Türkei: Abbau der Demokratie seit gescheitertem Putschversuch.

Zu den Urteilen gegen laut Medienberichten Hunderte Angeklagte im Hauptverfahren zum gescheiterten Putschversuch in der Türkei vom 15. Juli 2016 erklären Cem Özdemir und Claudia Roth:

„Heute wurden in Ankara Medienberichten zufolge Hunderte Angeklagte zu lebenslangen Haftstrafen für ihre vermeintliche Beteiligung am gescheiterten Putsch 2016 verurteilt. Von einer Herstellung von Gerechtigkeit kann jedoch keine Rede sein, die Verfahren sind Ausdruck einer demonstrativ politischen Justiz. Viereinhalb Jahre später ist über die Hintergründe des Putsches weiterhin vieles unklar. Die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses wurde mit der Mehrheit der Regierungspartei AKP regelrecht blockiert, ein Abschlussbericht des Ausschusses verhindert. Damit wurde eine belastbare Aufarbeitung der Geschehnisse der Nacht vom 15. Juli 2016 aktiv behindert.

Seit dem demokratiefeindlichen Umsturzversuch von Teilen des türkischen Militärs geht die türkische Regierung massiv gegen Hunderttausende Personen vor, denen sie Verbindungen zur Gülen-Bewegung unterstellt. Im ganzen Land kam es zu Säuberungen im staatlichen Dienst, Massenentlassungen und Inhaftierungen ohne rechtliche Grundlage. Nicht nur wurden die sogenannten Gülenist*innen verfolgt, verhaftet und verurteilt, auch viele Kritiker*innen der Politik von Präsident Erdogan, darunter zahlreiche zivilgesellschaftliche und menschenrechtspolitische Aktivist*innen wie Osman Kavala und Oppositionspolitiker*innen von der HDP und CHP. Der Putschversuch und die darauffolgende Reaktion von Präsident Erdogan haben der türkischen Demokratie und Zivilgesellschaft nachhaltig geschadet.

Im Dezember stehen weitere Verfahren gegen zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Menschenrechtsaktivist*innen an. Darunter Erin Keskin, der bis zu 15 Jahre Haft drohen, und Osman Kavala, der seit über drei Jahren inhaftiert ist, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Freilassung angeordnet hat.

In der Türkei wird nur eine Perspektive auf den Putsch und den Umgang damit erlaubt und zugelassen – die der AKP. Auch im Ausland propagiert die türkische Regierung ihre Sicht auf den Putsch vehement. Die demokratische Öffentlichkeit in der Türkei und auch der EU erwartet eine transparente Aufarbeitung der Putschvorgänge und einen rechtsstaatlich überzeugenden Prozess der Verfolgung und Bestrafung von Beteiligten. Dies muss eingelöst werden und die EU dafür eintreten, die Einschränkungen von Menschen- und Bürgerrechten in der Türkei wirksam anzumahnen. Bisher wurden die vorhandenen wirtschaftspolitischen Instrumente der EU dafür nicht eingesetzt. Angesichts der eingefrorenen EU-Beitrittsverhandlungen sind diese Instrumente aber das einzige Druckmittel, das die türkische Regierung zum Einlenken bewegen und einer wertebasierten EU-Politik Ausdruck verleihen kann.“

Fotoquellen/Collage: TP Presseagentur Berlin

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