Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, sieht soziale Netzwerke in der Pflicht, „dass unsere freiheitliche Gesellschaft erhalten bleibt“. „Wir schauen nicht länger zu, wie übelster Hass und Hetze im Internet verbreitet werden“, sagte Fechner in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 16. März 2020) anlässlich der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs der Koalition zur „Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“. Die Netzwerke müssten dazu ihren Beitrag leisten. Mit dem Entwurf sollen die Netzwerke unter anderem verpflichtet werden, mutmaßlich strafrechtlich relevante Beiträge einer neu zu schaffenden Einheit beim Bundeskriminalamt zu melden. Der Katalog umfasst unter anderem Billigung von Straftaten, Bedrohung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Die Verrohung im Netz führt der Sozialdemokrat auf den Umstand zurück, dass sich viele Menschen sicher fühlten, „Dinge sagen zu können, für die sie keine Konsequenzen befürchten müssen“. „Genau das ändern wir jetzt. Es wird Folgen haben, wenn im Netz gehetzt oder bedroht wird oder gar schlimmere Straftaten begangen werden“, sagte der 47-Jährige.
Die im Entwurf vorgesehene Regelung, nach der soziale Netzwerke unter bestimmten Umständen auch bei ihnen verschlüsselt gespeicherte Passwörter herausgeben sollen, bezeichnete Fechner als „sinnvoll und rechtstaatlich vertretbar“, um schwere Straftaten aufzuklären. Der Rechtspolitiker betonte, dass die Verschlüsselungspflicht für Betreiber aber bestehen bleiben müsse. Gegebenenfalls sei es dem Staat möglich – mit hohem Aufwand – die Passwörter zu knacken. „Wir meinen, dass nach den Straftaten, die wir in den letzten Monaten leider erleben mussten, mit dem traurigen Höhepunkt von Hanau, Geld keine Rolle spielen darf, wenn es gilt, solche Taten aufzuklären. Da sollte der Staat nichts unversucht lassen“, sagte Fechner.
Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das Interview vorab im vollen Wortlaut:
Die vergangenen Monate und Jahre haben gezeigt, dass Rechtsextremisten militanter und tödlicher handeln. Wie fügt sich der Gesetzentwurf der Koalition zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, der vornehmlich auf Meldepflichten für Soziale Netzwerke abstellt, in diese Situation?
Wir zeigen Zähne! Der Rechtsstaat macht deutlich, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind. Wir schauen nicht länger zu, wie übelster Hass und Hetze im Internet verbreitet werden. Vor allem, weil wir erleben mussten, dass es nicht vom Wort zur Tat nicht weit ist.
Woher kommt aus Ihrer Sicht die Verrohung im Netz?
Ich glaube, dass sich viele Menschen sicher fühlen, Dinge sagen zu können, für die sie keine Konsequenzen befürchten müssen. Genau das ändern wir jetzt. Es wird Folgen haben, wenn im Netz gehetzt oder bedroht wird oder gar schlimmere Straftaten begangen werden.
Die Koalition will Facebook, Twitter und Co. mit einer Meldepflicht zu Hilfssheriffs machen. Wäre die Suche nach strafbaren Äußerungen nicht eigentlich Aufgabe der professionellen Strafverfolgungsbehörden?
Von Hilfssheriffs kann keine Rede sein. Wenn innerhalb eines Unternehmens Straftaten begangen werden, dann muss ein Unternehmen alles tun, um das zu verhindern. Solche Regelungen haben wir jetzt schon. Jede Zeitung muss prüfen, dass in ihren veröffentlichten Leserbriefen keine Straftaten enthalten sind. Genau das übertragen wir jetzt auf die sozialen Netzwerke. Die sozialen Netzwerke haben eine Pflicht, dass unsere freiheitliche Gesellschaft erhalten bleibt und müssen ihren Beitrag dazu leisten.
Wie schon bei der Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) fürchten manche Kritiker ihres Entwurfes, dass die sozialen Netzwerke auf Nummer sicher gehen und zu viele Beiträge sperren werden. Sehen Sie eine Gefahr des sogenannten Overblocking?
Das Overblocking hat sich schon beim NetzDG nicht eingestellt. Das ist zu Unrecht von vielen, insbesondere von der Opposition, befürchtet worden. Wir erwarten es auch in Zukunft mit den neuen Regelungen nicht.
Wie begegnen Sie datenschutzrechtlicher Kritik, dass mit einer Meldung durch die Netzwerke ohne Wissen der Betroffenen relevante Daten an das Bundeskriminalamt (BKA) fließen – zumal wenn der betreffende Beitrag womöglich gar nicht strafrechtlich relevant ist?
Wir haben schon heute klare Regelungen, was mit solchen Daten passieren darf. Allerdings werden wir uns als Fraktion im parlamentarischen Verfahren für Klarstellungen mindestens in der Gesetzesbegründung einsetzen. Es muss klar sein, dass die Daten nur für diesen speziellen Zweck zu nutzen und sofort zu löschen sind, wenn das Ermittlungsverfahren beendet ist.
