Sehr geehrter Herr Hoffmann,
sehr geehrte Frau Hannack,
sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Festgäste,
zu allererst herzlichen Glückwunsch, auch im Namen der hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen aus der Bundesregierung, zum 70. Geburtstag – und alles Gute! Was auch immer das bedeutet, ich komme noch darauf zurück.
Natürlich, so möchte ich fast sagen, begeht der DGB sein Jubiläum an einem Ort, an dem einst hunderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tätig waren und Ende des 19. Jahrhunderts für das Unternehmen Carl Bolles Milchprodukte hergestellt haben. Die Milchflaschen in den Kronleuchtern nebenan und, so meine ich, vereinzelt auch hier erinnern daran. Besondere Anlässe wurden auch damals schon hier in der Werkskapelle gefeiert.
Sie haben heute ebenso einen guten Grund zum Feiern. Denn der Deutsche Gewerkschaftsbund gehört gleichsam zur Erstausstattung der Bundesrepublik, deren Grundgesetz in diesem Jahr ebenfalls 70 Jahre alt wurde. Das Wesen gewerkschaftlichen Wirkens war und ist – und zwar nicht erst in den letzten 70 Jahren seit Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes – immer geleitet vom Streben nach Solidarität und Toleranz, von Demokratie und Freiheit, von Gleichheit und Gerechtigkeit.
Der frühere DGB-Vorsitzende Heinz Vetter war der Überzeugung: „Wer seinen Ort in der Geschichte nicht bestimmen kann, versteht auch die Gegenwart nicht und muss bei der Aufgabe versagen, die Zukunft zu meistern.“ Sie, meine Damen und Herren, sind sich der Geschichte des DGB wie auch seiner Vorgeschichte sehr bewusst und haben Ihren Weg immer in diesem Bewusstsein gewählt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Sie bzw. Ihre Vorgänger entschlossen, sich in einer Einheitsgewerkschaft zu organisieren, weil sie fortan zusammenhalten und gemeinsam für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas erreichen wollten – unabhängig von verschiedensten Berufsgruppen, Branchen, Qualifikationen und ihrer Herkunft. Sie hatten erkannt, dass Gemeinsamkeit stark macht und Solidarität alle weiterbringt.
Einheit – das war bereits zur Kaiserzeit, zu Zeiten der Berliner Bolle-Meierei, und später in der Weimarer Republik ein erklärtes Ziel der Freien Gewerkschaften. Davon zeugt vor allem die Gründung der Generalkommission der Gewerkschaften und des nachfolgenden Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Der Erste Weltkrieg war kaum vorüber, als mit dem Stinnes-Legien-Abkommen das Fundament der Sozialpartnerschaft in Deutschland gelegt wurde. Erstmals wurden die Gewerkschaften als gleichberechtigte Verhandlungspartner anerkannt. Auch die Weimarer Verfassung erkannte die Gewerkschaften an und sah Koalitionsfreiheit vor.
Aber die Gewerkschaften, das heißt, die Freien Gewerkschaften, die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, die christlichen Gewerkschaften und die kommunistische Revolutionäre Gewerkschaftsorganisation, sie zogen eben leider nicht an einem Strang und schon gar nicht in dieselbe Richtung. Vielmehr waren sie politisch und konfessionell zersplittert. Das Ergebnis war eine Konkurrenz, die sie mehr schwächte als belebte.
Weitaus bitterer war natürlich die Zäsur, die die Gewerkschaften während der Zeit des Nationalsozialismus zu erleiden hatten. Sie wurden zerschlagen oder aufgelöst. Viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden verfolgt, misshandelt, in Konzentrationslager deportiert und umgebracht – unter ihnen auch Wilhelm Leuschner. Noch am Tag vor seiner Hinrichtung mahnte er, die Lehren aus der Zersplitterung und Zerschlagung der Gewerkschaften zu ziehen, und forderte: „Schafft die Einheit!“ Diese mahnenden Worte sind – ich sage: glücklicherweise! – nicht ungehört verhallt.
