Den Beschluss finden Sie auch hier.
Die Besoldungsvorschriften des Landes Berlin sind mit dem von Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Alimentationsprinzip unvereinbar, soweit sie die Besoldung der Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppen R 1 und R 2 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie der Besoldungsgruppe R 3 im Jahr 2015 betreffen. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Eine Gesamtschau der für die Bestimmung der Besoldungshöhe maßgeblichen Parameter ergibt, dass die gewährte Besoldung evident unzureichend war. Sie genügte nicht, um Richtern und Staatsanwälten einen nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen. Der Gesetzgeber des Landes Berlin hat verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Juli 2021 an zu treffen. Eine rückwirkende Behebung ist hinsichtlich derjenigen Richter und Staatsanwälte erforderlich, sie sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben. Dabei ist es unerheblich, ob insoweit ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebt.
Sachverhalt:
Die Kläger der Ausgangsverfahren sind ein Vorsitzender Richter am Landgericht (Besoldungsgruppe R 2), ein Richter am Landgericht (Besoldungsgruppe R 1) und die Witwe eines Vorsitzenden Richters am Kammergericht (Besoldungsgruppe R 3), der im Jahr 2015 in dieses Amt befördert worden war und wenig später verstarb. Die erstmals im Jahr 2009 gegen die Besoldungshöhe erhobenen Widersprüche der Kläger blieben ebenso wie ihre nachfolgenden Klagen vor dem Verwaltungsgericht bis in die Berufungsinstanz erfolglos. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Revisionsverfahren ausgesetzt, um dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die Besoldung in den genannten Besoldungsgruppen mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar sei.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
I. Das zu
den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählende
Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, Richtern und Beamten sowie
ihren Familien lebenslang einen Lebensunterhalt zu gewähren, der ihrem
Dienstrang und der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessen ist und
der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards entspricht. Damit wird der
Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der
Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen hergestellt. Diese
Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position bildet
die Voraussetzung und innere Rechtfertigung für die lebenslange Treuepflicht sowie
das Streikverbot. Der Besoldungsgesetzgeber verfügt über einen weiten
Entscheidungsspielraum. Dem entspricht eine zurückhaltende
verfassungsgerichtliche Kontrolle. Ob die Bezüge evident unzureichend sind,
muss anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien geprüft werden. Dies
erfolgt in mehreren Schritten:
Auf der ersten Prüfungsstufe wird mit Hilfe von fünf Parametern ein
Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der
Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus ermittelt (Vergleich der
Besoldungsentwicklung mit der Entwicklung der Tarifentlohnung im öffentlichen
Dienst, des Nominallohnindex sowie des Verbraucherpreisindex, systeminterner
Besoldungsvergleich und Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer
Länder). Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der
Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der
untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum
Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß hiergegen betrifft insofern
das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte
Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist.
Auf der zweiten Prüfungsstufe sind die Ergebnisse der ersten Stufe mit den weiteren
alimentations-relevanten Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung
zusammenzuführen. Werden mindestens drei Parameter der ersten Prüfungsstufe
erfüllt, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation.
Werden umgekehrt bei allen Parametern die Schwellenwerte unterschritten, wird
eine angemessene Alimentation vermutet. Sind ein oder zwei Parameter erfüllt,
müssen die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über-
beziehungsweise Unterschreitung der Parameter, zusammen mit den auf der zweiten
Stufe ausgewerteten Kriterien im Rahmen der Gesamtabwägung eingehend gewürdigt
werden. Ergibt die Gesamtschau, dass die zur Prüfung gestellte Besoldung
grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedarf
es auf der dritten Stufe der Prüfung, ob dies ausnahmsweise gerechtfertigt sein
kann.
II. An
diesen Maßstäben gemessen sind die Vorgaben des Art. 33 Abs. 5 GG nicht
erfüllt.
Eine Gesamtschau der für die Bestimmung der Besoldungshöhe maßgeblichen
Parameter ergibt, dass die im Land Berlin in den verfahrensgegenständlichen
Jahren und Besoldungsgruppen gewährte Besoldung evident unzureichend war. Sie
genügte nicht, um Richtern und Staatsanwälten nach der mit ihrem Amt
verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung dieser Ämter für die
All-gemeinheit einen der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und
finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessenen
Lebensunterhalt zu ermöglichen. Bei der Fest-legung der Grundgehaltssätze wurde
die Sicherung der Attraktivität des Amtes eines Richters oder Staatsanwalts für
entsprechend qualifizierte Kräfte, das Ansehen dieses Amtes in den Augen der
Gesellschaft, die von Richtern und Staatsanwälten geforderte Ausbildung, ihre
Verantwortung und ihre Beanspruchung nicht hinreichend berücksichtigt.
Für alle verfahrensgegenständlichen Jahre lässt sich feststellen, dass die
Besoldungsentwicklung in den jeweils vorangegangenen 15 Jahren um mindestens 5
% hinter der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst und der
Verbraucherpreise zurückgeblieben war. In den Jahren 2010 bis 2014 lag die
Differenz zur Tariflohnsteigerung bei über 10 %. Auch wurde das
Mindestabstandsgebot in den unteren Besoldungsgruppen durchgehend deutlich
verletzt. Hinsichtlich der Entwicklung des Nominallohnindex und im
Quervergleich mit der Besoldung in Bund und Ländern wurden die maßgeblichen
Schwellenwerte nicht überschritten. Weil damit drei von fünf Parametern der
ersten Stufe erfüllt sind, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen
Unteralimentation.
