Der in Berlin erscheinenden überregionalen Tageszeitung junge Welt entstehen nach eigener Darstellung durch die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz erhebliche Wettbewerbsnachteile. Verlag und Redaktion sehen in entsprechenden Aktivitäten des Inlandsgeheimdienstes zugleich einen drastischen Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Presse- und Meinungsfreiheit. Hintergründe dazu will die „junge Welt“ in ihrer heutigen Wochenendausgabe liefern.
In einem dort dokumentierten offenen Brief (siehe unten) wenden sich Redaktion, Verlag und jW-Genossenschaft an die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen. In dem Schreiben wird beklagt, dass »die junge Welt seit Jahren als einzige Tageszeitung im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz erwähnt wird« – eine Praxis die in anderen demokratisch verfassten Staaten unvorstellbar sei. Unter Berufung auf die Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst würden der jungen Welt im Rahmen ihrer aktuellen großangelegten Abokampagne durch regionale Nahverkehrsbetriebe Werbeflächen verweigert. Aber auch Vertriebsfirmen und Druckereien lehnten mit Hinweis auf die Nennung im jährlichen Verfassungsschutzbericht die Zusammenarbeit bzw. die Veröffentlichung von jW-Anzeigen ab. Dies stelle, heißt es in dem Schreiben, eine »Wettbewerbsverzerrung« zum Nachteil des Unternehmens dar, was »die wesentliche Absicht des Amtes« sei.
Die Bundestagsabgeordneten werden gebeten, zu dieser Einschränkung grundgesetzlich verbriefter Rechte Stellung zu beziehen und aufgefordert, mit ihrer Fraktion in dieser Sache aktiv zu werden.
Anlage:
Sehr geehrte
Frau Fraktionsvorsitzende,
sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender,
wir wenden uns heute aus aktuellem Anlass an Sie bzw. Ihre Fraktion. Wir betreiben seit über 25 Jahren das in diesen Zeiten besonders schwierige Geschäft der Herausgabe einer Tageszeitung. Es handelt sich dabei um die Tageszeitung junge Welt, die von Parteien, Institutionen oder anderen Organisationen völlig unabhängig ist. Eigentümer und Herausgeber ist eine Genossenschaft der Leserinnen und Leser der Zeitung, finanziert wird diese fast ausschließlich aus dem Verkauf des Produktes (also durch Erlöse aus Abonnement und Einzelverkauf), ein kleiner Teil des Umsatzes wird durch Shopverkauf, Veranstaltungen und Konferenzen erzielt.
Um auf dem umkämpften Zeitungsmarkt eine ökonomische Existenz sichern zu können, sind wir auf ein originelles und gut durchdachtes Marketingkonzept angewiesen. So investieren wir über crossmediale Werbung erhebliche Summen in diverse aufeinander abgestimmte Maßnahmen, um den notwendigen ökonomischen Effekt zu erzielen. Wir haben es so in den letzten Jahren geschafft, trotz der Branchenkrise unsere Verkäufe zu steigern. Wir setzen dabei zwar auch auf die Onlineausgabe, sind aber der Meinung, dass gedruckte Tageszeitungen für die politische Willensbildung unersetzlich und aus diversen Gründen wesentlich geeigneter sind als die meisten Internetportale.
Nun verhält es sich allerdings so, dass die junge Welt seit Jahren als einzige Tageszeitung im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz erwähnt wird. Dies halten wir für einen politischen Skandal, denn bei der jungen Welt handelt es sich nicht um eine politische Organisation, sondern um ein journalistisches Produkt. Es mag sein, dass einzelne Beiträge, Autoren der Zeitung bzw. die Positionen, die sie einnehmen, dem Dienst nicht gefallen. Tatsache bleibt aber, dass Genossenschaft und Verlag zunächst wirtschaftliche Unternehmen sind, die den ganz normalen Marktgesetzen und juristischen Kontrollmechanismen unterworfen sind. Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz nun den Umstand, dass ihm Inhalte der Zeitung nicht behagen, zum Anlass nimmt, die Zeitung an den Pranger zu stellen, ist das deshalb nicht nur ein massiver Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit, sondern auch in die Gewerbefreiheit. Denn durch die Nennung im Verfassungsschutzbericht entstehen der Verlag 8. Mai GmbH, in der die Zeitung erscheint, erhebliche Nachteile im Wettbewerb. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Art von Wettbewerbsverzerrung die wesentliche Absicht des Amtes ist.
