Winterprognose 2017: Europas Wirtschaft zeige sich widerstandsfähig.

Kritik von der Linksfraktion im Bundestag.

Laut EU-Kommission habe sich die europäische Wirtschaft trotz der zahlreichen Schocks des vergangenen Jahres als widerstandsfähig erwiesen. Die Arbeitslosigkeit und die Haushaltsdefizite gingen zurück. Auch in diesem und im kommenden Jahr dürfte sich die wirtschaftliche Erholung fortsetzen: Zum ersten Mal seit fast zehn Jahren soll die Wirtschaft in allen EU-Mitgliedstaaten über den gesamten Prognosezeitraum (d. h. 2016, 2017 und 2018) wachsen. Allerdings seien diese Aussichten mit ungewohnt großer Unsicherheit behaftet – bedingt unter anderem durch den Kurs der neuen US-Regierung, die Verhandlungen über den Brexit und die in diesem Jahr in vielen Ländern Europas  anstehenden Wahlen.

Das reale BIP im Eurogebiet sei in 15 aufeinanderfolgenden Quartalen gewachsen, die Beschäftigung steige in robustem Tempo und die Arbeitslosigkeit gehe weiter zurück, wenngleich sie nach wie vor über ihrem Vorkrisenstand liege. Angetrieben würde diese Erholung nach wie vor durch den privaten Verbrauch. Das Investitionswachstum setze sich fort, bleibe aber gedämpft.

In ihrer heute vorgelegten Winterprognose geht die Europäische Kommission für die Jahre 2017 und 2018 von einem BIP-Wachstum im Eurogebiet von 1,6 bzw. 1,8 Prozent aus. Dies stelle gegenüber der Herbstprognose (2017: 1,5, 2018: 1,7 Prozent) eine leichte Aufwärtskorrektur dar, die auf die unerwartet gute Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte 2016 und den recht robusten Jahresbeginn 2017 zurückzuführen sei. In der EU insgesamt dürfte das BIP-Wachstum einem ähnlichen Muster folgen und der Prognose zufolge im laufenden wie im kommenden Jahr bei 1,8 Prozent liegen (in der Herbstprognose war für 2017 von 1,6 und für 2018 von 1,8 Prozent ausgegangen worden).

Diese Projektionen seien mit außergewöhnlich hohen Risiken behaftet und wenngleich sich die Aufwärts- und Abwärtsrisiken beide erhöht haben, dürften im Ergebnis doch weiterhin die Abwärtsrisiken dominieren.

Der für den Euro und den sozialen Dialog zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis, außerdem zuständig für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion, erklärte: Die wirtschaftliche Erholung geht ins fünfte Jahr. In diesen unsicheren Zeiten ist es jedoch wichtig, dass die europäischen Volkswirtschaften konkurrenzfähig bleiben und in der Lage sind, sich sich ändernden Zeiten. Dafür braucht es weiterhin Anstrengungen für Strukturreformen. Wir müssen uns auf integratives Wachstum konzentrieren, so dass alle etwas von der Erholung haben. Jetzt da die Inflation von einem niedrigen Niveau steigt, können wir nicht erwarten, dass der monetäre Stimulus für immer andauern wird. Daher müssen Länder mit hohen Defizit- und Schuldenniveaus weiter daran arbeiten, diese zu senken, um widerstandsfähig gegen wirtschaftliche Schocks zu sein.

Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, fügte hinzu: „Die europäische Wirtschaft hat sich trotz der zahlreichen Schocks des vergangenen Jahres als widerstandsfähig erwiesen. Das Wachstum hält an und Arbeitslosigkeit und Haushaltsdefizite gehen zurück. Angesichts der überaus großen Unsicherheit ist es jedoch wichtiger denn je, dass wir das Wachstum mit allen uns zur Verfügung stehenden politischen Instrumenten stützen. Vor allem aber müssen wir sicherstellen, dass der daraus erwachsende Nutzen überall im Euroraum und in allen Teilen der Gesellschaft ankommt.“

Die weltwirtschaftliche Erholung wird voraussichtlich an Dynamik gewinnen

Für die fortgeschrittenen Volkswirtschaften außerhalb der EU hätten sich die Wachstumsaussichten über die letzten Monate verbessert. Dies sei zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass für die Vereinigten Staaten ein Fiskalimpuls erwartet wird, was bereits einen Anstieg der langfristigen Zinsen und eine Aufwertung des US-Dollar bewirkt habe. Auch für die Schwellenländer werde bis 2018 mit einem anziehenden Wachstum gerechnet, auch wenn dies je nach Land und Region unterschiedlich stark ausfallen dürfte. Alles in allem könnte dies die europäischen Waren- und Dienstleistungsexporte nach einem schwachen Jahr 2016 ankurbeln.

