Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021 (III ZR 179/20) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen, unwirksam, weil sie kein Verfahren vorsehen, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Der Pressesenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) hat mit dem heute verkündeten Urteil nunmehr entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann und, wenn diese zu keiner anderen Bewertung führt, der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen kann. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag.
Die Beklagte
ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger
stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im
November 2018 postete er im Zusammenhang mit einem Artikel über die
gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft,
in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u.a.: „Solange
diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung?
Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem
vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte
daraufhin vor dem Landgericht unter anderem die Freischaltung des gelöschten
Beitrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Berufung hat auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der
Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts.
Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die
Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur
Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den
Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u.a. „Angriffe durch eine
gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über
Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“.
Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch
das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst
werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards
vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die
Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang
miteinander“ enthalten.
Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede.
Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unwirksam.
Die Beklagte
sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die
Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung
ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit
der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen
Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über
diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer
über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und im Gelegenheit zur
Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen
Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit
nachträglich geheilt worden.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat wegen grundsätzlicher
Bedeutung die Revision zum BGH u.a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf
Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen.
Oberlandesgericht
Frankfurt am Main, Urteil vom 30.06.2022, Az. 16 U 229/20
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 03.09.2020, Az. 2-03 O
282/19)
Die Entscheidung ist in Kürze unter www.rv.hessenrecht.hessen.de abrufbar.