Einige dieser wettbewerbsrechtlichen Behinderungen, die sich daraus ergeben, möchten wir Ihnen hier auflisten. Auch weil wir gerade aktuell davon betroffen sind:
– In verschiedenen Städten wird uns nicht gestattet, für unsere Werbemotive in öffentlichen Nahverkehrsmitteln (etwa U- und S-Bahnen, Straßenbahnen) entsprechende Plätze anzumieten. Begründung: Der Verlag wird vom Verfassungsschutz beobachtet.
– Die Deutsche Bahn AG weigert sich grundsätzlich, für die junge Welt Werbefläche (etwa in Bahnhöfen) gegen die übliche Bezahlung zur Verfügung zu stellen. Begründung: Der Verlag wird im Verfassungsschutzbericht genannt.
– Diverse Radiosender lehnen es aus gleichem Grund ab, bezahlte Radiospots auszusenden.
– Eine große Supermarktkette hat versucht, die junge Welt mit Hinweis auf den Verfassungsschutzbericht von den Zeitungsverkaufsflächen ihrer Filialen zu verbannen.
– Eine Druckerei in Esslingen hat sich in dieser Woche geweigert, eine bereits bezahlte und als fertige Druckdatei vorliegende Zeitschrift zu drucken – nur weil sie darin eine Anzeige der Tageszeitung junge Welt gefunden hat. Auch hier wird diese Weigerung ausdrücklich mit der Nennung der jungen Welt im Verfassungsschutzbericht begründet.
– An der Goethe-Universität in Frankfurt dürfen wir nicht dafür werben, die junge Welt am Kiosk zu kaufen. Auch hier wurde die Ablehnung der Anmietung von Werbeflächen mit der Nennung im Verfassungsschutzbericht begründet.
Schwierigkeiten bekommen wir auch beim Vertrieb unserer Zeitung:
– Immer wieder wird uns gemeldet, dass in öffentlichen Bibliotheken beim Versuch, auf die Webseite der jungen Welt zu kommen, eine „Forbidden“-Meldung auftaucht.
– Es gibt Meldungen, dass die junge Welt auf dem Index von Haftanstalten steht und an Abonnenten nicht ausgeliefert wird.
– Lehrer, die im Unterricht das Thema Tageszeitungen erwähnen und dabei auch auf die Tageszeitung junge Welt eingehen, bekommen Schwierigkeiten, gegen die sie sich juristisch wehren müssen.
Nicht nur einen politischen Skandal, sondern einen wettbewerblichen Nachteil
stellt es zudem dar, wenn Gesprächspartner und Autoren alleine durch den
Umstand, dass ihr Name in der Zeitung erscheint, mit Nachteilen rechnen müssen,
weil dies als gerichtsverwertbarer belastender Umstand gewertet werden
kann.Vergleichbare Umstände sind wohl in anderen europäischen Staaten
unvorstellbar.
Sehr geehrte Frau /Herr,
wir möchten Ihre Fraktion heute fragen: 1. Halten Sie dieses Vorgehen der Bundesbehörde gegen eine Tageszeitung mit dem im Grundgesetz verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit für vereinbar? 2. Halten Sie es für hinnehmbar, dass der Tageszeitung junge Welt die erwähnten wesentlichen Einschränkungen im Wettbewerb auferlegt werden, nur weil einem Amt die in der Zeitung vertretene Meinung nicht passt? 3. Sehen Sie eine Möglichkeit, wie Ihre Fraktion in dieser Sache aktiv werden könnte?
Mit freundlichen Grüßen
Dietmar Koschmieder
Geschäftsführung Verlag 8. Mai GmbH
Stefan Huth
Chefredaktion Tageszeitung junge Welt
Simon Zeise
Vorsitzender der LPG junge Welt eG
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin
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