Bundestagspräsidentin Julia Klöckner im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“.
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“
Die neu gewählte Bundestagspräsidentin, Julia Klöckner, wünscht sich mehr Präsenz in sozialen Medien. „Wir können gemeinsam in der Kommunikation besser werden – Politik, Medien, Gesellschaft“, sagte Klöckner der Wochenzeitung „Das Parlament“ . „Wir sind nicht dort, wo die Mehrheit der Jugendlichen ist – an den digitalen Theken“, stellte sie fest. Wenn sich gesellschaftliche Kommunikation ändere, müsse aber auch der Bundestag darauf reagieren. Es gebe in den digitalen Räumen eine Aufmerksamkeitsökonomie, die durch Klicks, Skandalisierung, Reduzierung getrieben sei. Da gebe es viel Aufmerksamkeit, aber oft wenig Aufklärung. „Die Algorithmen werden wir nicht verändern können“, sagte Klöckner, „aber wir müssen diese Plattformen auch nicht unwidersprochen stehen lassen – sondern selbst dort ein Angebot machen für unterschiedliche Zielgruppen – und Vorbild im Ton und Wahrhaftigkeit sein.“
Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das am morgigen 29.03.305 in der
Wochenzeitung „Das Parlament“ erscheinende Interview vorab im vollen Wortlaut:
Das Parlament: Frau Präsidentin, Sie stehen seit Dienstag an der Spitze des Bundestags. Wie fühlt sich das für Sie an, jetzt morgens als Inhaberin des zweithöchsten Staatsamts aufzuwachen?
Julia Klöckner: Ich wache so auf wie bisher auch, mit ein bisschen weniger Schlaf in diesen Tagen. Die Aufgaben im neuen Amt gehe ich nun beherzt an. Kurzum: Keiner sollte zu sehr von sich selbst bewegt sein, sondern im Amt viel bewegen.
Das Parlament: Sie haben
schon durchblicken lassen, dass Sie nicht nur repräsentieren wollen, sondern
durchaus auch eine eigene Agenda haben. Unter anderem haben Sie angekündigt,
die Geschäftsordnung des Bundestags „optimieren“ zu wollen. Worum geht es Ihnen
dabei vor allem?
Julia Klöckner: Demokratie ist nichts Statisches. Seit ihrer Erfindung hat sie
sich in ihren Formen und in der Art, wie sie gelebt und ausgeführt wird, immer
wieder verändert. Deshalb enthält eine Geschäftsordnung, sage ich mal salopp,
mit der Zeit auch viel Totholz. Dann muss man sie entrümpeln und neuen
Erfordernissen und Erkenntnissen anpassen.
Das Parlament: Was heißt das
konkret?
Julia Klöckner: Wir werden sicher über die Stärkung des Kontrollaspektes des
Deutschen Bundestages sprechen müssen, darüber wie wir die Tagesordnung
entlasten, die Abstimmungen müssen transparenter werden, Wahlverfahren und das
Ordnungsrecht gehören überdacht, überprüft und angepasst.
Das Parlament: Sie sind ein
Fan der Digitalisierung…
Julia Klöckner: …Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sie soll Abläufe
vereinfachen, sicherer machen, optimieren, Effizienzen heben und zum
Arbeitsalltag passen. Es geht ums Ermöglichen und Modernisieren auch für die
Abgeordnetenarbeit. Stimmabgaben, Unterschriften und weitere Vorgänge müssen ja
nicht auf immer und ewig analog bleiben.
Das Parlament: Seit einiger
Zeit wird beklagt, der Umgangston sei sehr viel ruppiger geworden, die
Beleidigungen, Beschimpfungen, persönliche Angriffe nähmen zu. Ist das ein
Thema für Sie?
Julia Klöckner: Um es deutlich zu sagen: Es ist ja nicht so, dass die einen
heilig sind, und die anderen vergreifen sich im Ton. Ich bin seit zwei
Jahrzehnten Mitglied in Parlamenten, und da ging es schon immer ziemlich robust
zu. Das ist das eine. Jede Fraktion hat pointierte Rednerinnen und Redner, auch
solche, die zuspitzen, auch mal übers Ziel hinausschießen. Unser Parlament soll
auch kein Schlafsaal sein, die freie Rede ist ein hohes Gut. Das andere aber
ist die Art des Umgangs, zivilisiert muss er sein: So wie wir die Debatten
führen, so werden sie dann auch in der Gesellschaft geführt. Deshalb ist der
Ton wichtig, sind Anstand und Respekt Vorbild gebend. Persönliche
Herabwürdigungen sind nicht akzeptabel. Es gibt auch Grenzen, wenn die
Legitimation dieses Parlaments in Frage gestellt wird, wenn sogar das Parlament
lächerlich gemacht wird. Und hier muss ich sagen, hat zum Beispiel die AfD
keinen guten Start gehabt, als sie in der ersten Sitzung mehrfach unterstellte,
hier würde ein Kartell arbeiten, weil Abstimmungsmehrheiten im Ergebnis nicht
dem Wunsch der Unterlegenen entsprachen. Um es klar zu sagen: Demokratisch gefundene
Mehrheiten sind keine Kartelle, sondern Ausdruck gelebter Demokratie. Die
Wählerinnen und Wähler haben am 23. Februar die Mehrheiten im Deutschen
Bundestag neu bestimmt. Diese Mehrheiten, die in freier, geheimer Wahl zustande
kamen, sind zu respektieren und nicht zu diffamieren.
