„Wir alle sind schon miteinander dabei verbunden, dass wir dauerhaft zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben“.

Bundeskanzler Scholz hat in Paris an den Beratungen zur Unterstützung für die Ukraine teilgenommen. Im Anschluss an die Gespräche betonte er: „Wir müssen die Ukraine weiterhin unterstützen. Sie muss und kann sich auf uns und darauf verlassen, dass das der Fall sein wird.“

Bundeskanzler Olaf Scholz:

Guten Tag! Wir haben uns heute zusammengefunden, um unter einigen europäischen Staats- und Regierungschefs zu diskutieren, wie wir mit der weiteren Situation mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine umgehen wollen, aber auch im Hinblick auf europäische Sicherheit und unsere eigene Stärke. Das ist wichtig, auch wenn das nicht das Format ist, in dem wir Entscheidungen treffen. Das tun wir im Europäischen Rat und in den NATO-Strukturen, in denen wir alle miteinander zusammen sind. Natürlich haben viele dabei etwas mitzureden, mitzuentscheiden und mitzudiskutieren. Insofern ist das ein notwendiges und richtiges informelles Miteinandersprechen in einer schwierigen Situation für Europa.

Für uns ist es sehr klar: Wir müssen die Ukraine weiterhin unterstützen, und sie muss und kann sich auf uns und darauf verlassen, dass das der Fall sein wird. Wir begrüßen, dass es Gespräche über Friedensentwicklung gibt. Aber für uns muss klar sein und ist klar, dass das nicht bedeutet, dass es einen Diktatfrieden geben kann und die Ukraine akzeptieren muss, was ihr präsentiert wird. Insofern sind wir mit dem ukrainischen Präsidenten und der Ukraine insgesamt sehr eng abgestimmt, was diese Fragen betrifft.

Für uns ist klar: Das Land muss seinen Weg in die Europäische Union weitergehen können. Es muss seine Demokratie und seine Souveränität verteidigen können, und es muss in der Lage sein, eine eigene starke Armee zu unterhalten. Dafür werden dann auch wir gebraucht, zusammen mit unseren amerikanischen und internationalen Freunden und Partnern, damit das in Friedenszeiten tatsächlich gelingen kann. Diese Dinge stehen nicht zur Verhandlung an. Das klar zu machen, ist, denke ich, wichtig für uns alle.

Wir haben gleichzeitig darüber geredet, wie wir uns selbst in die Lage versetzen können, die ohnehin auf uns zukommenden Aufgaben zu bewältigen, die etwas damit zu tun haben, dass wir Europa stärker machen müssen, was seine eigenen Fähigkeiten betrifft, Sicherheit und Verteidigung zu gewährleisten. Da gibt es etwas zu entscheiden. Wir alle sind schon miteinander dabei verbunden, dass wir dauerhaft zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Einige wenige Mitgliedstaaten sind noch nicht ganz da angekommen, aber auf dem Weg.

Für die Zukunft Europas wird es aber ganz wichtig sein, dass wir allen ermöglichen, das für sie Erforderliche zu tun. Insofern ist es gut, dass darüber jetzt eine sehr sorgfältige Debatte begonnen hat. Ich selbst habe gesagt, aus meiner Sicht könne Deutschland akzeptieren, dass wir erlauben, dass es von den Kriterien, die wir in der Europäischen Union für staatliche Kreditfinanzierung haben, nicht blockiert wird, wenn Mitgliedstaaten mehr als zwei Prozent für ihre Verteidigung ausgeben wollen. Ich bin davon überzeugt, dass es in diese Richtung und mit verschiedenen anderen Varianten einen Weg geben wird, das zu gewährleisten. Es muss klar sein, dass wir ein langfristiges und dauerhaftes Commitment haben, eine langfristige Möglichkeit, für Verteidigung insgesamt in Europa die notwendigen Ausgaben zu tätigen, zumal wir neben dem Zwei-Prozent-Ziel ohnehin schon vereinbart haben, dass wir im Rahmen der NATO die Fähigkeitsziele konkret beschreiben, die wir zu erfüllen haben. Aus ihnen muss sich dann auch ergeben, was das einzelne Land zu tun hat. Aber wir müssen auch Wege beschreiben, wie man solche Zusagen einhalten kann. Deshalb ist die Debatte jetzt zur richtigen Zeit und auch im Zusammenhang mit der ohnehin stattfindenden Verständigung innerhalb der NATO geeignet. Es ist aber ein Moment, in dem es um Sicherheit geht. Deshalb sollte das jetzt ganz entschieden vorangetrieben werden.