Inflation dürfte ansteigen

Mit dem jüngsten Anstieg der Energiepreise habe auch die Inflation im Eurogebiet angezogen. Nachdem die Inflation in den vergangenen zwei Jahren ausgesprochen niedrig war, werde nun für das laufende und das kommende Jahr ein Inflationsanstieg prognostiziert, wenngleich das als Preisstabilität definiert Ziel einer Inflation von „mittelfristig unter, aber nahe 2 Prozent“ auch weiterhin nicht erreicht wird. Die Kerninflation, bei der die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise unberücksichtigt bleiben, soll nur allmählich ansteigen. Alles in allem wird erwartet, dass sich die Inflation im Eurogebiet von 0,2 Prozent im Jahr 2016 auf 1,7 Prozent im Jahr 2017 und 1,4 Prozent im Jahr 2018 erhöhen wird. In der EU insgesamt soll sie von 0,3 Prozent im Jahr 2016 auf 1,8 Prozent im Jahr 2017 und 1,7 Prozent im Jahr 2018 ansteigen.

Binnennachfrage weiterhin wichtigster Wachstumsmotor

Gestützt auf die anhaltende Verbesserung der Beschäftigungslage und den Anstieg des Nominallohnwachstums soll der private Verbrauch auch weiterhin der Hauptwachstumsmotor bleiben. Angesichts der steigenden Inflation, die dem Wachstum der Kaufkraft der privaten Haushalte im laufenden und kommenden Jahr Grenzen setzen wird, dürfte sich das Wachstum des privaten Verbrauchs allerdings abschwächen.

Bedingt durch eine Reihe von Faktoren, wie die ausgesprochen niedrigen Finanzierungskosten und die anziehende Weltwirtschaft, wird für die Investitionen auch weiterhin ein moderater Anstieg prognostiziert. Zunehmend gestützt werden dürften die privaten und öffentlichen Investitionen durch die im Rahmen der Investitionsoffensive für Europa finanzierten Projekte, da diese allmählich von der Bewilligungs- in die Implementierungsphase übergehen. Der Prognose zufolge sollen die Investitionen im Eurogebiet im laufenden Jahr um insgesamt 2,9 Prozent und 2018 um insgesamt 3,4 Prozent (in der EU um 2,9 bzw. 3,1 Prozent) ansteigen, was seit Einsetzen der wirtschaftlichen Erholung Anfang 2013 einen Anstieg um 8,2 Prozent bedeuten würde. Allerdings bleibt die Investitionsquote nach wie vor deutlich unter ihrem Stand zur Jahrhundertwende (20 Prozent im Jahr 2016 gegenüber 22 Prozent im Zeitraum 2000-2005). Diese anhaltende Investitionsschwäche lässt Zweifel an der Nachhaltigkeit der Erholung und dem Wachstumspotenzial der Wirtschaft aufkommen.

Weiteres Beschäftigungswachstum trägt zum Abbau der Arbeitslosigkeit bei

Nach den umfangreichen Strukturreformen in mehreren Mitgliedstaaten profitierten die Arbeitsmärkte auch weiter stark von der wirtschaftlichen Erholung. Das Beschäftigungswachstum soll nach wie vor relativ solide bleiben, wenngleich es 2017 und 2018 im Vergleich zum Vorjahr leicht an Dynamik verlieren soll. Die Erwerbslosenquote im Eurogebiet soll weiter zurückgehen und sich von 10,0 Prozent im Jahr 2016 auf 9,6 Prozent im laufenden Jahr und 9,1 Prozent im Jahr 2018 abschwächen. Für die EU insgesamt wird mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit von 8,5 Prozent im Jahr 2016 auf 8,1 Prozent im Jahr 2016 und 7,8 Prozent im Jahr 2018 gerechnet. Damit hat die Arbeitslosigkeit den niedrigsten Stand seit 2009 erreicht, bleibt aber weiterhin über dem Vorkrisenniveau.

Staatsverschuldung und öffentliche Defizite gehen zurück

Sowohl das aggregierte öffentliche Defizit des Euroraums als auch seine Schuldenquote würden 2017 und 2018 voraussichtlich weiter zurückgehen. Beim öffentlichen Defizit im Euroraum wirde ein Rückgang von 1,7 Prozent des BIP im letzten Jahr auf 1,4 Prozent in den Jahren 2017 und 2018 erwartet. Dieser Rückgang sei auf die geringeren Zinsausgaben aufgrund der außergewöhnlichen Niedrigzinsen zurückzuführen. Außerdem spiegelt er weitere Verbesserungen am Arbeitsmarkt wider: Mehr Menschen zahlten Steuern und Abgaben, weniger erhalten soziale Transferleistungen. Die Schuldenquote werde voraussichtlich von 91,5 Prozent im Jahr 2016 allmählich auf 90,4 Prozent im Jahr 2017 und 89,2 Prozent im Jahr 2018 zurückgehen.