Das Parlament: Sie wurden
dafür kritisiert, dass Sie vor der Wahl, wie allen anderen Fraktionen auch, der
AfD ein Gesprächsangebot gemacht haben. Das Treffen fand aus Termingründen
nicht statt. Aber finden Sie es denn an der Zeit, einen anderen Umgang mit der
AfD zu suchen?
Julia Klöckner: Kritisiert wurde ich dafür, aber auch gelobt von Bürgern und
Medien. Formale Umgangsformen sind ja nicht mit inhaltlichen Positionierungen
gleichzusetzen. Ich verstehe mich als Präsidentin des gesamten Hohen Hauses, so
ist auch meine Amtsbeschreibung. Deshalb habe ich allen Fraktionen – von den
Linken bis zur AfD – angeboten, mich und meine Vorstellungen als zur Wahl
stehende Kandidatin für das Amt zu erläutern. Die AfD-Fraktion hätte gerne zeitgleich
zum ökumenischen Gottesdienst, der traditionell zur Eröffnung der neuen
Legislaturperiode stattfindet, mit mir gesprochen. Es ist klar, dass ich den
Gottesdienst dafür nicht absagen konnte und wollte. Und die danach angebotenen
Termine kollidierten mit bereits zugesagten bei den weiteren Fraktionen.
Das Parlament: Die Mitte des
Parlaments ist geschrumpft, AfD und Linke verfügen über eine Sperrminorität –
erwarten Sie eine besonders schwierige Wahlperiode?
Julia Klöckner: Ich empfehle uns allen ein wenig Gelassenheit. Die Bürger haben
eine neue Zusammensetzung des Parlamentes bestimmt, und das haben wir zu
akzeptieren und damit auch umzugehen. Das ist etwas, was Demokratie ausmacht.
Hier herrschen Regeln. Regeln, die die Minderheiten schützen, dazu gehört
beispielsweise auch die Sperrminorität. Und es gibt Regeln, die der Mehrheit
das Handeln ermöglichen. Der Bundestag ist voll handlungsfähig.
Das Parlament: Nach der
jüngsten Wahl ist der Anteil der weiblichen Abgeordneten im Bundestag wieder
gesunken: auf rund 32,4 Prozent. Warum ist das so?
Julia Klöckner: Es liegt nicht am Wahlrecht, das hindert seit 1918 keine Frau
mehr an der Kandidatur. Es sind die Rahmenbedingungen. Es liegt an mangelnder
Attraktivität, es liegt an Lebensrealitäten – Stichwort: Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Das schreckt schon einige ab. Zweitens: Es hat etwas damit
zu tun, wie vor Ort Kandidaten aufgestellt werden. Und drittens spüren viele
Frauen Stimmungen vielleicht einen Tick anders und reagieren darauf, wenn sie
wahrnehmen, dass in der Politik mit sehr harten Bandagen gekämpft wird – gerade
Frauen in der Öffentlichkeit werden im Internet sehr unsachlich, unter der
Gürtellinie angegriffen. Und da gibt es dann auch Frauen, die sich sagen, dass
muss ich mir nicht antun. Das verstehe ich übrigens gut, auch bei Männern.
Nichtsdestotrotz: Wir brauchen mehr Frauen auch in der Politik, schließlich
machen sie mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung aus.
Das Parlament: Das von der
Ampel-Koalition geänderte Wahlrecht hat jetzt dazu geführt, dass 23 Kandidaten,
die ihren Wahlkreis gewonnen haben, kein Mandat im Bundestag erhalten haben.
Jetzt will die Union das Gesetz nochmals reformieren. Kann man das, ohne das
ursprüngliche Ziel aufzugeben, die Zahl der Abgeordneten insgesamt im Bundestag
zu begrenzen?
Julia Klöckner: Es ist offenbar das Los von Bundestagspräsidenten und
-präsidentinnen, sich mit dem Wahlrecht zu beschäftigen, das war bei meinen
Vorgängern auch ein bestimmendes Thema. Das Ziel, die Zahl der Abgeordneten im
Bundestag zu reduzieren, halte ich für richtig, und das ist mit der Reform auch
erreicht worden. Ich habe aber Zweifel, ob alle Bürgerinnen und Bürger das
Ergebnis dieser Reform für gerecht halten – geschweige denn die betroffenen
Kandidaten. Ich schaffe es in meinen Begegnungen mit den Menschen nicht,
überzeugend zu erklären, dass sie einen Kandidaten wählen, der zwar die
Mehrheit der Wählerstimmen bekommt, aber am Ende doch keinen Sitz im Deutschen
Bundestag. Zugegeben, das Wahlrecht war in Deutschland schon immer etwas
kompliziert. Doch eines konnte man bislang sehr einfach erklären: dass die
Wähler mit ihrer Erststimme einen konkreten Abgeordneten ins Parlament wählen.
