Wehrdienst: „Freiwilligkeit wird nicht ausreichen“.

Verteidigung/Anhörung.

Berlin: (hib/AW). Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für das geplante Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (21/1853) ist in einer öffentlichen Anhörung des Verteidigungsausschusses bei der deutlichen Mehrheit der geladenen Sachverständigen auf viel Skepsis und Kritik gestoßen – allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Sowohl der Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Potsdam als auch der Vorsitzende des Deutschen Bundewehrverbandes, Oberst André Wüstner, bezweifelten, dass die von der Bundesregierung im Gesetzentwurf angestrebte Truppenstärke der Bundeswehr von 260.000 aktiven Soldaten und weiteren 200.000 Reservisten ausreichen wird, die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber der Nato und den Kräftebedarf im sogenannten „Operationsplan Deutschland“ zu erfüllen. Die genannten Zahlen seien „diffus“ und das Verteidigungsministerium sei bislang eine „schlüssige Ableitung dieser Berechnung schuldig geblieben“, kritisierte Neitzel.

Auch Wüstner bemängelte, dass es sich bei der erfolgten Festsetzung des Verteidigungsumfangs lediglich um eine „erste grob geschätzte Ableitung“ handele, die nicht auf einem „politisch gebilligten neuen Fähigkeitsprofil“ für die Streitkräfte beruhe. Nach Einschätzung Wüstners dürfte der benötigte Umfang der aktiven Truppe eher oberhalb von 300.000 Soldaten liegen.

Der Leiter des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr, Generalleutnant Robert Karl Sieger, verwies darauf, dass das Verteidigungsministerium den anvisierten konkreten Truppenaufwuchs bis zum Frühjahr 2026 vorlegen werde. Dies bezeichnete Neitzel als „absurd“. Die neuen Anforderungen der Nato seien doch im Grunde seit langem bekannt.

Neitzel und Wüstner bezweifelten ebenso wie Generalleutnant a.D. Joachim Wundrak zudem, dass es der Bundeswehr gelingen wird, den angestrebten Truppenumfang allein aus Freiwilligen rekrutieren zu können. Die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 sei „ein großer strategischer Fehler“ gewesen. Schon jetzt sei absehbar, dass auch die geplante Steigerung der Attraktivität des Dienstes – etwa durch eine Erhöhung des Soldes oder Zuschüsse zum Erwerb des Führerscheins – nicht ausreichen werde, um genügend Freiwillige zu rekrutieren. Die Reaktivierung der Wehrpflicht für alle Männer sei deshalb „unabdingbar“, sagte Wundrak. Er plädierte für einen dreimonatigen Grundwehrdienst. Dies würde zumindest ausreichen, um den Bedarf an Soldaten für Sicherungsaufgaben im Rahmen der Territorialverteidigung zu decken. Die Wehrpflichtigen dürften allerdings nur im Inland eingesetzt werden.

Neitzel sprach sich für die Einführung einer Auswahlwehrpflicht nach schwedischem Vorbild aus, bei dem verpflichtend zum Militärdienst eingezogen wird, wenn sich nicht genügend Freiwillige zum Dienst melden. Auch Wüstner präferierte dieses Modell. Auf jeden Fall müsse bereits jetzt im Gesetz ein Mechanismus verankert werden, um Wehrpflichtige einzuziehen, wenn sich nicht ausreichend Freiwillige melden. Er verwies zudem darauf, dass sich das Personalproblem der Bundeswehr weder mit Freiwilligen noch mit Wehrpflichtigen, die nur wenige Monate dienen, lösen lasse. Die größte Herausforderung liege im Bereich der Zeit- und Berufssoldaten, „den Profis“ argumentierte Wüstner. Die Personalstruktur der Bundeswehr müsse entsprechend umgebaut werden.

Auch Neitzel bescheinigte, dass die Bundeswehr deutlich überaltert sei und lediglich 50 Prozent der Truppe mit dem eigentlichen Kernauftrag beschäftigt sei, die übrigen 50 Prozent seien vor allem in Stäben, Behörden und Ämtern eingesetzt. Angesprochen auf das Problem der Wehrgerechtigkeit bei einer Auswahlwehrpflicht führte Neitzel an, dass in Friedenszeiten die Wehrgerechtigkeit noch nie gegeben gewesen sei. Es seien stets weniger junge Männer zum Dienst gezogen worden, als zur Verfügung gestanden hätten.

Im Gegensatz zu Neitzel, Wüstner und Wundrak argumentierte Generalleutnant Sieger, dass die Bundeswehr das Potenzial an Freiwilligen noch nicht ausgeschöpft habe. So seien in den vergangenen zwei Jahren die Bewerberzahlen und die Zahl der Einstellungen auf einen Höchstwert angestiegen. In den Jahren davor sei der Einbruch der Bewerberzahlen vor allem mit der Corona-Pandemie zu erklären. Durch die geplanten Maßnahmen zur Steigerung des Wehrdienstes könne es gelingen, mehr Freiwillige für die Bundeswehr zu gewinnen. Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre ließe sich ableiten, dass die Freiwilligen vor allem auf eine heimatnahe Verwendung und auf einen „sinnstiftenden Dienst“ Wert legten.

Massive Kritik am Gesetzentwurf der Regierung beziehungsweise an dessen Zustandekommen übten Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, und die Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendringes e.V., Daniela Broda. Übereinstimmend bemängelten sie, dass bei der Formulierung des Gesetzentwurfes die Bedürfnisse junger Menschen in Deutschland nicht berücksichtigt und deren Vertreter nicht angehört worden seien. Dabei habe man bei der Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen etwa im Bundesfamilienministerium sehr gute Erfahrungen mit der Beteiligung von Jugendverbänden gemacht, führte Broda aus. Gärtner forderte: „Wir müssen gehört werden! Punkt.“ Er verwies darauf, dass die Jugendlichen in Deutschland sehr wohl bereit seien, einen Dienst für die Gesellschaft zu leisten. Doch darauf würden sie im aktuellen Bildungssystem nicht vorbereitet. „Die Resilienz der Gesellschaft wird nachhaltiger und stabiler sein, wenn junge Menschen nicht ausschließlich als Ausputzer für Entwicklungen betrachtet werden, die sie nicht zu verantworten haben“, sagte Gärtner. Er forderte ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Förderung junger Menschen vorrangig in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Broda mahnte an, dass die Jugendlichen nicht nur über einen möglichen freiwilligen Wehrdienst informiert werden, sondern auch über gleichwertige Dienste im zivilen Bereich.

v.l.: Sönke Neitzel, André Wüstner

Fotoquellen: TP Presseagentur Berlin

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