In allen Mitgliedstaaten wächst die Wirtschaft

Zum ersten Mal seit 2008 wird in der Kommissionsprognose davon ausgegangen, dass im gesamten Prognosezeitraum (2016-2018) in allen EU-Mitgliedstaaten die Wirtschaft wachsen wird. Selbst die Mitgliedstaaten, die am stärksten unter der Rezession gelitten haben, dürften im vergangenen Jahr erneut Wachstum verzeichnet haben. Allerdings könnten die Aufwertung des US-Dollar und höhere langfristige Zinsen die Unterschiede zwischen den Wachstumsraten der einzelnen Mitgliedstaaten vergrößern.

Winterprognose mit außerordentlich hohen Risiken behaftet

Da noch nicht ganz klar ist, welchen Weg die neue amerikanische Regierung in zentralen Politikbereichen einschlagen will, in diesem Jahr in Europa zahlreiche Wahlen stattfinden und die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich im Rahmen des Artikels 50 bevorstehen, ist die diesjährige Winterprognose mit außergewöhnlich großer Unsicherheit verbunden.

Auch wenn sowohl die Aufwärts- als auch die Abwärtsrisiken zugenommen haben, dominieren doch weiterhin die Abwärtsrisiken. Kurzfristig könnte sich der Konjunkturimpuls in den Vereinigten Staaten stärker auf das Wachstum auswirken als derzeit erwartet. Mittelfristig stellen die Spätfolgen der jüngsten Krisen, das im Vereinigten Königreich durchgeführte Referendum zum Austritt aus der Europäischen Union, die möglichen Störungen des Handels, eine schnellere Verschärfung der Geldpolitik in den Vereinigten Staaten und die damit möglicherweise einhergehenden schädlichen Auswirkungen auf die Wirtschaft von Schwellenländern wie auch die möglichen Folgen des hohen und weiter wachsenden Schuldenstands Chinas ein Risiko für die Wachstumsaussichten dar.

Hintergrund

Diese Prognose basiert auf einer Reihe von externen Annahmen in Bezug auf Wechselkurse, Zinssätze und Rohstoffpreise mit Stichtag 1. Februar 2017. Die verwendeten Zahlen spiegeln die zum Zeitpunkt der Prognose von Derivatemärkten abgeleiteten Markterwartungen wider. Bei allen anderen herangezogenen Daten, auch den Annahmen zu staatlichen Maßnahmen, wurden in dieser Prognose Informationen bis einschließlich 1. Februar 2017 berücksichtigt. Einbezogen wurden nur glaubhaft angekündigte und hinreichend bekannte Maßnahmen. Den Prognosen liegt die Annahme einer unveränderten Politik zugrunde.

Weitere Informationen:

Winterprognose

Winterprognose für Deutschland

Kritik von der Linksfraktion im Bundestag.

Abwärtsrisiken sind selbstverschuldet.

„Die EU-Kommission hebt zwar die Wirtschaftsprognose für die EU und auch für Deutschland an, sieht aber erhebliche Abwärtsrisiken. Diese Abwärtsrisiken für die deutsche Wirtschaft sind selbstverschuldet von Schröder, Merkel und Co.: Viel zu lange wurde einseitig auf ein exportfixiertes Wirtschaftsmodell für Deutschland gesetzt. Dass mittlerweile die Binnennachfrage die tragende Säule der Wirtschaftsentwicklung hierzulande ist, heißt nicht, dass nicht noch mehr für die Binnennachfrage getan werden muss“, kommentierte der wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundesatg, Michael Schlecht, die Winterprognose der EU-Kommission zur wirtschaftlichen Entwicklung in der EU.

Schlecht weiter:

„Der erneute Rekord-Exportüberschuss Deutschlands zeigt wieder einmal, dass wir auch weiterhin eine zu schwache Binnennachfrage haben. Um sie zu stärken, müssen die private Kaufkraft stimuliert und die öffentlichen Investitionen massiv ausgeweitet werden. Erhöhung des Mindestlohns, Verbesserung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften durch ein Verbot des Missbrauchs von Leiharbeit und sachgrundlosen Befristungen sowie eine steuerliche Entlastung geringer und mittlerer Einkommen sind nur einige Stichworte zur Stärkung der Einkommen.

Erforderlich ist zudem ein Sofortprogramm von 25 Milliarden Euro im Jahr für sowieso dringend benötigte öffentliche Investitionen. Beispielsweise fehlen bundesweit fast vier Millionen Sozialwohnungen. Neben dem Erhalt bestehender Wohnungen braucht es daher einen Neustart des sozialen Wohnungsbaus: In den nächsten vier Jahren müssen eine Million neue Sozialwohnungen entstehen, dauerhaft und bezahlbar.“

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