Diese wird erhärtet, wenn man im Rahmen der Gesamtabwägung die weiteren
alimentationsrelevanten Kriterien einbezieht. Mit dem Amt eines Richters oder
Staatsanwaltes sind vielfältige und anspruchsvolle Aufgaben verbunden, weshalb hohe
Anforderungen an den akademischen Werdegang und die Qualifikation ihrer Inhaber
gestellt werden. Gleichwohl hat das Land Berlin nicht nur die formalen
Einstellungsanforderungen abgesenkt, sondern auch in erheblichem Umfang
Bewerber eingestellt, die nicht in beiden Examina ein Prädikat
(„vollbefriedigend“ und besser) erreicht hatten. Dies zeigt, dass die
Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion, durchgehend
überdurchschnittliche Kräfte zum Eintritt in den höheren Justizdienst in Berlin
zu bewegen, nicht mehr erfüllt hat. Gegenüberstellungen mit Vergleichsgruppen
außerhalb des öffentlichen Dienstes führen im Rahmen der Gesamtabwägung zu
keiner anderen Bewertung. Schließlich sind verschiedene Einschnitte im Bereich
des Beihilfe- und Versorgungsrechts zu berücksichtigen, die das zum laufenden
Lebensunterhalt verfügbare Einkommen zusätzlich gemindert haben.
Kollidierendes Verfassungsrecht, zu der auch die Verpflichtung zur Haushaltskonsolidierung (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 143d Abs. 1 GG) zählt, vermag diese Unterschreitung des durch Art. 33 Abs. 5 GG gebotenen Besoldungsniveaus nicht zu rechtfertigen. Insbesondere hat das Land Berlin nicht dargetan, dass die teilweise drastische Abkopplung der Besoldung der Richter und Staatsanwälte von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in Berlin Teil eines schlüssigen und umfassenden Konzepts der Haushaltskonsolidierung gewesen wäre, bei dem die Einsparungen – wie verfassungsrechtlich geboten – gleichheitsgerecht erwirtschaftet werden sollten.
Quelle: BVerfG-Pressemitteilung Nr. 63/2020 vom 28. Juli 2020
Gemeinsame Pressemitteilung der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen und der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zur BVerfG-Entscheidung.
Besoldung von Richterinnen und Richtern in Berlin seit 2016 deutlich erhöht
„Das Bundesverfassungsgericht hat heute einen Beschluss veröffentlicht, wonach die Richterbesoldung im Land Berlin in den Jahren 2009 bis 2015 in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen war. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind umzusetzen. Dies betrifft insbesondere rückwirkende Ausgleichszahlungen für diejenigen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben.
Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erfüllen eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe in unserem Rechtsstaat, was sich auch in der Besoldung widerspiegeln muss. Seit August 2016 ist die Besoldung in den Einstiegs- und Beförderungsämtern für Richterinnen und Richter sowie für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Berlin um insgesamt 17 Prozent gestiegen. Zudem lag ab 2018 die Besoldungsanpassung jeweils 1,1 Prozent über der durchschnittlichen Besoldungsanpassung der Bundesländer. Darüber hinaus wurden 2017 und 2018 die Sonderzahlungen erhöht. Bis 2021 wird die Besoldung das Niveau des Durchschnitts der Bundesländer erreichen.
Die Bewerberlage für Stellen als Richterin oder Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte war in den vergangenen Jahren in Berlin gut. Es gab deutlich mehr Bewerberinnen und Bewerber als freie Stellen. Die Stellen konnten daher in der Regel mit Kandidatinnen und Kandidaten besetzt werden, die in beiden Staatsexamina ein Prädikat erreicht haben.“
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18.
Ulf Buermeyer, Richer am Landgericht Berlin, zu der BVerfG-Entscheidung auf Twitter:
„Harte Worte des @BVerfG zur viel zu schlechten Bezahlung der Richterinnen und Staatsanwälte in Berlin: ‚… hat das Land Berlin nicht nur die formalen Einstellungsanforderungen abgesenkt, sondern auch in erheblichem Umfang Bewerber eingestellt, die nicht in beiden Examina … ein Prädikat (‚vollbefriedigend‘ und besser) erreicht hatten. Dies zeigt, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion, durchgehend überdurchschnittliche Kräfte zum Eintritt in den höheren Justizdienst in Berlin zu bewegen, nicht mehr erfüllt hat.“
Mit anderen Worten: „Berlin ist so knausrig, dass Leute eingestellt werden mussten, die man fachlich besser nicht eingestellt hätte. Sowas höhlt das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Justiz aus. In der @LageNation kritisieren wir das seit Jahren.“
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin
Mag ja sein, dass im Verhältnis zu wenig bezahlt wurde.
Aber wer nichts leistet, hat eben auch keinen Anspruch auf vollen Lohn.
So jedenfalls in der sog. Freien Wirtschaft.
Gilt leider nicht für Beamte.