Sind Gerichte und Ermittlungsbehörden überhaupt ausreichend ausgestattet, um mit zunehmenden Fallzahlen umzugehen?
Die besten Gesetze bringen nichts, wenn in den Revieren und Gerichten zu wenig Personal sitzt. Deswegen ist es gerade Ziel dieses Gesetzes, beim Bundeskriminalamt eine Sondereinheit mit 300 speziell geschulten Mitarbeitern aufzubauen, die für die Staatsanwaltschaften die eingehenden Meldungen aufarbeitet und filtert. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um vor allem die Zuständigkeiten korrekt zu klären. Ganz generell haben wir in dieser Wahlperiode mit dem Pakt für den Rechtsstaat als Bund den Ländern 220 Millionen Euro in Aussicht gestellt, wenn sie 2.000 zusätzliche Richter und Staatsanwälte einstellen. Sollte sich rausstellen, dass das nicht reicht, müssen wir Gespräch führen, um nachzusteuern.
Der Entwurf sieht vor, dass die sozialen Netzwerke in bestimmten Fällen auch das Passwort des betroffenen Nutzers herausgeben sollen. Warum?
Bei schweren Straftaten ist die Herausgabe eines Passworts sinnvoll und rechtsstaatlich vertretbar. Der Staat muss zum Schutz seiner Bürger alles tun, um solche Taten aufzuklären. Ich bin Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) dankbar, dass sie – auch auf Hinweis aus der SPD-Fraktion – in dem Entwurf gestrichen hat, dass es eine Herausgabe schon bei Ordnungswidrigkeiten geben soll, und klargestellt hat, dass das nur bei schweren Straftaten und nur nach ausdrücklicher Anordnung durch einen Richter möglich sein soll.
Passwörter werden meist verschlüsselt gespeichert und können gar nicht direkt herausgegeben werden. Sollen die Anbieter ihre Speicherpraxis ändern?
Nein, die Verschlüsselung bei den Betreibern muss auf jeden Fall erhalten bleiben. Allein schon deswegen, damit nicht irgendein durchgeknallter Mitarbeiter die Daten verkauft oder andere Dinge damit anstellt. Es wird deshalb eine ausdrückliche Passage in dem Gesetz geben, dass die Verschlüsselungspflicht bleibt.
Sie setzen also darauf, dass der Staat die verschlüsselten Passwörter gegebenenfalls selbst knacken könnte?
Genau. Es ist – zugegeben mit hohem Aufwand – unter Umständen möglich, verschlüsselte Passwörter zu knacken. Wir meinen, dass nach den Straftaten, die wir in den letzten Monaten leider erleben mussten, mit dem traurigen Höhepunkt von Hanau, Geld keine Rolle spielen darf, wenn es gilt, solche Taten aufzuklären. Da sollte der Staat nichts unversucht lassen.
Es sollen zudem Straftatbestände wie Bedrohung oder Beleidigung verschärft werden. Haben Sie die Hoffnung, dass das Signal beim Bürger ankommt?
Ja. Wir haben in der letzten Legislaturperiode etwa den Strafrahmen für Attacken auf Polizeibeamte verschärft. Die Polizei in meinem Wahlkreis berichtet, dass die Attacken deswegen spürbar zurückgegangen sind und die örtliche Staatsanwaltschaft dieses Gesetz mit aller Härte anwendet. Das spricht sich herum.
Mit dem Entwurf sollen auch Kommunalpolitiker besser geschützt werden. In jüngster Zeit mehren sich die Berichte über Angriffe und Anfeindungen etwa gegenüber ehrenamtlich tätigen Bürgermeistern. Sorgen Sie sich, dass in den Kommunen die Basis der Engagierten wegbricht?
Dass ist keine Sorge mehr, sondern Fakt. Wir haben die ersten ehrenamtlichen Kommunalpolitiker, die aus Angst um ihre Familien und ihre persönliche Sicherheit zurückgetreten sind. Wenn wir das hinnehmen würden, wäre das eine Kapitulation des Gesetzgebers. Deswegen ist das für mich einer der wichtigsten Teile dieses Entwurfs, dass wir den messbar zunehmenden Attacken, gerade von rechts, gegen engagierte Kommunalpolitiker strafrechtlich besser entgegentreten und sie so schützen, wie es bereits für Bundestags- und Landtagsabgeordnete der Fall ist.
Wie wollen Sie Menschen wie etwa Flüchtlingshelfer oder Feministinnen, die sich anderweitig politisch engagieren und ebenfalls Feindseligkeiten ausgesetzt sehen, schützen?
Die sind nach heutiger Rechtslage schon nicht schutzlos, es gibt ja Straftatbestände wie Bedrohung oder Beleidigung. Wir wollen aber im parlamentarischen Verfahren prüfen, ob wir die Schutznorm auf alle ausweiten, die sich etwa in Bürgerinitiativen politisch engagieren.
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin