Anordnung des Wechselmodells durch Umgangsregelung des Familiengerichts.

Beschluss des BGH vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15.

Der u.a. für Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass und unter welchen Voraussetzungen das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils gegen den Willen des anderen Elternteils ein sog. paritätisches Wechselmodell, also die etwa hälftige Betreuung des Kindes durch beide Eltern, als Umgangsregelung anordnen darf.

Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die geschiedenen Eltern ihres im April 2003 geborenen Sohnes. Sie sind gemeinsam sorgeberechtigt. Der Sohn hält sich bislang überwiegend bei der Mutter auf. Im Mai 2012 trafen die Eltern eine Umgangsregelung, nach welcher der Sohn den Vater alle 14 Tage am Wochenende besucht. Im vorliegenden Verfahren erstrebt der Vater die Anordnung einer Umgangsregelung in Form eines paritätischen Wechselmodells. Er will den Sohn im wöchentlichen Turnus abwechselnd von Montag nach Schulschluss bis zum folgenden Montag zum Schulbeginn zu sich nehmen. Das Amtsgericht hat den Antrag des Vaters zurückgewiesen. Dessen Beschwerde ist vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben.

Auf die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Vaters hat der BGH den Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Nach § 1684 Abs. 1 BGB* hat das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil und ist jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Gemäß § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB kann das Familiengericht über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln.

Das Gesetz enthält keine Beschränkung des Umgangsrechts dahingehend, dass vom Gericht angeordnete Umgangskontakte nicht zu hälftigen Betreuungsanteilen der Eltern führen dürfen. Vom Gesetzeswortlaut ist vielmehr auch eine Betreuung des Kindes durch hälftige Aufteilung der Umgangszeiten auf die Eltern erfasst. Zwar orientiert sich die gesetzliche Regelung am Residenzmodell, also an Fällen mit überwiegender Betreuung durch einen Elternteil bei Ausübung eines begrenzten Umgangsrechts durch den anderen Elternteil. Dies besagt aber nur, dass der Gesetzgeber die praktisch häufigste Gestaltung als tatsächlichen Ausgangspunkt der Regelung gewählt hat, nicht hingegen, dass er damit das Residenzmodell als gesetzliches Leitbild festlegen wollte, welches andere Betreuungsmodelle ausschließt. Dass ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes auch die elterliche Sorge und als deren Teilbereich das Aufenthaltsbestimmungsrecht betrifft, spricht jedenfalls bei Bestehen des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern nicht gegen die Anordnung des Wechselmodells im Wege einer Umgangsregelung. Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung steht vielmehr mit dem gemeinsamen Sorgerecht im Einklang, zumal beide Eltern gleichberechtigte Inhaber der elterlichen Sorge sind und die im Wechselmodell praktizierte Betreuung sich als entsprechende Sorgerechtsausübung im gesetzlich vorgegebenen Rahmen hält.

Entscheidender Maßstab der Anordnung eines Umgangsrechts ist neben den beiderseitigen Elternrechten allerdings das Kindeswohl, das vom Gericht nach Lage des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen ist. Das Wechselmodell ist anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Wechselmodell gegenüber herkömmlichen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind stellt, das bei doppelter Residenz zwischen zwei Haushalten pendelt und sich auf zwei hauptsächliche Lebensumgebungen ein- bzw. umzustellen hat. Das paritätische Wechselmodell setzt zudem eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus. Dem Kindeswohl entspricht es dagegen regelmäßig nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, diese Voraussetzungen erst herbeizuführen. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes. Wesentlicher Aspekt ist zudem der vom Kind geäußerte Wille, dem mit steigendem Alter zunehmendes Gewicht beizumessen ist.

Das Familiengericht ist im Umgangsrechtsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes. Im vorliegenden Fall hatte das Oberlandesgericht eine persönliche Anhörung des Kindes nicht durchgeführt, weil es zu Unrecht davon ausgegangen war, dass eine auf ein Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung nach der gesetzlichen Regelung nicht möglich sei. Das Verfahren ist daher zur Nachholung der Kindesanhörung und zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen worden.

* § 1684 BGB Umgang des Kindes mit den Eltern

(1) Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.

(2) Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Entsprechendes gilt, wenn sich das Kind in der Obhut einer anderen Person befindet.

(3) Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln. Es kann die Beteiligten durch Anordnungen zur Erfüllung der in Absatz 2 geregelten Pflicht anhalten. …

(4) …

Vorinstanzen:

OLG Nürnberg – Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 11 UF 1257/15

AG Schwabach – Beschluss vom 10. September 2015 – 1 F 280/15

Wegweisendes BGH-Urteil zum Wechselmodell

Zum Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) erklärten Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher, und Sönke Rix, familienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion:

„Jede Familie ist anders, jede Trennung ist individuell. Es kann deshalb auch kein alleingültiges Umgangsmodell geben. Deshalb muss es möglich sein, dass ein Kind je zur Hälfte beim Vater und zur Hälfte bei der Mutter ist, wenn dies dem Kindeswohls entspricht. Einige Oberlandesgerichte untersagten aber dieses sogenannte Wechselmodell, weil es angeblich hierfür keine Rechtsgrundlage im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gibt.

Wir freuen uns, dass der Bundesgerichtshof nun in einem heute veröffentlichten Beschluss klargestellt hat, dass schon nach heutiger Rechtslage eine gerichtliche Umgangsregelung durchaus das paritätische Wechselmodell vorsehen kann. Eine gesetzliche Festlegung auf das Residenzmodell (das Kind lebt überwiegend bei einem Elternteil) kann der BGH nicht erkennen.

Die SPD-Bundestagsfraktion sieht sich durch den BGH-Beschluss bestätigt, an einer gesetzlichen Klarstellung zu arbeiten. Wir wollen im BGB ausdrücklich für Familiengerichte die Möglichkeit verankern, das Wechselmodell anordnen zu können, wenn dies dem Kindeswohl entspricht.

Der BGH hat klargestellt: Die hälftige Umgangsregelung ist vom Gesetz keineswegs ausgeschlossen – auch dann nicht, wenn ein Elternteil das Wechselmodell ablehnt. Ausschlaggebend für die Umgangsregelung sei im konkreten Einzelfall immer das Kindeswohl. Um das hinreichend beurteilen zu können, hält der BGH grundsätzlich die persönliche Anhörung des Kindes erforderlich.

Der Beschluss stärkt all jenen getrennten Elternteilen den Rücken, die ihr Kind zu gleichen Teilen betreuen wollen, wenn es nachweislich für das Kind am besten ist. Zugleich greifen die Richter die veränderten Rollenverteilungen auf: Immer mehr Väter und Mütter steuern auf eine gerechte Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit hin. Das muss sich naturgemäß auch nach der Trennung von Eltern niederschlagen. Insofern ist die heute veröffentlichte Entscheidung auch als logische Konsequenz unserer Familien- und Gleichstellungspolitik zu verstehen.“

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