Nach dem Ende der Schrecken des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs entschieden sich die Gründer des DGB gegen Richtungsgewerkschaften und schlossen sich im Oktober 1949 in München zur Einheitsgewerkschaft zusammen. Statt sich das Leben gegenseitig unnötig schwer zu machen, konnten von nun an die einzelnen Mitgliedsgewerkschaften auf den Deutschen Gewerkschaftsbund bauen, der ihre gemeinsamen Interessen vertrat und zugleich in dieser Einheit eine große Vielfalt möglich machte. Damit begann unter dem Strich – wenn man in die Tiefe schaut, dann sieht man, dass es ja nicht immer einfach ist, die verschiedenen Einzelgewerkschaften zusammenzuhalten; ich begrüße natürlich alle Vorsitzenden und ehemaligen Vorsitzenden – eine Erfolgsgeschichte, die bis heute währt. Darauf können Sie sich immer berufen, Herr Hoffmann, falls es einmal Schwierigkeiten geben sollte.
Natürlich, meine Damen und Herren, haben sich seit 1949 unser Land, unsere Gesellschaft und unsere Art zu arbeiten stark gewandelt. So galt es in den ersten Jahren nach dem Krieg erst einmal, neue Strukturen aufzubauen und existentielle Probleme zu lösen. Die Gewerkschaften halfen mit, die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Kleidung zu versorgen. Sie packten mit an, um Unternehmen wieder in Gang zu setzen. Und sie leisteten auch in den Folgejahren vieles. Ganz besonders möchte ich hervorheben, dass, als die Zeit der sogenannten Gastarbeiter kam, gerade auch die Gewerkschaften ganz wesentlich zur Integration dieser Menschen beigetragen haben. Die Gesellschaft insgesamt hat sich damals mit der Frage der Integration viel, viel weniger beschäftigt als heute.
Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 bedeutete erneut einen, wenn auch völlig anders gearteten großen Umbruch. Es zeigte sich, wie wenig wettbewerbsfähig viele Betriebe der DDR nach jahrzehntelanger Zentraler Planwirtschaft waren. Das bedeutete für viele Menschen den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Sie erlebten einen fundamentalen Bruch in ihrem Leben. Gleichsam von heute auf morgen mussten sie einen Platz in einer völlig anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung finden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat diesen tiefgreifenden Strukturwandel ganz wesentlich mitgestaltet. – Ich erinnere mich sehr gut an die Situation in meinem Wahlkreis, wo Sie plötzlich auch viele Mitglieder hatten, die arbeitslos waren. – Das Spektrum der Aufgaben war also weiter gewachsen. Gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände haben Sie bekräftigt, dass wirtschaftliche und soziale Fortschritte nur in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu erreichen sind. – Auch das war nicht immer ganz einfach; und das ist es im Übrigen bis heute nicht, wenn ich manche Diskussion verfolge. – Dafür legten Sie Vorschläge für mehr Beschäftigung in den neuen Bundesländern vor. Sie integrierten die Beschäftigten aus den neuen Ländern unter dem Dach des DGB.
Meine Damen und Herren, die Interessen der unterschiedlichen Branchen zu bündeln und mit einer Stimme zu sprechen – das erfordert Verhandlungsgeschick ebenso wie den Willen zum Kompromiss. Das gelingt nur mit Solidarität und mit der Unabhängigkeit, die den Deutschen Gewerkschaftsbund auszeichnen. Sie sind unabhängig von Regierungen, Parteien, Religionsgemeinschaften, Verwaltungen und Arbeitgebern. Ich will nicht verhehlen: Als CDU-Mitglied bin ich ein bisschen neidisch, dass es ja vielleicht doch noch eine Partei gibt, zu der Sie bessere Beziehungen haben. Aber im Großen und Ganzen werden Sie dem Anspruch der Einheitsgewerkschaft sehr gut gerecht. Sie sind unabhängig, aber Sie sind eben nicht neutral. Das können Sie auch gar nicht sein, wenn Sie sich mit Problemen und Entwicklungen kritisch auseinandersetzen und Ihre Positionen vertreten.
Genau das tun Sie; und zwar aus gutem Grund. Denn wir haben in Deutschland gute Erfahrungen damit gemacht, dass diejenigen, die nach Lösungen suchen, die die betrieblichen und branchenspezifischen Realitäten am besten kennen, auch ein Wort mitzusprechen haben. Das sind eben die Sozialpartner. Deshalb haben wir die Tarifautonomie. Deshalb haben wir die Mitbestimmung. – Das geht einem alles so leicht über die Lippen. Aber gerade wenn es um die Mitbestimmung geht – Kurt Biedenkopf ist heute hier anwesend –, dann wissen wir, welche Kämpfe sich auch darum gerankt haben. – Deshalb regeln diejenigen, die die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite vertreten, die Arbeitsbedingungen in den Branchen und Betrieben.
