„Völkerrecht stärken Menschenrechte durchsetzen“.

Stellungnahme des European Centers for Constitutional and Human Rights (ECCHR) zum Ukrainekrieg.
BERLIN, 28. FEBRUAR 2022.
Die russische Invasion in das ukrainische Staatsgebiet ist eine eklatante Verletzung des Völkerrechts und in keiner Weise zu rechtfertigen. Wie die Deutsche Gesellschaft für internationales Recht zurecht erklärt, stellen die Argumente Russlands einen Missbrauch der Sprache des Völkerrechts und juristisch nicht haltbare Positionen dar.

Der Angriffskrieg Russlands mit der Beteiligung Belarus’ und die damit einhergehenden massiven Angriffe auf die Zivilbevölkerung verletzen völkerrechtliche Grundprinzipien und erfüllen den Tatbestand der Aggression, ein Kernverbrechen des Völkerstrafrechts. Die zudem derzeit zu beobachtenden Kriegsverbrechen müssen dokumentiert und untersucht, die Verantwortlichen möglichst strafrechtlich verfolgt werden. Sanktionen müssen im Einklang mit völkerrechtlichen Mindeststandards effektiv und global koordiniert verhängt werden, um weitere Rechtsverletzungen zu verhindern. Die Ukraine hat bereits den Internationalen Gerichtshof angerufen. Weil die Ukraine außerdem Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ist und das Weltrechtsprinzip Ermittlungen in mehreren europäischen Staaten, darunter Deutschland, erlaubt, wird der Krieg auch Gegenstand völkerstrafrechtlicher Verfahren werden. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) exploriert derzeit, inwieweit es sich an solchen Initiativen beteiligt.

Angesichts der humanitären Katastrophe, die sich in diesen Tagen abzeichnet, muss der Schutz der Zivilbevölkerung und das Freihalten von Fluchtwegen an erster Stelle stehen. Wir begrüßen die derzeitige Vereinfachung der Einreise von Geflüchteten aus der Ukraine in die EU und fordern, dass diese Praxis auf alle Menschen, die Schutz in Europa suchen, ausgeweitet wird. Rassistische Diskriminierungen an den Grenzübergängen, wie aktuell von mehreren Medien berichtet, müssen sofort unterlassen werden.

Wir zeigen uns ebenso solidarisch mit den Zivilgesellschaften in Russland und Belarus, die trotz Repression mit großem Mut gegen den Krieg auf die Straße gehen. Sie müssen geschützt und die gewaltsamen Verletzungen ihrer Freiheitsrechte rechtlich untersucht werden.

In den letzten Tagen und Wochen wurde viel und aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Völkerrecht verwiesen – berechtigterweise verurteilten zahlreiche Staaten und Politiker*innen die gravierenden Rechtsbrüche seitens Russland, darunter allerdings auch Vertreter*innen von Staaten, die seit Jahren an der Schwächung von menschenrechts- und völkerrechtsschützenden Institutionen mitgewirkt haben oder deren Arbeit sogar mit Sanktionen und Finanzentzug bedrohten. Die Antwort auf die gegenwärtige Krise muss dennoch die Stärkung der Menschenrechte und die Weiterentwicklung des Völkerrechts umfassen. Eine militärische Lösung zwischen Atommächten wäre ebenso fatal wie eine Rückkehr zur Kalten-Krieg-Konfrontation, denn letztere würde alle globalen Bemühungen, die bevorstehenden sozialen und ökologischen Herausforderungen wie Pandemien und Klimawandel zu lösen, zunichtemachen.

Die internationale Ordnung ist nicht erst seit einer Woche in der Krise. Das Unvermögen globaler Institutionen, Menschenrechte in allen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereichen hinreichend zu schützen und zu fördern, sehen wir in vielen Regionen der Welt. Jetzt werden die Auswirkungen einer auf Militarisierung und Konfrontation basierten Weltordnung in einem so schrecklichen Ausmaß nicht nur in Syrien, im Jemen oder in Afghanistan, sondern auch in Europa sichtbar. Deswegen ist zu hoffen, dass Forderungen zur Stärkung des Völkerrechts und Reformen in den Vereinten Nationen endlich umgesetzt werden. Eine dringliche Aufgabe ist die Reform des UN-Sicherheitsrats hin zu einem arbeitsfähigen und demokratischen Gremium. Seine gegenwärtige handlungsunfähige Zusammensetzung, mit den Vetorechten einzelner Großmächte, sollte keine Zukunft mehr haben.

Es besteht die Gefahr, dass die Entwicklungen in der Ukraine zu mehr Militarisierung, Nationalismus und der dystopischen Aufteilung der Welt in sogenannte Machtsphären ohne Rücksicht auf Demokratie und Grundrechte führt. Wir fordern demgegenüber globale Solidarität und mehr zivilgesellschaftliche Kooperation, mehr Achtung für die politischen und sozialen Menschenrechte und die Stärkung des Völkerrechts ein, um uns aus diesem schmerzlichen Tiefpunkt heraus eine gerechtere und friedliche Welt zu entwickeln. 

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