüber verant­wort­lich. Diesem Verständnis widerspreche die Idee, dass sich in der Zusam­men­setzung des Parlaments auch diejenige der (wahlberechtigten) Bevöl­ke­rung in ihren vielfältig einzuteilenden Gruppen, Schichten oder Klassen wider­spie­geln soll. Gesetzliche Regelungen, die eine jeweils hälftige Verteilung der Landtagssitze an Frauen und Männer anordnen oder durch Listenvorgaben fördern sollen, würden daher zugleich eine Modifikation des Demokratieprinzips bedeuten. Diese sei durch einfaches Gesetz nicht möglich. Aus der Landesverfassung ergebe sich, dass sich die Willensbildung mit Hilfe der Wahlen frei von staatlicher Einflussnahme vom Volk aus zu vollziehen habe. Der Staat habe sich in diesem gesamten Prozess inhaltlicher Vorgaben zu enthalten. Aus dem gleichen Grund sei die Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers in Bezug auf den Ablauf der Wahlen und die Konkretisierung der Wahlrechtsgrundsätze überschritten. Dieses Ziel habe der Gesetzgeber mit dem Paritätsgesetz ohnehin nicht verfolgt; er habe vielmehr ausdrücklich die Gleichberechtigung von Mann und Frau fördern wollen.

Die gegen das Gesetz gerichteten Verfassungsbeschwerden der AfD-Mitglieder hatten ebenfalls im Wesentlichen Erfolg (VfGBbg 55/19). Das Verfassungsgericht stellte eine Verletzung ihrer Grundrechte auf Gleichheit der Wahl in der Ausprägung als passive Wahlrechtsgleichheit und des Verbots der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts fest und erklärte die Vorschriften, die eine paritätische Besetzung der Wahllisten fordern, für nichtig.

Das Verfassungsgericht stellte klar, dass es sich nach der Verfassung des Landes Brandenburg bei den Wahlrechtsgrundsätzen, wonach Wahlen allgemein, unmittelbar, gleich, frei und geheim sind, um rügefähige Grundrechte handele. Das gleiche Recht der Staatsbürger zu wählen und gewählt zu werden sei eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung und im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit bei der Zulassung zur Wahl zum Parlament zu verstehen. Die Gleichheit bei der Wählbarkeit (passive Wahlrechtsgleichheit) sei für die Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen mit den Vorgaben des Paritätsgesetzes nicht mehr gewährleistet, weil es ihnen ‌‑ anders als Personen des jeweils anderen Geschlechts ‑‌ den Zugang zu bestimmten Listenplätzen bzw. Vorlisten bei der innerparteilichen Kandidatenaufstellung verwehre, den Zugang zu einer Landesliste überhaupt verhindern könne und Personen des dritten Geschlechts den Beschwerdeführerinnen und Beschwerde­füh­rern gegenüber weitergehende Kandidaturmöglichkeiten einräume. Die Regelung knüpfe für die Zugangsmöglichkeiten zu den Vorlisten und damit zu den Listenplätzen einer Partei unmittelbar an das Geschlecht der sich bewerbenden Person an und führe damit zugleich zu einer Benachteiligung von Frauen und Männern wegen ihres Geschlechts jedenfalls gegenüber Personen des dritten Geschlechts. Aus den bereits zum Organstreitverfahren des Landesverbandes der NPD dargelegten Gründen hielt das Verfassungsgericht den Gesetzgeber nicht zum Erlass der die Grundrechte der Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen beeinträchtigenden Vorschriften für berechtigt.

Der Antrag des Landesverbandes der AfD im Organstreitverfahren hatte dagegen keinen Erfolg (VfGBbg 55/19). Das Verfassungsgericht verwarf ihn als unzulässig.

Die Urteile werden in Kürze auf der Internetseite des Verfassungsgerichts zu den Aktenzeichen VfGBbg 9/19 und VfGBbg 55/19 veröffentlicht.

Bei dem Verfassungsgericht sind in Bezug auf das Paritätsgesetz noch ein Organstreitverfahren der Piratenpartei Brandenburg, vier Verfassungsbeschwerden von Mitgliedern der „Jungen Liberalen“, sowie eine weitere Verfassungsbeschwerde anhängig.

Foto: v.l.n.r.: Andreas Dresen, Karen Sokoll, Dr. Dirk Lammer, Kathleen Heinrich-Reichow, Markus Möller, Christine Kirbach, Dr. Michael Strauß, Dr. Julia Barbara Finck, Dr. Ulrich Becker

Fotoquelle: Verfassungsgericht Brandenburg

Paritätsgesetz verletze Demokratieprinzip.

Zum Urteil des Brandenburger Verfassungsgerichts über das Paritätsgesetz erklärt der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, Dr. Marco Buschmann:

„Das Urteil des Verfassungsgerichts Brandenburg schafft nun deutlich Klarheit zum Instrument des Paritätsgesetzes. Das Paritätsgesetz verletzt das Demokratieprinzip, weil es das Staatsvolk nicht als Einheit von freien und gleichen Bürgern betrachtet, sondern unzulässigerweise in zwei Gruppen aufteilt. Es ist richtig, nach Wegen zu suchen, mehr Frauen für die parlamentarische Arbeit zu gewinnen. Gesetzlich verordnen lässt sich das nicht. Intelligente und verfassungskonforme Wege für eine Beteiligung von mehr Frauen zu finden, ist wichtig. Damit hat sich der Auftrag der Große Koalition, an die Reformkommission zum Wahlrecht erledigt, über ein Paritätsgesetz nachzudenken. Denn inzwischen wurde dieser Weg von zwei Verfassungsgerichten für verfassungswidrig erklärt.“

Schard: „Quotierende Wahlrechtseingriffe sind verfassungsjuristischer Irrweg“.

Der justizpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Stefan Schard, kommentiert die Entscheidung des Brandenburgischen Verfassungsgerichts, das dort Anfang 2019 beschlossene Paritätsgesetz für verfassungswidrig zu erklären:

„Das Brandenburger Urteil zeigt erneut, dass solche quotierende Wahlrechtseingriffe einen verfassungsjuristischen Irrweg darstellen und keinen gerichtlichen Bestand haben. Hier wird das richtige Ziel der Gleichberechtigung mit falschen Mitteln verfolgt. Diese Verletzung elementarer Verfassungsgrundsätze wird nun ein weiteres Mal höchstrichterlich korrigiert. Die CDU-Landtagsfraktion wird sich auch weiterhin entschieden gegen solche tiefgreifende Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze und die Rechte von Parteien stellen. Der Grundsatz von freien und gleichen Wahlen bezieht sich auch auf die Zeit vor dem eigentlichen Wahltag und dessen Vorbereitung.

Nicht umsonst war auch die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen bereits im Juli mit ihrem Vorhaben auf Grund gelaufen. Jeder Bürger muss unabhängig vom Geschlecht oder sonstigen Eigenschaften die Möglichkeit haben, sich auf ein Mandat zu bewerben. Die mit solchen Gesetzen einhergehende Einmischung in parteiliche Belange und die damit verbundene Aushöhlung parlamentarischer Strukturen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Weiter auch in den Parteien über eine stärkere Förderung von Frauen nachzudenken, ist dagegen auch mit der heutigen Entscheidung dagegen kein Riegel vorgeschoben worden. Politik im Allgemeinen und Parteiarbeit im Besonderen muss attraktiver werden für Frauen, und sie muss sich deutlich besser vereinbaren lassen mit Familie und Beruf. Die CDU-Fraktion wird andere Vorschläge machen, um die Chancengerechtigkeit für Frauen zu erhöhen.“

Ein schwarzer Tag für die Gleichstellung.

Das Brandenburger Verfassungsgericht hat das Brandenburger Paritätsgesetz heute für verfassungswidrig erklärt. Zu dieser Entscheidung erklären die Landesvorsitzenden der LINKEN Brandenburg, Anja Mayer und Katharina Slanina:

„Das Urteil ist ein bitteres Signal für den Kampf um die Gleichstellung. Nach Auffassung des Gerichts soll ausgerechnet die Ebene der politischen Entscheidungsträger*innen von Regelungen ausgenommen werden, die Gleichstellung auch gesetzlich sichern. Das halte ich für fatal. In der Arbeitswelt und vielen anderen Bereichen sind Regelungen zur Sicherstellung von Gleichstellung selbstverständlich, das muss auch in der Politik möglich sein! Wenn es dafür einen langen Atem braucht, bringen wir den auf.“, betont Anja Mayer.

„Auch wenn wir die rechtliche Einschätzung des Gerichts nicht teilen, werden wir nun prüfen, was rechtlich erforderlich ist, um das Ziel des Paritätsgesetzes durchzusetzen. Das Gericht hat in seinem Urteil bereits erste Hinweise auf notwendige Änderungen in der Landesverfassung gegeben. DIE LINKE. wird sich in diesen Prozess konstruktiv einbringen. Wir gehen davon aus, dass auch die Parteien der Regierungskoalition an einem zügigen Neuanlauf interessiert sind. Wir stehen für entsprechende Gespräche zur Verfügung.“, ergänzt Katharina Slanina.

Mehr Frauen in die Parlamente!

Zur heutigen Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Brandenburg gegen das dortige Paritätsgesetz erklärt der gleichstellungspolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Peter Ritter:

„Es ist ein schwerer Rückschlag, dass das Verfassungsgericht das hart erkämpfte Gesetz für die Gleichstellung in Volksvertretungen des Landes Brandenburg gekippt hat.

So bleibt unsere Gesellschaft auch im Jahr 102 nach Einführung des Wahlrechtes für Frauen in Deutschland meilenweit von einer tatsächlichen Gleichstellung in Politik und demokratischer Teilhabe entfernt. Frauen sind derzeit nur noch zu 31 Prozent im Bundestag und lediglich 25 Prozent im Landtag Mecklenburg-Vorpommern vertreten. Dies ist der schlechteste Wert seit Anfang der 90er Jahre für unser Land. Es müssen endlich wirksame Instrumente her, um die Mitwirkung von Frauen zu stärken.

Meine Fraktion geht seit vielen Jahren mit gutem Beispiel voran und ist paritätisch aufgestellt. Aktuell ist die Linksfraktion mit 6 Frauen und 5 Männern vertreten. Alle Initiativen meiner Fraktion für die gezielte Förderung von Frauen, für mehr Frauen in Parlamenten und Entscheidungspositionen wurden allesamt im Landtag mehrheitlich abgelehnt.“

„Wir blicken jetzt gespannt auf das Bundesverfassungsgericht“.

Zum Urteil über das Paritätsgesetz in Brandenburg äußert sich die justizpolitische Sprecherin im Landtag von Thüringen, Dorothea Marx (SPD):

„Dass das Paritätsgesetz auch in Brandenburg zurückgeholt wurde, ist äußerst bedauerlich. Wir blicken jetzt gespannt auf das Bundesverfassungsgericht, denn dort ist die Beschwerde gegen das Urteil zum Thüringer Paritätsgesetz noch anhängig. Denn die Frage, was mehr Gewicht hat, ist nach wie vor ungeklärt: die Gleichstellung von Mann und Frau oder das Eigenorganisationsrecht der Parteien.“

Das Brandenburger Verfassungsgericht hat am Freitag das Paritätsgesetz zur Besetzung der Kandidatenlisten von Parteien bei künftigen Landtagswahlen gekippt – wie zuvor schon die Thüringer Verfassungsrichter die dortige Regelung. Das Gesetz beschränke die Freiheiten der Parteien bei der Aufstellung von Kandidaten und damit die Teilnahme an Wahlen, teilte das Gericht am Freitag in der Urteilsverkündung in Potsdam mit. Das Gesetz schrieb den Parteien vor, ihre Kandidatenlisten mit gleich vielen Männern und Frauen zu besetzen.

Rückschlag im Einsatz für mehr Geschlechtergerechtigkeit.

Zum Urteil des Brandenburger Verfassungsgerichtes über das Brandenburger Paritätsgesetz sagt Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE:
 
„Das Urteil des Brandenburger Verfassungsgerichtes bedeutet einen Rückschlag im Einsatz für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Paritätsgesetze sind ein wirksames Instrument, um den Frauenanteil in Parlamenten zu erhöhen und damit die Strukturen aufzubrechen, die Frauen von der Macht fernhalten.

Ich freue mich, dass Die Linke schon lange über eine eigene Regelung verfügt, die eine mindestens paritätische Vertretung in Parlamenten sicherstellt. Wenn alle Parteien solche Regelungen eigenständig träfen, wäre das Scheitern eines Paritätsgesetzes nicht so schlimm. Besonders SPD, die sich jetzt öffentlich für mehr Frauen in den Parlamenten äußert, ist gefordert, das in der eigenen Partei auch umzusetzen. Dazu müssten sie ihre Quotenregelung auf 50% anheben. CDU und FDP sind gefordert, überhaupt erstmal eine verbindliche Regelung einzuführen.

Langfristig bin ich zuversichtlich, dass das gesellschaftliche Bewusstsein in dieser Hinsicht wächst und dass Parteien, die keine angemessene Beteiligung von Frauen sicherstellen, auch immer weniger Chancen bei Wahlen haben werden. Die Linke wird ihren Anteil zu diesem wachsenden Bewusstsein beitragen.“

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