Trotzdem gibt es manchmal Fehlentwicklungen, auf die die Politik reagieren muss. Das war insbesondere vor rund zehn Jahren der Fall. Als der DGB 60 Jahre alt wurde, fand die Geburtstagsfeier in einer Zeit statt, in der aus einer internationalen Finanzkrise eine große Wirtschaftskrise geworden war. Damals haben wir uns im Bundeskanzleramt getroffen – Bundesregierung, Sozialpartner und Wissenschaftler. Wir haben gemeinsam nach Lösungen gesucht – und sie mit einer guten Portion Pragmatismus auch gefunden. Gemeinsam haben wir Maßnahmenpakete geschnürt und auf den Weg gebracht. Ich möchte mich heute noch einmal ganz herzlich für das Mitwirken des Deutschen Gewerkschaftsbundes bedanken!
So konnten wir, obwohl wir 2009 den tiefsten Wirtschaftseinbruch in der deutschen Nachkriegsgeschichte hatten, die Krise schneller und besser als viele andere Staaten hinter uns lassen. Damals haben wir einmal mehr unter Beweis gestellt, dass das Wort Sozialpartnerschaft hierzulande keine Phrase ist, sondern dass wir sie miteinander leben.
Ich erinnere mich an viele Gespräche in ebenfalls krisengeplagten europäischen Partnerländern, an denen auch der Deutsche Gewerkschaftsbund teilgenommen hat. Daran hat sich gezeigt, dass Sozialpartnerschaft auch etwas ist, das Mühe macht und Verantwortung mit sich bringt. Man könnte als Gewerkschaft auch die These vertreten: Man ist sozusagen gegen alles und fühlt sich nicht verpflichtet, immer einen konstruktiven Vorschlag zu machen. Die Sozialpartnerschaft in Deutschland aber zwingt den Deutschen Gewerkschaftsbund und die Einzelgewerkschaften geradezu, immer wieder Verantwortung zu übernehmen und mit konstruktiven Lösungsvorschlägen aufzutreten. Ich glaube, Sie haben damit in Ihrer europäischen Arbeit auch aufgezeigt, wie wichtig es ist, sich in einer noch verantwortlicheren Weise als Gewerkschaft zu organisieren.
Dass sich unsere Soziale Marktwirtschaft über die Jahrzehnte hinweg bewährt hat, hat in der Tat sehr viel mit gelebter Sozialpartnerschaft zu tun. Es zeugt also von großer Weitsicht, dass die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes das Recht schützten, Vereinigungen zu bilden, um über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bestimmen. Gerade weil unser Land mit dem Sachverstand der Tarifpartner gut gefahren ist, müssen uns heute die vielen weißen Flecken in der Tariflandschaft zu denken geben. Mit weißen Flecken ist das noch etwas euphemistisch beschrieben. Es sind manchmal schon ganz schön große Bereiche.
Mangelnde Tarifbindung hat natürlich auch Einfluss auf die Lohnfindung. Über viele Jahre hinweg war auch ich der Ansicht – Sie mussten das ertragen; manche sind hier, die sich das immer wieder anhören mussten –, dass die Gewerkschaften zur Wahrung der Tarifautonomie den Mindestlohn allein mit Arbeitgebern in tarifvertraglichen Auseinandersetzungen festlegen sollten. Weil aber solche Festlegungen nicht mehr selbstverständlich waren, haben wir uns schließlich doch für gesetzliche Lohnuntergrenzen entschieden.
Dann haben wir entschieden, dass eine Kommission aus Vertreterinnen und Vertretern der Beschäftigten und Arbeitgeber über die Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns befinden soll. In dieser Zusammensetzung spiegelt sich die gemeinsame Überzeugung wider, dass die Tarifpartner angemessenere Lösungen finden können, als das dem Gesetzgeber möglich ist. Sie haben sich dafür entschieden, die Sache nicht zu kompliziert zu machen, sondern sozusagen einen gewissen Automatismus anzuwenden. Das bietet Verlässlichkeit. Und uns war es wichtig, dass wir die Aufgabe in die Hände der Tarifpartner geben.
Unabhängig davon ist es wünschenswert und erstrebenswert, in Deutschland wieder eine höhere Tarifbindung zu gewinnen. Wir reden sehr oft, auch bei den Dialogen in Meseberg, darüber, mit welchen Anreizen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vor allen Dingen auch Unternehmen dazu bringen können, die Möglichkeiten der Tarifbindung zu nutzen und als einen Vorteil zu erkennen.
Es geht um gute Arbeitsbedingungen. Es geht auch um Flexibilität für Unternehmen. Es geht über die Betriebe und Branchen hinaus um den sozialen Frieden und damit eben auch um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Das – das wissen wir; und das spüren wir jeden Tag – ist in Zeiten wie diesen aktueller und wichtiger denn je. Denn Umbrüche beschäftigen uns nicht nur als historische Ereignisse. Auch heute erleben wir – tagtäglich will ich sagen – eine Zeit voller Umbrüche.
Die Arbeitswelt verändert sich rasant – infolge globaler Entwicklungen, durch den Klimawandel und nicht zuletzt durch die Digitalisierung, die aus meiner Sicht eine epochale Umwälzung ist. Neue Möglichkeiten der Arbeitsorganisation entstehen, neue Strukturen und auch neue Berufe. Doch wie genau sieht Arbeit 4.0 aus? Stirbt das klassische Beschäftigungsverhältnis aus? Arbeiten die meisten vielleicht schon bald als sogenannte Freelancer? Wie weit wird die Flexibilität reichen? Was wird aus der betrieblichen Sozialpartnerschaft? Wie sehen gute Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutz in der digitalen Welt aus? Brauchen wir eigentlich nicht so etwas wie eine IG Digital?
Wir als Bundesregierung beschäftigen uns ziemlich viel mit diesen Fragen. Der Bundesarbeitsminister ist auch hier; er macht dazu viele Vorschläge, die ja mit Ihnen auch besprochen werden. Trotzdem wird uns dieses Thema noch sehr lange begleiten. Es mangelt nicht an Fragen, über die wir regelmäßig diskutieren. Wir brauchen aber eben auch Antworten; und zwar recht rasch. Ich bin überzeugt, dass auch der Wandel zur Arbeit 4.0 nur in großer Gemeinsamkeit erfolgreich gestaltet werden kann. Das gilt für die bundespolitische Ebene genauso wie für die Sozialpartner und die betriebliche Ebene.
Ich habe jüngst eine ausführliche Diskussion mit der estnischen Präsidentin geführt. Für mich war sehr beruhigend, dass sie auf der einen Seite die digitale Welt sehr tief und gut durchdacht hat – von den Arbeitsbedingungen über die Sozialbedingungen bis zu den Unternehmensbedingungen –, aber auf der anderen Seite wesentlichen Wert darauf legt, dass das, was wir in der sogenannten analogen Welt gelernt haben, was Beziehungen zwischen Menschen, Unternehmen und gesellschaftliche Zusammenhänge anbelangt, in die digitale Welt übertragen werden muss und dass die digitale Welt kein Raum sein kann, in dem Rechte, Pflichten und die Grundannahmen unserer Gesellschaft nicht mehr gelten. Es ist äußerst wichtig, dass wir uns das immer wieder vor Augen führen.
Meine Damen und Herren, wir wissen seit langem, dass sich die Beschäftigten mit den Zielen eines Betriebes viel stärker identifizieren, wenn sie in die Planungen und Entscheidungen ihrer Arbeitgeber einbezogen sind. Identifikation und Motivation dienen sowohl den Beschäftigten als auch den Betrieben. Sie sind also gleichsam Erfolgsfaktoren für alle. Genau das ist ja auch die Grundlage der Idee der Mitbestimmung.
1951 wurde in der alten Bundesrepublik die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten von Montanunternehmen verabschiedet. Ein Jahr später, 1952, wurde das Betriebsverfassungsgesetz beschlossen. Die Unternehmensmitbestimmung hat sich bewährt. Sie ist Ausdruck gelebter Sozialer Marktwirtschaft. Wie bei der Tarifbindung ist auch der Beitrag der betrieblichen Mitbestimmung zum sozialen Frieden kaum zu überschätzen. Genau das muss auch in Zeiten des digitalen Wandels gelten.
Deshalb haben wir uns als Bundesregierung zum Beispiel auf eine Stärkung des Initiativrechts von Betriebsräten beim Thema Weiterbildung verständigt. Wir achten darauf, dass Mitbestimmungsrechte gewahrt bleiben und auch in europäischer Hinsicht abgesichert sind. So darf etwa die Verlagerung eines Firmensitzes deutsche Mitbestimmungsrechte nicht untergraben. Hierfür ist die Richtlinie zu grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Kapitalgesellschaften eine Verbesserung. Wir müssen aber alle gemeinsam mit Argusaugen darauf achten, dass über die europäische Ebene nicht bestimmte Dinge kommen, die das Wesen der Sozialpartnerschaft wieder infrage stellen.
Meine Damen und Herren, was macht nun gute Arbeitsbedingungen aus? Antworten darauf finden sich in arbeits- und tarifvertraglichen oder gesetzlichen Regelungen – aber nicht nur. Gute Bedingungen drücken sich auch in der Wertschätzung aus, die Beschäftigte erfahren – von ihrem Arbeitgeber, im Kollegenkreis wie auch im gesellschaftlichen Umfeld. Gerade für junge Leute – und Sie setzen sich so sehr für Auszubildende ein – ist es besonders wichtig, wie sie in eine Gesellschaft hineinwachsen.
Es war deshalb sehr wichtig und richtig, dass Sie auf Ihrem letzten Bundeskongress auch über Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst diskutiert haben. Es sollte uns aber auch betroffen machen, dass solche Diskussionen überhaupt geführt werden müssen. Rettungssanitäterinnen und -sanitäter, Polizeikräfte, Beschäftigte im Ordnungsamt und Jobcenter, Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter und andere machen immer wieder die schlimme Erfahrung, dass sie in ihrem Dienst nicht nur behindert, sondern auch beschimpft, bedroht oder gar angegriffen werden. Wir dürfen nicht darüber hinwegsehen, wenn diesen Menschen Hass und Gewalt entgegenschlagen. Wir müssen zusammenhalten und diejenigen unterstützen, die sich für unseren Zusammenhalt einsetzen. Sie verdienen Schutz und sie verdienen unseren Respekt.
Ob gewerkschaftlicher Zusammenhalt oder gesellschaftlicher Zusammenhalt – ohne gegenseitigen Respekt funktioniert Zusammenhalt nicht. Es ist traurig, dass wir so etwas in diesen Tagen und Wochen wieder betonen müssen. Aber wir erleben eben allzu oft, dass populistische Parolen und extremistische Ideologien verfangen und Hemmschwellen sukzessive gesenkt werden. Wir sehen es an hasserfüllten Kommentaren, die im Internet kursieren. Wir sehen, dass Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Ziel rechtsextremistischer Gewalt werden.
Hass und Gewalt, Antisemitismus und Rassismus äußern sich in vielen Facetten. Aber jedes Mal sind sie eine Verletzung des Artikels 1 unseres Grundgesetzes, eine Verletzung der Würde des Menschen. Sie verstoßen gegen unsere Werte und Gesetze. Und unsere Werte und Gesetze müssen und werden wir entschieden verteidigen.
Dabei ist es gut zu wissen, mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund einen starken Verfechter von Solidarität, Toleranz und Zusammenhalt in unserem Land zu haben. – Ich habe das kürzlich wieder auf dem IG-Metall-Kongress erleben können. – Dies war auch in den vergangenen sieben Jahrzehnten so. Ich konnte das auch ganz besonders an der Unterstützung in der Zeit, in der so viele Flüchtlinge zu uns kamen, erleben. Und ich bin mir bei Ihnen sicher, dass dies in den nächsten Jahrzehnten auch so bleiben wird.
Deshalb, liebe Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes: Bewahren Sie auch in Zukunft Ihre Werte und Prinzipien! Bewahren Sie auch in Zukunft die Einheit und die Solidarität im DGB! Gestalten Sie Deutschland erfolgreich mit – in Zeiten wie diesen, in denen es darum geht, gute Bedingungen auch für die Arbeit 4.0 zu schaffen! Und helfen Sie mit, das, was die Gründungsväter und -mütter des Grundgesetzes uns auf den Weg gegeben haben, weiter zu erhalten!
In diesem Sinne: Auf eine weiterhin konstruktiv-kritische Zusammenarbeit! Ich wünsche Ihnen viel Kraft und viel Stärke für die anstehenden Aufgaben! Sie werden nicht weniger, nur anders.
Herzlichen Dank!
Fotos: Elke Hannack und Reiner Hoffmann
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin