Studie: 36 Todesopfer im Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer sowie 23 Todesopfer im Jahr vor dem Mauerfall.

Mindestens 36 DDR-Bürgerinnen und -Bürger kamen bei Fluchtversuchen im Jahr nach Beginn des Baus der Berliner Mauer am 13. August 1961 ums Leben; im Jahr vor dem Mauerfall am 9. November 1989 starben mindestens 23 Personen. Dies ist das Ergebnis eines noch laufenden Projekts des Forschungsverbunds SED-Staat der Freien Universität Berlin. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungskonsortiums gemeinsam mit den Universitäten Greifswald und Potsdam Todesfälle von DDR-Bürgerinnen und -Bürgern bei Fluchtversuchen über Ostblockstaaten und über die Ostsee sowie die Rechtsbeugung des DDR-Justizministeriums gegen Ausreisewillige. Das Teilprojekt des Forschungsverbundes SED-Staat befasst sich mit den Todesfällen von DDR-Bürgerinnen und -Bürgern an den Grenzen der osteuropäischen Anrainerstaaten des Eisernen Vorhangs, es wird geleitet von Prof. Dr. Klaus Schroeder und Dr. Jochen Staadt. Das Forschungsteam der Universität Greifswald wird von Prof. Dr. Hubertus Buchstein geleitet, die Forschungsgruppe an der Universität Potsdam von Prof. Dr. Manfred Görtemaker.

Den Recherchen des Forschungsverbunds SED-Staat zufolge starben bis August 1962, dem ersten Jahr nach dem Mauerbau, 23 Menschen in Berlin sowie 13 Menschen an der innerdeutschen Grenze bei dem Versuch, aus der DDR zu fliehen. Im Jahr 1989 kamen den Forscherinnen und Forschern zufolge in Berlin drei DDR-Flüchtlinge ums Leben. Die Zahl der Todesopfer bei Fluchtversuchen über osteuropäische Grenzen betrage mindestens 20; gestorben seien 16 Männer, drei Frauen und ein Kind:

  • Der 21-jährige Berliner Ralph-Peter Saurien verunglückte im April 1989 bei dem Versuch, die Grenze zur Tschechoslowakei (ČSSR) mit dem Auto zu durchbrechen, tödlich. Auch ein achtjähriger Berliner Junge kam im Mai 1989 in einem Fluchtfahrzeug an der ČSSR-Grenze ums Leben.
  • Der 19-jährige Michael Weber aus Leipzig wurde im Juli 1989 an der bulgarisch-griechischen Grenze erschossen.
  • Ein Offiziersschüler der Nationalen Volksarmee – der Armee der DDR –, der wegen geplanter Fahnenflucht über die ČSSR-Grenze inhaftiert war, erhängte sich im Juli 1989 in einer Arrestzelle in Löbau (Sachsen).
  • Der 36-jährige Kurt-Werner Schulz aus Weimar wurde bei einem Handgemenge mit einem ungarischen Grenzposten im August 1989 erschossen, als er sich bereits auf österreichischem Gebiet befand.
  • 14 Männer und zwei Frauen ertranken im September und Oktober 1989 bei Fluchtversuchen in den Grenzflüssen der Ostblockstaaten.
  • Eine 22-jährige DDR-Bürgerin, die in die Warschauer Botschaft der Bundesrepublik Deutschland flüchten wollte, sprang am 12. Oktober 1989 bei Trzciniec aus einem Zug der Deutschen Reichsbahn, der auf der Strecke von Zittau nach Görlitz polnisches Gebiet durchfährt; sie verunglückte tödlich.

„Zur Anzahl der Todesfälle an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze liegen wissenschaftliche Untersuchungen vor. Noch ungeklärt ist die Zahl der an den Grenzen des Eisernen Vorhangs und bei Fluchtversuchen durch die Ostsee ums Leben gekommenen DDR-Flüchtlinge“, erklärt Dr. Jochen Staadt von der Freien Universität. Durch gemeinsame Recherchen mit wissenschaftlichen Kooperationspartnern in den ehemaligen Ostblockstaaten konnte das Forschungsteam der Freien Universität Berlin bislang 91 Deutsche identifizieren, die im Zeitraum von 1948 bis 1989 bei Fluchtversuchen oder durch Gewaltakte an den Grenzen des Eisernen Vorhangs ihr Leben verloren, 256 Verdachtsfälle sind noch ungeklärt. Das Forschungsteam der Universität Greifswald ermittelte bislang 108 Todesfälle von DDR-Bürgerinnen und -Bürgern in der Ostsee, bei denen es sich den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge zweifelsfrei um gescheiterte Fluchtversuche handelte. In 106 Verdachtsfällen sprächen starke Indizien für gescheiterte Fluchten, weitere 192 Zweifelsfälle würden noch überprüft.

Untersuchungen des Forschungsverbunds SED-Staat hätten zudem ergeben, dass mehrere hundert Studentinnen und Studenten der Freien Universität sich nach dem 13. August 1961 an Fluchthilfeaktionen beteiligten. Bis Anfang Mai 1962 wurden 85 von ihnen bei solchen Hilfsaktionen gefasst und in Ost-Berlin inhaftiert.

Teilergebnisse der Berliner und Greifswalder Forschungsteams wurden bereits in ein digitales Handbuch eingepflegt, das online zugänglich ist. Das biografische Handbuch ist eine Open Encyclopedia System-Anwendung (OES), die vom Center für Digitale Systeme (CeDiS) der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin entwickelt wurde. Über darin enthaltene Landkartenausschnitte sowie eine Filter- und Volltextsuche kann in den bislang zugänglichen Biografien recherchiert werden. In das Handbuch sind Ausschnitte aus Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eingefügt. Zu einem späteren Zeitpunkt werden die vom CeDiS geführten und aufbereiteten Interviews in einem eigenen Zeitzeugenarchiv für wissenschaftliche und pädagogische Zwecke nutzbar sein.

Weitere Informationen

Zum Biografischen Online-Handbuch

https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/

Zur Internetseite des Forschungskonsortiums

https://www.eiserner-vorhang.de/

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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