Anfang Mai 2025 legte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sein Gutachten zur Einstufung der „AfD“ als „gesichert extremistisch“ („AfD“-Gutachten) vor, das wenig später an die Öffentlichkeit gelangte. Inwieweit die dort angestellten Erwägungen als Grundlage für ein Parteiverbotsverfahren dienen können, wird seither kontrovers diskutiert. Zur Versachlichung der Debatte hat die Forschungsstelle Nachrichtendienste der Universität zu Köln nun eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung vorgelegt, gab sie am 20. August 2025 in einer Pressemitteilung bekannt.
Verglichen wurden darin unter Leitung von Professor Dr. Markus Ogorek systematisch die rechtlichen Maßstäbe eines Parteiverbots mit denjenigen, die das BfV in seinem „AfD“-Gutachten zugrunde gelegt hat. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass der verfassungsschutzbehördliche und der auf Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes basierende verfassungsgerichtliche Prüfkatalog zwar nicht identisch, in weiten Teilen aber vergleichbar sind:
▪ Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: Dem „AfD“-Gutachten liegt das gleiche Verständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugrunde, wie es der bundesverfassungsgerichtlichen Spruchpraxis für Parteiverbote zu entnehmen ist. Trotz einer möglichen Begriffsverengung seitens des Bundesverfassungsgerichts liegt der Fokus hier wie dort auf der Menschenwürde, dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip. Das BfV ordnet die für seine Einstufungsentscheidung ausschlaggebenden Belege dem vom verfassungsgerichtlichen Begriffsverständnis zweifelsfrei umfassten Menschenwürdeschutz zu.
▪ „Beseitigung“ oder „Beeinträchtigung“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: Für ein Verbot ist eine Zielrichtung der in Rede stehenden Partei auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erforderlich.
Ein mit diesen Merkmalen vergleichbarer Maßstab liegt dem „AfD“-Gutachten zugrunde. Es genügt sowohl für ein Parteiverbot als auch für eine verfassungsschutzbehördliche Einstufung, wenn sich die Partei gegen eines der drei Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wendet.
▪ Ziele der Partei oder Verhalten ihrer Anhänger: Die für ein Verbot erforderliche Verfassungswidrigkeit setzt weiter voraus, dass eine Partei nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger auf die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgeht. Zurechenbar sind nicht nur Aussagen von Parteiführung und Funktionären, sondern auch Äußerungen einfacher Mitglieder, wenn sie im politischen Kontext stehen und von der AfD geduldet werden. Für ein Verbot erforderlich ist das Feststellen einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz der Gesamtpartei; extremistische „Ausreißer“ einzelner Personen reicht für das Verbot der Gesamtpartei indes nicht aus. Ähnliches gilt für eine Einstufung als „gesichert extremistisch“ durch den Verfassungsschutz. Hier dürfte in Anbetracht der im Vergleich zum Parteiverbot geringeren Eingriffsintensität allerdings ein abgesenktes Nachweiserfordernis Anwendung finden. In beiden Konstellationen nicht notwendig ist, dass das Handeln strafrechtlich relevant oder anderweitig rechtswidrig ist.
▪ „Darauf Ausgehen“: Das „Ausgehen“ auf die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung setzt nach der neueren bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur ein planvolles Handeln und die hinreichende politische Wirkkraft (sog. Potentialität) voraus. Ersteres Kriterium verlangt nach einem zielorientierten Zusammenhang zwischen den Handlungen der Partei und der Beseitigung oder Beeinträchtigung des Schutzguts. Eine darüberhinausgehende aggressiv-kämpferische Verwirklichungsstrategie im Sinne eines „Straßenkampfs“ ist dagegen nicht erforderlich. Einen mit den Anforderungen an planvolles Handeln vergleichbaren zielorientierten Zusammenhang verlangt auch die dem AfD-Gutachten zugrundeliegende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Einstufung als „gesichert extremistisch“. Dagegen liegen einer verfassungsschutzbehördlichen Klassifizierung keine mit dem Merkmal der Potentialität vergleichbaren Anforderungen zugrunde. Eine für ein Parteiverbot hinreichende politische Wirkkraft dürfte der „AfD“ in Anbetracht ihrer Wahlerfolge, ihrer Kampagnenfähigkeit und ihres Professionalisierungsgrades leicht nachgewiesen werden können.