Ich will gern ergänzen: Das gilt auch für Deutschland. Es ist ganz klar, dass unsere fortgesetzte und weiter notwendige Unterstützung für die Ukraine nur möglich ist, wenn wir uns entschließen können, das gesondert zu finanzieren. Alle Versuche, das über Kürzungen innerhalb des Budgets unseres Landes, durch Kürzungen bei Infrastrukturinvestitionen, ob es nun die Bahnen, die Straßen oder andere Aufgaben sind, oder durch Kürzungen im Rahmen unseres sozialen Zusammenhalts zu finanzieren, werden scheitern und keine Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bekommen. Das muss auch nicht sein, denn kaum jemand ist auf die Idee gekommen, dass man das aus laufenden Ausgaben finanzieren kann. Das gilt für Deutschland gleichermaßen, und hier ist jetzt in dieser Stunde Ehrlichkeit gefragt.

Das gilt übrigens auch für unsere Aufgaben, was die Verteidigung betrifft. Denn wenn Deutschland weiterhin zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben soll, wie es das jetzt tut – unter meiner Führung haben wir die Ausgaben für die Bundeswehr entsprechend gesteigert, dann werden wir das innerhalb kürzester Zeit nur können, wenn wir zusätzlich 30 Milliarden Euro jährlich mobilisieren, und das gelingt nur, wenn wir uns einen zusätzlichen Spielraum im Rahmen unserer Schuldenregeln des Grundgesetzes schaffen. Erst recht gilt das, wenn es darum geht, noch zusätzliche Aufgaben zur Erfüllung der Fähigkeitsziele zu finanzieren. Deshalb ist jetzt der entscheidende Moment, das allen zu sagen. Wir brauchen in Deutschland wie auch in anderen Ländern Europas eine offene, klare Debatte über unsere Herausforderungen für Sicherheit. Die muss geführt werden, und dann muss man auch sagen, wie wir die großen finanziellen Aufwendungen, die damit verbunden sind, finanzieren wollen. Ich jedenfalls bin dazu bereit und rufe alle auf, das auch zu sein.

Fragerunde im Anschluss

Frage: Heißt das, Herr Bundeskanzler, dass Sie auch einer neuen gemeinschaftlichen Verschuldung der Europäer offen gegenüberstehen?

Bundeskanzler Olaf Scholz: Wir reden jetzt über die Frage, wie wir damit umgehen können, und der Vorschlag, den ich gemacht habe, ist, zunächst einmal zu sagen: Wir erlauben den einzelnen Mitgliedstaaten größere Spielräume, damit sie diese Aufgabe bewältigen können. Ansonsten wird es sicherlich in dieser Debatte ganz unaufgeregt viele Vorschläge geben, die genau zu untersuchen sind. Wenn sie alle dafür Sorge tragen, dass wir weiter die Stabilität unserer fiskalischen Finanzierung im Blick haben, wird es sicherlich Raum für Diskussionen miteinander geben. Aber mein Vorschlag ist der, den ich gemacht habe.

Frage: Wäre Deutschland denn bereit, sich gegebenenfalls auch mit Soldaten an einer Sicherheitsgarantie für die Ukraine zu beteiligen?

Bundeskanzler Olaf Scholz: Es ist völlig verfrüht und der völlig falsche Zeitpunkt, diese Diskussion jetzt zu führen. Ich bin sogar ein wenig irritiert über diese Debatten, das will ich ganz offen sagen. Hier wird über die Köpfe der Ukraine hinweg über das Ergebnis von Friedensgesprächen, die nicht stattgefunden haben und in denen die Ukraine nicht Ja gesagt hat und nicht am Tisch gesessen hat, über mögliche Varianten von Ergebnissen gesprochen. Das ist höchst unangemessen, um es ganz offen und ehrlich zu sagen. Wir wissen gar nicht, was das Ergebnis sein wird. Aus meiner Sicht werden ja viele unterschiedliche Dinge diskutiert, von internationalen Friedenstruppen bis zu sonstigen Dingen. Für mich ist ganz klar, dass das deshalb eine unpassende Debatte zur falschen Zeit und über das falsche Thema ist. Wir sind noch nicht beim Frieden, sondern mitten in einem brutal von Russland vorgetragenen Krieg, der ohne Rücksicht weiter vorangetrieben wird. Also ist das, glaube ich, der entscheidende Punkt.

