„Die Anstalt macht trotzdem, was sie will.“

Ex-Gefängnisdirektor Thomas Galli zur „Feestschrift“ zum 80. Geburtstag des Abolitionisten Johannes Feest.

Christine M. Graebsch und Sven-Uwe Burkhardt, die Mitherausgeber der Schriftenreife des Strafvollzugsarchivs, dessen Geschichte, Ziele und Inhalte im hier besprochenen Buch ausführlich dargestellt werden, leiten mit dem erfreulichen Anlass des Werkes ein: dem 80. Geburtstag von Johannes Feest am 21.11.2019.

Eine Festschrift im herkömmlichen Sinne war freilich nicht im Sinne des Jubilars. Es sollte vielmehr eine „Feestschrift“ mit einer Auswahl seiner Publikationen sein.

Einführend weist der in Berlin zur Welt gekommene Feest darauf hin, dass ihm die Beschäftigung mit Polizei, Justiz und Gefängnissen nicht in die Wiege gelegt worden sei. Sein Interesse für die Rechtswissenschaften komme allerdings offenbar nicht von ungefähr, da beide Eltern in Prag Jura studiert hatten. Sein Vater ist im Krieg gefallen, die alleinerziehende Mutter war nach dem Krieg in Wien als Anwältin tätig.

Die Idee, sich empirisch mit der deutschen Polizei zu beschäftigen, brachte er aus den USA mit, wo er an der University of California in Berkely Soziologie studiert hatte. Für besonders fruchtbar hat sich dabei für ihn das Konzept der Definitionsmacht erwiesen, das an die vom Labeling Approach postulierte Vorstellung anknüpfte, wonach es sich bei der Identifizierung von Straftätern um einen Definitionsprozess im Kontext staatlicher Macht handelt.

Als teilnehmender Beobachter begleitete Feest z.B. über Monate einen uniformierten Streifendienst und analysierte die „Situation des Verdachts“. Er kommt zu dem Schluss „dass die Methode des Verdachts im Wesentlichen auf einer Dichotomisierung der Bevölkerung in zwei Gruppen, die „Anständigen“ und damit über jeden Verdacht Erhabenen einerseits und die eigentlich „verdächtigen Subjekte“ oder „Elemente“ andererseits, hinausläuft.“ Auch das Gelingen des Konzepts einer bürgernahen Polizei, die das unmittelbare Faustrecht des Stärkeren unterbindet und so die Bürger schützt, zieht er in Zweifel.

Mit der Wirklichkeit des Strafvollzuges kam Feest nach seiner Berufung als Professor für Strafverfolgung, Strafvollzug und Strafrecht an die Universität Bremen im Jahre 1974 in Kontakt.

Zusammen mit einigen Mitstreitern begann er dann 1980 mit einem alternativen Kommentar des Strafvollzugsgesetzes, dessen mittlerweile 8. Auflage in diesem Jahr bevorsteht.

Wie mühsam der Kampf um die Rechte der Gefangenen ist, zeigt unter anderem die Tatsache, dass die Genehmigung der Aushändigung von juristischen Merkblättern und Musterbegründungen an Inhaftierte 2004 über das Bundesverfassungsgericht durchgesetzt werden musste.

Hier geht’s zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Dieses Urteil verhinderte jedoch nicht, dass ein völlig neu konzipierter Ratgeber mit dem Titel „Wege durch den Knast“ (Redaktionskollektiv 2016) von vielen Anstalten verboten wurde und diese Verbote erneut von der Rechtsprechung gebilligt wurden.

Zu guter Letzt hilft es den Inhaftierten manchmal nicht einmal, wenn ihnen von einem Gericht Recht gegeben worden ist. Die Anstalt macht trotzdem, was sie will. Sie ist renitent, und das, wie Feest feststellt, nicht so selten wie allgemeinhin angenommen.

Seine heutige Einstellung zum Freiheitsentzug und zu Strafanstalten entwickelte Feest erst nach und nach, unter anderem durch den europaweiten Austausch mit Abolitionistinnen und Abolitionisten.

Sein öffentliches Coming Out als Abolitionist hatte er erst nach seiner Versetzung in den Ruhestand, als er 2007/2008 zusammen mit Bettina Paul ein Schwerpunktheft der Zeitschrift KrimJ mit dem ironischen Titel „Ist das Gefängnis noch zu retten?“ konzipiert hatte. Daraus entstand die Idee, eine Umfrage bei allen ihnen bekannten Abolitionist*innen zu machen. Die darauf folgende lebhafte Diskussion per E-Mail ist im Buch erstmals abgedruckt.

Heute sieht Feest „in der Abschaffung der Strafanstalten (und ähnlicher Gefängnisse) den einzig konsequenten Ausweg aus dem absurden System, welches wir geschaffen haben und ständig weiter verfeinern“.     

Mich persönlich beeindruckt an Feest vor allem auch die Unbestechlichkeit seiner Gedanken. Sie sind nicht ideologisch gefangen, und offen für andere oder neue Argumente und Erkenntnisse, aber standhaft gegen die Verlockungen von Macht, wissenschaftlicher Selbstdarstellung oder oberflächlicher bürgerlicher Anerkennung.

Nachdem ich 2001 meine erste Stelle im bayerischen Strafvollzug angetreten hatte, kam ich relativ bald mit dem Namen „Feest“ in Berührung. Kaum einer hatte ihn gelesen, oder sich mit seinen Argumenten auseinandergesetzt, aber unter uns bayerischen Vollzugsjuristen galt er mehrheitlich als Freund der Gefangenen und damit Feind des Vollzuges. Jeder Gefangene, der sich juristisch beraten ließ, machte uns Vollzugsjuristen mehr Arbeit. Feest beriet die Gefangenen auch noch kostenlos, was ihn in den Augen mancher besonders verdächtig machte. Er war die „persona non grata“, die er nach eigener Einschätzung aufgrund seiner kritischen Analysen auch schon bei der Polizei geworden war.

Das hat sich aus meiner Sicht in den letzten Jahren gewandelt. Manches, was im „Alternativkommentar“ gefordert worden ist, haben die Landesgesetzgeber und der Justizvollzug inzwischen umgesetzt, und man sieht sich (zum Teil auch widerwillig) gezwungen, Feests Argumente als seriös und bedenkenswert ernstzunehmen. 

So wurde er etwa zu einem Fachvortrag (der im Buch veröffentlicht ist: „Ist die Freiheitsstrafe im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß?“) anlässlich des 300jährigen Bestehens der Justizvollzugsanstalt Waldheim eingeladen. Derartige Veranstaltungen sind in aller Regel nicht durch eine fundamentale Selbstkritik des Strafvollzuges geprägt. Dass sich die Teilnehmenden des Symposiums dennoch Feests Ausführungen und seinem sinngemäßen Resümee stellten, dass 300 Jahre JVA (Waldheim) nun aber auch mehr als genug seien, ist daher bemerkenswert.  

Von Feest dagegen haben wir noch lange nicht genug. Aktuell befasst er sich vor allem mit Fragen des Strafvollzuges und der Abschaffung der Freiheitsstrafe. So ist er ein wesentlicher Mitinitiator und Mitautor des Manifests zur Abschaffung von Strafanstalten und anderen Gefängnissen (https://strafvollzugsarchiv.de/abolitionismus/manifest).

Manche der in „Definitionsmacht, Renitenz und Abolitionismus“ abgedruckten Texte sind aktuellen Datums, andere schon über 40 Jahre alt. An Aktualität haben sie gleichwohl nicht verloren, wenn man an die Probleme des „racial profiling“ in der Ermittlungsarbeit oder die „De-Sozialisierung“ durch Freiheitsstrafe denkt.

Das Werk enthält einen sehr empfehlens – und lesenswerten Ausschnitt seines bisherigen Wirkens.

„Definitionsmacht, Renitenz und Abolitionismus – Texte rund um das Strafvollzugsarchiv“, Springer Verlag, 2020, 79,99 EURO.

Thomas Galli ist ein deutscher Jurist und Autor. Er ist promovierter Jurist und studierte ferner Psychologie und Kriminologie. Galli war fünfzehn Jahre im Strafvollzug tätig. 2013 wurde Galli Leiter der Justizvollzugsanstalt Zeithain, 2015 für über 6 Monate zusätzlich Leiter der Justizvollzugsanstalt Torgau. Galli versteht sich als Abolitionist und plädiert für die Abschaffung von Gefängnissen.

Fotos (v.l.): Johannes Feest, Thomas Galli

Fotoquellen:TP Presseagentur Berlin

Eine Antwort

  1. „Bevor unsere weißen Brüder kamen, um zivilisierte Menschen aus uns zu machen, hatten wir keine Gefängnisse. Aus diesem Grund hatten wir auch keine Verbrecher. Ohne ein Gefängnis kann es keine Verbrecher geben. Wir hatten weder Schlösser noch Schlüssel, und deshalb gab es bei uns keine Diebe. Wenn jemand so arm war, dass er kein Pferd besaß, kein Zelt oder keine Decke, so bekam er all dies geschenkt. Wir waren viel zu unzivilisiert, um großen Wert auf persönlichen Besitz zu legen. Wir strebten Besitz nur an, um ihn weitergeben zu können. Wir kannten kein Geld, und daher wurde der Wert eines Menschen nicht nach seinem Reichtum bemessen. Wir hatten keine schriftlich niedergelegten Gesetze, keine Rechtsanwälte und Poltiker, daher konnten wir einander nicht betrügen. Es stand wirkklich schlecht um uns, bevor die Weißen kamen, und ich kann es mir nicht erklären, wie wir ohne die grundlegenden Dinge auskommen konnten, die – wie man uns sagt – für eine zivilisierte Gesellschaft so notwendig sind“
    Lame Deer
    Medizinmann der Sioux (Dakota)
    starb 1974

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