Das Parlament: Nochmal zurück
zur Frage, ob ein anderes Wahlrecht den Bundestag nicht vergrößern würde…
Julia Klöckner: Was manche vergessen: Wir hatten für die Wahl 2025 bereits ein
reformiertes Wahlrecht, das aber durch die abermalige Reform dann nie zur
Anwendung kam. Das Wahlrecht sah statt 299 nur noch 280 Wahlkreise vor, drei
Überhangmandate wären nicht ausgeglichen worden. Das Bundesverfassungsgericht
hat dieses Wahlrecht geprüft und bestätigt. Es gibt also durchaus Alternativen,
die sogar schon Gesetz waren. Was der bessere Weg wäre oder welche weiteren
konkret denkbar sind, da halte ich mich zurück und möchte den Fraktionen nicht
vorgreifen.
Das Parlament: Es wird immer
wieder mal die Idee vorgetragen, die Dauer der Legislaturperiode von vier auf
fünf Jahre zu verlängern – wie in den meisten Länderparlamenten. Wie stehen Sie
dazu?
Julia Klöckner: Wenn eine Debatte darüber gewollt und der Wunsch breit getragen
ist, dann bin ich dafür offen. Die Frage ist nicht unser Hauptproblem in der
neuen Wahlperiode, würde ich sagen.
Das Parlament: In der
vergangenen Wahlperiode ist der Entwurf eines Bundestagspolizeigesetzes, das
von der Ampel-Koalition eingebracht worden war, nicht mehr verabschiedet
worden. Es geht dabei darum, dass es überhaupt erstmalig mal eine gesetzliche
Grundlage gibt. Ist das ein Thema, das Sie wieder aufgreifen werden?
Julia Klöckner: Auf alle Fälle. Ich halte es für richtig, dass wir ein
Polizeigesetz für den Bundestag auf den Weg bringen. Es geht darum, unseren
Parlamentarismus zu schützen, auch vor Extremismus, vor IT-Angriffen. Man muss
aber abwägen, inwiefern der Wirkungsbereich und die Freiheit als frei gewählter
Abgeordneter eingeschränkt werden könnten. Man muss immer schauen, ob man vom
Einzelfall ausgehend plötzlich eine Regelung für alle macht. Die Addition der
Regelung von Einzelfällen führt nicht unerheblich zur massiven Einschränkung
für alle anderen. Ich bin mir sicher, wir werden da dran gehen und sollten uns
dann auch den nötigen Raum und die Tiefe geben, die Argumente bei einzelnen
Punkten zu besprechen und zu wägen.
Das Parlament: In Ihrer Rede
nach Ihrer Wahl haben Sie die zahlreichen Angriffe auf die Demokratie und den
Vertrauensverlust in die staatlichen Institutionen angesprochen. Was braucht
es, um die Demokratie zu verteidigen?
Julia Klöckner: Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist gleich ein Angriff auf
die Demokratie. Diskursräume sind durchaus eine Zumutung, aber notwendig. Wer
Meinungsvielfalt ernst meint, muss das auch aushalten. Aushalten muss man aber
nicht Herabwürdigungen, bestimmte Tonlagen und bedenkliche Infragestellung von
Institutionen. Dienlich sind wir unserer Demokratie, wenn wir alle unsere
Arbeit machen, Dienstleister der Bürger sind, Vermittler von Entscheidungen,
uns an Spielregeln halten und ganz wichtig: Die Sorgen der Bürger ernst nehmen
und Probleme lösen, die real vorhanden sind. Die Menschen treibt die Inflation,
die schwächelnde Wirtschaft, der Arbeitsplatzverlust um. Es geht um
individuelle Existenzen. Zudem: Die geopolitischen Ungewissheiten beunruhigen.
Was früher sicher schien, ist es nicht mehr. Neue Zölle statt Handelspartnerschaften
zum Beispiel haben Auswirkungen auf unser Leben. Dennoch sollten wir
optimistisch und zuversichtlich bleiben: Wir haben eine bewährte, stabile
Verfassung.
Das Parlament: Braucht es
auch einen anderen Ton?
Julia Klöckner: Wir können gemeinsam in der Kommunikation besser werden –
Politik, Medien, Gesellschaft. Der Deutsche Bundestag ist das meistbesuchte
Parlament, aber nicht das modernste. Wir sind nicht dort, wo die Mehrheit der
Jugendlichen ist – an den digitalen Theken. Wenn sich gesellschaftliche Kommunikation
ändert, dann müssen wir darauf reagieren. Es gibt in den digitalen Räumen eine
Aufmerksamkeitsökonomie, die durch Klicks, Skandalisierung, Reduzierung
getrieben ist. Es gibt dort viel Aufmerksamkeit, aber oft wenig Aufklärung. Die
Algorithmen werden wir nicht verändern können, aber wir müssen diese
Plattformen auch nicht unwidersprochen stehen lassen, sondern selbst dort ein
Angebot machen für unterschiedliche Zielgruppen – und Vorbild im Ton und
Wahrhaftigkeit sein.
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin