Gedenkveranstaltung anlässlich des 28. Jahrestages des Mauerfalls an der Gedenkstätte Berliner Mauer.

Im Gedenken an die Friedliche Revolution und den Mauerfall im Herbst 1989 fand heute die zentrale Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte Berliner Mauer statt.

Über 100 geladene Gäste aus Politik und Gesellschaft, zahlreiche ZeitzeugInnen sowie 160 SchülerInnen aus Deutschland, Frankreich und Norwegen beteiligten sich an der Veranstaltung. Zu Beginn steckten die Gäste, darunter der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, die Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses, Cornelia Seibeld, und der Senator für Kultur und Medien, Klaus Lederer, bunte Rosen in die Hinterlandmauer an der Bernauer Straße.

Prof. Dr. Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, betonte: „Der Wert von Freiheit und Demokratie hat nichts an Aktualität verloren, sondern ist gerade heute in Zeiten des weit verbreiteten Populismus allgegenwärtig. Auch all diejenigen, die mit Mauern politische Herausforderungen bewältigen wollen und doch nur Zeit erkaufen, sind ganz herzlich in die Bernauer Straße eingeladen. Das vermitteln wir in unserer täglichen Arbeit, denn die Gedenkstätte Berliner Mauer ist auch – und heute mehr denn je – ein Lernort für Weltoffenheit und Toleranz sowie gegen jede Form der Ausgrenzung.“

In Statements erläuterten SchülerInnen, welche Bedeutung der Mauerfall für sie hat: „Der heutige Tag zeigt, dass Mauern fallen können, deshalb sollten wir es nicht anstreben neue Mauern zu errichten, seien es reale oder imaginäre.“ (SchülerInnen des Europäischen Gymnasium Bertha-von-Suttner, Berlin)

„The freedom that we have today must not be taken for granted. We must learn from our mistakes. We have to build bridges, not walls.“ (Schülerin, Farsund Schule, Norwegen)

„Man muss zuerst die Vergangenheit verstehen, um die Zukunft besser begreifen zu können.“ (SchülerInnen aus dem Lycée Marcell Rudloff, Strasbourg)

Die Bürgerrechtlerin Freya Klier, die 1968 bei einem Fluchtversuch verraten und in der DDR interniert wurde, beschrieb ihre Gefühle am Tag des Mauerfalls: „Und wann spürten wir selbst, dass dies eine historische Stunde ist? Beim Versprecher eines Politbüro-Mitglieds? Bei den ersten ‚Wahnsinn!‘-Rufen auf der Bornholmer Brücke, bei stammelnden Politikern, dem plötzlichen Verkehrschaos? Spätabends erreichte mich ein Anruf aus Kanada: Unsere Freunde weinten am Telefon, denn sie sahen im kanadischen Fernsehen Trabi-Paraden und Freudentänze auf dem nächtlichen Ku’damm. Ich weinte mit … und nicht zum ersten Mal an diesem Abend.“

In der anschließenden Andacht in der Kapelle der Versöhnung sprach Dr. Jonila Godole aus Tirana (Albanien) über die Aufarbeitung der Diktatur in ihrem Land. Abschließend entzündeten alle Teilnehmenden Kerzen in Erinnerung an die Friedliche Revolution im Herbst 1989.

Die Mauer war ein Schreckenssymbol.

Vollständige Rede von Prof. Dr. Axel Klausmeier.

Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, verehrte Abgeordnete der Parlamente, Exzellenzen, sehr geehrte VertreterInnen und Vertreter der Opferverbände, liebe Schülerinnen und Schüler des Georg-Herwegh-Gymnasium in Berlin-Hermsdorf, der Rudolf Steiner Schule in Berlin-Dahlem, des Europäischen Gymnasiums Bertha-von-Suttner in Berlin-Reinickendorf, des Lycée Marcel Rudloff aus Strasbourg und liebe Gäste der Aktiven Fredsreisers aus Norwegen, liebe Kolleginnen und Kollegen der unterschiedlichen Aufarbeitungsinitiativen aus Albanien, meine sehr geehrten Damen und Herren,

herzlich willkommen in der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Sie merken es schon: Auch heute haben wir – wie auch schon in den letzten Jahren – nicht nur ganz viele Gäste aus Berlin, sondern auch aus unterschiedlichen Teilen Europas zu Gast und das ist für uns ein ganz wichtiges Zeichen!

