Liegt die Wahrscheinlichkeit für eine postoperative Komplikation bei einem Wert bis zu 20%, stellt die Formulierung „vereinzelt“ keine zur Unwirksamkeit der Aufklärung führende Verharmlosung dar. Behandlungsrisiken müssen nicht mit genauen Prozentzahlen oder aber den für Beipackzettel geltenden Formulierungen umschrieben werden, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichtem Urteil.
Der Kläger rutschte auf seinem Betriebsgelände bei Glatteis aus und stürzte auf den rechten Arm. Zur Behandlung begab er sich in die Hände der Beklagten (Klinikum und Arzt). Es wurde ein Oberarmschaftbruch diagnostiziert. Die Aufklärung über mögliche Operationsmethoden erfolgte u.a. anhand eines Aufklärungsformblattes mit bildlichen Darstellungen. Unter der Rubrik „Komplikationen“ wurde darauf hingewiesen, dass „vereinzelt“ Zwischenfälle etwa die Bildung eines so genannten Falschgelenks auftreten könnten, die weitere Behandlungsmaßnahmen erforderten. Der Kläger wurde nachfolgend im Wege der sog. Humerus-Nagelung operiert, die jedoch nicht zum Verheilen des Bruches führte. Es bildete sich ein sog. Falschgelenk. Nach erneuter Operation unter Anwendung einer anderen Methode verheilte die Fraktur.
- Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung der Eintrittspflicht für entstandene und zukünftige Schäden wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe keinen Behandlungsfehler der Beklagten nachweisen können, stellte das OLG fest. Der von den Gerichten beauftragte Sachverständige habe vielmehr überzeugend deutlich gemacht, dass die Art der Versorgung des Bruches keine Auswirkungen auf die Bildung eines Falschgelenks gehabt habe.
Die Einwilligung des Klägers in den zunächst vorgenommenen Eingriff sei auch nicht mangels ordnungsgemäßer Aufklärung unwirksam. Insbesondere sei das mit „vereinzelt“ angegebene Risiko der Falschgelenkbildung in dem Aufklärungsbogen nicht verharmlost worden. Das Risiko der Bildung eines Falschgelenks liege nach Angaben des Sachverständigen bei ca. 20 % aller Fälle. Die Formulierung „vereinzelt“ bezeichne nach dem hier maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch „eine gewisse Häufigkeit, die zumindest kleiner als „häufig“ ist.“ Genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen hinsichtlich eines Behandlungsrisikos müssten nicht mitgeteilt werden. Die verbalen Risikobeschreibungen in ärztlichen Aufklärungsbögen richteten sich auch nicht nach den Häufigkeitsdefinitionen (gelegentlich, selten, sehr selten etc.) in Medikamentenbeipackzetteln des MedDRA (Medical Dicitionary for Regulatory Activities). „Nach dem all gemeinen Sprachgebrauch kann man ein in etwa in jedem fünften Fall eintretendes Risiko durchaus noch als „vereinzelt“ bezeichnen“, fasst das OLG zusammen.
Die Beklagten hätten auch nicht versäumt, den Kläger über alternative gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären. Der Sachverständige habe vielmehr verdeutlicht, dass die vom Kläger bevorzugte so genannte Plattenosteosynthese keine gleich wertige Behandlungsmöglichkeit gewesen wäre. Im Übrigen wäre diese Behandlungs variante mit einem vergleichbaren Risiko für eine Falschgelenkbildung verbunden ge wesen. Schließlich habe der Kläger jedenfalls nicht bewiesen, dass die vorgenommene Behandlung für den geltend gemachten Schaden ursächlich geworden sei. Er hätte dar legen und beweisen müssen, dass bei pflichtgemäßem Handeln der Schaden verhindert worden wäre. Dies sei ihm nicht gelungen. Vielmehr habe der Sachverständige deutlich gemacht, dass bei jeder Behandlungsmethode aufgrund der Risikofaktoren des Klägers ein vergleichbar hohes Risiko für eine Falschgelenkbildung bestanden habe.
Das Urteil kann in Kürze im Volltext unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abgerufen werden.
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, Urteil vom 26.03.2019, Az. 8 U 219/16
(vorausgehend Landgericht Gießen, Urteil vom 05.10.2016, Az. 2 O 166/15)