Umfangreiche Belegsammlung
Neben dem analytischen Vergleich wertet die Untersuchung die einzelnen BfV-Belege aus, indem sie Gruppen von mehr oder weniger geeigneten Nachweisen anhand der bisherigen Verbotsrechtsprechung bildet und durch Beispiele illustriert. Von 829 ausgewerteten Belegen – darunter Aussagen von rund 160 Funktionären sowie Mitgliedern der „AfD“ – werden knapp zwei Drittel der dem Gutachten des BfV zu entnehmenden Nachweise für eine menschenwürdewidrige Grundtendenz der Partei als tendenziell oder möglicherweise einschlägig für ein Verbotsverfahren
eingeschätzt. Bei dem überwiegenden Teil dieser Belege handelt es sich um fremden- bzw. minderheitenfeindliche Aussagen, welchen in vielen Fällen ein ethnisches Volksverständnis zugrunde liegt. Dennoch hebt die Untersuchung hervor, dass die Einordnung einzelner Äußerungen eine Wertungsfrage bleibt und die Grenze zwischen (noch) zulässiger Polemik und (schon) verbotsrelevantem Verhalten oft fließend ist.
Überprüfung der BfV-Hochstufung abwarten
Indem die Untersuchung davon ausgeht, dass die durch das BfV zusammengetragenen Nachweise überwiegend auch in einem Antragsentwurf Berücksichtigung finden könnten, hat der Ausgang der
(ober)verwaltungsgerichtlichen Überprüfung dieser verfassungsschutzbehördlichen Hochstufung zumindest implizite Auswirkungen auf die Verbotsdebatte. Daher wird empfohlen, vor der Beantragung eines Parteiverbots die fachgerichtliche Überprüfung abzuwarten, um eine justizielle Einschätzung darüber zu erhalten, welche Äußerungen aus der „AfD“ mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung „gesichert“ nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Sollte die Einstufung der „AfD“ als bestätigt werden, deutet dies der Untersuchung zufolge auf gewisse Erfolgschancen für ein Verbotsverfahren hin.
Nicht notwendig soll es sein, die Erstellung eines Verbotsantrags erst nach der gerichtlichen Klärung der verfassungsschutzbehördlichen Beurteilung in voraussichtlich mehreren Jahren zu beginnen.
Da es sich bei einem solchen Dokument ohnehin nur um einen Entwurf für die berechtigten Antragsteller (Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung) handeln würde, könne bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine entsprechende Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt werden. Deren Tätigkeit, die neben dem Auswerten von Nachweisen auch umfangreiche juristische Darlegungen umfasste, dürfte voraussichtlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Einem erfolgsversprechenden Verbotsverfahren zuträglich seien laut der wissenschaftlichen Untersuchung neben der Verwertung von Erkenntnissen des Bundesamtes auch die Einbindung von Funden der Landesbehörden für Verfassungsschutz sowie aus der Auswertung sonstiger Quellen. Die Arbeitsgruppe könne den möglicherweise erhöhten Anforderungen des BVerfG an den Nachweis einer verfassungsfeindlichen
Grundtendenz von vornherein Rechnung tragen.
Primat der Politik betonen
Insgesamt unterstreicht das Gutachten die staatsrechtliche Verantwortung der antragsberechtigten Organe. Aus ihrem Antragsrecht folgt jedenfalls der politische Auftrag, sich mit der Frage der Einleitung eines Verbotsverfahrens zu befassen. Für deren Beantwortung sei ein Antragsentwurf entscheidend, auf dessen Basis die Verantwortlichen ihre Entscheidung treffen könnten.
„Die vorliegende Untersuchung soll die Debatte um ein „AfD“-Verbotsverfahren versachlichen und fachlich anreichern”, erklärt Professor Ogorek. „Zugleich will sie die Bedeutung des BfV-Gutachtens einordnen, über das mitunter losgelöst von den rechtlichen Grundlagen diskutiert wird“. Die universitäre Ausarbeitung solle „den politisch Verantwortlichen juristische Orientierung geben und sie zu proaktivem Handeln anregen – zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.”
Quelle: PM der Forschungsstelle Nachrichtendienste der Universität zu Köln vom 20.08.2025
Fotoquelle: Pascal Bünning / Universität zu Köln