Für mich gilt allerdings auch ein zweiter Gesichtspunkt, den ich hier klar sagen kann, von dem ich aber weiß, dass ich darin mit wohl allen relevanten politischen Verantwortlichen in Europa sehr vereint bin: Es darf keine Aufteilung der Sicherheit und der Verantwortlichkeit zwischen Europa und den USA geben. Das heißt, die NATO beruht darauf, dass wir immer gemeinsam handeln und gemeinsam im Risiko sind und darüber unsere Sicherheit gewährleisten. Das darf nicht infrage gestellt werden. Auch das muss man im Blick haben.

Eine Antwort

  1. Es stellt sich die Frage, ob der Kanzler in München zugehört hat.
    Die bahnbrechende Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag wurde auf verschiedene Faktoren zurückgeführt. Manche sagen, es sei ein Racheakt gewesen. Jahrelang wurden Donald Trump und seine Anhänger von den westeuropäischen Führern angeprangert, ohne daran zu denken, dass sie eines Tages für ihre Worte einstehen müssten. Nun ist dieser Tag gekommen, aber die EU reagiert darauf fassungslos und fragt sich: „Warum wir?“

    Doch abgesehen von persönlichen Kränkungen gibt es auch eine tiefere ideologische Divergenz. In vielerlei Hinsicht spiegelt Vances Kritik an den Europäern dieselben Vorwürfe wider, die die Siedler der Neuen Welt vor Jahrhunderten gegen den Alten Kontinent erhoben: Tyrannei, Heuchelei und Parasitentum. Die Ablehnung der europäischen politischen Traditionen bildete vor dreihundert Jahren das ideologische Fundament des US-amerikanischen Staates. Nun hat sich der Streit darüber, was wahre Demokratie ausmacht, von einem inneramerikanischen zu einem transatlantischen Streit entwickelt, und sein Ausgang wird die Zukunft prägen.

    Doch das wichtigste Element von Vances Rede geht über Personalien oder ideologische Streitfragen hinaus. Sie spiegelt eine grundlegende weltpolitische Wende wider. Die Schlüsselfrage lautet heute, ob der Kalte Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts endgültig beendet oder auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden soll. Westeuropa beharrt auf Letzterem – nicht, weil es eine umfassende Strategie verfolgt, sondern weil es ihm nicht gelungen ist, seine ehemaligen Gegner friedlich zu integrieren. Die USA hingegen scheinen bereit zu sein, den Blick in die Zukunft zu richten.

    Diese Wende ist weder Trump noch Vance zu verdanken, sondern vielmehr den sich wandelnden Prioritäten der Vereinigten Staaten. Die Abkehr von Europa begann unter US-Präsident George W. Bush und wurde seitdem unter jedem US-Präsidenten fortgesetzt. Trump sprach lediglich das laut aus, was seine Vorgänger lieber unausgesprochen ließen.

    Für Westeuropa geht es bei dem Festhalten an dem ideologischen und geopolitischen Rahmen des Kalten Krieges ums Überleben. Die Aufrechterhaltung der alten Ordnung ermöglicht es der EU, ihre zentrale Rolle im Weltgeschehen beizubehalten und – was noch wichtiger ist – ihren bereits angespannten inneren Zusammenhalt zu bewahren.

    Für die Vereinigten Staaten hingegen eröffnet die Abkehr von den Strukturen des Kalten Krieges die Möglichkeit, sich auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu konzentrieren – nämlich auf China, den Pazifik, Nordamerika und die Arktis. In keinem dieser Bereiche kann Westeuropa seine unentbehrliche Rolle unter Beweis stellen, aber es kann als kostspieliger ablenkender Reiz auftreten. Der Grüne/Alternative Hofreiter fortert heute bereits 500 Milliarden Euro – für was auch immer.

    Dies führt zu einer unerfreulichen Schlussfolgerung: Die EU hat ein Eigeninteresse daran, die Spannungen so weit zu eskalieren, dass selbst die zurückhaltende US-Regierung nicht mehr länger untätig bleiben könnte. Die eigentliche Frage ist nun, ob die Alte Welt in der Lage ist, die Ereignisse in diese Richtung zu lenken.

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