Heute vor 28 Jahren, am 9. November 1989, brachten mutige Menschen vor dem Hintergrund weltpolitisch günstiger Konstellationen die Berliner Mauer zum Einsturz. Zahlreiche Demonstrationen, in denen die friedlichen Demonstranten in der DDR Freiheit und v.a. freie Wahlen und Veränderung forderten, waren diesem weltpolitisch historischen Ereignis vorangegangen. In der Folge veränderte sich die politische Landkarte nicht nur Deutschlands, sondern Europas und der Welt. Nie für möglich geglaubte Phantasien und Träume überholten die Wirklichkeit und die Strahlkraft eines vereinigten, freiheitlichen Europas reichte weit über dessen Grenzen hinaus. Vor kurzem noch für unmöglich gehaltene Ereignisse schienen in greifbarer Nähe; weniger als ein Jahr später war Deutschland wiedervereint.

Bald, im Februar des nächsten Jahres, ist die Mauer genauso lang Geschichte wie die Zeit dauerte, die sie einst stand und die Unfreiheit verbreitete. Und ihre Geschichte ist überaus aktuell: Nicht nur, weil gerade in dieser Woche der letzte Mauerrest im Berliner Regierungsviertel, das sogenannte „Parlament der Bäume“ unter Denkmalschutz gestellt wurde, sondern weil wir heute mit unseren überwiegend jugendlichen Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt in unseren zahlreichen Seminaren und Bildungsangeboten über neue Mauern in der Welt diskutieren müssen, oft mit großer Sorge um die Bewahrung unserer europäischen, westlichen Werte, die so eng mit der Geschichte der Teilung und dem Mauerfall verbunden sind. Auch deshalb haben wir gerade gestern eine in die Zukunft gerichtete Kooperationsvereinbarung mit dem Lycee Marcel Rudloff aus Strassbourg unterzeichnet, um dauerhaft international tätig zu sein. Ein kleiner Elyseevertrag, sozusagen. Der Wert von Freiheit und Demokratie hat nichts an Aktualität verloren, sondern ist gerade heute in Zeiten des weit verbreiteten Populismus allgegenwärtig. Auch all diejenigen, die mit Mauern politische Herausforderungen bewältigen wollen und doch nur Zeit erkaufen, sind ganz herzlich in die Bernauer Straße eingeladen. Das vermitteln wir in unserer täglichen Arbeit, denn die Gedenkstätte Berliner Mauer ist auch – und heute mehr denn je – ein Lernort für Weltoffenheit und Toleranz sowie gegen jede Form der Ausgrenzung. Und so will ich nicht versäumen, an diesem Tag, der mit Blick auf die friedliche Überwindung der Berliner Mauer vor 28 Jahren ein einzigartiger Freudentag ist, auch an den 9. November 1938 und die Reichspogromnacht zu erinnern, denn auch sie ist untrennbar mit dem Datum des 9. November verbunden. In der von den Nationalsozialisten konzertierten Reichspogromnacht wurden Tausende Juden in aller Öffentlichkeit misshandelt, verhaftet, getötet und beraubt. Die seit 1933 in Deutschland herrschende antisemitische Politik der Nationalsozialisten hatte damit endgültig den Weg beschritten hin zur Millionenfachen Ermordung der europäischen Juden im Holocaust.

Wir haben gerade den Posaunenruf des Bläserquintetts der Evangelischen Adventgemeinde gehört, in Anspielung an die Posaunen von Jericho, die einst die Mauern der biblischen Stadt zum Einsturz brachten. Nun hören wir zunächst einige Gedanken der Strassburger, der Berliner und der Norweger Jugendlichen zum heutigen Tag ebenso wie ein sehr persönliches Statement von Freya Klier, die heute für unseren alljährlichen Mitveranstalter, das „Bürgerbüro“, dem Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur, spricht. Danach singen wir alle gemeinsam 3 Strophen des Liedes „Die Gedanken sind frei“.

Das Ende dieses ersten Teils unserer Gedenkveranstaltung bildet – wie immer, das gemeinsame Rosenstecken, mit dem wir die Mauer symbolisch zum Einsturz bringen. Danach werden uns die Berliner Schülerinnen und Schüler verlassen, weil sie in die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde fahren, um dort im Rahmen eines „Worldcafés“ über die traurige Aktualität von „Grenzen überwinden und dem Ankommen gestern und heute“ mit Zeitzeugen und aktuellen Flüchtlingen ins Gespräch kommen. Ein voller Tag also, bei dem aber auf keinen Fall die Freude über die überwundene Teilung Berlins, Deutschlands, Europas und der Welt zu kurz kommen darf!

Mit bleibt, Ihnen ganz herzlichen Dank zu sagen dafür, dass Sie heute zu uns gekommen sind und diese Freude mit in die Stadt und nach Europa nehmen wollen.

Et maintenant, je donne la parole a nos amis de Strassbourg.

Merci beaucoup!!

Freya Klier Ansprache 9. November 2017.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Freunde!

  1. Lässt sich nach 28 Jahren noch vermitteln, wie es war, abgeschottet zu sein? In einer Diktatur leben zu müssen, in der auf Dich geschossen wurde, sobald es Dich hinaus in die Freiheit zog?

Fluchtversuche gab es, nachdem die 1400 km lange Grenze zwischen Ost und West mit Erdminen und Selbstschussanlagen aufgerüstet war, immer wieder. Und immer seltener glückten sie. Ich selbst habe mich entschlossen zu fliehen, als 1966 mein 17jähriger Bruder für 4 Jahre ins Gefängnis kam, weil er und seine Freunde Liedtexte von den Rolling Stones und den Beatles besaßen, die sie der Polizei nicht aushändigen wollten. Die, als sie von der Polizei zusammengeschlagen wurden, „Ihr Nazis!“ riefen.  Zwei Jahre später versuchte ich zu fliehen – ich wollte im Rostocker Hafen mit einem Schiff nach Schweden gelangen. Mein Plan wurde von DDR-Matrosen verraten, noch im Hafen klickten die Handschellen. Ich kam ins Gefängnis. Bei jedem DDR-Flüchtling hat sich der Ablauf der Flucht eingebrannt, besonders der Moment des Scheiterns. Auch erinnern wir uns der schlimmen Momente unserer Haftzeit… der schier endlosen Demütigungen durch das Wachpersonal, dessen Macht und Willkür auch im Sozialismus kaum gebremst war.

  1. Später bekam ich mit meiner Familie eine Wohnung im Prenzlauer Berg zugewiesen, und die lag dicht an der Mauer, in der Oderberger Straße. Täglich, wenn wir nach Hause gingen, starrten wir auf dieses Ungetüm aus Beton, das uns signaliserte: ´Hier ist für Euch Schluss – sonst wird geschossen!´

Hinter der Mauer aber, auf der Westseite, stand eine Aussichtsplattform: Dort schauten Menschen aus der freien Welt in unsere Oderberger Straße hinein wie in ein Aquarium. Manche fotografierten, andere filmten. Für uns war es ein unangenehmes Gefühl.

Das endete erst mit dem 9.November 1989. Und wieder schauen wir auf die Oderberger Straße: Am Abend dieses 9. November 1989 verlässt der Vikar Thomas Jeutner mit seiner hochschwangeren Frau Marianne die Oderberger Straße Nr. 5. Die beiden wohnen hier und wollen noch etwas spazieren gehen, wie fast jeden Abend so kurz vor der Geburt. Heute entscheiden sie sich für einen längeren Weg – die Oderberger hinunter bis zur Mauer, dort einfach die Straßenseite wechseln und wieder zurück. Dabei wird der junge Theologe Zeuge eines vermeintlichen Hörspiels: „ Wir sind also die rechte Seite, wo die Feuerwache ist, runtergegangen“ – erinnert sich Thomas Jeutner – „sehr langsam, meine Frau stand ja kurz vor der Geburt. Es war schon dunkel. Vor dem Klub der Volkssolidarität, also nicht weit von der Mauer entfernt, stand ein Trabant, mit heruntergekurbeltem Fenster. Und der Fahrer hörte unverschämt laut ein Hörspiel aus seinem Autoradio. Erst ärgerte mich seine Rücksichtslosigkeit, dann blieb ich aber ein bisschen stehen, denn es lief ein Science-FictionHörspiel und das war ziemlich packend: Die Rede war von einem Land mit einer Mauer, und die Mauer sei geöffnet, man hörte viel Trubel… Ich war sauer. Ich fand es ziemlich geschmacklos, so etwas zu senden. Wir standen ja direkt vor der Mauer – das Ungetüm war ja da! Ich dachte, die spinnen total. Verärgert kehrten wir um…“

Als Thomas Jeutner am Spätabend einen Anruf von seinem Bruder erhält, weiß er, dass das vorhin kein Science Fiction war! Die Mauer ist tatsächlich offen, wenn auch noch nicht an der Oderberger Straße.

3.

´Es war die erste unblutige Revolution in der deutschen Geschichte ´, können Schüler heute in ihren Büchern darüber lesen. Sie ahnen die Dramatik – von der Massenflucht über Ungarn, den Botschaftsbesetzungen in Prag und Warschau, von  Gründungsaufrufen oppositioneller Gruppen. Sie lesen, wie zuerst Hunderte DDR-Bürger auf die Straßen gingen, bald schon Tausende und schließlich Millionen – getrieben von dem Wunsch nach Freiheit und Demokratie…

Lesen können sie es – doch ahnen sie damit auch die überbordenden Gefühle ihrer Eltern und Großeltern, als die Mauer schließlich fiel?

Und wann spürten wir selbst, dass dies eine historische Stunde ist? Beim Versprecher eines Politbüro-Mitglieds? Bei den ersten ´Wahnsinn!´ – Rufen auf der Bornholmer Brücke, bei stammelnden Politikern, dem plötzlichen Verkehrschaos? Spätabends erreichte mich ein Anruf aus Kanada: Unsere Freunde weinten am Telefon, denn sie sahen im kanadischen Fernsehen Trabi-Paraden und Freudentänze auf dem nächtlichen Ku´damm. Ich weinte mit… und nicht zum ersten Mal an diesem Abend.

Schon am nächsten Tag konnte man in Kreuzberg kaum noch treten. Ost-Berlin schien geschlossen Richtung Westen gerückt zu sein. Noch immer herrschte Ausnahmezustand, lag ´Wahnsinn!´ in der Luft. An reguläre Arbeit war nicht mehr zu denken. Was konnte man anderes tun an diesem Tag als mitzustrahlen und im Pennymarkt was Trinkbares zum Anstoßen zu holen?

Am 11.November stand ich dann am Checkpoint Charlie. Eine Schulklasse zog mich dort in ihren Bann, die aussah, als hätte sie bereits zwei Tage und Nächte durchgefeiert. Müde schauten sie auf kofferbeladene Flüchtlinge, durch den Checkpoint hasteten jetzt vor allem Familien mit Kindern: Wer wusste denn, ob das ganze nicht ein Versehen war und morgen die Grenzer wieder aufmarschierten?

Im Unterschied zu seiner Klasse war der Lehrer hellwach – hingerissen kommmentierte er das Geschehen. Der Mantel der Geschichte wehte, und er durfte mit seiner Klasse dabei sein: ´Nadine, schlaf nicht!´, rief er einem Mädchen zu. ´Schlafen kannst Du zuhause. Hier…´ – seine Arme fuchtelten in Richtung der hastenden DDR-Bürger – ´hier fliehen noch Menschen von Ost nach West!´… Nadine versuchte, sich zu straffen. Und ich vergaß, die Jugendlichen zu fragen, woher sie kommen.

Unter den vielen Episoden in diesem Herbst 1989 gehört diese zu meinen liebsten. Die Schüler dürften heute etwa 40 Jahre alt sein. Und keiner von ihnen wird diese Klassenfahrt vergessen haben, da bin ich sicher.

Fotoquelle/Collage: TP Presseagentur Berlin

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